Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02.12.2014 geändert. Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 17.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 verurteilt, die Rentennachzahlung ab dem 01.01.2005 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu verzinsen. Im Übrigen werden die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu 9/10. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Beginn der Verzinsung eines an den Kläger aus Anlass der Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) gewährten Nachzahlbetrages.
Mit Schreiben vom 28.03.2003 zeigte die Krankenkasse des Klägers, die Bahn-BKK, der Eisenbahnunfallkasse als Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) eine Berufskrankheit nach § 9 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) an. Die Beklagte informierte den Kläger über die Einleitung eines BK-Feststellungsverfahrens und bat ihn, sich bei einem Facharzt zur Erstellung einer ärztlichen Anzeige vorzustellen (Schreiben vom 02.04.2003). Eine entsprechende Anzeige erfolgte durch den Facharzt für Dermatologie, Allergologie, Herrn I, mit Datum vom 10.04.2003. Ein von der Beklagten erbetenes Formular zur BK sandte der Kläger ausgefüllt am 24.04.2004 an diese zurück.
Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer BK 5101 mit Bescheid vom 23.12.2003 ab und wies den Widerspruch des Klägers vom 20.01.2004 mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2004 zurück. Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf S 1 U 36/04 (Klage vom 19.05.2004, Klageantrag vom 07.10.2004) verurteilte das SG die Beklagte zur Anerkennung der BK und zur Rentenzahlung (Urteil vom 03.02.2006). In dem sich anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG, Az.: L 17 U 52/06) schlossen die Beteiligten im Verhandlungstermin am 15.09.2010 einen Vergleich über die Anerkennung der BK 5101 und eine Rentenzahlung von Juli 2004 bis Juni 2007. Diesen Vergleich führte die Beklagte mit Bescheid vom 16.11.2010 aus und setzte einen Nachzahlbetrag von 15.627,96 Euro fest, der im Dezember 2010 ausgezahlt wurde.
Am 05.01.2011 beantragte der Kläger die Zahlung von Zinsen auf den Nachzahlbetrag. Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 17.01.2011 eine Verzinsung gem. § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) für den Zeitraum vom 01.11.2010 bis 30.11.2010 vor. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 20.01.2011, mit dem dieser eine Verzinsung bereits ab 01.07.2004 begehrte, wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2011 zurück. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG – Urteil vom 30.01.1991 – 9a/9 RV 29/89) bestehe kein Anspruch auf eine frühere Verzinsung. Gemäß § 44 Abs. 2 SGB I beginne die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger, beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung. Die Einigung der Parteien durch einen gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich stehe der Bekanntgabe der Entscheidung i. S. v. § 44 Abs. 2 2. Halbsatz SGB I gleich. Der am 15.09.2010 geschlossene Vergleich sei als Entscheidung in diesem Sinne zu beurteilen, die gezahlten Geldleistungen folglich ab dem 01.11.2010 zu verzinsen.
Der Kläger hat am 30.05.2011 Klage beim SG Düsseldorf erhoben und eine Verzinsung der Nachzahlung ab 01.07.2004 beantragt. Seiner Auffassung nach spreche der Gesetzeswortlaut gegen die Entscheidung des BSG von 1991. Im Übrigen seien die Sachverhalte aber auch nicht vergleichbar, weil die Beklagte im hier streitigen Verfahren die Zuerkennung der BK unzutreffend abgelehnt habe. Darüber hinaus müsse die Besonderheit des Unfallversicherungsrechts, dass ein Leistungsantrag in der Regel nicht erforderlich sei, auch im Rahmen des § 44 Abs. 2 SGB I berücksichtigt werden. Hierzu hat der Kläger auf Rechtsprechung des BSG verwiesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 17.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 zu verurteilen, die Rentennachzahlung ab dem 01.07.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu verzinsen.
Die Beklagte hat ihre vorigen Ausführungen wiederholt und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 02.12.2014 hat das SG die Beklagte verurteilt, den Anspruch des Klägers auf Zahlung von Verletztenrente ab dem 01.07.2004 zu verzinsen. Dies ergebe sich aus § 44 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 SGB I und entspreche der vom Kläger angegebenen Rechtsprechung. Die Verzinsung solle den Gläubiger dafür entschädigen, dass ihm eine zustehende Geldleistung zeitweilig vorenthalten worden sei. Daher könne es nicht angehen, der Beklagten die Möglichkeit einzuräumen, Zinsansprüche bei einer unrechtmäßigen Verweigerung von Leistungen hinauszuzögern, zumal Ansprüche in der gesetzlichen Unfallversicherung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung keines Antrags bedürften, sondern von Amts wegen zu erfüllen seien (§ 19 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – SGB IV).
