Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 24.06.2016 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind Beginn und Höhe von Ansprüchen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die Klägerin wurde im Juli 1967 geboren und hat mehrere Geschwister. Ihre Mutter war Ärztin, ihr Vater war als Wissenschaftler in einem Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in N beschäftigt. Die Mutter der Klägerin bezog aufgrund einer depressiven Erkrankung Rente wegen Erwerbsminderung. Der Vater der Klägerin ist im Jahr 2004 an den Folgen einer Alkoholkrankheit verstorben. Die Klägerin besuchte zunächst ein Gymnasium in N und begann danach ein Studium der Landschaftsplanung in C. Mit Anfang 20 nahm sie an einer psychotherapeutischen Jahresgruppe teil und unterzog sich sodann bei dem dortigen Therapeuten einer 15-stündigen Einzeltherapie. Zwischen 1996 bis 1998 absolvierte die Klägerin rund 250 Stunden traumazentrierte tiefenpsychologische Behandlung bei der Therapeutin Frau I in B. Dieser Therapeutin teilte die Klägerin mit, sie sei von ihrem Vater sexuell missbraucht worden. Ferner war die Klägerin in einer psychosomatischen Behandlung in der Klinik H sowie in der Psychosomatischen Abteilung in der D in B.
Soweit bekannt, lebt die Klägerin seit dem Jahr 2000 in einem Bauwagen und versorgt ihre Pferde. Ihr Studium schloss sie nicht ab. Im Mai 2005 begab sich die Klägerin zur vollstationären Behandlung in das (damalige) Landeskrankenhaus H (Chefarzt: Prof. Dr. T).
Am 12.03.2010 beantragte die Klägerin bei dem LWL die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. Dabei gab sie an, ihr Vater habe sie in ihrer Kindheit sexuell missbraucht. Durch Bescheid vom 21.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2012 lehnte der LWL nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen und wiederholter Befragungen der Klägerin den Antrag ab, weil der behauptete Schädigungstatbestand nicht nachgewiesen sei. Die Klägerin habe keine näheren Angaben zum Tathergang gemacht. Hiergegen erhob die Klägerin im Januar 2013 unmittelbar beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) Klage (L 13 VG 1/13 KL). Parallel hierzu wandte sie sich an den Landesbehindertenbeauftragten NRW und das (damalige) Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales (MAIS) des beigeladenen Landes NRW.
Aufgrund eines Telefonats und eines vierstündigen (auf Tonband aufgenommen) Gesprächs mit der Klägerin am 02.01.2013, an dem neben der Klägerin auch ein Mitarbeiter des MAIS und der Landesbehindertenbeauftragte NRW teilnahmen, stellte die Oberärztin und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie der LVR-Klinik – Frau N – ein ärztliches Attest aus. In dem Attest gab Frau N an, die Klägerin habe über sexuellen Missbrauch durch ihren Vater berichtet. Tatort sei ein Museum, das in die Zuständigkeit des LWL gehöre. Es habe ihr sichtlich große Schwierigkeiten bereitet, einfache Sätze, die das erwähnte Thema betroffen hätten, über die Lippen zu bekommen. Sie habe sich in unwichtigen Details verloren und versucht, so wenig und kurz wie möglich die empfindlichsten Details, und zwar "wann, wo, wer hat mit dem sexuellen Missbrauch zu tun gehabt", zu erwähnen. Das Verhalten sowie die Art und Weise der Exploration und Kommunikation habe ernst, leidend und echt gewirkt; dies sei im Gesamtkontext nachvollziehbar gewesen. Die Darstellung der Klägerin des in der Kindheit erlebten sexuellen Missbrauchs sei aus fachärztlicher und psychotherapeutischer Sicht plausibel, glaubhaft und nachvollziehbar.
Zu Beschwerden habe die Klägerin angegeben, sie habe häufig Albträume, spüre oft Luftnot, habe das Gefühl, sie würde ersticken oder in hilflosen Situationen bis zur Erschöpfung schreien. Sie fühle sich oft in zwischenmenschlichen Situationen – vor allem, wenn sie Nähe, Enge oder in irgendeiner Form Druck empfinde – unsicher und angespannt, spüre Angst und Ohnmacht. In unangenehmen Situationen drifte sie weg, spüre sich oder die Umgebung nicht mehr, habe häufig das Gefühl, sie verliere die Kontrolle über sich selbst. Sie vermeide vieles, was mit der Vergangenheit und mit dem dort geschehenen sexuellen Missbrauch zusammenhänge, viele Details triggerten sie und brächten sie in sehr schwierige impulsive Zustände.
