Die Beschwerde der Staatskasse und die Anschlussbeschwerde des Sachverständigen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 27.07.2018 werden zurückgewiesen. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die in Anbetracht der begehrten Herabsetzung der Vergütung um 490,76 Euro nach Maßgabe von § 4 Abs. 3 Satz 1 JVEG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Staatskasse, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, und die sinngemäß eingelegte, zulässige (vgl. Meyer/Höver/Bach/Oberlack/Jahnke, JVEG, 27. Aufl. 2018, § 4 Rn. 14 m.N.) und mangels gesetzlicher Anordnung nicht der Abhilfe durch das erstinstanzliche Gericht unterliegende Anschlussbeschwerde des Sachverständigen, über die der Senat mangels besonderer Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art oder grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache durch den Vorsitzenden und Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet (§ 4 Abs. 7 Satz 1 und 2 JVEG), sind unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Vergütung des Sachverständigen zu Recht auf 2.973,81 Euro festgesetzt. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung den ins Einzelne gehenden Ausführungen des Sozialgerichts, die der ständigen Rechtsprechung des Senats entsprechen, an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf sie Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Da sich weder der Beschwerdeführer noch der Anschlussbeschwerdeführer mit der sorgfältig und ausführlich begründeten Entscheidung des Sozialgerichts auseinandersetzen, beschränkt sich der Senat auf folgende ergänzende Hinweise:
1. Dass der Sachverständige für die Zeit, in der er am 18.11.2016 vergeblich auf den Kläger gewartet hat, eine Vergütung verlangen kann, folgt aus § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG, wonach notwendige Wartezeiten bei der erforderlichen Zeit für ein nach Stundensätzen zu bemessendes Honorar zu berücksichtigen sind.
Wartezeit im Wortsinne liegt nicht nur vor, wenn ein Kläger zur Untersuchung zu spät kommt, sondern auch dann, wenn der Kläger überhaupt nicht zur Untersuchung erscheint und der Sachverständige tatsächlich auf den Kläger gewartet hat, d.h. seiner üblichen Beschäftigung oder einer sonstigen wirtschaftlichen Tätigkeit in dieser Zeit nicht nachgegangen ist, aber ohne den Gutachtenauftrag nachgegangen wäre (vgl. auch Thüringer LSG, Beschl. v. 24.08.2009 – L 6 B 248/08 SF -, juris Rn. 27; OLG Koblenz, Beschl. v. 21.09.2006 – 1 Ws 553/06 -, juris Rn. 16). Erforderlich ist die Wartezeit dann, wenn der Sachverständige sie tatsächlich nicht für seine übliche Beschäftigung oder eine andere wirtschaftliche Tätigkeit nutzen konnte. Insoweit kann bereits bei medizinischen Sachverständigen, die eine eigene Praxis unterhalten, nicht pauschal unterstellt werden, sie hätten in der Zeit, in der sie auf den zu untersuchenden Kläger gewartet haben, andere Patienten behandeln können oder den Stundenausfall in Praxis im Übrigen anderweitig wirtschaftlich nutzen können. Vielmehr ist stets auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen und auf der Grundlage der vom Sachverständigen gewählten Organisation zu prüfen, ob der Sachverständige die Wartezeit tatsächlich wirtschaftlich hätte nutzen können (so auch Thüringer LSG, a.a.O.). In jedem Fall können solche Sachverständige, die, wie der Beschwerdegegner und Anschlussbeschwerdeführer, zur Durchführung der angeordneten ambulanten Untersuchung fremde (Praxis)Räume nutzen, nicht darauf verwiesen werden, dass sie bei Nutzung eigener Praxisräume die Wartezeit anderweitig wirtschaftlich hätten nutzen können. Eine solche hypothetische Betrachtungsweise findet im Gesetz keine Grundlage; die vom Beschwerdeführer zitierte Entscheidung des Sozialgerichts Dortmund vom 16.04.2015 – S 18 SF 181/14 E – überzeugt deshalb nicht. Die Erforderlichkeit des Zeitaufwandes für die Begutachtung ist vielmehr auch in Bezug auf Wartezeiten bezogen auf die Umstände des Einzelfalls objektiv zu bestimmen. Dabei ist weder normativ noch tatsächlich davon auszugehen, dass ein mit der Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beauftragter Arzt im Regelfall eine eigene Praxis unterhält. So liegt beispielsweise der Schwerpunkt der Tätigkeit zahlreicher Mediziner, die von den nordrhein-westfälischen Sozialgerichten beauftragt werden, auf der Erstattung sozialmedizinischer Gutachten. Für eine solche Tätigkeit muss nicht zwingend eine Praxis unterhalten werden. Vor allem ist die in richterlicher Unabhängigkeit getroffene Entscheidung über die Auswahl des Sachverständigen auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach dem JVEG zu beachten. Wenn sich der zuständige Richter für einen Sachverständigen entscheidet, der keine eigene Praxis unterhält oder seine Gutachtertätigkeit in anderen Räumlichkeiten ausübt, trifft das Risiko, dass der Sachverständige bei verspätetem oder unterbliebenem Erscheinen des Klägers zur Untersuchung die Wartezeit nicht wirtschaftlich nutzen konnte, die Staatskasse und nicht den Sachverständigen. Dabei kommt es im Übrigen nicht darauf an, ob dem beauftragten Sachverständigen durch die Nutzung von Räumen außerhalb einer eigenen Praxis oder der Klinik, in der er beschäftigt ist, Kosten entstehen. Ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger erhält eine Vergütung für die tatsächlich für die Erstellung des Gutachtens aufgewendete Zeit, soweit sie objektiv erforderlich war. Erforderliche Wartezeit ist deshalb unabhängig davon zu vergüten, ob dem Sachverständigen in dieser Zeit Kosten entstanden sind. Vielmehr geht § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG davon aus, dass auch eine (wirtschaftlich sinnlose bzw. vertane) Wartezeit vergütungsrelevant ist, weil der Sachverständige in dieser Zeit einer anderen wirtschaftlichen Tätigkeit nicht nachgehen konnte. Entscheidend ist deshalb allein, ob der Sachverständige die Wartezeit tatsächlich wirtschaftlich hätte nutzen können.
