Der Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 17.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2009 verurteilt, bei dem Kläger ab Januar 2009 die gesundheitlichen Folgen des Guillain-Barré-Syndroms als Impfschaden anzuerkennen und ihm Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetzes zu gewähren. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger ein Versorgungsanspruch wegen eines Impfschadens nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu steht. Streitig ist die Frage, ob als Ursache des bei dem Kläger im Juni 2007 diagnostizierten Guillain-Barré-Syndroms wahrscheinlich die vorangegangene Impfung oder ein Infekt anzunehmen ist.
Der am XXX geborene Kläger leidet weiter an den Folgen des Guillain-Barré-Syndroms (GBR). Nach dem Schwerbehindertenrecht wurde mit Bescheid vom 30.10.2009 wegen der Beeinträchtigung "Reststörungen – Peroneusschwäche beiderseits nach Guillain-Barré-Syndrom, op. Fußfeststellung" ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "B" festgestellt.
Am 02.01.2009 stellte der Kläger einen Antrag auf Beschädigtenversorgung wegen eines erlittenen Impfschadens. Er machte geltend, die am 10.05.2007 durch die Kinderärztin XXX mit dem Impfstoff Twinrix durchgeführte Schutzimpfung gegen Hepatitis A und B sei Ursache des erlittenen Guillain-Barré-Syndroms und der verbliebenen Beinparese. Dem Antrag fügte der Kläger bei: – eine Ablichtung aus dem Impfbuch (Seite 10f mit der Eintragung vom 10.05.2007) – die Eingangsbestätigung des XXX über die Meldung unerwünschter Arzneimittelwirkungen an XXX vom 29.04.2008 – den Bericht des XX vom 16.10.2007 von XXX über seine stationäre Behandlung vom 04.06. bis zum 07.07.2007 mit den Diagnosen Guillain-Barré-Syndrom, akute inkomplette Querschnittslähmung – die Berichte der XXX vom 19.06.2008 von XXX über eine stationäre Behandlung vom 13.05. bis zum 12.06.2008 sowie vom 16.10.2008 über eine ambulante Vorstellung am 15.10.2008.
In den Bericht des XXX wird (u. a.) ausgeführt: " Seit fünf Tagen bestanden Schmerzen in den Beinen, sei vier Tagen war XXX schmerzbedingt nicht mehr gelaufen. Vor zwei Wochen hatte er eine Erkältung durchgemacht, vor einer Woche eine Konjunktivitis. Vor einer Woche bestand Fieber bis 39°, " …"Die wichtigsten Antikörper-Serelogien ( ) erwiesen sich als negativ. Ebenso erwies sich die Enteroviren-RNA-Testung des Stuhls negativ. Der klinische Befund und die Blut- und Liquordiagnostik sprachen für ein Guillain-Barré-Syndrom nach vorhergegangenem Virusinfekt. Anamnestisch lässt sich noch hinzufügen, dass zwei Wochen vor Erkrankung eine Impfung mit Twinrix stattgefunden hatte."
Der Beklagte holte von den behandelnden Kinderärzten Befundberichte ein, und zwar von XXX, der Gemeinschaftspraxis XXX u.a. sowie von XXX. Die den Kläger ab 2005 behandelnde Kinderärztin XXX übersandte mit ihrem Befundbericht einen Karteikartenausdruck auch bezogen auf die Impfung am 10.05.2007 und eine Vorstellung am 25.05.2007 mit der Eintragung: "heiser, Schluckbeschw., trockener Husten, eitrige Conjunctivitis, re. GG 1. ger., RR 1. gerötet, hatte in dieser Woche 1 x Fieber, Lunge frei, Cor OB, Abd. OB, Haut OB, StrepA: negativ,". In der von der Gemeinschaftspraxis von XXX ebenfalls übersandten Patientenkartei befindet sich eine Eintragung vom 30.05.2007 mit dem Inhalt "war erkältet mit Husten und Schnupfen seit 5 Tagen, Bindehautentzündung, jetzt Fieber, Th. mit Medituonsin und AS Blaß AZ stabil, re)li. feinbl. Knistern". Bei XXX wurde der Kläger erstmals am 01.06.2007 vorstellig. Am 04.06.2007 veranlasste XXX die Aufnahme des Klägers im XXX.