Im Ergebnis führte Frau N aus, die Beschwerden, die die Klägerin im Rahmen des geführten Gesprächs und des Telefonats angegeben habe bzw. die aus den Entlassungsbriefen zu entnehmen seien, seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach dem in der Kindheit erlebten Trauma "sexueller Missbrauch durch den Vater" entstanden. Aus psychiatrischer und psychotherapeutischer Sicht sei davon auszugehen, dass diese Beschwerden ohne das Trauma in der Kindheit nicht aufgetreten wären. Frau N diagnostizierte eine schwergradige Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten und bezifferte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 80 von Hundert.
Im Anschluss wurde der Beklagte (und nicht der LWL) vom MAIS mit einer Überprüfung beauftragt, um – wie es im entsprechenden Vermerk heißt – jeglichem Eindruck von Befangenheit vorzubeugen. Der LWL hob seine zuvor ergangenen ablehnenden Bescheide daraufhin auf. Der Beklagte beabsichtigte weitere Ermittlungen, insbesondere die Mutter und die Geschwister der Klägerin zu befragen und die Tonbandaufnahme des Gesprächs der Klägerin mit Frau N anzuhören. Eine Befragung der Familie lehnte die Klägerin indes kategorisch ab, ebenso das Abhören des Tonbands. Über den Landesbehindertenbeauftragten gestattete die Klägerin lediglich ein Telefonat zwischen dem Beklagten und ihrer früheren Therapeutin Frau I. Zu einer weiteren zeugenschaftlichen Befragung dieser Therapeutin verweigerte die Klägerin die Entbindung von der Schweigepflicht.
Trotz in den Verwaltungsakten (Vermerk vom 03.06.2014 – Blatt 146) festgehaltener rechtlicher und medizinischer Bedenken wegen der nicht glaubhaft nachgewiesenen Tat und der angenommenen Höhe des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) bewilligte der Beklagte durch einen "Vorbehaltsbescheid" vom 19.08.2013 der Klägerin für die Zeit ab 01.03.2010 eine Grundrente nach einem GdS von 30. Dabei ging er davon aus, dass die Klägerin in der Zeit von 1973 bis mindestens 1977 fortlaufend Opfer eines sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater geworden sei.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 16.09.2013 Widerspruch. Gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 21.10.2013 erteilte der Beklagte einen "Abhilfebescheid" vom 07.11.2013. Mit diesem Bescheid wurde eine "Psychoreaktive Störung nach sexuellem Missbrauch" als Schädigungsfolge anerkannt. Zugleich bewilligte der Beklagte eine Grundrente nach einem GdS von 50, eine Ausgleichsrente und einen Berufsschadensausgleich, insgesamt Versorgungsbezüge in Höhe von seinerzeit 2.690,- Euro monatlich. Die Bewilligung erfolgte unter dem Vorbehalt, dass eine Erhöhung des GdS nur auf der Grundlage einer persönlichen Begutachtung der Klägerin erfolgen könne.
Nach Verweisung des beim LSG NRW anhängig gewesenen Klageverfahrens durch Beschluss vom 02.07.2014 an das instanziell zuständige Sozialgericht (SG) wies das SG Münster (Az.: S 8 VG 22/14) die – noch gegen den LWL gerichtete – Klage durch Urteil vom 11.02.2015 ab. Zur Begründung führte das SG Münster aus, die Beschwer der Klägerin sei nach Aufhebung der ablehnenden Bescheide weggefallen.
Am 13.02.2015 erhob die Klägerin die gegen den jetzigen Beklagten gerichtete, hier streitige Klage. Sie verwies darauf, dass ein früherer Leistungsbeginn möglich und auch nötig sei. Sie klage auf "vollständige und richtige Erfüllung des OEG".
Während dieses Klageverfahrens hat der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 19.08.2013 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 07.11.2013 durch Bescheid vom 12.02.2016 zurückgewiesen. Mit diesem Widerspruchsbescheid hat der Beklagte ferner den Vorbehalt in den angefochtenen Bescheiden aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, es sei nicht erkennbar, wie ohne eine persönliche Begutachtung die Gewährung höherer Leistungen für eine Zeit vor der Antragstellung im März 2010 zu begründen sei. Die Klägerin sei im Übrigen nicht ohne Verschulden gehindert gewesen, innerhalb der Jahresfrist des § 60 BVG einen Antrag nach dem OEG zu stellen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24.06.2016 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
"Die Klage ist zulässig. Die zunächst mangels Durchführung des gemäß § 78 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderlichen Vorverfahrens unzulässig gewesene Klage ist nach Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2016 zulässig geworden.
Die Klage ist aber nicht begründet. Durch die angefochtenen Bescheide ist die Klägerin nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG.
Dabei kann dahinstehen, ob die durch den Bescheid vom 19. August 2013 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 7. November 2013 und des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2016 vorbehaltlos bewilligte Leistungsgewährung nach dem OEG (Grundrente nach einem GdS von 50, Ausgleichsrente, Berufsschadensausgleich) rechtmäßig ist. Immerhin könnten hieran Zweifel bestehen, weil möglicherweise der Schädigungstatbestand im Falle der Klägerin nicht hinreichend nachgewiesen ist. Auch ist die Klägerin nicht ärztlich begutachtet worden.
