Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2017 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat zwei Drittel und die Beklagte hat ein Drittel der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Abrechnung einer stationären Krankenhausbehandlung.
Der Versicherte E wurde wegen der Folgen eines im Zuständigkeitsbereich der Beklagten am 09.11.2012 erlittenen Arbeitsunfalls vom 03.12.2012 bis zum 14.01.2013 im Krankenhaus N stationär behandelt. Bei Aufnahme lagen eine schmierige Schürfwunde am Außenknöchel rechts mit Rötung des gesamten distalen Unterschenkels und ein ausgeprägtes Erysipel mit zentraler Einschmelzung vor. Im Verlauf kam es zur Ausbildung von großflächigen Hautnekrosen und einer Abszedierung. Operative Behandlungen erfolgten am 10., 13., 17., 21., 26. und 31.12.2012 sowie am 03.01.2013. Zuletzt wurde am 08.01.2013 eine Spalthautdeckung durchgeführt.
Die Klägerin (die damals noch unter dem Namen Krankenhaus N GmbH firmierte) als Trägerin des Krankenhauses stellte der Beklagten am 23.01.2013 für die Krankenhausbehandlung des Versicherten einen Betrag von 17.717,86 EUR in Rechnung. Der Rechnung lag die DRG J35Z und die Hauptdiagnose L03.11 (Phlegmone an der unteren Extremität) zugrunde. Die Beklagte leistete hierauf einen Betrag von 5.555,38 EUR unter Hinweis darauf, dass die Kodierung der Hauptdiagnose unzutreffend sei. Entsprechend den Allgemeinen und Speziellen Kodierrichtlinien für die Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren (Deutsche Kodierrichtlinien [DKR]) sei nach DKR 1905d (Version 2012) S81.9 als Hauptdiagnose zu kodieren, dies ergebe die DRG X01B.
Nach erfolgloser Mahnung der Beklagten mit Schreiben vom 10.06.2013 hat die Klägerin am 02.05.2014 beim Sozialgericht Düsseldorf Klage auf Zahlung eines Betrages von 12.162,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.02.2013 erhoben. Sie hat vorgetragen: Sie habe ihrer Rechnung zu Recht die DRG J35Z zugrunde gelegt. Denn die Phlegmone habe den stationären Krankenhausaufenthalt veranlasst. Bereits nach den DKR 2012, die der Abrechnung zugrunde zu legen seien, sei die Kodierung offener Wunden/Verletzungen gemäß DKR 1905 davon abhängig, ob die Komplikation mit einem spezifischen Kode näher abgebildet werden könne. Sei dies möglich, so sei zuerst dieser spezifische Kode für die Komplikation anzugeben, gefolgt von dem Kode für die offene Wunde. Nur in Fällen, in denen die spezifische Verschlüsselung der Komplikation einer offenen Wunde nicht möglich sei, werde der Kode für die offene Wunde angegeben, gefolgt von einem T-Kode für die Komplikation der offenen Wunde. Damit sei im vorliegenden Fall die L03.11 als Hauptdiagnose zu verschlüsseln. Diese Auffassung werde auch durch eine Klarstellung der DKR in der Version 2013 unterstrichen. Zusätzlich sei zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entscheidend sei, welche Diagnose den Schwerpunkt der stationären Behandlung gebildet habe. Im Zweifel entscheide der behandelnde Arzt. Selbst wenn auch die von der Beklagten angenommene Diagnose gleichermaßen die Kriterien für die Hauptdiagnose erfüllen würde, wäre demnach die Entscheidung der Ärzte nicht zu beanstanden.
Die Beklagte hat einen fachärztlichen Befundbericht des Arztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. I (Unfallmedizinischer Service der Beklagten) vorgelegt und erwidert: Die von der Klägerin zur Abrechnung gebrachte DRG J35Z sei nicht korrekt. Vielmehr sei die DRG X01B abzurechnen. Nach den DKR sei S81.9 als Hauptdiagnose zu kodieren. Was die Verschlüsselung der Operationsprozeduren angehe, sei festzustellen, dass der Kode 5-850.d9 spätestens seit dem 17.12.2012 nicht kodierfähig sei. Die Entfernung von Nekrosen sei ohnehin Teil des Kodes 5-916.a und daher nicht gesondert kodierfähig. Im Übrigen habe die vom Krankenhaus N behandelte Verletzung einer Verletzung nach dem Verletzungsartenverfahren entsprochen. Hierfür habe das Krankenhaus N keine Zulassung besessen, sodass schon aus diesem Grund kein Erstattungsanspruch bestanden habe.
Die Klägerin hat dem entgegen gehalten, dass bei der DKR 1905 für das Jahr 2013 die bereits vorgeschriebene Kodierung durch Änderung nochmals klargestellt worden sei, ohne inhaltliche Anpassungen vorzunehmen. Dass es sich bei dem Krankenhaus N nicht um einen zugelassenen Leistungserbringer handele, schließe es nicht von der Leistungserbringung im Rahmen der Gesetzlichen Unfallversicherung auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag aus. Die kompetente stationäre Behandlung habe dem Willen der Beklagten entsprochen.
In ihrer Replik hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass die spezielle Kodierrichtlinie zur Kodierung der Komplikation einer offenen Wunde erst 2013 anders gefasst worden sei. Die Einwände und Erklärungen der Klägerin zur Einhaltung des Verletzungsartenverfahrens seien zutreffend.