Im Rahmen der Aufklärung des Sachverhaltes wurden die Eltern des Klägers am 11.05.2009 durch XXX (leitende Landesmedizinaldirektorin, Sozialmedizin) befragt. Des Weiteren wurde der Bericht der XXX vom 25.05.2009 über eine ambulante Untersuchung des Klägers vom 20.05.2009 zu den Akten genommen. Für das XXX äußerte XXX (Referatsleiter Arzneimittelsicherheit, Facharzt für Kinderheilkunde) unter dem 29.06.2009 in einer schriftlichen Stellungnahme, das Guillain-Barré-Syndrom werde in seltenen Fällen im zeitlichen Zusammenhang nach Impfungen berichtet. In den meisten Fällen fänden sich jedoch entweder laborchemisch oder anamnestisch Hinweise auf eine virale Infektion, so dass der kausale Zusammenhang mit der Impfung auch im vorliegenden Fall als unwahrscheinlich bewertet werde.
In einer gutachterlichen Stellungnahme nach Aktenlage vertrat sodann auch XXX unter dem 03.08.2009 die Auffassung, ein Impfschaden könne nicht zur Anerkennung vorgeschlagen werden. Nach der Impfung sei es zu einem fieberhaften Infekt gekommen bei der sich nach den Angaben im Bericht des EVK und den Unterlagen der behandelnden Kinderärzte in den letzten 10 Maitagen 2007 entwickelte. Ab Ende Mai seien nach dem Eindruck der Eltern zunehmend motorischer Probleme entstanden. Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft sei ein wahrscheinlich wesentlicher Zusammenhang zwischen einer Hepatitis A und Hepatitis B Impfung und einem Guillain-Barré-Syndrom nicht gegeben. Die Vorgeschichte passe hier auch gut zu einem postinfektiösen Guillain-Barré-Syndrom.
Gestützt auf die Argumentation von XXX wurde der Antrag des Klägers mit Bescheid vom 17.08.2009 abgelehnt.
Der Kläger erhob Widerspruch und trug vor im XXX sei man nach dem Ausschlussverfahren ausgegangen und habe eine postinfektiöse Erkrankung angenommen, da keine anderen Erreger nachgewiesen werden konnten. Die Ursache der Erkrankung sei nach wie vor unklar und werde wissenschaftlich kontrovers diskutiert. In Folge der nervalen Unterversorgung habe sich ein beiderseitiger Pes equinovarus entwickelt, der am 10.09.2009 operiert werde. Die Berichte über die Fußoperationen der orthopädischen Klinik des XXX vom 22.09. und 29.09.2009 wurden zur Akte gereicht.
In einer erneuten Stellungnahme äußerte XXX, tatsächlich sei es so, dass die genaue Ursache des Guillain-Barré-Syndroms bisher unbekannt sei, Impfungen als Auslöser diskutiert würden und das epidemiologische Bulletin 25/2007 XXX tatsächlich unter anderem das Guillain-Barré-Syndrom aufführe. Typisch und relativ häufig sei allerdings eine postinfektiöse Entwicklung eines Guillain-Barré-Syndroms und ein entwickelnder Infekt sei sowohl durch den Krankenhausbericht als auch insbesondere durch die Unterlagen der behandelnden Kinderärzte belegt. Auch wenn hier durch die Laboruntersuchungen des Krankenhauses der genaue Erreger des Infekts nicht ermittelt werden konnte, spreche der klinische Verlauf eindeutig für einen abgelaufenen Infekt. Es ergebe sich kein Raum für die Anerkennung eines Impfschadens im Rahmen der Kannversorgung. Durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Guillain-Barré-Syndrom werde ein Zusammenhang mit dem postinfektiösen Zustand sehr viel näher gelegt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.10.2009 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 17.08.2009 als sachlich unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der am 09.11.2009 erhobenen Klage. Zur Begründung nimmt er zunächst Bezug auf die Fachinformationen des Impfstoff-Herstellers, wonach ein Guillain-Barré-Syndrom unter den unerwünschten Nebenwirkungen