Diese Frage kann hier aber offen bleiben, weil jedenfalls die Klägerin durch die Leistungsgewährung erst ab Antragstellung im März 2010 nicht beschwert ist.
Die Versorgung nach dem OEG erfolgt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG beginnt die Beschädigtenversorgung mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Antragsmonat. Die Versorgung ist auch für Zeiträume vor der Antragstellung zu leisten, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird (Satz 2). War der Beschädigte ohne sein Verschulden an der Antragsstellung verhindert, so verlängert sich diese Frist um den Zeitraum der Verhinderung (Satz 3 der Bestimmung).
Die im Juli 1967 geborene Klägerin hat für einen bis 1977 anhaltenden Schädigungstatbestand am 12. März 2010 erstmals einen Leistungsantrag gestellt. Deshalb kann eine Leistungsgewährung für eine Zeit vor dem 1. März 2010 nicht in Betracht kommen. Zwar ist davon auszugehen, dass die Klägerin – als minderjähriges Opfer eines sexuellen Missbrauchs – bis zum Eintritt ihrer Volljährigkeit im Jahre 1985 ohne ihr Verschulden an der Antragstellung im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 1 BVG verhindert war (vgl. hierzu Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 13. November 2003, Az.: L 7 (5) VG 22/02). Die Klägerin war aber nicht gehindert, in der anschließenden Zeit einen Antrag zu stellen. Insbesondere stand es der Klägerin frei, im Rahmen oder im Anschluss an die von 1996 bis 1999 durchgeführte ambulante Psychotherapie bei Frau I einen Antrag nach dem OEG zu stellen. Denn nach dem Bericht der Frau I vom 2. Juli 2010 an den Landschaftsverband Westfalen-Lippe wurde bereits während der damaligen Behandlung der sexuelle Missbrauch durch den Vater der Klägerin thematisiert."
Gegen das ihr am 30.06.2016 zugestellte Urteil richtet sich die am Montag, den 01.08.2016 erhobene Berufung der Klägerin.
Einen ausdrücklichen Antrag hat die Klägerin nicht gestellt. Sie hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben eines Amtsarztes aus dem Landkreis T vorgelegt, nach dem bei ihr eine PTBS mit deutlichen Verhaltensauffälligkeiten bestehe, die krankheitsbedingt zu beleidigendem Verhalten führe.
In der mündlichen Verhandlung des Senats ist die Klägerin nach Hinweis des Senatsvorsitzenden, Androhung und anschließendem Senatsbeschluss aus dem Sitzungssaal entfernt worden. Auf den Inhalt des in der Sitzungsniederschrift protokollierten Beschlusses wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt ihrem schriftlichen und mündlichen Vorbringen entsprechend,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 24.06.2016 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 19.08.2013 und 07.11.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2016 zu verurteilen, Beschädigtengrundrente bereits für die Zeit ab 01.01.1996 nach einem höheren GdS als 50 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das beigeladene Land NRW stellt keinen Antrag.
In der nichtöffentlichen Sitzung vom 03.12.2018 hat der Senat die (nicht anwesende) Klägerin darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass sie ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkomme, aus der unterlassenen Mitwirkung resultierende Nachteile zu tragen habe. Die Niederschrift wurde der Klägerin mit Zustellungsurkunde zugestellt.
Der Senat hat die Klägerin ergebnislos persönlich zu vernehmen versucht, die – allerdings nicht paginierten und insbesondere hinsichtlich des oben erwähnten Tonbandprotokolls unvollständigen – Akten des MAIS beigezogen und den Referenten des (damaligen) MAIS sowie die Ärztin N als Zeugen vernommen. Ferner hat der Senat ein Sachverständigengutachten der Psychiaterin C vom 10.10.2019 eingeholt, das wegen der Weigerung der Klägerin, sich untersuchen zu lassen, nach Aktenlage erstattet werden musste.
Wegen des Beweisergebnisses und der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die Sitzungsniederschriften sowie den Inhalt der Gerichts-, Verwaltungs- und Beiakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Gründe, die einer Sachentscheidung entgegenstehen, liegen nicht vor. Es ist weder eine Erkrankung der Klägerin festzustellen, die ihre Prozessfähigkeit beeinträchtigt (hierzu unter 1.) noch war zur Gewährung weiteren rechtlichen Gehörs oder zur Bearbeitung eines Ablehnungsgesuchs eine Vertagung geboten (hierzu unter 2.).
