Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14. Januar 1999 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind die Versicherungs- und Beitragspflicht in der Rentenversicherung.
Der am.1959 geborene Kläger ist seit dem 01.09.1986 bei dem Beigeladenen zu 2) als Angestellter beschäftigt. Bis zum 30.11.1999 war er Mitglied der Beigeladenen zu 1) und sodann bis zum 31.05.2000 Mitglied der Beigeladenen zu 3). Seit dem 01.06.2001 ist er Mitglied der Beigeladenen zu 4). Er ist geschieden und Vater von vier in den Jahren 1985, 1986, 1990 und 1993 geborenen Kindern. Seine geschiedene Ehefrau war von 1984 bis 1996 nicht erwerbstätig; seit 1997 war sie geringfügig beschäftigt.
Im August 1996 wandte der Kläger sich gegen die Beitragserhebung zur gesetzlichen Rentenversicherung, weil diese nicht mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar sei.
Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 01.10.1996/Widerspruchsbescheid vom 09.01.1997 ab, auf die Erhebung von Pflichtbeiträgen zu verzichten. Sie wies darauf hin, dass der Kläger nach § 1 Nr. 1 des sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) als eine Person, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sei, versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung sei und gemäß § 162 Nr. 1 SGB VI Beiträge zu entrichten habe.
Hiergegen hat der Kläger am 05.02.1997 Klage zum Sozialgericht (SG) Köln erhoben, mit der er hilfsweise die Verminderung der von ihm zur Rentenversicherung entrichteten Beiträge begehrt hat. Zur Begründung hat er eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 GG sowie einen Verstoß gegen die Kompetenznorm des Art. 74 Nr. 12 GG und gegen die Regeln der Finanzverfassung gerügt. Desweiteren hat er Art. 59 ff. und Art. 85 ff. des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) für verletzt gehalten.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14.01.1999 abgewiesen:
Der Kläger sei als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer nach § 1 Nr. 1 i.V.m. den §§ 153 ff. SGB VI zur Beitragsentrichtung verpflichtet. Eine Verletzung seiner Grundrechte liege nicht vor. Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht tangiert, weil keine willkürliche Ungleichbehandlung gegeben sei, denn der Kläger sei als Beitragszahler mit anderen Beitragszahlern und nicht mit den gegenwärtigen Rentnern zu vergleichen. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG liege nicht vor, weil der Schutzbereich von Ehe und Familie nicht betroffen sei. Es gebe auch keinen Auftrag des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), die vom Kläger gerügte verfassungswidrige Benachteiligung der Familien im Steuer- und Sozialversicherungsrecht auf eine bestimmte Weise abzubauen. Art. 14 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil die Auferlegung von Geldleistungspflichten grundsätzlich nicht an dieser Vorschrift zu messen sei, denn das Vermögen als solches unterfalle nicht ihrem Schutz. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, denn dieses stelle nur eine Staatszielbestimmung dar. Ebenfalls nicht verletzt seien die Grundsätze der Finanzverfassung und die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Die Gesetzgebungskompetenz für das SGB VI und die Beitragserhebung beruhe auf dieser Vorschrift. Ihrer Anwendung stehe nicht die Rechtsnatur der Beiträge entgegen, weil diese nach wie vor keine Sonderabgabe i.S.d. Finanzverfassung, sondern Sozialversicherungsbeiträge darstellten. Schließlich verstoße die Beitragspflicht nicht gegen das Recht der europäischen Gemeinschaft, weil die Rentenversicherungsträger keine Unternehmen seien.
Der Kläger hat gegen das ihm am 13.03.1999 zugestellte Urteil, dessen Rechtsmittelbelehrung ausführt, es könne nur dann mit der Berufung angefochten werden, wenn diese nachträglich zugelassen werde, am 18.03.1999 Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels und am 10.06.1999 ausdrücklich Berufung eingelegt.
Er trägt im wesentlichen vor:
Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt, weil seine Generation steigende Abgabelasten zu tragen habe, selbst aber nicht mehr mit einer auskömmlichen Alterssicherung rechnen dürfe. Damit indiziere der intertemporale Vergleich einen Gleichheitsverstoß, denn mit Belastungsgleichheit sei auch eine Gleichheit in der Zeit gemeint.
