Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 12.09.2002 abgeändert. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Ute B. aus E. beigeordnet.
Gründe:
I.
Streitig ist die Versagung von Prozesskostenhilfe wegen Mutwilligkeit in einem Rechtsstreit, in dem es um die Zuerkennung der Pflegestufe II anstelle der anerkannten Pflegestufe I für die Zeit von Mai 2001 bis einschließlich Februar 2002 geht.
Der im Jahr 1927 geborene und am 30.11.2002 verstorbene Kläger war bei der Beklagten pflegeversichert und seit dem 07.12.1992 in dem Altenwohn- und Pflegeheim St. F. in A.-W. aufgenommen. Er bezog eine Altersrente von 1131,81 DM nach dem Stand von November 2001, zudem Pflegewohngeld nach der Pflegewohngeldverordnung NRW von im August 2001 874,58 DM zur Abdeckung der nicht durch Leistungen der Beklagten gesicherten Unterbringungskosten. Mit Urkunde des Amtsgerichts Ahaus vom 25.01.2002 war dem Kläger ein Betreuer für den Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge und Bestimmung des Aufenthaltes ohne Einwillungsvorbehalt bestellt worden.
Auf seinen Antrag hat die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 11.06.2001 ab dem 25.05.2001 die Aufwendungen für Pflege, der sozialen Betreuung sowie in der Zeit vom 25.05.2001 bis zum 31.12.2001 der Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege in Höhe von monatlich bis zu 2000,00 DM, höchstens jedoch 75 v.H. des mit der Pflegeeinrichtung vereinbarten Heimentgeltes, befristet bis zum 31.05.2003, bewilligt. Zudem hat die Beklagte im laufenden Gerichtsverfahren den Anspruch des Klägers auf Leistungen entsprechend der Pflegestufe II ab März 2002 anerkannt, der Kläger dies angenommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2002 hat die Beklagte den auf Zuerkennung der Pflegestufe II bereits ab Mai 2001 gerichteten Widerspruch des Klägers zurückgewiesen, dieser darauf am 06.12.2001 Klage erhoben mit der Begründung, bereits seit Antragstellung habe bei ihm ein zur Bewilligung von Leistungen nach der Pflegestufe II führender Pflegebedarf bestanden.
Die mit der Klageerhebung beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 12.09.2002 abgelehnt mit der Begründung, bei bestehender Bedürftigkeit des Klägers und hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung sei Prozesskostenhilfe abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung mutwillig erscheine (§ 73 a Abs. 1 SGG, 114 ZPO). Der Kläger verhalte sich mutwillig, weil er mit der Klage ein für ihn im Ergebnis finanziell nachteiliges Klageziel verfolge, was eine verständige Person, die die Kosten ihres Prozessierens selber zahle, nicht tun würde. Denn bei Zuerkennung von Ansprüchen nach der Pflegestufe II erhielte der Kläger zwar höhere Leistungen der Pflegekasse, müsse jedoch wegen der Kopplung des Heimentgeltes an die jeweilige Pflegestufe für ein weitaus höheres Heimentgelt aufkommen bzw. zu dessen Abdeckung in weitaus höherem Umfange Sozialleistungen in Anspruch nehmen, ohne gleichzeitig andere oder bessere Leistungen vom Heim beanspruchen zu können. Der Rechtsprechung des erkennenden Senates, wonach in einem solchem Fall keine Mutwilligkeit im Sinne von §§ 73 a SGG, 114 ZPO anzunehmen sei (Beschluss vom 15.05.2002 – L 3 B 7/02 P -), werde nicht gefolgt. Insbesondere sei die dort vertretene Annahme falsch, dass auch "verständige" Pfegebedürftige, die nach ihren Verhältnissen oder wegen des Vorhandenseins ausreichend leistungsfähiger Unterhaltspflichtiger für die Heimkosten selber aufkommen, Anlass hätten, sich um eine Höherstufung in der Pflegeversicherung zu bemühen. Dass auch aus der Sicht des Gesetzgebers den Heimbewohnern regelmäßig eine Motivation fehle, sich um Zuerkennung einer höheren Pflegestufe zu bemühen, folge aus der Einführung von § 87 a Abs. 2 SGB XI mit Wirkung vom 01.01.2002 i.V.m. der Begründung der Bundesregierung hierzu (BTDrs 14/5395) sowie dem Fehlen derartiger Klagen.