Nach diesen Grundsätzen waren die 1,75 Stunden am 18.11.2016 von 13.00 Uhr bis 14.45 Uhr, in denen der Sachverständige in den von ihm angemieteten Untersuchungsräumen vergeblich auf den Kläger gewartet hat, als erforderliche Wartezeit zu vergüten. Der Sachverständige hat detailliert und glaubhaft dargelegt, dass er in der angegebenen Zeit seiner üblichen Beschäftigung oder einer anderen wirtschaftlichen Tätigkeit tatsächlich nicht nachgegangen ist. Es ist auch davon auszugehen, dass der Sachverständige ohne den Gutachtenauftrag in der angegebenen Zeit seiner üblichen Beschäftigung oder einer anderen wirtschaftlich relevanten Tätigkeit nachgegangen wäre. In jedem Fall hätte der Sachverständige, der häufig mit der Erstattung von Gutachten beauftragt wird, in dieser Zeit jemand anderen zur Untersuchung einbestellen können. Die Wartezeit war auch objektiv erforderlich. Der Sachverständige hat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass und warum er die angegebene Zeit nicht anderweitig hätte wirtschaftlich nutzen können. Dies dürfte schon deshalb der Fall sein, weil der Sachverständigen nach seinen eigenen glaubhaften Angaben in ständigem telefonischen Kontakt mit dem Kläger stand, der den Weg zu den Untersuchungsräumen nicht fand. Darüber hinaus hat der Sachverständige glaubhaft dargelegt, dass er in den angemieteten Untersuchungsräumen seiner üblichen Beschäftigung nicht nachgehen kann.
2. Das Sozialgericht hat auch zu Recht für den Arbeitsschritt "Abfassung der Beurteilung" 12 Stunden angesetzt.
Der Arbeitsschritt "Abfassung der Beurteilung" umfasst die Beantwortung der vom Gericht gestellten Fragen und der näheren Begründung, also den Teil des Gutachtens, den das Gericht bei seiner Entscheidung verwerten kann, um ohne medizinischen Sachverstand seiner Entscheidung begründen zu können. Dazu gehört die diktatreife Vorbereitung der Beurteilung ohne Wiedergabe der Anamnese, der Untersuchungsergebnisse oder Befunde, einschließlich der Begründung der vom Sachverständigen getroffenen Schlussfolgerung, wie zum Beispiel die Auseinandersetzung mit entgegenstehenden Vorgutachten, anders lautenden Befunden sowie die Auseinandersetzung mit kontroversen Meinungen. In diesem Arbeitsschritt wird die eigentliche Gedankenarbeit im Zusammenhang mit der Auswertung der erhobenen Befunde, deren Würdigung im Hinblick auf die Beweisfrage sowie die diktatreife Vorbereitung abgegolten. Der Zeitaufwand insoweit ist nicht schematisch nach der Seitenzahl des Gutachtens festzusetzen. Maßgeblich ist vielmehr der Umfang und die Schwierigkeit der gedanklichen Arbeit des Sachverständigen im Einzelfall (vgl. zum Ganzen Beschl. des Senats v. 20.02.2015 – L 15 KR 376/14 B -, juris Rn. 29).
Danach erscheinen die vom Sozialgericht als objektiv erforderlich angesetzten 12 Stunden als angemessen. Der vom Sozialgericht im Ergebnis als erforderlich angesehene Zeitaufwand trägt der Schwierigkeit und dem Umfang der gedanklichen Arbeit des Sachverständigen angemessen Rechnung. Ohne Zweifel gehört die Beurteilung von Schmerzen und ihren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit zu den besonders schwierigen Fragestellungen in einem medizinischen Sachverständigengutachten. Der Sachverständige hat auch eine erkennbar umfangreiche gedankliche Arbeit erbracht. Allerdings bewegt sich der vom Sozialgericht für angemessen erachtete Zeitaufwand bereits am oberen Rand dessen, was bei der Begutachtung von Erwerbsminderung in der gesetzlichen Rentenversicherung an Zeitaufwand verbreitet und üblich ist. Für außergewöhnliche Umstände gibt der Sachverhalt nichts her.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG, § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Erstellt am: 22.10.2019
Zuletzt verändert am: 22.10.2019