des Impfstoffs aufgeführt sei. Im Zusammenhang mit der Frage nach der Häufigkeit eines GBS nach Impfungen sei zu berücksichtigen, dass nach Information des Bundesgesundheitsblattes 4/2002 nur etwa 5 % der Fälle überhaupt gemeldet würden, wobei das XXX auf seinen Internetseiten etwas mehr als 220 Fallmeldungen von GBS als Impfreaktion aufführe. Im Übrigen sei unerheblich, welche Ursache bei 2/3 der GBS-Erkrankten vorausgegangen sei. Für die Kausalitätsbeurteilung komme es vielmehr darauf an, wie die Impfung auf den einzelnen Menschen gewirkt habe. Am 01.06.2007 habe XXX eine Coxitis fugax vermutet, was XXX im XXX am selben Tag sonografisch ausgeschlossen habe. Seit dem 29.05.2007 sei er nicht mehr in der Lage gewesen zu stehen, geschweige denn, zu laufen und habe über Schmerzen am Rücken geklagt. Das GBS müsse sich somit zu diesem Zeitpunkt bereits entwickelt haben.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 17.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2009 zu verurteilen, ab Januar 2009 die gesundheitlichen Folgen des Guillain-Barré-Syndroms als Impfschaden anzuerkennen und ihm Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Vorlage der Verwaltungsakten hält der Beklagte die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen weiterhin für rechtmäßig. Er bezieht sich insoweit auf ärztliche Stellungnahmen von XXX und XXX (vgl. unten).
Das Gericht hat weitere medizinische Unterlagen zur Akte genommen, so über den Praxisnachfolger des verstorbenen XXX dessen Patientenkartei mit den Eintragungen ab 01.06.2007, einen Befundbericht von XXX (Facharzt für Chirurgie, manuelle Medizin, spezielle Kinder- und Säuglingstherapie, Phlebologie in Bad Sassendorf) und von Frau XXX (Kinderärztin mit Schwerpunkt Neonatologie in Hamm). Auf eine Anforderung der Krankenakte wurde seitens des EVK mitgeteilt, eine Akte des Patienten liege leider nicht vor.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht XXX (ehemaliger Direktor der XXX) mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens beauftragt. Der beauftragte Sachverständige gelangt zu dem Ergebnis, dass das Guillain-Barré-Syndrom und die hieraus resultierenden Folgen mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit (so gut wie sicher) voll ursächlich und einmalig im Sinne der Entstehung auf die Impfung am 10.05.2007 zurückgingen. Es sei kinderklinisch völlig korrekt, von einem GBS durch die öffentlich empfohlene Hepatitis-B-Impfung zu sprechen. Aus dem Epidemiologischem Bulletin vom 22.06.2007 leite sich ab, dass die STIKO für eine Minderzahl der Fälle eine impfbedingte Verursachung des Guillain-Barré-Syndroms anerkenne. In dem jährlich vom Verband der Arzneimittelhersteller Deutschlands herausgegebenen "Rote Liste" seien zum Kombinationsimpfstoff "Twinrix Kinder" unter Nebenwirkungen unter anderem gelegentlich Infekte der oberen Luftwege, grippeähnliche Erkrankung, Polyneuritis einschließlich Guillain-Barré-Syndrom vermerkt. Bei der katarrhalischen Symptomatik vom 25.05. bis 01.06.2007 inklusive Exanthem handelt es sich um eine impfbedingte Nebenwirkung. Der Diagnose parainfektiöses Guillain-Barré-Syndrom sei entschieden zu widersprechen, denn anhand der sehr ereignisnah erhobenen Werte von Leukozyten, CRP und BSG sei ein postvakzinaler prämorbider Infekt so gut wie sicher auszuschließen. Zudem sei das immunologische Intervall zwischen einem die immunologische Fehlreaktion in Gang setzenden Infekt einerseits und der ersten neurologisch Symptomatik andererseits von in der Regel drei Wochen (bis hin zu sechs bis acht Wochen) nicht vorhanden.