Gegen das ihr am 12.01.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.02.2015 Berufung eingelegt. Sie hat ihre Auffassung bekräftigt, dass die in den Urteilsgründen angeführten BSG-Entscheidungen andere Sachverhalte beträfen. Im vorliegenden Fall gelte – mangels eigenständiger Regelung im Vergleich – die Vorschrift des § 44 SGB I. Die Verzinsung beginne gem. § 44 Abs. 2 SGB I frühestens 6 Monate nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger, beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung. Der am 15.09.2010 geschlossene Vergleich sei eine Entscheidung in letzterem Sinn. Die Tätigkeitsaufgabe (und damit die Möglichkeit zur Anerkennung der BK 5101) sei im Juni 2004 und damit nach Erteilung der angefochtenen Bescheide erfolgt, somit die Anerkennung einer BK zunächst zutreffend abgelehnt worden. Dies entspreche der Situation im Urteil des BSG aus 1991.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02.12.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt im Wesentlichen unter Bezugnahme auf seine vorigen Ausführungen,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist im tenorierten Umfang begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 17.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG), soweit die Beklagte eine Verzinsung beginnend ab Januar 2005 abgelehnt hat. Das Urteil des SG war entsprechend zu ändern.
Der Kläger hat gem. § 44 SGB I Anspruch auf stufenweise Verzinsung der ihm anlässlich der Anerkennung der BK 5101 mit Bescheid vom 16.11.2010 gewährten Rentennachzahlung beginnend ab 01.01.2005, nicht jedoch – wie begehrt – beginnend bereits ab 01.07.2004.
Ein Zinsanspruch des Klägers ist durch den im Termin des LSG am 15.09.2010 geschlossenen Vergleich über die Anerkennung der BK 5101 und eine Rentenzahlung von Juli 2004 bis Juni 2007 weder ausdrücklich noch stillschweigend ausgeschlossen worden. Regelungen über eine Verzinsung enthält der Vergleich nicht. Ein Verzicht des Klägers auf Zinszahlung lässt sich aus dem Wortlaut des Vergleichs und den Umständen seines Abschlusses mangels konkreter Anhaltspunkte nicht entnehmen. Ist in dem durch Vergleich erledigten Rechtsstreit aber eine Verzinsung noch nicht streitig gewesen, bleibt eine spätere Entscheidung darüber offen (vgl. BSG Urt. v. 30.01.1991 – 9a/9 RV 29/89 – juris Rn. 9; vgl. auch Urt. v. 29.01.1986 – 9b RU 18/84 – juris Rn. 10).
Der Anwendungsbereich der Verzinsungsvorschrift des § 44 SGB I ist eröffnet, weil es sich bei der Zahlung von Renten aus Ansprüchen der gesetzlichen Unfallversicherung gem. §§ 11, 22 Abs. 1 Nr. 3 SGB I um Geldleistungen i. S. dieses Gesetzes handelt (vgl. z.B. Wagner in jurisPK-SGB I, § 44 Rn. 13; Bigge in Eichenhofer/Wenner, SGB I-IV-X, Kommentar, 2012, § 44 SGB I Rn. 7; Hänlein in Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl. 2014, § 44 SGB I Rn. 2 ).
Die Verzinsungspflicht für die monatlichen Rentenleistungsbeträge ist grundsätzlich gem. § 44 Abs. 1 SGB I jeweils am Ersten des Folgemonats, d.h. für Juli 2004 ab 01.08.2004, für August 2004 ab 01.09.2004 etc. eingetreten (hierzu unter 1.). Dieser Verzinsungsbeginn ist gemäß § 44 Abs. 1 1. Alt. SGB I auf den 01.01.2005 hinausgeschoben (hierzu unter 2.). Der Vergleichsschluss vor dem LSG im September 2010 hingegen bedingt keine Hinausschub des Beginns der Verzinsung auf den 01.11.2010 (hierzu unter 3.).
1. Gemäß § 44 Abs. 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen.
Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der ihm aufgrund des Vergleichs zustehenden Verletztenrente für die Monate von Juli 2004 bis Juni 2007 ist für den Monat Juli 2004 Ende Juli 2004, für den Monat August 2004 Ende August 2004 und weiter fortlaufend fällig geworden.