Mit Urteil vom 14.11.2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen die ihr am 11.12.2017 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 22.12.2017 Berufung eingelegt. Sie wiederholt im Wesentlichen ihr bisherigen Vorbringen und weist zusätzlich darauf hin, dass sich unter Zugrundlegung der DRG X01B ein Rechnungsbetrag von 9.294,77 EUR ergebe.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.02.2020 hat die Beklagte den Anspruch der Klägerin in Höhe von 3.739,39 EUR mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 23.02.2013 anerkannt. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2017 zu ändern und die Beklagte über ihr Teilanerkenntnis hinaus zu verurteilen, an die Klägerin 8.423,09 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.02.2013 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass S81.9 als Hauptdiagnose zu kodieren sei, räumt aber ein, dass sich aus der DRG X01B ein Betrag von 9.294,77 EUR ergebe, weshalb sie ein entsprechendes Teilanerkenntnis abgegeben habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig (st. Rspr. des BSG, vgl. etwa Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R, juris Rz. 8 m. w. N.). Sie ist aber – soweit sie über das Teilanerkenntnis der Beklagten hinausgeht – nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus Anlass der stationären Behandlung des Versicherten E keinen weiteren Zahlungsanspruch.
Die zu Gunsten des Versicherten E erbrachten Leistungen begründen keine höhere Vergütung, als sie von der Klägerin mit Rechnung vom 14.11.2017 geltend gemacht und von der Beklagten anerkannt worden ist. Die Höhe des – dem Grunde nach auch von der Beklagten nicht bestrittenen – Vergütungsanspruchs der Klägerin ergibt sich nämlich nicht aus der von der Klägerin in der Rechnung vom 23.01.2013 angesetzten höher vergüteten DRG J35Z, sondern aus der niedriger vergüteten DRG X01B.
Die betroffene Krankenhausvergütung bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen, die sich aus einem Fallpauschalen-Katalog, welcher Teil einer Vereinbarung ist, ergeben und Regelungen zur Ermittlung der jeweiligen Fallpauschale, auf die in dieser Vereinbarung Bezug genommen wird und die ihrerseits durch vertragliche Kodierrichtlinien operationabel sind. DKR und Fallpauschalenvereinbarung bilden den konkreten vertragsrechtlichen Rahmen, aus dem die für eine Behandlung maßgebliche DRG-Position folgt (vgl. zum Ganzen grundlegend BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R, juris Rz. 14 ff.). Die DKR sind wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen (BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 19 Rz. 17 m.w. N.). Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Diese Vergütungsregelung ist eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zu Tage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (vgl. zum Ganzen BSGE 107, 140 Rz. 18; BSG SozR 4-5565 § 14 Nr. 10 Rz. 14; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 11 Rz. 18; BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R, juris Rz. 27).
Ausgehend von diesen generellen Vorgaben durfte die Klägerin die erfolgte stationäre Behandlung des Versicherten nicht nach der DRG J35Z, sondern nur nach der niedriger vergüteten DRG X01B abrechnen. Die DRG X01B beruht wiederum letztlich darauf, dass S81.9 als Hauptdiagnose zu kodieren ist. Dies folgt aus der Kodieranweisung DKR (2012) 1905d, nach deren eindeutigem Wortlaut bei Vorliegen einer offenen Wunde mit Komplikation der Kode für die offene Wunde anzugeben ist, gefolgt von dem Kode für die Komplikation.
Aus DKR (2012) D002d als Teil der Allgemeinen Kodierrichtlinien für Krankheiten folgt nichts Gegenteiliges. DKR (2012) D002d definiert zwar die Hauptdiagnose als die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist. Dies trifft hier auf die Phlegmone zu. Die in DKR (2012) D002d gegebene, den Speziellen Kodierrichtlinien vorangestellte (vor die Klammer gezogene) Definition der Hauptdiagnose ist gleichwohl hier unbeachtlich, weil aus normsystematischen Gründen die Speziellen Kodierrichtlinien, die von den Allgemeinen Kodierrichtlinien abweichen, vorrangig sind (lex specialis derogat legi generali). Dies gilt jedenfalls, soweit nicht ausdrücklich etwas Gegenteiliges bestimmt ist (BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R, juris Rz. 43).
Dies bedeutet, dass die Phlegmone nicht als Hauptdiagnose kodiert werden darf, weil dies DKR (2012) 1905d ohne Einschränkung anders bestimmt. Denn eine Einschränkung, dass dies nur gelten soll, wenn eine spezifische Verschlüsselung der Komplikation einer offenen Wunde nicht möglich ist, enthält DKR (2012) 1905 gerade nicht.
Aus der Textänderung der DKR 1905 in der Version 2013 kann die Klägerin nichts herleiten. Soweit Anhang B der DKR 2013 (Zusammenfassung der Änderungen – Deutsche Kodierrichtlinien Version 2013 gegenüber der Vorversion 2012) die Änderung als "Klarstellung" bezeichnet, ist dies für die Auslegung der DKR 2012 ohne Belang. Der Regelung in DKR 2013 kommt insbesondere keine Rückwirkung zu. Wie bereits oben ausgeführt wurde, sind Abrechnungsbestimmungen wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und nur unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Bei zu Tage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen sind in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen. Dies ist hier mit Wirkung vom 01.01.2013 durch die DKR 2013 geschehen. Da wertende Betrachtungen zu unterbleiben haben, verbietet sich die Heranziehung solcher späterer Änderungen zur Auslegung früherer DKR (so BSG, Urteil vom 30.07.2019 – B 1 KR 13/18 R, juris, zur DKR 1001l m. w. N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Der Senat misst der Streitsache keine grundsätzliche Bedeutung bei, weil die Frage, ob Änderungen der DKR zur Auslegung früherer DRK herangezogen werden können, bereits höchstrichterlich geklärt ist.
Erstellt am: 22.06.2020
Zuletzt verändert am: 22.06.2020