Gegen den am 16.09.2002 zugestellten Beschluss richtet sich die am 14.10.2002 eingegangene Beschwerde des Klägers, mit der eine gegen Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verstoßende Einschränkung des Rechtsschutzes gerügt wird. Für die im Falle des Obsiegens höhere Zuzahlung des Klägers zu den Pflegekosten trete der Sozialhilfeträger ein, was vom Gesetzgeber so gewollt sei. Es seien ferner entgegen der Annahme des SG Fälle bekannt, in denen auch vermögende Personen auf Zuerkennung höherer Pflegestufen klagten. Die Rechtsverfolgung sei daher nicht mutwillig und dem Kläger unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 21.10.2002, Bl. 118 PA).
Zu Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakten sowie der beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.
II.
Der angefochtene Beschluss ist abzuändern und dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der ihn vertretenen Rechtsanwältin B. zu bewilligen, weil die Voraussetzungen nach §§ 73 a Abs. 1 SGG, 114 ZPO vorliegen.
Dabei ist vom Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Antragstellung (Dezember 2001) auszugehen, so dass der Tod des Klägers im November 2002 für die hier interessierende Frage keinerlei Auswirkungen hat. Eine Verfahrensunterbrechung ist ohnehin nicht eingetreten (§ 202 SGG, § 246 Abs. 1 Satz 1 ZP0).
Der Kläger war nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten der Prozessführung ganz oder teilweise aufzubringen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat hinreichende Erfolgsaussichten in dem auch vom Sozialgericht gesehenen Sinn, dass eine Sachentscheidung ohne weitere Ermittlungen nicht möglich sein wird.
Die Rechtsverfolgung ist nicht mutwillig. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung zu einem gleichgelagerten Fall (Beschluss vom 15.05.2002 – L 3 B 7/02 P -) mit folgender ergänzender Begründung fest:
Die Verengung des Prüfungsspektrums hinsichtlich des Tatbestandsmerkmales "fehlende Mutwilligkeit" im Sinne von §§ 73 a, 114 ZPO auf das einzige Kriterium, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach den aktuellen Verhältnissen des jeweiligen Klägers (eigene finanzielle Situation bzw. BSHG-Bedarf, geschlossener Heimvertrag, aktuell erhobene Pflegekosten) einen kurzfristigen finanziellen Vor- oder Nachteil verspricht, ist nicht die Sichtweise der verständigen, ausreichend bemittelten Partei im Sinne der vom Sozialgericht zitierten Kommentierung (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. München 2002, § 73a, RdNr. 8; Baumbach-Lauterbach, ZP0, 60. Aufl., München 2002, Rdnr. 107 zu § 114). Denn der verständigen Partei ist am Erhalt der Leistungsfähigkeit eben jener Pflegeeinrichtung gelegen, auf deren Leistungsfähigkeit sie dringend angewiesen ist. Diese Leistungsfähigkeit hängt aber zumindest in der Tendenz davon ab, dass der Pflegeeinrichtung zur Abdeckung des tatsächlichen Pflegeaufwandes genügende Mittel zur Verfügung stehen.
Die Interessen der Partei sind insoweit deckungsgleich mit dem öffentlichen Interesse am Erhalt leistungsfähiger Pflegeeinrichtungen, das durch deren Verpflichtung zu wirtschaftlichem Verhalten (§ 72 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI), leistungsrechtlich (§§ 41 f., 82 f. SGB XI) und mit Mitteln des Aufsichtsrechts (§§ 9, 92a, 112 ff SGB XI) sichergestellt wird.
Doch auch ohne Berücksichtigung des vom jeweiligen Kenntnisstand abhängigen Hintergrundes wird der im Sinne des Sozialgerichts lediglich kurzfristig und finanziell orientiert denkende PKH-Antragsteller in der konkreten finanziellen Situation des Klägers zum Maßstab seines Handels machen, dass er mit seiner Klage im Falle ihres Erfolges erreichen kann, dass der von ihm genutzten Pflegeeinrichtung ein Anspruch auf Erstattung eines deutlich höheren Pflegesatzes zukäme, den er selbst nicht erfüllen müsste, da er schon hinsichtlich der Erfüllung des niedrigeren, der Pflegestufe I entsprechenden Pflegesatzes nicht ausreichend leistungsfähig war.