Gem. § 96 Abs. 1 S. 1 SGB VII (als lex specialis zu § 40 SGB I) werden laufende Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung mit Ausnahme des Verletzten- und Übergangsgeldes am Ende des Monats fällig, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Laufende Geldleistungen sind Leistungen, die regelmäßig wiederkehrend für bestimmte Zeitabschnitte gezahlt werden; sie verlieren ihren Charakter nicht dadurch, dass sie verspätet oder als zusammenfassende Leistung für mehrere Zeitabschnitte geleistet werden (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 96 Rn. 3 unter Verweis auf BT-Drs 7/868, S. 31 zu § 48). Bei den von der Beklagten im Bescheid vom 16.11.2010 für die Monate Juli 2004 bis Juni 2007 aufgeführten Rentenleistungen handelt es sich um derartige, im Nachhinein zusammengefasst berechnete, laufende Leistungen.
Die Anspruchsvoraussetzungen für diese laufenden Rentenleistungen sind ab dem 01.07.2004 jeweils monatlich wiederkehrend zum Monatsanfang erfüllt gewesen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Verletztenrente liegen gem. § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII vor, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 v. H. gemindert ist. Die Rente beginnt mit dem Tag nach dem Ende des Anspruchs auf Verletztengeld (§ 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) bzw. mit dem Tag nach dem Eintritt des Versicherungsfalls (§ 72 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII).
Versicherungsfälle sind gem. § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Letztere sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet (sog. Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII bzw. vormals § 551 Abs. 1 S. 2 Reichsversicherungsordnung – RVO). Der Versicherungsfall einer Listen-BK tritt ein, wenn die Krankheit als BK in einem in Kraft getretenen Tatbestand der BKV (vormals BKVO) bezeichnet worden ist und sämtliche Merkmale dieses Tatbestandes erfüllt sind (vgl. z.B. BSG Urt. v. 17.05.2011 – B 2 U 19/10 R – juris Rn. 11).
Eine BK in diesem Sinn sind die unter Nr. 5101 der BKV aufgelisteten "Schweren oder wiederholt rückfälligen Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".
Der Versicherungsfall der BK 5101 ist bei dem Kläger – nach der übereinstimmenden Annahme der Beteiligten im Vergleich vom 15.09.2011, die maßgebend für das Entstehen des Anspruchs ist (vgl. auch BSG Urt. v. 30.01.1991 – 9a/9 RV 29/89 – juris Rn. 12; Urt.v. 29.01.1986 – 9b RU 18/84 – juris Rn. 12) – im Juni 2004 eingetreten, sein Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente am 01.07.2004 entstanden. Entsprechend lagen die Anspruchsvoraussetzungen für die Rentenzahlung ab Juli 2004 je am Monatsanfang (01.07.2004, 01.08.2004 etc.), die Fälligkeit gem. § 96 Abs. 1 S. 1 SGB VII je am Monatsende und der Beginn der Verzinsungspflicht gem. § 44 Abs. 1 SGB I je am Anfang des Folgemonats vor.
2. Der Beginn der sich aus § 44 Abs. 1 SGB I ergebenden grundsätzlichen Verzinsungspflicht ist gem. § 44 Abs. 2 1. Alt. SGB I auf den 01.01.2005 hinausgeschoben und setzt sich von diesem Datum an entsprechend der Fälligkeit der weiteren Rentenleistungen monatlich stufenweise fort.
Gem. § 44 Abs. 2 1. Alt. SGB I beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger.
Geht es – wie hier – zwar um antragsunabhängige Leistungen, ist aber dennoch ein (nicht erforderlicher) Antrag gestellt worden, liegen die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 44 Abs. 2 SGB I vor und ist bei der Prüfung der Verzinsung immer von diesem Antrag auszugehen (vgl. BSG Urt. v. 26.06.1980 – 8a RU 62/79 juris Rn. 19; Urt. v. 11.08.1983 – 5a RKnU 5/82 – juris Rn. 11; Urt. v. 23.06.1982 – 9b/8 RU 6/81 – juris Rn. 14; Urt. v. 30.01.1991 – 9a/9 RV 29/89 – juris Rn. 15; vgl. auch Lilge, SGB I, 3. Aufl. 2012, § 44 Rn. 45; Rolfs in Hauck/Noftz, SGB I, § 44 Rn. 23; Timme, in LPK-SGB I, 3. Aufl. 2014, § 44 Rn. 12 mwN; Giese/Krahmer, Sozialgesetzbuch, § 44 SGB I Rn. 7; Hänlein, a.a.O., Rn. 9; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., § 44 SGB I Rn. 6).
