I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Februar 2010 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2010 verurteilt, der Klägerin die Operationskosten für die ärztliche Liposuktionsbehandlungen am 29. Juli 2010 und 16. Dezember 2010 in Höhe von 7.635,48 EUR zu erstatten.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme von Kosten in Höhe von 7.635, 48 EUR für zwei stationäre Liposuktionen bei Lipödem am 29.07.2010 und 16.12.2010 streitig.
Im streitigen Zeitraum war die Klägerin, geboren am 1985, bei der Beklagten gemäß § 10 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) familienversichert.
Am 04.02.2010 beantragte sie unter Vorlage eines ärztlichen Attestes von Dr. E. die Übernahme von Kosten für eine wasserstrahlassistierte Liposuktion bei Lipödem.
Mit Bescheid vom 17.02.2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab.
Bei der begehrten Behandlung handle es sich nicht um eine Vertragsleistung. Es liege eine neue Behandlungsmaßnahme vor, die noch keine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) der Ärzte und Krankenkassen erhalten habe.
Dagegen legte die Bevollmächtigte am 03.03.2010 Widerspruch ein.
Nach Einholung von sozialmedizinischen Gutachten vom 12.04.2010, 11.05.2010 und 31.05.2010 des MDK wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2010 zurück.
Es handele sich nicht um eine Vertragsleistung, ein positives Votum des GBA der Ärzte und Krankenkassen gemäß den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V fehle. Vertragliche Therapien stünden mit Fortführung der Kompressionsbehandlung, manuellen Lymphdrainagen und gegebenenfalls einer stationären Rehabilitation in einer entsprechenden Fachklinik für Lympherkrankungen zur Verfügung.
Weiter sei zu berücksichtigen, dass bei der Klägerin neben der insbesondere im Bereich der Beine vorliegenden Fettverteilungsstörung zusätzlich ein Übergewicht mit einem BMI von 37,5 kg/m² bestehe. Vom objektiven Ausmaß und Schweregrad her handele es sich damit nicht um einen operationswürdigen Befund. Neben einer notwendigen Gewichtsreduktion, bei der die Beklagte die Klägerin gerne unterstütze, stünden ambulante Behandlungsmöglichkeiten wie bereits geschildert zur Beschwerdelinderung zur Verfügung. Eine Liposuktion als Krankenhausbehandlung sei weder aufgrund des individuellen Krankheits-
bildes noch nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.12.2008 in einer vergleichbaren Fragestellung indiziert. Eine individuelle Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung habe vom MDK nicht bestätigt werden können.
Dagegen hat die Bevollmächtigte am 20.07.2010 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben.
Zur Klagebegründung hat sie vorgetragen, dass die Klägerin unstreitig an einem schmerzhaften Lipödem der Beine im Stadium II und der Oberarme im Stadium I leide. Trotz einer letzten Endes mit erheblichen Anstrengungen erzielten Gewichtsabnahme von bis zu 30 kg sei die Reduktion überwiegend nur am Oberkörper erfolgt mit einer nur geringen Verschlankung der Beine. Die Bewegungseinschränkung und die Schmerzen seien geblieben. Hervorgerufen durch die Fettvermehrung sei es schließlich neben der schmerzhaften Bewegungseinschränkung zu weiteren erheblichen Beschwerden gekommen, wie einem Spannungs- und Schweregefühl in den Beinen, welches im Laufe des Tages deutlich zunehme. Aufgrund der Umfangsvermehrung gegen Abend leide die Klägerin außerdem regelmäßig unter einer Druck- und Berührungsempfindlichkeit, vor allem in den Oberschenkeln. Seit der ärztlichen Diagnose im März 2008 seien neben der Durchführung manueller Lymphdrainagen auch Kompressionsstrümpfe von der Klägerin getragen worden, was jedoch zu keiner Besserung geführt habe. Wie bereits beschrieben lasse sich auch nicht mittels Diäten und Sport eine deutliche Volumenreduzierung erzielen, da die lipödemspezifischen Zellen kalorienresistent seien. Erfahrungsgemäß sei eine deutliche Beschwerdeverminderung nur durch eine operative Liposuktion zu erzielen.
Sämtliche, die Klägerin behandelnden Ärzte, bescheinigten ihr die Notwendigkeit einer wasserstrahlassistierten Liposuktion. Auch werde dringend zu einem stationären Eingriff geraten, da es einfach zu gefährlich sei, eine Liposuktion dieser Größenordnung ambulant durchzuführen. Hier bestehe nämlich das Risiko, dass es zu schwerwiegenden Folgen, wie Elektrolytverschiebungen kommen könnte.