Der Beklagte hat das Gutachten durch Vorlage einer gutachterlichen Stellungnahme von XXX (XXX) vom 22.12.2011 erwidert. Der von der Beklagtenseite beauftragte Sachverständige führt aus, es sei bekannt, dass bei 2/3 der Erkrankten ein bis vier Wochen vor Auftreten des GBS Infektionen der Atemwege oder des Magen-Darm-Traktes vorausgegangen seien. Häufig gelinge kein Keimnachweis. Ein ähnlicher Fall habe dem XXX und dem XXXX vorgelegen, bei dem ein Kausalzusammenhang für das Auftreten eines GBS nach Zeckenschutzimpfung sei nicht gesehen worden sei, da dem ersten neurologischen Symptom ebenfalls 2 Wochen zuvor ohne Erregernachweis eine Infektion der oberen Luftwege vorausgegangen sei. Diese Einschätzung lasse sich vorliegend übertragen. Die Twinrix-Impfung vom 10.05.2007 komme zwar prinzipiell als mögliche Ursache des GBS in Frage, die stattgehabte Infektion der Atemwege sei jedoch als wahrscheinliche Ursache für GBS anzusehen.
Zu den Einwendungen der Beklagtenseite hat XXX unter dem 29.02.2012 ergänzend Stellung genommen. Der gerichtliche Sachverständige bleibt bei der Auffassung und führt nochmals aus, es ergebe sich laut Labor vom 01. und 04.06.2007 keinerlei Anhalt für eine bakterielle oder virale Infektion. So sei im Falle einer Infektion eine Erhöhung von CPR und Blutkörperchensenkung (BSG) erwarten, die nicht vorhanden sei. Die Leukozytenwerte vom 01.06. und 04.06. lägen innerhalb der Schwankungsbreite eines gesunden Kindes von 2 ½ Jahren. Im Übrigen fehle die sogenannte Linksverschiebung, die bei einer bakteriellen Infektion auch am 04.06. zuverlässig hätte vorhanden sein müssen. Im Falle einer Virusinfektion wäre bis zum 01.06. eine hierfür typische Leukopenie (Verminderung der weißen Blutkörperchen unter die Normgrenze) zu erwarten gewesen. Es handele sich um einen Pseudoinfekt, der zwanglos unter die Nebenwirkungen des Impfstoffes eingeordnet werden könne. Im Übrigen betrage die Inkubationszeit nach XXX (quasi "Papst" der Kinderneurologie) zwei bis vier Wochen. Selbst wenn ein echter Infekt vorgelegen hätte, wäre das Intervall von postinfektiöser Inkubationszeit bis zum Beginn der neurologischen Symptomatik von vier Tagen (25.05. bis 29.05.2007) zu kurz.
Bezogen auf die ergänzenden Ausführungen von XXX überreicht der Beklagte die erneute Stellungnahme von XXX, in der dieser unter dem 28.06.2012 äußert, die Hepatitis-B-Komponente komme zwar prinzipiell als möglicher Auslöser eines GBS in Betracht. Es sei allerdings weiterhin davon auszugehen, dass etwa zwei Wochen vor Diagnosestellung des GBS eine respiratorische Infektion durchgemacht worden sei, die als wahrscheinlichere Ursache anzusehen sei. Die Fachinformation der Herstellerfirma zu Nebenwirkungen von Twinrix stütze sich auf klinische Studien mit dem Impfstoff für Erwachsene. Anhand der klinischen Befunde und auch wegen Beteiligung der unteren Atemwege sei im Falle des Klägers eine virale Infektion wahrscheinlicher. Unter Beachtung der Laborwerte sei zwar eine bakterielle Infektion als unwahrscheinlich angesehen. Allerdings seien normwertige Leukozytenzahlen sowie ein im Normbereich liegender CRP-Wert gut mit einer zuvor stattgehabten viralen Infektion vereinbar. Die normwertige BSG sei zur Beantwortung der Frage, ob ein Infekt vorgelegen habe nicht zielführend, da jegliche Art von Entzündung, auch eine autoimmunologische, zu einer Erhöhung des BSG-Wertes führen könne. Im Übrigen betrage das Intervall zwischen Auslöser und den neurologischen Symptomen ein bis vier Wochen. Die von XXX angenommene Inkubationszeit von zwei Wochen widerspreche anderen Studien. Ausgehend von der Aufzeichnung von XXX unter dem 25.05.2007 (hatte in dieser Woche 1 x Fieber) und einen Beginn der Schmerzsymptomatik am 29.05.2007 betrage der Zeitraum zwischen respiratorischer Infektion und Beginn des GBS mehr als eine Woche.