Ein Leistungsantrag ist grundsätzlich vollständig im Sinne der Verzinsungsvorschrift des § 44 SGB I, wenn der Antragsteller den Sachverhalt umfassend dargelegt hat, seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist und der Leistungsträger dadurch in die Lage versetzt wird, die Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen. Wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X, § 19 SGB IV) bedeutet Vollständigkeit für den Antragsteller selbst lediglich, die Amtsermittlung des Leistungsträgers in dem ihm im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten zumutbaren Umfang vorzubereiten und zu ermöglichen (Bigge, a.a.O., Rn. 15 mwN; vgl. auch BSG Urt. v. 24.01.1992 – 2 RU 17/91 – juris Rn. 15; vgl. auch Rolfs, a.a.O., Rn. 25; Mrozynski, SGB I, 5. Aufl. 2014, § 44 Rn. 12, 14; Timme, a.a.O., Rn. 11; Giese/Krahmer, a.a.O.; Hänlein, a.a.O., Rn. 10, Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Rn. 8; Wagner in jurisPK-SGB I, § 44 Rn. 27).
Handelt es sich – wie hier – um ein Verfahren zur Feststellung der Verletztenrente, das ausschließlich von Amts wegen geführt wird und keines Antrags bedarf (§ 19 S. 2 SGB IV), kann die Sechsmonatsfrist des § 44 Abs. 2 1. Halbsatz SGB I nach der Rechtsprechung des BSG sogar schon dann zu laufen beginnen, wenn der Berechtigte durch eine Mitteilung der Behörde Kenntnis von einem zu einer BK eingeleiteten Verwaltungsverfahren erhält. So mache diese Benachrichtigung – jedenfalls bezüglich der Verzinsung – einen ausdrücklichen Leistungsantrag entbehrlich, weil anderenfalls nur eine formale Willenserklärung verlangt würde, die zwar auf die Leistungsgewährung gerichtet, dafür aber in der Unfallversicherung nicht rechtserheblich sei. Vermittele der Versicherungsträger dem Berechtigen zuverlässige Kenntnis davon, dass er eine umfassende Prüfung darüber durchführe, ob Rente zu gewähren ist, so bestehe für den Versicherten kein Anlass, noch ausdrücklich auszuführen, er beantrage die ihm zustehenden – von Amts wegen festzustellenden – Leistungen (vgl. BSG Urt. v. 11.08.1983 – 5a RKnU 5/82 – juris Rn. 13; ebenso Dalichau, SGB, Kommentar, § 44 SGB I Anm. II.4; Mrozynski, a.a.O., Rn. 14a; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O.).
Darüber hinaus kann ein Leistungsantrag in bestimmten Erklärungen des Versicherten, wie ggf. einer von seinem Arbeitgeber und ihm selbst unterzeichneten Unfallanzeige, jedenfalls aber in der Anmahnung der Leistungen beim Unfallversicherungsträger liegen (vgl. BSG Urt. v. 23.06.1982 – 9b/8 RU 6/81 – juris Rn. 13; vgl. auch Wagner, a.a.O., Rn. 33: Jegliche Kontaktaufnahme genügt, aus der für beide Seiten hinreichend deutlich wird, dass nunmehr ein Verwaltungsverfahren zur Ermittlung etwaiger Leistungsansprüche einzuleiten ist).
Entsprechend ist hier von einer (erstmaligen) Antragstellung des Klägers am 02.04.2003 (Mitteilung der Beklagten an den Kläger, dass ein Verfahren eingeleitet worden sei und Bitte um Vorstellung bei einem Arzt) oder aber auch am 14.04.2003 (Eingang der ärztlichen Anzeige des Herrn I) oder spätestens mit Einlegung des Widerspruchs vom 21.04.2004 auszugehen. Vollständig war dieser Antrag (jedenfalls) mit Übersendung des von der Beklagten erbetenen Formulars zur BK durch den Kläger am 24.04.2004.
Dieser (erste) Antrag ist jedoch nicht rechtserheblich für den Beginn der Verzinsungspflicht gem. § 44 SGB I. Grund hierfür ist, dass sich ein Antrag auf Leistungen erschöpft, wenn die Verwaltung diesen zutreffend ablehnt, was hier nach der gemäß dem Vergleich endgültig festgestellten Sachlage (ablehnender Bescheid der Beklagten vom 23.12.2003, Widerspruchsbescheid vom 26.04.2004, Eintritt des Versicherungsfalls erst im Juni 2004) der Fall ist.
