Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.1.2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
Streitig ist die Erteilung eines Bergmannsversorgungsscheins nach dem Gesetz über einen Bergmannsversorgungsschein im Land Nordrhein-Westfalen vom 20.12.1983 (Bergmannsversorgungsscheingesetz – BVSG NW).
I.
Der 1952 geborene Kläger hat seinen ständigen Wohnsitz in den Niederlanden. Er ist gelernter Starkstromelektriker und war als Arbeitnehmer der Firma E GmbH im Deutschen Steinkohlenbergbau zuletzt als technischer Angestellter beschäftigt. Wegen der Folgen eines am 6.5.1988 erlittenen Arbeitsunfalls war er arbeitsunfähig und bezog von der Bergbau Berufsgenossenschaft (BBG) bis zum 12.3.1993 Verletztengeld, danach Verletztenrente. Die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (DRV KBS, vormals Bundesknappschaft) zahlt seit dem 12.3.1993 nach einem Leistungsfall vom 6.5.1988 Rente wegen Berufsunfähigkeit (Urteil des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 9.12.1994; Ausführungsbescheid vom 6.4.1995). Auf Wunsch des Klägers stellte ihm die E GmbH am 10.8.1993 bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis eine Arbeitsbescheinigung (nach § 133 des damals noch geltenden) Arbeitsförderungsgesetzes) zur Vorlage beim Arbeitsamt aus und stellte gleichzeitig die bis dahin geleisteten Zahlung einer Energiebeihilfe nach dem maßgeblichen Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus 14.11.1989 ein.
Im April 1989 beantragte der Kläger beim Beklagten die Erteilung eines Bergmannsversorgungsscheins. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, nachdem das die Bundesknappschaft zur Rentenleistung verurteilende Urteil des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 9.12.1994 rechtskräftig geworden war: Ein Anspruch auf Erteilung des Bergmannsversorgungsscheins bestehe nicht, da der Kläger seit dem 6.5.1988 berufsunfähig und zuvor an ihn eine Aufforderung im Sinne des § 2 Abs 1 nicht ergangen sei (Bescheid vom 10.3.1995).
Im November 1997 beantragte der Kläger erneut die Erteilung eines Bergmannsversorgungsscheins. Er erhalte von seinem (früheren) Arbeitgeber nur Energiebeihilfe, wenn ihm der Bergmannsversorgungsschein erteilt sei. Die Beklagte lehnte den Antrag erneut ab: Der Bescheid vom 10.3.1995 sei weiter richtig. Eine wesentliche Änderung sei seither nicht eingetreten (Bescheid vom 4.12.1997). Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, der Bergmannsversorgungsschein würde seinen Status unerschütterlich festigen. Damit hätte er wenigstens eine kleine Chance vor den Arbeitsgerichten. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück: Für die Zeit ab dem 6.5.1988 schließe die anerkannte Berufs. unfähigkeit die Zuerkennung es Bergmannsversorgungsscheins aus; neue Gesichtspunkte hätten sich seit der Entscheidung vom 10.3.1995 nicht ergeben (Widerspruchsbescheid vom 16.3.1998, gestützt auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)). Die Rechtsbehelfsbelehrung enthielt ua den Hinweis, es könne gegen diese Entscheidung Klage zum SG Münster erhoben werden.
Der Kläger hat am 21.4.1998 Klage zum SG Münster erhoben und die Erteilung des Bergmannsversorgungsscheins rückwirkend ab Arbeitsunfalldatum 6.5.1988 begehrt.
Das SG Münster hat den Rechtsstreit wegen § 17 Abs 3 Satz 3 BVSG NW an das SG Gelsenkirchen verwiesen (Beschluss vom 24.6.1998).
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG ist für den Kläger niemand erschienen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Entscheidung weiter für zutreffend gehalten.
Das SG hat die Entscheidung der Beklagten bestätigt und die Klage abgewiesen (Urteil vom 12.1.2000, zugestellt am 15.2.2000).