In der Sache selbst nimmt der erkennende Senat mit Blick auf den Leistungsbeginn gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Ergänzend gilt Folgendes: Wie vom SG zutreffend hervorgehoben, sprechen zwar erhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, weil es an den rechtsstaatlich erforderlichen Ermittlungen und Feststellungen im Sinne des § 1 OEG fehlt (hierzu unter 3.). Es sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass diese Bescheide Rechte der Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG verletzen (hierzu unter 4.).
1. Prozessfähigkeit der Klägerin
Zur Überzeugung des Senats streitet eine Vermutung dafür, dass die Klägerin prozessfähig ist. Diese Vermutung wurde nicht widerlegt.
a) Die uneingeschränkte Prozessfähigkeit wird bei volljährigen Personen, die, wie die Klägerin, nicht unter einer rechtlichen Betreuung stehen, vermutet (vgl. nur Roller, in: jurisPK-SGB V, § 71, Rn. 53 m.w.N. aus der Rspr.). Erst wenn auf Grund sicherer medizinischer Befunde feststeht, dass ein Mensch die Bedeutung und Tragweite (prozess-)rechtlicher Erklärungen nicht (mehr) versteht und/oder keinen autonomen Willen mehr bilden kann, liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Prozesshindernis vor, das ggf. durch Beiordnung eines besonderen Vertreters oder die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung behoben werden kann und muss (vgl. z.B. BSG, Beschluss v. 14.08.2017 – B 12 KR 103/14 B, Rn. 4; Roller, in: jurisPK-SGB V, § 71, Rn. 17.1, 53 m.w.N.).
b) Eine solche medizinische Feststellung ist bei der Klägerin nicht möglich. Die Auswertung der Akten und der persönliche Eindruck, den der erkennende Senat von der Klägerin gewonnen hat, könnten auch dafür sprechen, dass die Klägerin nicht wirklich an einer tiefgehenden psychischen Erkrankung leidet, sondern diese nur gezielt – und massiv – vorspielt, um in den Genuss der von ihr erstrebten rechtlichen und finanziellen Vorteile zu gelangen. Ein wirklich beweiskräftiger medizinischer Befund, der tatsächlich einen sicheren Rückschluss auf ein bei der Klägerin bestehendes Krankheitsbild erlaubt, liegt in den Akten nicht vor. Das gilt auch – und gerade – für das Attest der Ärztin N, auf das sich der Beklagte stützt. Insoweit nimmt der erkennende Senat Bezug auf das überzeugende Sachverständigengutachten der Psychiaterin C vom 10.10.2019:
aa) Demnach fehlt es in diesem Attest ebenso an einer Darstellung der (umfangreichen) Aktenlage wie an einer chronologischen Aufarbeitung der Krankheitsgeschichte. Auch ein von der Anamnese sowie der Epikrise sauber getrennter psychopathologischer Befund als "Kernstück" jeder psychiatrischen Krankheitserhebung ist in diesem Attest nicht enthalten. Dass die Psychiaterin N, die über keine zur Prüfung der Glaubhaftigkeit von Aussagen erforderliche Zusatzqualifikation in forensischer Psychiatrie verfügt, zudem in diesem Attest eine Aussage zur Glaubhaftigkeit der von der Klägerin geschilderten (nicht-medizinischen) Umstände gemacht hat, ist ein weiterer schwerer Fehler, der den Beweiswert dieses Attests letztlich aufhebt. Hinzu kommt, dass dieses Attest den vom (damaligen) MAIS erteilten Auftrag, gutachterliche Fragen zu beantworten, nicht transparent gemacht hat. Auch dies stellt einen schweren Verstoß im Sinne einer (verschwiegenen) Rollenkonfusion zwischen Therapeutin und Gutachterin dar, der ein solches Attest auch medizinethisch entwertet. Selbst an einfachsten fachlichen Kriterien gemessen ist das Attest ungenügend. Ein psychopathologischer Befund als gesonderter Befund, der essenzieller Bestandteil einer psychiatrischen Begutachtung, im Besonderen aber der Diagnosefindung ist, fehlt völlig. Die von Frau N beschriebenen Verhaltensweisen der Klägerin sind unspezifisch. Schaut man das fachärztliche Attest durch, heißt es, es sei der Klägerin schwergefallen, ihre emotionalen Schwankungen zu kontrollieren. Emotionale Schwankungen kommen aber auch bei schweren Persönlichkeitsstörungen vor. Eine Wiedergabe der Angaben von Patienten oder Probanden ist kein psychopathologischer Befund. Frau N hat zwar eine schwere PTBS diagnostiziert, jedoch fehlt eine Klassifikation nach einem der in der Psychiatrie anerkannten Manuale (ICD-10 oder DSM IV-TR). Frau N nutzt diese Diagnose nicht konsequent, sondern spricht im Text (zusätzlich) noch von einer "komplexen posttraumatischen Belastungsstörung". Diesbezüglich ist zu berücksichtigen, dass die "komplexe PTBS" ebenso wenig Bestandteil des DSM IV-TR ist wie des ICD-10. Die überdies genannte Diagnose der wiederkehrenden schwerwiegenden Depression wurde in dem von Frau N erstellten Attest ebenfalls nicht mit einem psychopathologischen Befund belegt. Insgesamt ist das Attest von der Formulierung angeblicher Gewissheiten geprägt ("plausibel, glaubhaft und nachvollziehbar", "sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach dem in der Kindheit erlebten Trauma sexueller Missbrauch durch den Vater entstanden "), die bei genauer Analyse allein auf Vermutungen und auf Zirkelschlüssen von Frau N beruhen. Eine (selbst-)kritische Gegenprüfung im Sinne von Alternativhypothesen fehlt in diesem Attest völlig. Gerade bei einer PTBS müssen aber immer solche gedanklichen Gegenprüfungen Gegenstand gutachterlicher Betrachtung sein.