Zu diesen Ausführungen hat sich XXX erneut unter dem 08.08.2012 geäußert. Bezogen auf den von der Gemeinschaftspraxis von XXX am 30.05.2007 notierten Auskultationsbefund im Sinne einer Beteiligung der unteren Atemwege führt der Sachverständige aus, es handele sich nur um eine graduelle aber nicht um eine prinzipielle Abweichung. Der Kinderkliniker erwarte allerdings bei einem viralen Infekt eine Reaktion von CRP und BSG, insbesondere aber in der Sekundärphase des Virusinfektes (das heißt beginnend zwei bis drei Tage nach Beginn) eine drastische Absenkung der Leukozytenzahl. Bei der Frage nach dem Intervall zwischen der Impfung bzw. des Beginn der katarrhalischen Symptomatik einerseits und den Beginn der neurologischen Symptomatik des GBS andererseits werde in der Stellungnahme von XXX auf Literatur zum GBS des Erwachsenen zurückgegriffen. XXX berücksichtige dem gegenüber die besondere Situation eines Kindes. Es sei zwar richtig, dass Infekte als Ursache der GBS-Fälle viel häufiger seien als Impfungen. Allerdings könne aus einer statistischen Ursachenverteilung auf die Ursache in einem Einzelfall nicht zurückgeschlossen werden.
Den Ausführungen des Sachverständigen ist die Beklagtenseite erneut durch Vorlage ärztlicher Stellungnahmen von XXX und XXX entgegen getreten. XXX äußert in der Stellungnahme unter dem 25.09.2012, er sehe keine neuen Erkenntnisse. XXX führt in der gutachterlichen Stellungnahme vom 11.11.2013 aus, aus ihrer Sicht sei ein abgelaufener Infekt als hinreichend belegt anzusehen. Eindeutig sei es nicht so, dass normale Leukozyten und CRP-Werte einen Virusinfekt ausschlössen. Es könne sogar zu einer Erniedrigung der Leukozytenzahl kommen. Das Zeitintervall zwischen Auftreten des Infektes und der Symptomatik des Guillain-Barre-Syndroms sei plausibel im Hinblick auf den ursächlichen Zusammenhang. Im Übrigen werde im epidemiologische Bulletin Nr. 25 aus 2007 ausgeführt: "Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist in diesen Beobachtungen fraglich. Es könnte sich in der Mehrzahl dieser Einzelfallberichte um das zufällige zeitliche Zusammentreffen von miteinander nicht ursächlich verbundenen selbstständigen Ereignissen handeln." Abweichende Ausführungen in früheren "Anhaltspunkten" seien überholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Beweisaufnahme und des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beiakten (B-Akten des Beklagten, Schwerbehindertenakte der Stadt Hamm) bzw. auf die den Beteiligten erteilten Ablichtungen und Abschriften verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet, denn die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen verletzten den Kläger in seinen Rechten im Sinne des § 54 Absatz 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Beklagte hat einen Versorgungsanspruch des Klägers zu Unrecht abgelehnt, denn im Anschluss an die durchgeführte Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger einen Impfschaden erlitten hat und ihm Versorgung wegen der Folgen des Guillain-Barré-Syndroms nach dem IfSG in Verbindung mit BVG zu steht.
Nach § 60 Absatz 1 Nr. 1 IfSG erhält bei einem Impfschaden unter anderem Versorgung, wer durch eine Schutzimpfung, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Ein Impfschaden ist die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung (vgl. § 2 Nr. 11 IfSG). Als anspruchsbegründende Tatsachen müssen die schädigende Einwirkung (die Impfung), die gesundheitliche Schädigung (Impfkomplikation) und Impfschaden (Dauerleiden) nachgewiesen sein, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können, dass kein vernünftiger Mensch noch Zweifel hat (vgl. BSG Urteil vom 07.04.2011 – B 9 VJ 1/10 R – und LSG NRW Urteil vom 28.11.2012 – L 10 (6) VJ 18/08; dieses und nachfolgende Urteile jeweils veröffentlicht im "juris"). Für den Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis (Impfung) und der Primärschädigung (Impfkomplikation) sowie zwischen dieser und den Schädigungsfolgen genügt es allerdings, wenn die Kausalität wahrscheinlich gemacht ist (vgl. § 61 Satz 1 IfSG, Urteile BSG und LSG NRW a.a.O.). Wahrscheinlich in diesem Sinne ist die Kausalität, wenn nach der geltenden medizinisch wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr dafür als gegen sie spricht (vgl. Teil C 3 a) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze – VMG – = Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV-). Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, sind sie versorgungsrechtlich nebeneinander stehende Mitursachen (und wie Ursachen zu werten), wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs annähernd gleichwertig sind (vgl. Teil C 1 b) VMG).