Ändern sich nach einem vom Kläger gestellten ersten Antrag die Verhältnisse und entsteht der beantragte Anspruch nachträglich, wirkt erst ein hierauf gerichteter Antrag für den Verzinsungsbeginn nach § 44 Abs. 1 2. Alt. SGB I (vgl. auch BSG Urt. v. 30.01.1991 – 9a/9 RV 29/89 – juris Rn. 15). Ein solcher – zweiter – Antrag muss jedoch jedenfalls in Verfahren, die wie hier im Unfallversicherungsrecht ohnehin keinen Antrag voraussetzen, nicht ausdrücklich gesondert schriftlich gestellt werden. Die Anforderungen an eine neue Antragstellung dürfen nicht überspannt werden, weil der Kläger bei einem laufenden Verfahren zur BK-Feststellung davon ausgeht und ausgehen kann, dass die Verwaltung auch etwaigen Veränderungen wie zB einem (späteren) Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen (erst) im Laufe des Verfahrens, von Amts wegen Rechnung trägt. Vielmehr ist ein entsprechender Antrag in der fortdauernden Anfechtung der ablehnenden Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu sehen (vgl. auch BSG Urt. v. 30.01.1991 – 9a/9 RV 29/89 – juris Rn. 15). Entsprechend sieht der Senat einen (zweiten) Leistungsantrag des Klägers als im Juni 2004 (Eintritt des Versicherungsfalls) gestellt an. Ausgehend hiervon setzt der Beginn der Verzinsungspflicht gem. § 44 Abs. 2 1. Alt. SGB I nach Ablauf von sechs Monaten, somit am 01.01.2005 ein.
3. Der Beginn der Verzinsungspflicht am 01.01.2005 gem. § 44 Abs. 2 1. Alt. SGB I wird nicht durch die 2. Alternative dieser Vorschrift noch weiter auf den 01.11.2010 verschoben.
Gemäß § 44 Abs. 2 2. Alt. SGB I beginnt die Verzinsungspflicht beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung.
Fraglich ist bereits, ob die Anwendbarkeit des § 44 Abs. 2 2. Halbsatz SGB I nicht schon dann grundsätzlich ausgeschlossen ist, wenn Leistungen – wie hier in der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. § 19 S. 2 SGB IV) – von Amts wegen zu erbringen sind (so Seewald in Kasseler Kommentar, § 44 SGB I Rn. 21; Wagner, a.a.O., Rn. 34; vgl. auch Hänlein, a.a.O., Rn. 13; differenziert Lilge, a.a.O, Rn. 45; Timme, a.a.O., Rn. 12 mwN; vgl. auch Rolfs, a.a.O., Rn. 32 ff.).
Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen. Liegt nämlich (wie hier am 30.06.2004) ein vollständiger – rechtserheblicher – Leistungsantrag vor, bleibt für die Anwendung der Alternative des § 44 Abs. 2 2. Halbsatz SGB I zulasten des Versicherten schon nach ihrem Wortlaut kein Raum (vgl. auch Mrozynski, a.a.O., Rn. 16).
Dies entspricht auch Sinn und Zweck der Verzinsungsvorschriften. § 44 SGB I soll Nachteile ausgleichen, die dadurch entstehen, dass soziale Geldleistungen, auf die beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch besteht und die in der Regel die Lebensgrundlage des Leistungsberechtigten bilden, verspätet gezahlt werden, zumal Betroffene dann häufig darauf angewiesen sind, Kredite aufzunehmen, Ersparnisse aufzulösen und die bisherige Lebensführung einzuschränken. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und zur Vermeidung von Regressansprüchen ist die Verzinsung nicht von einem Verschulden des Leistungsträgers abhängig, sondern nur vom Ablauf einer Erfahrungs- und Durchschnittsfrist für die Sachbearbeitung, die mit dem Eingang des vollständigen Antrags beginnt. Dabei wurde bewusst in Kauf genommen, dass sich der Fristablauf in einzelnen Fällen selbst bei möglichst schneller Bearbeitung nicht vermeiden lässt (vgl. BT-Drucks 7/868 S. 30 zu § 44; BSG Urt. v. 28.05.1997 – 8 RKn 2/96 – juris Rn. 18).