bb) Ebenso wenig wie dieses Attest reichen die übrigen in den Akten enthaltenen Angaben behandelnder Ärzte/Ärztinnen aus, um eine sichere richterliche Überzeugung von einer bei der Klägerin bestehenden Erkrankung zu gewinnen, die einen Einfluss auf ihre Prozessfähigkeit haben könnte. Denn keine einzige dieser Äußerungen enthält einen psychiatrischen Befund, der von den klägerischen Behauptungen unabhängig ein Krankheitsgeschehen dokumentiert, das auf eine gravierende Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung schließen lässt. Die bloße Wiedergabe der Eigenschilderungen der Klägerin als solche genügt dafür nicht.
cc) Das gilt auch für das letzte von der Klägerin vorgelegte Schreiben des Amtsarztes aus dem Landkreis U. Auch dieser hat keinen nachvollziehbaren psychiatrischen Befund dokumentiert. In dem Bericht finden sich lediglich vergleichbare Ausführungen wie in dem Attest der Frau N, die auf den Schilderungen der Klägerin beruhen. Letztlich lassen sich damit die obigen Erörterungen (vgl. aa]) auf dieses Attest übertragen.
Da die Klägerin eine gutachterliche Untersuchung in diesem Verfahren durch ihre Weigerung, sich bei der Sachverständigen Frau C persönlich vorzustellen, unmöglich gemacht hat, bleibt es bei der oben skizzierten Vermutung ihrer uneingeschränkten Prozessfähigkeit.
2. Vertagung
a) Der Senat hat sich in der mündlichen Verhandlung veranlasst gesehen, die Klägerin aus dem Sitzungssaal entfernen zu lassen (§ 61 Abs. 1 SGG i.V.m. § 177 GVG), nachdem sie der Anordnung des Vorsitzenden, weitere Beleidigungen und Zwischenrufe zu unterlassen (§ 61 Abs. 1 SGG i.V.m. § 176 GVG), keine Folge geleistet hat. Insofern wird auf den Senatsbeschluss vom 17.01.2020 verwiesen, der in der Sitzung ergangen und ebenso wie die Anordnung sowie die von der Klägerin dagegen begangenen Verstöße protokolliert ist (§ 61 Abs. 1 SGG i.V.m. § 182 GVG). Wie dargelegt, beruhte das Fehlverhalten der Klägerin nicht auf erwiesenermaßen krankheitsbedingten Umständen. Denn die Erkrankung, von der der Amtsarzt aus Trier-Saarburg ausging, ist nicht feststellbar. Eine Vertagung war nicht geboten, da sich der Senat ausschließlich auf den der Klägerin bekannten Akteninhalt stützt und keine Tatsachen verwertet, zu denen sich die Klägerin nicht äußern konnte. Abgesehen davon ist zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör durch eigenes Fehlverhalten begeben hat (vgl. BGH, Urteil v. 18.10.1967 – VIII ZR 145/66, BGHZ 48, 327, juris Rn. 13; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 177 Rn. 17 m.w.N.).
b) Der Senat sah sich an einer Sachentscheidung nicht durch ein etwaiges Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Berichterstatter, Herrn RiLSG Dr. S., gehindert. Zwar hat die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung – abgesehen von ihren Zwischenrufen – einige Sätze in Richtung von Herrn RiLSG Dr. S. gerichtet und dabei auch das Wort "befangen" verwendet. Auf konkrete Nachfrage des Vorsitzenden, welche Anträge die Klägerin zu stellen beabsichtige, hat sie lediglich das Attest des Amtsarztes aus T vorgelegt. Ein Ablehnungsgesuch gegen Herrn RiLSG Dr. S. hat die durchaus prozesserfahrene Klägerin hingegen nicht gestellt. Angesichts dessen war der Senat auch vorschriftsmäßig besetzt.
3. Zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide
Es spricht, wie bereits das SG in der angefochtenen Entscheidung angedeutet hat, viel dafür, dass der angefochtene Bescheid insofern rechtswidrig ist, als weder die Voraussetzungen für einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG noch daraus resultierende Schädigungsfolgen festgestellt wurden.
a) Wie der erkennende Senat bereits mit rechtskräftigem Urteil vom 05.12.2011 – L 13 VG 75/10 – entschieden hat, stellt es einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht dar, wenn ein Tatsachengericht (oder eine Behörde) Ermittlungen unterlässt, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend hätte anstellen müssen. Hierbei ist von sämtlichen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen (vgl. Böttiger, in: Diering/Timme/Stähler, SGB X, 5. Aufl. 2019, § 20 Rn. 5; Siefert, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 20 Rn. 5 ff. für das Verwaltungsverfahren; Kolmetz, in: Jansen, SGG, 3. Auflage, 2009, § 103 Rn. 3 ff. m.w.N. für das gerichtliche Verfahren). Hat eine Behörde den Sachverhalt nicht ausreichend geklärt, kann dies zur Rechtswidrigkeit des darauf gestützten Verwaltungsaktes führen (vgl. Böttiger, in: Diering/Timme/Stähler, SGB X, 5. Aufl. 2019, § 20 Rn. 5). Bei einem geltend gemachten Anspruch nach dem OEG haben Behörden und Gerichte konkret die angeschuldigten Handlungen nach Ort, Zeit und Art zu ermitteln und zu benennen, die es als Angriffe iSd § 1 OEG ansieht (LSG NRW Urteil vom 13.08.2008 – L 10 VG 12/08).
b) Eine genauere Feststellung der angeschuldigten Missbrauchserfahrungen der Klägerin ist durch den Beklagten trotz sich aufdrängender Beweismöglichkeiten, insbesondere in Gestalt der Vernehmung ihrer Mutter und Geschwister, nicht im Ansatz vorgenommen worden, da sich die Klägerin jeglicher Sachverhaltsaufklärung durch den Beklagten beharrlich widersetzt hat. Ob die Klägerin die Vernehmung von Auskunftspersonen nicht wünscht, ist für die vom Beklagten durchzuführenden Ermittlungen von Amts wegen gemäß gem. §§ 20, 21 SGB X nicht maßgeblich. Ein Zeugnisverweigerungsrecht steht nur Zeugen, nicht aber der Klägerin in ihrer Rolle als Antragstellerin zu. Die Klägerin hat es vielmehr über den Antragsgrundsatz allenfalls in der Hand, den behördlichen Ermittlungen gänzlich die Grundlage zu entziehen, indem sie ihren Antrag zurücknimmt (was sie jederzeit ohne Begründung tun kann). Es handelt sich bei einer Zeugenvernehmung (auch von Angehörigen) nicht etwa um eine mitwirkungspflichtige Handlung, die nach den Grundsätzen fehlender Mitwirkung gemäß §§ 60 ff. SGB I zu behandeln wäre (Androhung und dann Belastung mit Beweisnachteilen bis hin zur Ablehnung des Antrags). Denn ein Antragsteller muss bei einer gerichtlichen Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung nichts selbst beitragen oder dulden, so dass eine "Mitwirkung" der Klägerin schon im rechtlichen Ansatz ausscheidet. Der Beklagte hätte also zumindest die Mutter und Geschwister als Zeugen vernehmen müssen (§ 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB X). Ob sich der Tathergang dadurch hätte erweisen lassen, kann im Vorhinein nicht beurteilt werden. Jedenfalls hätte der Beklagte allen sich objektiv anbietenden Beweismöglichkeiten zum Tathergang nachgehen müssen, um festzustellen, inwieweit überhaupt unter § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG fallende konkrete Handlungen vorlagen.
Dies hätte auch vor der Anhörung von medizinischen Sachverständigen geschehen müssen, da diese angesichts der vom Gesetz im Sinne des § 1 OEG vorgegebenen Beweisfragen einen fest stehenden nicht-medizinischen Sachverhalt in Gestalt von sog. Anknüpfungstatsachen benötigen, um überhaupt auf dieser Grundlage die medizinisch-psychiatrische Frage nach den Auswirkungen und der Ursächlichkeit eines solchen Sachverhalts auf das heutige Krankheitsbild der Klägerin seriös beurteilen zu können. Dabei ist mit Blick auf die im Gesetz vorgegebene zeitliche Zäsur des § 10a Abs. 1 OEG zusätzlich nach Taten vor und Taten nach dem Inkrafttreten des OEG zu unterscheiden, weil erstere nur entschädigungsfähig sind, wenn die Klägerin bereits allein in Folge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig ist.