Der Kläger hat noch im Februar 2000 Berufung eingelegt und nunmehr behauptet, bereits vor der Arbeitsunfähigkeit habe verminderte Berufsfähigkeit im Bergbau vorgelegen und sei ein Antrag auf Erteilung eines Bergmannsversorgungsscheins gestellt worden. Später hat er darauf hingewiesen, dass die verminderte Berufsfähigkeit im Bergbau nach seinem schweren Arbeitsunfall eingetreten sei. Er habe den Bergmannsversorgungsschein schon 1989 beantragt, Rente wegen Berufsunfähigkeit sei ihm jedoch erst 1995 bewilligt worden. Einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat der Senat wegen mangelnder Erfolgsaussicht abgelehnt (Beschluss vom 6.9.2000).
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Er hat darauf hingewiesen, dass die Erteilung eines Bergmannsversorgungsscheins konstitutive Wirkung habe und deshalb nur für die Zukunft gelte, und meint, nach Erteilung eines Bergmannsversorgungsscheins komme bei späterer Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit dessen Entziehung nicht in Betracht.
Der Senat hat die Beteiligten auf § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen und mitgeteilt, dass eine Entscheidung nach dieser Vorschrift beabsichtigt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und die ebenfalls beigezogenen Rentenakten der DRV-KBS Bezug.
II.
Die Berufung ist unbegründet.
Die Klage ist zulässig; sie ist schon wegen der unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid vom 16.3.1998 fristgerecht erhoben worden, § 66 Abs 2 Satz 1 SGG.
Der Bescheid des Beklagten vom 28.11.1997 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.3.1998, vgl § 95 SGG) beschwert den Kläger nicht, weil dieser Bescheid nicht rechtswidrig ist, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG. Denn ein Anspruch des Klägers auf Zurücknahme des Bescheides vom 10.3.1995 und Erteilung des Bergmannsversorgungsscheins besteht nicht, § 44 SGB X. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X, wonach ua ein Verwaltungsakt zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, liegen nicht vor.
Als Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch kommt einzig § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X in Betracht, da die Beklagte ausweislich der in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Verfügungen (zu Recht) ausschließlich über einen solchen Anspruch befunden hat. Dies ergibt die Auslegung des Bescheides vom 28.11.1997, jedenfalls im Zusammenschau mit dem Widerspruchsbescheid vom 16.3.1998. Der Beklagte hat bereits im Ausgangsbescheid zur Begründung der Ablehnung darauf hingewiesen, dass nichts auf die Unrichtigkeit des Bescheides vom 10.3.1995 hinweise und deshalb an dessen Bindungswirkung festgehalten werde. Im Widerspruchsbescheid hat sie dann ausdrücklich auf § 44 SGB X Bezug genommen und ihre ablehnende Entscheidung auf diese Vorschrift gestützt.
Der Bescheid vom 10.03.1995 ist nicht unrichtig. Zu Recht hat die Beklagte diesen Bescheid auf den Sachverhalt gestützt, dass der Kläger den Bergmannsversorgungsschein frühestens wegen einer ab dem 06.05.1988 eingetretenen Minderung der Erwerbsfähigkeit beanspruchen könnte, und den Anspruch auf dieser Grundlage rechtlich zutreffend abgelehnt, weil bereits ab diesem Zeitpunkt Berufsunfähigkeit vorlag. Auf der Grundlage dieses – zutreffenden – Sachverhalts waren damals (wie heute) die Voraussetzungen des hier einzig als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 2 Abs 2 BVSG NW nicht erfüllt. Dies hat das SG im angefochtenen Urteil im Ergebnis mit das Urteil tragenden zutreffenden Erwägungen ausgeführt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug und macht sich diese zu Eigen, § 153 Abs 2 SGG.