Die Gesetzesmaterialien machen zweierlei deutlich: Zum einen soll der Berechtigte ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden des Leistungsträgers mit dem Einreichen des vollständigen Leistungsantrags eine Bearbeitungs- und Handlungsfrist in Gang setzen (vgl. BSG Urt. v. 28.02.1990 – 2 RU 41/89 – juris Rn. 22) und damit den Zinsbeginn bestimmen können (vgl. BSG Urt. v. 30.01.1991 – 9a/9 RV 29/89 – juris Rn. 15). Zum anderen wird dem Leistungsträger mit dem Sechsmonatszeitraum eine ausreichende, aber auch notwendige Bearbeitungszeit zur Feststellung der Anspruchsberechtigung und Leistungshöhe eingeräumt, um ihn vor ungerechtfertigten Zinsforderungen zu schützen (vgl. BSG Urt. v. 28.05.1997 – 8 RKn 2/96 – juris Rn. 19 mwN; Rolfs, a.a.O., Rn. 22; Wagner, a.a.O., Rn. 23 mwN). Hierbei ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass ohne Verletzung der dem Leistungsberechtigten obliegenden Mitwirkungspflichten (vgl. BT-Drucks aaO) in der Regel innerhalb eines Zeitraums von sechs Kalendermonaten über den Leistungsantrag entschieden und die Geldleistung ausgezahlt werden kann (vgl. BSG Urt. v. 01.03.1984 – 4 RJ 55/83 – juris Rn. 12). Diesem Sinn und Zweck entspricht es, die Verzinsung 6 Monate nach Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen beginnen zu lassen (vgl. BSG Urt. v. 29.01.1986 – 9b RU 18/84 – juris Rn. 12; Urt. v. 27.08.1998 – B 9 V 26/97 R; vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 26.09.2014 – L 4 U 21/14 zum Beginn der Verzinsungspflicht bei Rechtsänderung nach Antragstellung).
Eine andere Beurteilung ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aus dem Urteil des BSG vom 30.01.1991 (9a/9 RV 29/89). Wenngleich dort ein zwischen den Beteiligten geschlossener Vergleich als "Entscheidung" i.S.v. § 44 Abs. 2 2. Alt. SGB I angesehen wird, lässt sich den Ausführungen zur Überzeugung des Senats jedoch nicht entnehmen, dass der Abschluss eines solchen Vergleichs die sonstigen Verzinsungsregelungen des § 44 SGB I verdrängt. Einen entsprechenden ausdrücklichen Rechtssatz hat das BSG nicht erkennbar aufgestellt. Vielmehr wird in der genannten Entscheidung (dortige Rnrn. 14 und 15) ausdrücklich und umfangreich auch der Beginn der Verzinsung nach § 44 Abs. 2 1. Alt. SGB I geprüft und dies ebenso wie im vorliegenden Fall bezogen auf einen ersten und einen zweiten – rechtlich allein relevanten – Antrag nach Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen. Diese Prüfung ergab im Fall des BSG einen Beginn der Verzinsungspflicht gem. § 44 Abs. 2 1. Alt. SGB I zu einem Zeitpunkt, zu dem der Nachzahlbetrag bereits ausgezahlt war. Entsprechend spielte diese Alternative (anders als im hier anhängigen Fall) für die Bestimmung eines vom Kläger begehrten früheren Zinsbeginns keine faktische Rolle.
Der Senat kann der genannten Entscheidung des BSG auch im Übrigen nicht entnehmen, dass das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der 2. Alternative des § 44 Abs. 2 SGB I zulasten des Versicherten einen – wie hier – durch § 44 Abs. 2 1. Alternative SGB I begründeten früheren Zinsbeginn ausschließt. Soweit das BSG in seinem Urteil die Verzinsungspflicht im Ergebnis trotz Antrags früher als nach der 1. Alternative des § 44 Abs. 2 SGB I hat beginnen lassen, geschah dies – anders als hier – zugunsten des Versicherten. Ob eine Anwendung des § 44 Abs. 2 2. Alternative SGB I zugunsten des Versicherten im Hinblick auf Sinn und Zweck der Vorschrift gegen ihren Wortlaut zulässig ist, hält der Senat für fraglich, kann dies mangels Entscheidungserheblichkeit aber dahinstehen lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) als gegeben angesehen.
Erstellt am: 13.11.2017
Zuletzt verändert am: 13.11.2017