aa) Wie bereits dargelegt, ist all dies während des Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens nicht geschehen. Das ergibt sich zunächst aus dem Ablauf des Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens, wie er in den beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten dokumentiert ist. Eine konkrete Ermittlung der angeschuldigten Taten hat der Beklagte – aus welchen Gründen auch immer – nicht durchgeführt, sondern sich allein auf die (spärlichen) Angaben der Klägerin gestützt. Insbesondere hat der Beklagte unberücksichtigt gelassen, dass die für den LWL tätige Psychologin T während einer Unterredung im Februar 2013 zwischen Vertretern des Beigeladenen und dem LWL, an der auch der Landesbehindertenbeauftragte teilgenommen hat, die Einschätzung geäußert hat, dass die Klägerin ein lehrbuchhaftes Verhalten vorlebe, lehrbuchhaft insoweit, als es sich wohl um antrainierte Erinnerungen handele. Die Prüfung einer solchen Hypothese ist jedoch im vom Beklagten durchgeführten Verwaltungsverfahren unterblieben. Auch die bereits skizzierten weiteren Ermittlungen hat der Beklagte – augenscheinlich aus Rücksicht auf die Klägerin oder um "Erwartungshaltungen" anderer Institutionen zu entsprechen – nicht durchgeführt.
bb) Bestätigt wird dies durch die Aussage des Zeugen D in der nichtöffentlichen Sitzung vom 03.12.2018. Auf Nachfrage des Berichterstatters, aus welchen Gründen keine psychologische Aussagebegutachtung durchgeführt worden sei, hat der Zeuge D ausgesagt, dass es darum gegangen sei, zu untersuchen und entscheiden, ob die Klägerin mit den Angaben, die sie bereit gewesen sei preiszugeben, einen OEG-Anspruch habe oder nicht. Während des Gesprächs mit der Klägerin Anfang 2013 habe er klar den Eindruck gehabt, dass die Klägerin nicht lüge. Hierbei stütze er sich auf sein Bauchgefühl. Auf Nachfrage des Gerichts dahingehend, inwieweit der Beklagte die Klägerin auf ihre Mitwirkungspflichten und die Folgen fehlender Mitwirkung hingewiesen habe, hat der Zeuge D weiterhin bekundet, dass es eine Erwartungshaltung des Landesbeauftragten für Behinderte gegeben habe. Im Hinblick auf das Einschreiten des Ministeriums hat der Zeuge D ausgesagt, dass es aufgrund der Vielzahl der Eingaben der Klägerin eine Erwartungshaltung bis hinauf zur Hausleitung (des Beigeladenen) im Sinne einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung gegeben habe.
Alles in allem kann sich der Senat angesichts dieses Verfahrensablaufs des Eindrucks nicht erwehren, dass nicht der Beklagte, der Beigeladene oder der Landesbehindertenbeauftragte NRW, sondern vielmehr die Klägerin "Herrin" des Verwaltungsverfahrens und in dieser Rolle zu jeder Zeit in der Lage war, den Ablauf des Verfahrens nach ihren eigenen Vorstellungen gegenüber dem Beklagten, dem Beigeladenen und dem damaligen Landesbehindertenbeauftragten zu diktieren.
4. Zum Fehlen einer rechtlichen Beschwer der Klägerin
Auch im gerichtlichen Verfahren haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die dafür sprechen könnten, dass der geltend gemachte Anspruch besteht. Dies ist der fehlenden Mitwirkung der Klägerin geschuldet.
a) Obwohl die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils darauf hindeuten könnten, dass das SG lediglich über einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtengrundrente bereits ab einem früheren Zeitpunkt entschieden hat, sah sich der Senat nicht daran gehindert, auch über die Höhe des GdS zu entscheiden. Bei sachgemäßer Auslegung (vgl. § 123 SGG) war das Begehren der Klägerin – bei aller Unverständlichkeit ihres Vorbringens – von vornherein nicht nur auf einen früheren Leistungsbeginn, sondern auch auf einen höheren GdS gerichtet. Über dieses umfassende Begehren hat der Beklagte auch mit dem angefochtenen Bescheid entschieden. Nachdem die Klägerin vor dem SG auf "vollständige und richtige Erfüllung des OEG" geklagt hat, geht der Senat davon aus, dass dem SG nicht entgangen ist, dass die Klägerin einen höheren GdS beansprucht, auch wenn dies in den Entscheidungsgründen nicht unbedingt seinen Niederschlag gefunden hat. Selbst wenn das SG diesen Anspruch übersehen hätte, wäre aber zu berücksichtigen, dass der Verfahrensgegenstand auch über ein Rechtsmittel des durch die Nichteinbeziehung Beschwerten – hier also der Klägerin – in die nächste Instanz "heraufholbar” ist. Zwar ist dies üblicherweise nur mit Zustimmung aller Beteiligten möglich (zum Ganzen vgl. z.B. BSG, Urteil v. 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R, BSGE 97, 216 Rn. 18; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 140 Rn. 15 m.w.N.). Diese Zustimmung haben die Beteiligten – wie sich ihrem Vorbringen entnehmen lässt – zweifelsohne konkludent erteilt.
