Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 27.06.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2001 verurteilt, bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 40 festzustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt 1/5 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung).
Der im Jahre 0000 geborene Kläger ist von Beruf Bergmechaniker.
Am 11. April 2001 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Feststellung von Behinderungen und eines GdB. Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 27. Juni 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2001 bei dem Kläger einen GdB von 30 fest. Dabei legte er folgende Gesundheitsstörungen zu Grunde:
– Wirbelsäulensyndrome, Wirbelgleiten, Nervenstörungen,
– Bluthochdruck,
– Operation Carpaltunnelsyndrom beidseits, Mononeuropathie.
Mit der am 16. November 2001 erhobenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung eines höheren GdB und die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G". Hinsichtlich der zunächst ebenfalls begehrten Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "aG", "H", "B" und "RF" hat der Kläger die Klage am 5. April 2002 zurückgenommen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2001 zu verurteilen, bei ihm ab Antragstellung im April 2001 einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. S vom 1. Juli 2002 der Auffassung, dass der GdB ab Antragstellung 40 betrage.
Das Gericht hat Dr. X, Arzt für Chirurgie bei dem Sozialmedizinischen Dienst der Bundesknappschaft in D zum Sachverständigen bestellt. Dr. X kommt in seinem medizinischen Gutachten vom 12. März 2002 zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger ein Bluthochdruck (Einzel-GdB 20) und ein Wirbelsäulensyndrom über zwei Wirbelsäulensegmente (HWS, LWS) mit Wirbelgleiten L5/S1 und wiederholten behandlungspflichtigen Schmerzzuständen sowie Schädigung der Nervenwurzel L5 links mit neurogener Schädigung der Unterschenkelmuskulatur und daraus resultierender Geh- und Stehbehinderung (Einzel-GdB 40) vorlägen. Der Gesamt-GdB sei seit April 2001 auf 40 einzuschätzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte trotz des Nichterscheinens des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2002 eine Entscheidung treffen. Der Kläger ist ebenso wie seine Prozessbevollmächtigten ordnungsgemäß zum Termin geladen worden und auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach Aktenlage hingewiesen worden. Im Übrigen hält es die Kammer nicht für akzeptabel, dass die den Kläger vertretenden Gewerkschaftssekretäre entschuldigungslos der mündlichen Verhandlung fernbleiben.
Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten erweisen sich soweit als rechtswidrig, als der GdB des Klägers seit Antragstellung im April 2001 40 beträgt.
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX). Die Auswirkungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Zum Zwecke der Gleichbehandlung ist bei der Festlegung des GdB im Regelfall von den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung aus dem Jahre 1996 (Anhaltspunkte 1996) auszugehen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass der GdB des Klägers 40 beträgt. Dabei geht die Kammer mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. S vom 1. Juli 2002 davon aus, dass entgegen der Auffassung des Sachverständigen Dr. X die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen und Wirbelgleiten sowie Nervenwurzelschädigung lediglich einen Einzel-GdB von 30 bedingt. Diese Bewertung trägt den Anhaltspunkten 1996, Seite 140, Rechnung, die mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten fordern. Nach den Feststellungen des Sachverständigen kommt es auf Grund des Wirbelsäulensyndroms mit Wirbelgleiten der Lendenwirbelsäule zu Schmerzzuständen auch bei geringer Belastung. Darüber hinaus ist eine Nervenschädigung L5 mit neurogener Muskelschädigung dokumentiert.
Hinsichtlich der Bewertung des Bluthochdrucks des Klägers mit einem Einzel- GdB von 20 folgt die Kammer dem Sachverständigen Dr. X. Die für eine Höherbewertung einer mittelschweren Form der Hypertonie erforderliche erhebliche Leistungsbeeinträchtigung (Anhaltspunkte 1996, Seite 92) ist nicht ersichtlich. Ein Nervenengpasssyndrom beider Hände war bei der Begutachtung nicht mehr nachweisbar. Weder fand sich bei der Untersuchung eine Muskelartrophie im Bereich der Hände, noch eine Einschränkung der Beweglichkeit, noch wurden von dem Kläger Beschwerden in Bezug auf die Hände geäußert. Ein Einzel-GdB-Wert ist von daher nicht zu vergeben.
Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB dürfen die Teil-GdB-Werte für die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in den einzelnen Funktionsbereichen nicht einfach addiert werden. Auch andere rein rechnerische Methoden scheiden aus. Maßgeblich sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei ist zu beachten, inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ob sich die Behinderungen überschneiden und dass das Ausmaß einer Behinderung vielfach durch hinzutretende Gesundheitsstörungen nicht verstärkt wird. In der Regel ist von der Beeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Beeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderungen größer wird, ob also wegen weiterer Beeinträchtigungen der erste GdB angemessen zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmen abgesehen führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Auch bei leichten Teilhabebeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Anhaltspunkte 1996, Nr. 19, Seite 33 ff.).
Bei der Bildung des Gesamt-GdB geht die Kammer von dem Hauptleiden des Klägers, der Funktionseinschränkung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen und Wirbelgleiten L5/S1, Nervenwurzelschädigung L5 links mit einem Einzel-GdB von 30 aus. Dieser Wert wird um 10 erhöht, um den unabhängig daneben bestehenden Bluthochdruck angemessen zu berücksichtigen. Eine weitergehende Erhöhung des GdB auf 50 und damit die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft kommt nicht in Betracht. Dabei ist insbesondere zu berück sichtigen, dass sich der Bluthochdruck nach Auffassung des Sachverständigen Dr. X nicht verschlimmernd bemerkbar mache, da die Belastbarkeit des Klägers auf Grund seines Wirbelsäulensyndroms bereits erheblich eingeschränkt sei und somit eine zusätzliche Einschränkung bzw. zusätzliche Behinderung durch den Hypertonus nicht zum tragen komme. Da die Gesundheitsstörung auf internistischem Gebiet bei dem Kläger somit keine wesentlichen Einschränkungen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bedingt, kann sie auch keine weitere GdB-Erhöhung rechtfertigen.
Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" scheitert bereits daran, dass nach § 145 Abs. 1 SGB IX i.V.m. § 146 Abs. 1 SGB IX nur schwerbehinderte Menschen mit erheblicher Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr den Nachteilsausgleich beanspruchen können. Der Schwerbehindertenstatus mit einem GdB vom 50 wird jedoch vom Kläger gerade nicht erreicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Bei der Bildung der Kostenquote hat das Gericht einerseits das teilweise Obsiegen des Klägers hinsichtlich der Höhe des GdB und andererseits sein Unterliegen hinsichtlich der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft und der ursprünglich beantragten Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen von 5 Nachteilsausgleichen berücksichtigt.
Erstellt am: 22.08.2003
Zuletzt verändert am: 22.08.2003