Im vorliegenden Verfahren ist zwischen den Beteiligten nur die sogenannte haftungsbegründende Kausalität streitig, d. h. die Frage, ob der Ursachenzusammenhang zwischen der geschützten Impfung und dem Guillain-Barré-Syndrom als wahrscheinlich anzusehen ist. Unstreitig ist, dass es sich bei der die Hepatitis-B–Komponente der Impfung des Klägers vom am 10.05.1007 um eine geschützte Impfung im Sinne des IfSG handelt, dass im Juni 2007 ein Guillain-Barré-Syndrom diagnostiziert wurde und dass der Kläger weiterhin unter den Folgen dieser Erkrankung (Restlähmungen in den Beinen, operierte Fußfehlstellung) leidet. Weitere Ausführungen erübrigen sich insoweit, da auch zur Überzeugung der Kammer die genannten Tatbestandsmerkmale offensichtlich vorliegen.
Die Kammer hat im Anschluss an die durchgeführte Beweisaufnahme keinen Zweifel, dass der notwendige Ursachenzusammenhang zwischen der geschützten Impfung und der gesundheitlichen Schädigung des Klägers in Form des Guillain-Barre-Syndroms mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist.
Im Impfschadensrecht sind alle medizinischen Fragen, insbesondere auch die Fragen zur Kausalität auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neusten medizinischen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (vgl. BSG Urteil a.a.O.). Bezogen auf Kausalitätsbeurteilungen sind auch nach Inkrafttreten der VersMedV die Ausführungen "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in der jeweils geltenden Fassung (zuletzt 2008) zu beachten. Die AHP geben grundsätzlich den Stand der medizinischen Wissenschaft wieder und haben normähnlichen Charakter. Nach Teil C Rdnr. 57 AHP 2008 sind maßgeblich die von der STIKO entwickelten und im Epidemiologischen Bulletin veröffentlichen Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einer über das übliche Maß hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung. Falls im Einzelfall Anzeichen dafür vorliegen, dass die Vorgaben dem aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr gerecht werden, ist der aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft auf andere Weise zu ermitteln, insbesondere durch Sachverständigengutachten (vgl. BSG Urteil a.a.O.).
Unter Beachtung der dargestellten Kriterien geht die Kammer nach sorgfältiger Abwägung der im vorliegenden Verfahren vorgebrachten Argumente davon aus, dass die haftungsbegründende Kausalität zwischen der Impfung vom 10.05.2007 und dem Guillain-Barré-Syndrom im entschädigungsrechtlichen Sinne zu bejahen ist. Die Entscheidungsfindung der Kammer beruht auf den in allen entscheidungserheblichen Punkten überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen XXX. Es handelt sich bei dem benannten Sachverständigen um einen im Impfentschädigungsrecht überaus erfahrenen Gutachter. Seit Jahrzehnten hat XXX im Impfschadensrecht für die Sozialgerichtsbarkeiten des Landes NRW Zusammenhangsgutachten erstellt. Auch vorliegend hat der Sachverständige die gesamte Aktenlage sorgfältig geprüft und seine Ausführungen schlüssig und nachvollziehbar begründet. Mit Gegenargumenten setzt er sich nachvollziehbar auseinander und legt im Ergebnis überzeugend dar, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen der Hepatitis-B-Komponente der Impfung vom 10.05.2007 und dem Guillain-Barre-Syndrom vorliegt bzw. zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu bejahen ist. Die Kammer hat die gesamte Aktenlage mit den beigezogenen medizinischen Unterlagen und auch die Gegenargumentation von XXX und XXX eingehend berücksichtigt. Letztlich sind die Argumente der beratenden Ärzte aber jedenfalls nicht geeignet, die haftungsbegründende Kausalität im Sinne von überwiegender Wahrscheinlichkeit abzulehnen.