b) Die Klägerin hat weder im erst- noch im zweitinstanzlichen Verfahren ihren Mitwirkungspflichten bzw. -obliegenheiten entsprochen, sondern erforderliche Ermittlungen von Amts wegen vereitelt. Wie bereits dargelegt, sind die Beteiligten nicht nur im Verwaltungsverfahren, sondern auch (und vor allem) im gerichtlichen Verfahren zur Mitwirkung verpflichtet. Das gilt insbesondere für solche Tatsachen, die nur Beteiligten bekannt sind. Wie im Verwaltungsverfahren sind Beteiligte auch im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens verpflichtet, sich ärztlich untersuchen zu lassen, soweit ihnen dies zumutbar ist (§ 103 Satz 1 Hs. 2 SGG; zum Ganzen vgl. nur B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 103 Rn. 13 ff. m.w.N. aus der Rspr.).
aa) Die Klägerin wurde zuletzt in der nichtöffentlichen Sitzung vom 03.12.2018 ausführlich und eingehend aufgefordert, u.a.
– ihre behandelnden Ärzte und Therapeuten ohne Ausnahme ab 1996 aufzulisten und von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden
– ihr Einverständnis zur Beiziehung von Behandlungsunterlagen zu erteilen
– Kopien von Schulzeugnissen, Zeugnissen von Arbeitgebern und universitären Leistungsnachweisen zu den Akten zu reichen
– die ladungsfähige Anschrift ihrer Mutter sowie der noch lebenden Familienangehörigen anzugeben
– der Beiziehung der sie betreffenden Rentenakten zuzustimmen
– der Beiziehung von Akten der Bundesagentur für Arbeit zuzustimmen und
– Zeugen zu benennen, die Auskunft über ihren Tagesablauf geben können.
Der Berichterstatter hat die Klägerin überdies darauf hingewiesen, dass bei unterlassener Mitwirkung sich daraus ergebende Beweisnachteile zu ihren Lasten gehen und inhaltlich gegen sie entschieden werden könne (vgl. Sitzungsniederschrift vom 03.12.2018, der Klägerin zugestellt am 22.01.2019). Bereits zuvor wurde die Klägerin bei unterschiedlichen Gelegenheiten zur Mitwirkung aufgefordert. Die Klägerin hat ihre "Mitwirkung" allerdings darauf beschränkt, in zahlreichen Telefonaten Gerichtsangehörige zu beleidigen (u.a. "Richterpack" – vgl. Vermerk vom 27.11.2018) und dabei auch eine zur Strafanzeige gebrachte Bedrohung gegen den Berichterstatter ausgestoßen (Gesprächsvermerk vom 23.01.2019 [" hat mir mein Leben genommen. Nun werde ich ihm seines nehmen."] und Strafanzeige vom 24.01.2019 [Polizeipräsidium, H]). Von den erteilten Auflagen hat die Klägerin hingegen keine Einzige erfüllt.
bb) Ebenso wenig hat sie sich die Klägerin der mit Beweisanordnung vom 11.01.2017 angeordneten ambulanten Untersuchung durch die Sachverständige unterzogen, sondern es vielmehr vorgezogen, die Sachverständige mit Beleidigungen zu überziehen, deren Wiedergabe hier nur abgekürzt erfolgen soll (vgl. Stellungnahmen der Sachverständigen C vom 23.01. und 24.01.2019: u.a. "F e").
cc) Angesichts fehlender Mitwirkung hat der Senat eine Begutachtung nach Aktenlage veranlasst (Beschluss v. 25.09.2017). Eine Erkrankung, die aus den angeschuldigten Handlungen resultieren könnte, ist nicht festzustellen. Das ergibt sich aus den Ausführungen der Sachverständigen C in ihrem nach Aktenlage erstatteten Gutachten vom 10.10.2019. Da jedoch ohne weitere Ermittlungen – wie dargelegt – weder eine Erkrankung, noch eine Tat im Sinne des § 1 OEG feststellbar ist, war schon die Zuerkennung von Leistungen nach einem GdS von 50 ab Antragstellung unberechtigt, was ausführlich unter 3. skizziert wurde. Erst recht wäre die mit einer Feststellung eines höheren GdS verbundene Gewährung noch höherer Leistungen oder ein früherer Leistungsbeginn ohne exakte Feststellungen im o.g. Sinne rechtswidrig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.
Erstellt am: 30.06.2020
Zuletzt verändert am: 30.06.2020