Das Gericht hat sodann zur Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. F. vom 05.01.2011, Dr. E. vom 11.01.2011 und Dr. G. vom 21.02.2011 eingeholt.
Zu den medizinischen Unterlagen hat die Beklagte durch Einholung weiterer sozialmedizinischer Gutachten des MDK vom 28.03.2011, 04.07.2011, 24.10.2011 und 21.02.2012 Stellung genommen. Hierbei ist die Beklagte bei ihrer Einschätzung geblieben, dass die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Leistungsgewährung nicht erfüllt seien. So handle es sich bei der Liposuktion um einen grundsätzlich ambulant durchführbaren Eingriff. Sie käme überwiegend bei kosmetischen Indikationen zur Anwendung und könne bei Bedarf in mehreren Sitzungen erfolgen. Aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich jedoch keine stationäre Behandlungsnotwendigkeit bei der Klägerin. Diesbezüglich werde auch auf das Urteil des BSG vom 16.12.2008 – B 1 KR 11/08 R – verwiesen.
Anschließend hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch ein ärztliches Gutachten vom 14.07.2012 von Dr. C …
In diesem hat der medizinische Sachverständige festgestellt, dass zweifelsfrei Liposuktionen beim Krankheitsbild eines massiven Lipödems Grad II-III, wie er bei der Klägerin vorliege, das Mittel der Wahl sei. Konservative Maßnahmen könnten zwar die Beschwerden stellenweise lokal lindern, aber sie reichten nicht aus, das Problem eines krankhaften Fettzellverteilungsmusters nachhaltig zu beseitigen. Der Lymphstau lasse sich nur mittels "mechanischer Behebung" des Problems beseitigen. Seien die Lymphstau verursachenden Zellen entfernt, werde der Teufelskreis durchbrochen, und die Lymphe könne wieder abfließen. Der Behandlungsverlauf bei der Klägerin weise dies ebenfalls nach, da bereits auf die erste Behandlung eine Linderung der Beschwerden erfolgt sei. Es sei ein Zustand erreicht worden, der nach konservativer Therapie, die über 2 Jahre hin durchgeführt worden sei, nicht annähernd erreicht werden konnte. Insofern sei eine konservative Therapie für die ersten Monate gerechtfertigt, wenn sich dann aber keine Besserung einstelle, sei die Liposuktion das Mittel der Wahl. Eine Liposuktion des Ausmaßes, wie sie bei der Klägerin vorgesehen sei, sei nur schwerlich ambulant durchzuführen. Die abzusaugenden Mengen seien groß. Mit deutlich über 4 l seien je Sitzung zu rechnen. Nach solch großen abgesaugten Volumina sei eine ambulante Patientin in aller Regel nur sehr bedingt in der Lage, zu Fuß wieder nach Hause zu gehen oder nach Hause gebracht zu werden. Die Unwägbarkeiten im ambulanten Bereich seien in solch einem Fall zu groß. Auch bei der Klägerin sei die stationäre Behandlung der verantwortungsvollere Weg.
Die Liposuktion als Behandlungsmethode der Wahl bei Lipödemen größeren Ausmaßes wie bei der Klägerin werde auch von der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie in ihren Leitlinien empfohlen. Sie sei allen konservativen Maßnahmen weit überlegen. Dazu lägen mehr als ausreichende klinische Ergebnisse über die Wirksamkeit dieser Behandlungsmethode vor.
Hierauf hat die Beklagte mit Schreiben vom 05.10.2012 erwidert unter Vorlage einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme des MDK vom 02.10.2012, dass eine konsequente Ausschöpfung der konservativen Behandlungsmaßnahmen zur effektiven Linderung der schmerzhaften Beschwerden nicht vorgelegen habe. Weder sei eine oftmals sinnvolle stationäre einleitende Maßnahme in einer lymphologischen Fachklinik erfolgt, noch seien konsequente, an die individuellen Beschwerden der Klägerin angepasste ambulante manuelle Lymphdrainagen mit anschließender Kompressionsbehandlung durchgeführt worden. Zudem sei auch die Notwendigkeit der stationären Durchführung der bisher erfolgten Liposuktionen im Gegensatz zu den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. C. nicht eindeutig zu bestätigen. Gerade die gewebeschonende wasserstrahlassistierte Liposuktion könne regelhaft ambulant erfolgen.