Zunächst berücksichtigt XXX entsprechend Teil C Nr. 57 der AHP 2008 ausdrücklich die Empfehlungen der STIKO und nimmt Bezug auf das Epidemiologische Bulletin vom 22.06.2007, in dem ausgeführt wird: "In Einzelfällen wurde in der medizinischen Fachliteratur über das Auftreten von neurologischen Störungen (Meningitis, Encephalitis, Encephalopathie, Polyneuritis, Guillain-Barré-Syndrom) berichtet, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung auftraten. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist bei diesen Beobachtungen fraglich. Es könnte sich in der Mehrzahl dieser Fallberichte um das zufällige zeitliche Zusammentreffen von miteinander nicht ursächlich verbundenen selbstständigen Ereignissen handeln". Diese Ausführungen interpretiert XXX dahingehend, dass die STIKO für eine Minderzahl der Fälle eine impfbedingte Verursachung des Guillain-Barre-Syndroms anerkennt. Wenn abweichend von dieser Interpretation XXX davon ausgehen sollte, dass die STIKO lediglich einen zeitlichen aber keinen ursächlichen Zusammenhang annimmt, vermag die Kammer dieser Auffassung nicht anzuschließen, zumal nicht nur nach den Ausführungen von XXX sondern auch nach denjenigen von XXX davon auszugehen ist, dass nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft in Ausnahmefällen durchaus ein Ursachenzusammenhang zwischen einer Hepatitis-B-Impfung und einem Guillain-Barré-Syndrom anzuerkennen ist. Hierfür sprechen auch die Vorgaben in den AHP 2004 Teil C Rdnr. 57 Nr. 16, in denen das Guillain-Barré-Syndrom ausdrücklich als Impfkomplikation (nach damaliger Terminologie Impfschaden) aufgeführt wird. Des Weiteren beruft sich XXX in seinem Gutachten auf die vom Verband der Arzneimittelhersteller herausgegebene "Rote Liste", in der zum Kombinationsimpfstoff "Twinrix Kinder" (Nr. 75096) unter anderem das Guillain-Barré-Syndrom als seltene Nebenwirkung aufgeführt wird.
Die nach dem Vorgesagten wissenschaftlich anerkannte Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einer Hepatitis-B-Impfung und einem Guillain-Barré-Syndrom hat sich im Falle des Klägers mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit realisiert. Wie XXX zutreffend ausführt, kann aus der statistischen Wahrscheinlichkeit, dass 2/3 aller Guillain-Barre-Syndrome durch einen vorangegangenen Infekt ausgelöst wurden, nicht geschlossen werden, dass auch im vorliegenden Verfahren ein Infekt als wahrscheinliche Ursache anzusehen ist. Vielmehr ist unter Zugrundelegung der als zutreffend angesehenen Ausführungen von XXX ein Infekt zumindest mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen mit der Folge, dass die nachweisliche Impfung zumindest als wahrscheinlicher Auslöser eines Guillain-Barre-Syndroms angesehen werden muss.
XXX legt in seinem Gutachten in den ergänzenden Stellungnahmen eingehend dar, dass der Kläger nach seiner Überzeugung vor der Diagnose des Guillain-Barré-Syndroms keinen Infekt erlitten hat, sondern es sich um einen Pseudoinfekt handelt, der entsprechend der vom Verband der Arzneimittelherstellter herausgegebenen "Roten Liste" den Nebenwirkungen der Impfung zuzurechnen ist. Wie der gerichtliche Sachverständige sieht es auch die Kammer als unerheblich an, dass in der "RotenListe" ausdrücklich nur ein gelegentlicher Infekt der oberen Luftwege genannt wurde, auch wenn die Aufzeichnungen aus der Gemeinschaftspraxis von XXX auf eine Beteiligung der unteren Luftwege hindeuten. Dem Sachverständigen wird zugestimmt, dass es sich insoweit um eine graduelle Abweichung handelt. Im Übrigen werden im Rahmen der Nebenwirkungen auch unspezifisch grippeähnliche Erkrankungen genannt.