Aus § 2 Abs 2 Satz 1 a) BVSG NW ergibt sich, dass den Bergmannsversorgungsschein Arbeitnehmer erhalten, die vermindert bergmännisch berufsfähig sind, ohne berufsunfähig zu sein. Es kann unterstellt werden, dass der Kläger mit dem 6.5.1988 (auch) vermindert bergmännisch berufsfähig geworden ist. Ab diesem Zeitpunkt liegt bei ihm jedoch außerdem anspruchsausschließende Berufsunfähigkeit vor. Dies steht auf der Grundlage des Bescheides der DRV KBS vom 6.4.1995 fest (sog Tatbestandswirkung, vgl BSGE 89, 13ff = SozR 3-4300 § 142 Nr 1 mwN). Ohne Bedeutung ist nach dem Wortlaut der Vorschrift, wann dies bescheidmäßig festgestellt worden ist und ob ab diesem Zeitpunkt auch tatsächlich Rente wegen Berufsunfähigkeit gezahlt worden ist. Dem liegt zugrunde, dass vermindert bergmännisch berufsfähigen Bergleuten durch Erteilung des Bergmannsversorgungsscheins ermöglicht werden soll, auch außerhalb des Bergbaus eine angemessene Tätigkeit zu verrichten (Boldt. Das Recht des Bergmanns. 3. Auflage 1960. § 38 I., S. 601). Dieser Gesetzeszweck lässt sich dann nicht mehr erreichen, wenn über die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit hinaus Berufsunfähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben vorliegt, also eine dem Versicherten zumutbare angemessene Tätigkeit ohnehin nicht mehr gegeben ist. Soweit der Kläger im Berufungsverfahren erstmals vorgetragen hat, er sei bereits vor dem 6.5.1988 vermindert bergmännisch berufsfähig gewesen, handelt es sich dabei nach Auffassung des Senats um eine gezielte, zweckgerichtete Behauptung, für deren Richtigkeit sich nach Lage der Akten kein Anhalt ergibt. Sie steht überdies in Widerspruch zum Sachvortrag des Klägers, wonach die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Aufgabe seiner zuvor ausgeübten bergmännischen Tätigkeit erst aufgrund des schweren Arbeitsunfalls vom 6.5.1988 eingetreten sind.
Auf die vom Beklagten aufgeworfene Frage, ob ein Rechtsschutzinteresse deswegen nicht bestehe, weil die Erteilung des Bergmannsversorgungsscheins konstitutive Wirkung habe (vgl dazu LAG Hamm, Betrieb 1958, Seite 1331; Urteil des erkennenden Senats vom 27.8.1990, Aktenzeichen L 2 KN 61/87), kommt es damit nicht mehr entscheidend an.
Damit steht fest, dass dem Kläger im Ergebnis auch ein Anspruch auf (höhere) Energiebeihilfe für aus dem Bergbau ausgeschiedene Angestellte, die Inhaber eines Bergmannsversorgungsscheins sind, nicht zusteht/zustand. Aus welchen Gründen die Firma E GmbH allerdings die – niedrigere – Beihilfe für aus dem Bergbau ausgeschiedene Angestellte in der Vergangenheit nicht geleistet hat, ist nach Lage der Akten nicht erkennbar. Bereits das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in seinem einen Rechtsstreit zwischen dem Kläger und seinem früheren Arbeitgeber abschließenden Urteil vom 10.4.1996 (Aktenzeichen 10 AZR 600/95) ausgeführt, dass ein solcher Anspruch nach Anlage 7 zum Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus, Abschnitt II.1. Ziffer 1 (§ 100) bestehen könne, jedoch nicht Gegenstand des Rechtsstreits sei (BAG aaO, Rdnr. 36). Die Zahlung einer laufenden Leistung hat die Firma Deilmann Haniel GmbH offensichtlich in der Zwischenzeit wieder aufgenommen.
Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich, § 153 Abs 4 SGG. Die Beteiligten sind zu der beabsichtigten Verfahrensweise gehört worden, § 153 Abs 4 Satz 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs 1 Satz 1 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.
Erstellt am: 29.01.2007
Zuletzt verändert am: 29.01.2007