In der mündlichen Verhandlung beantragt die Bevollmächtigte der Klägerin, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2010 zu verurteilen, der Klägerin die Operationskosten für die ärztlichen Liposuktionsbehandlungen am 29.07.2010 und am 16.12.2010 in Höhe von insgesamt 7.635,48 EUR zu erstatten.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf die beigezogene Verwaltungsakte und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) frist- und formgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der von ihr verauslagten Kosten in Höhe von 7.635,48 EUR für die stationär durchgeführten Liposuktionen am 29.07.2010 und 16.12.2010.
Der Anspruch der Klägerin ergibt sich hier aus § 13 Abs. 3 SGB V.
Danach hat die Beklagte, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Unstreitig hat die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer stationären Liposuktion bei Lipödem mit Bescheid vom 17.02.2010 abgelehnt.
Die stationären Behandlungen sind sodann nach der ablehnenden Entscheidung der Beklagten am 29.07.2010 und 16.12.2010 erfolgt. Da sich die Klägerin also zunächst an die Beklagte gewandt hatte, hat sie den ordnungsgemäßen Beschaffungsweg auch eingehalten. Ebenfalls liegt ein Ursachenzusammenhang zwischen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und der Selbstbeschaffung vor, da aus den vorgelegten Akten nicht erkennbar ist, dass die Klägerin bereits vor der ablehnenden Entscheidung einen Behandlungsvertrag mit dem behandelnden Arzt Dr. E. abgeschlossen hatte und sich insoweit auf diese Behandlungsform vor der Entscheidung der Beklagten festgelegt hätte. Die Klägerin hat die ordnungsgemäß nach der GOÄ erstellten Rechnungsbeträge in Höhe von insgesamt 7.635,48 EUR zudem bereits vergütet, so dass ihr die beantragten Kosten somit tatsächlich entstanden sind.
Weiter ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die stationär durchgeführten Liposuktionen auch notwendig im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V waren.
Zwar handelt es sich bei der bei der Klägerin durchgeführten Liposuktion um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, für die eine positive Empfehlung des GBA fehlt. Hier ist aber durch § 137 c SGB V trotzdem die Übernahme der Kosten nicht grundsätzlich ausgeschlossen, da der GBA auch kein Negativvotum ausgesprochen hat. Voraussetzung für die Kostenübernahme ist vielmehr die individuelle Erforderlichkeit der durchgeführten Krankenhausbehandlung im Fall der Klägerin (vergleiche BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 13 Rn. 15 ff; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 19 Rn. 17).
So ergibt sich aus dem schlüssigen Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen dann, dass zur Linderung der Beschwerden der Klägerin nur noch eine stationäre Liposuktion in Betracht gekommen ist. Bei der Klägerin mussten nämlich 4000 ml abgesaugt werden. Für das Gericht ist nachvollziehbar, dass ein solcher Eingriff nur stationär medizinisch verantwortungsvoll durchführbar ist.
Entgegen der Ansicht der Beklagten geht das Gericht auch davon aus, dass die konservativen Behandlungsmethoden wie eine ambulante manuelle Lymphdrainage mit anschließender Kompressionsbehandlung und Senkung des Körpergewichts durch eine Umstellung der Ernährung bereits ausgeschöpft waren. So wurde die Klägerin vor den durchgeführten Liposuktionen bereits 2 Jahre lang wegen ihrer Beschwerden nicht nur allgemein-
medizinisch, sondern auch von einem Facharzt für Plebologie behandelt. Die fachmedizinischen Behandlungsmethoden waren nach der Bescheinigung des Facharztes für Dermatologie/Phlebologie Dr. G. aber erfolglos verlaufen. Hinzu kommt, dass der medizinische Sachverständige Dr. C. die Liposuktion nachvollziehbar als einzige Methode beschreibt, die in der Lage ist, das krankhafte Fettzellverteilungsmuster durch eine mechanische Behebung nachhaltig für den Gesundheitszustand günstig zu beeinflussen. Dagegen ergibt sich aus der Stellungnahme des MDK vom 02.10.2012 gerade nicht, wie durch eine stationäre Maßnahme in einer lymphologischen Fachklinik unter Anwendung der bereits gescheiterten konservativen Behandlungsmaßnahmen dasselbe beschwerdelindernde Ergebnis erreichbar gewesen wäre.
Insgesamt war daher dem Begutachtungsergebnis des gerichtlichen Sachverständigen zu folgen, so dass die stationären Liposuktionen als erforderliche Krankenhausbehandlungen anzuerkennen waren.
Die Beklagte war somit unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide antragsgemäß zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Erstellt am: 06.03.2013
Zuletzt verändert am: 06.03.2013