Das wichtigste Argument, das vorliegend gegen die Annahme eines grippalen Infektes spricht, sind die erhobenen Laborparameter. Bereits im EVK Hamm wurden die gängigen GBS-Erreger ausgeschlossen. Dass ein bakterieller Infekt mit den erhobenen Labordaten nicht vereinbar ist, wird inzwischen auch von Seiten der Beklagtenseite nicht bestritten, da auch Herr XXX einen solchen aufgrund der Labordaten ausschließt. Allerdings halten die beratenden Ärzte der Beklagtenseite einen Virusinfekt weiterhin mit den zeitnah erhobenen Labordaten für vereinbar. Dem stimmt die Kammer gestützt auf die Ausführungen von XXX gerade nicht zu, bzw. hält einen Virusinfekt zumindest für extrem unwahrscheinlich. XXX argumentiert, der Kinderkliniker müsse bei einen viralen Infekt Reaktionen von CRP und BSG, insbesondere aber in der Sekundärphase eines Virusinfektes (das heißt beginnend 2-3 Tage nach Beginn) eine drastische Absenkung der Leukozytenzahl erheblich unter dem Wert vom 04.07.2007 erwarten. Wenn dem gegenüber XXX und XXX die Werte des Klägers doch als vereinbar ansehen mit einer viralen Infektion, so bleibt die Frage offen, warum trotz viraler Infektion die Leukozytenzahlen im Normbereich lagen. XXX führt in der Stellungnahme unter dem 11.11.2013 aus, es komme bei Virusinfekten häufig nicht zu Leukozytenanstiegen, es könne sogar zu einer Erniedrigung der Leukozytenzahl kommen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, gerade diese Erniedrigung ist nach den Ausführungen von XXX einzufordern, liegt allerdings nicht vor.
Des Weiteren kann nach den Ausführungen von XXX auch deshalb ein Virusinfekt nicht als Ursache des Guillain-Barré-Syndroms angesehen werden, weil das Intervall zwischen dem Infekt und dem ersten neurologischen Syndrom zu kurz ist. XXX fordert gestützt auf den "Papst der Kinderneurologie" XXX ein Intervall von 2 bis 4 Wochen. Die Berechnung des vorliegend in Betracht kommenden Intervalls zwischen einem möglichen Infekt und dem ersten neurologischen Symptom kann kontrovers diskutiert werden, weil die Angaben der dem Kläger im Mai und Juni 2007 behandelnden Ärzte ungenau sind. Das Intervall ist nach den Berechnungen der Kammer aber jedenfalls kürzer als 2 Wochen. Ausgehend von den Eintragungen der Patientenkartei von XXX (als der den Kläger bzgl. des angenommenen Infektes am zeitnahsten behandelnden Ärztin) am Freitag, den 25.05.2007 und dem Hinweis "hatte in dieser Wochen 1x Fieber" schließt die Kammer als frühestmöglichen Zeitpunkt eines Infektbeginns auf Montag, den 21.05.2009. Der Beginn der neurologischen Symptomatik zeigte sich zwischen dem 29. und 31.05.2007. Die Angaben des Klägers bzw. der Eltern entsprechen dem Karteikartenauszug von XXX bei der Untersuchung am 01.06.2007 mit der Eintragung "V.a. Coxitis". Wenn XXX und XXX der Auffassung sind, das Intervall zwischen Infekt und neurologischen Symptomen eines Guillain-Barré-Syndroms könne auch eine Woche betragen, so steht dies jedenfalls einem als wahrscheinlich anzunehmenden Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und Guillain-Barre-Syndrom nicht entgegen. Wie XXX ausführt, ist der kinderneurologischen Auffassung von Herrn XXX zu folgen, denn Studien von Erwachsenen können nicht unmittelbar auf die Verhältnisse bei Kindern mir anderen Voraussetzungen im Immunsystem übertragen werden.
Letztlich mag dahinstehen, ob tatsächlich einen Fall denkbar ist, bei dem das Guillain-Barré-Syndrom eines Kindes im Alter des Klägers trotz normaler Labordaten auf einem Infekt beruht und das Intervall zwischen Infekt und neurologischen Symptomen unter 2 Wochen liegt. Dieser Fall ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls als extrem unwahrscheinlich anzusehen, so dass hierdurch auch der vorliegend geführte Wahrscheinlichkeitsnachweis für die haftungsbegründende Kausalität nicht erschüttert werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 06.02.2014
Zuletzt verändert am: 06.02.2014