Es ist daher keineswegs zwingend, dass eine verständige Partei anstelle des Klägers von einer Rechtsverfolgung auf eigene Kosten Abstand nähme.
Die zum weiteren Beleg dieser Annahme aufgestellte Behauptung, nicht bedürftige Kläger würden derartige Klagen nicht erheben, mag örtlich zutreffen; Zweifel an der überörtlichen Relevanz und empirischen Verlässigkeit dieser Aussage weckt allerdings bereits die gegenteilige Behauptung der Kläger-Bevollmächtigten. Darüber hinaus kommt diesem Scheinargument von vornherein keine Bedeutung zu, weil nie die Anzahl etwaiger Klagen einen Anspruch begründet oder ausschließt, sondern nach wie vor die Erfüllung gesetzlicher Anspruchsgrundlagen über den Erfolg eines Rechtsbehelfs entscheidet. Der Rechtsordnung ist der Grundsatz "Masse statt Klasse" fremd.
Entscheidend ist, dass das Sozialgericht mit seiner Auslegung des Begriffs der "mutwilligen Prozessführung" im Rahmen von § 114 ZPO den Justizgewährungsanspruch des Klägers in unzulässiger, gesetzwidriger Weise einschränkt: Es setzt seine Vorstellung von dem im Interesse des Klägers Wünschenswerten an die Stelle des aktuell und durch seine Prozessführung dokumentiert vom Kläger Erstrebten und behindert so potentiell, nämlich für den Fall, dass die Klage erfolgreich ist, die Herstellung des objektiv-rechtlich anzustrebenden Zustandes.
Zwar mag es hier wie in vergleichbaren Fällen angesichts des Gesundheitszustandes der Pflegebedürftigen und ihrer finanziellen Lage zweifelhaft erscheinen, ob das Klageverfahren primär auf ihr Betreiben und nicht etwa auf Betreiben des finanziell interessierten Heimträgers durchgeführt wird. Im Rahmen der Rechtsschutzverfahren der Pflegebedürftigen ist jedoch von deren erhaltener Fähigkeit zur freien Willensbildung auszugehen und diese zu respektieren, solange sie nicht unter Betreuung mit Einwillungsvorbehalt (§ 1903 BGB) hinsichtlich der das Verfahren betreffenden Willenserklärung stehen oder sich konkrete Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit ergeben, denen das Sozialgericht dann gegebenenfalls durch Bestellung eines besonderen Vertreters (§ 72 SGG) Rechnung zu tragen hat. Die Beschränkung des Rechtsschutzes durch Verweigerung von Prozesskostenhilfe ist jedenfalls der falsche Weg. Ist zudem, wie hier, ein ohne Einwilligungsvorbehalt bestellter Vertreter in das Verfahren eingetreten und hat die Prozessführung gestützt, missachtet das Sozialgericht mit seiner Auslegung des Begriffes "mutwillige Prozessführung" zugleich dessen Rolle: Der Betreuer, nicht das Sozialgericht wacht im Rahmen des bestehenden Aufgabenkreises über die Interessen des Betreuten (§ 1901 BGB).
Die Auslegung des Sozialgerichts führt weiter zu einer Behinderung der Durchsetzung des objektiv-rechtlich gewünschten Rechtszustandes, zu dessen Herstellung die Justiz wegen ihrer Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) beizutragen hat. Dieser besteht darin, dass Pflegebedürftige die ihrem Pflegebedarf entsprechende Pflegestufe nach dem SGB XI mit allen sich aus diesem und anderem geltendem Recht ergebenden Konsequenzen erhalten. Ob die Auslegung des Sozialgerichts vor diesem Hintergrund lediglich bedenklich oder im Sinne der Beschwerdebegründung grundgesetzwidrig ist, kann dahinstehen. Denn im vorliegenden Fall hat der Gesetzgeber bereits durch eine einfach-gesetzliche Maßnahme, nämlich die auch vom Sozialgericht zur Begründung seiner Ansicht angeführte Einführung von § 87 a Abs. 2 SGB XI mit Wirkung ab dem 01.01.2002 zu erkennen gegeben, dass er der Durchsetzung des objektiv rechtlich gewollten Zustandes Vorrang sogar gegenüber dem entgegenstehenden Willen des Pflegebedürftigen einräumt. Die Vorschrift sichert die Herstellung des objektiv-rechtlich gewünschten Rechtszustandes (BT-Drs 14/5395: " …sichert andererseits – im Interesse einer ausreichenden Finanzierung der Pflegeheimleistungen – zugleich eine leistungsgerechte Vergütung der jedem einzelnen Pflegebedürftigen nach dem Gesetz zustehenden bedarfsgerechten Versorgung und Betreuung."), indem sie es dem Träger der Pflegeeinrichtung erlaubt, vorläufig den Pflegesatz der nächst höheren Pflegeklasse zu berechnen, obwohl der Heimbewohner sich pflichtwidrig (§ 87 a Abs. 2 S. 1 SGB XI) geweigert hat, die seinem Zustand entsprechende höhere Pflegestufe zu beantragen. Dieser mittelbare Druck auf die Pflegebedürftigen zur Herstellung des vom Gesetz angestrebten Zustandes qua Antragstellung wird nicht nur ohne Differenzierung danach ausgeübt, ob die Antragstellung selbst dem Pflegebedürftigen finanziell vorteilhaft ist. Die Erkenntnis, dass die Differenz zum Heimentgelt in der höheren Vergütungsklasse häufig nicht voll durch die höheren Leistungen der Pflegeversicherung in der höheren Pflegestufe aufgefangen wird, ist vielmehr wörtlicher Bestandteil der Gesetzesbegründung geworden (BT-Drs 14/5395: "In der Praxis hat sich gezeigt, dass pflegebedürftige Heimbewohner bei einem verschlechterten Zustand einen Antrag bei der Pflegekasse auf Höherstufung scheuen. Dies hängt damit zusammen, dass die Differenz zum Heimentgelt in der höheren Vergütungsklasse häufig nicht voll durch Leistungen der Pflegeversicherung aufgefangen wird …").
In der Konsequenz des angefochtenen Beschlusses nach Inkrafttreten des § 87 a Abs. 2 SGB XI bei der Überprüfung des Kriteriums "nicht mutwillig" im Sinne von §§ 73 a SGG, 114 ZPO läge es, danach zu differenzieren, ob der jeweilige Pflegeversicherte aktuell bereits unter Zugrundelegung einer fiktiven höheren Pflegestufe in Anspruch genommen wird oder nicht. In dem Fall, dass der Pflegeversicherte bereits aktuell dem finanziellen Druck durch Berechnung des nächst höheren Pflegesatzes ausgesetzt ist, wäre seine Prozessführung als wirtschaftlich sinnvoll und daher nicht mutwillig, ohne diesen allein im Belieben der Heimleitung stehenden Zwang dagegen mutwillig. Anders ausgedrückt: Der verständige Pflegebedürftige, der sich bereits ohne Ausübung des nach § 87 a SGB XI möglichen finanziellen Druckes auf ihn der Einsicht beugt, dass er durch Antragstellung und ggfls. Weiterverfolgung seines Anspruches auf Zuerkennung einer seinem tatsächlichen Gesundheitzustand entsprechenden Pflegestufe dazu beizutragen hat, dass die Pflegesätze dem Pflegeaufwand entsprechen, handelte bei Weiterverwendung des vom Sozialgericht angelegten Maßstabes mutwillig und könnte keine Prozesskostenhilfe bekommen sowie umgekehrt. Eine solche Handhabung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe liefe nicht nur den Zielen des SGB XI zuwider. Sie erscheint insbesondere aber auch im Interesse der Pflegebedürftigen als nicht wünschenswert. Letztlich liefe die Ansicht des Sozialgerichts auch darauf hinaus, den Versicherten zu einem vertragswidrigen und sozialschädlichen Verhalten (ein Mehr an Leistungen wird ohne entsprechende Gegenleistung in Anspruch genommen) zu veranlassen.
Diese Entscheidung ist – außer für die Staatskasse im Falle des § 127 Abs. 3 ZPO – unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 08.08.2003
Zuletzt verändert am: 08.08.2003