Ein weiterer Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege darin, dass er im Vergleich zu Kinderlosen benachteiligt werde, denn er leiste mit der Erziehung der Kinder zusätzlich zu seinen monetären Beiträgen noch bestandssichernde Leistungen für das Rentensystem, ohne dass diesen auch nur annähernd wertentsprechende Gegenleistungen gegenüberstünden. Durch Art. 6 GG sei dem Gesetzgeber der Verfassungsauftrag erteilt worden, die Transferausbeutung der Familien in den Sozialsystemen mit jedem Gesetzgebungsschritt ein Stück weiter abzubauen. Zur Erfüllung dieses Verfassungsauftrags habe der Gesetzgeber jedoch noch nichts unternommen, sondern die Situation der Eltern im Rentenrecht per Saldo noch verschlechtert.
Art. 14 GG sei verletzt, weil seine, des Klägers, Steuer- und Beitragslast inzwischen erdrosselnde Wirkung erreicht habe. Sein selbst erarbeitetes frei verfügbares Einkommen werde zu mehr als der Hälfte konfisziert.
Durch die Zwangseingliederung in die gesetzliche Rentenversicherung werde Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Eine solche Zwangsmitgliedschaft sei nach der Rechtsprechung des BVerfG nur dann möglich, wenn der Einzelne hierdurch nicht unnötig in Anspruch genommen werde. Dies sei im Hinblick auf die katastrophalen Systemperspektiven der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr der Fall.
Das SG habe auch nicht überzeugend dargelegt, warum die Kompetenznorm des Grundgesetzes und die Regeln der Finanzverfassung nicht verletzt seien. Dies sei im Hinblick auf die Prüfung der Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit erheblich, denn nur ein mit der verfassungsmäßigen Ordnung materiell und formell in Einklang stehendes Gesetz dürfe die Handlungsfreiheit zulässig beschränken. Die versicherungsfremden Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung führten aber dazu, dass es zu einer Konkurrenzsituation zur Steuer komme und damit typischerweise ein Konflikt mit den Regeln der Finanzverfassung drohe. Der Gesetzgeber mißbrauche die Beitragsfinanzierung gezielt, um Abgabenwiderstände zu unterlaufen.
Auch das Sozialstaatsprinzip sei verletzt. Durch die Rentenformel werde die Lohnspreizung zwischen gering Verdienenden und besser Verdienenden weiter verschärft.
Schließlich verkenne das SG im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Beitragserhebung mit europäischem Recht den europarechtlichen Unternehmensbegriff. Die deutsche Rentenversicherung sei eben gerade nicht solidarisch und verdiene daher keine europarechtliche Privilegierung.
Nach der Entscheidung des BVerfG vom 03.04.2001, 1 BVR 1629/94 in BVerfGE 103, 242 ff. hat der Kläger ergänzend vorgetragen: Dieses Urteil sei übertragbar auf die gesetzliche Rentenversicherung. Es sei festzustellen, dass er als vierfacher Vater für die aus demographischen Gründen notwendige Rentenabsenkung in gleicher Weise mithaften müsse wie kinderlose Beitragszahler. Das BVerfG habe insbesondere die Bedeutung eines zeitnahen Ausgleichs zwischen Eltern und Kinderlosen herausgestellt. Es komme hinzu, dass drei seiner vier Kinder vor dem 01.01.1993 geboren seien und für diese nur jeweils ein Jahr Kindererziehungszeiten zu berücksichtigen seien.
Schließlich sei er aufgrund seiner Scheidung durch den Versorgungsausgleich von den geringeren Kindererziehungszeiten im Versicherungsverlauf seiner ehemaligen Ehefrau betroffen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14. Januar 1999 zu ändern,
den Bescheid der Beklagten vom 01.10.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.01.1997 aufzuheben und festzustellen, dass er Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht, hilfsweise in geringerer Höhe zu tragen hat,
die Beklagte, hilfsweise die Beigeladenen zu 1, 3 und 4 zur Erstattung der Arbeitnehmeranteile der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ab August 1996 zu verurteilen,
hilfsweise das Verfahren gemäß Artikel 100 Grundgesetz auszusetzen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Beitragspflicht vorzulegen,
hilfsweise eine Vorabentscheidung des EuGH zu der Frage einzuholen, ob die gesetzliche Beitragspflicht mit Artikel 59 ff., Artikel 85 ff. insbesondere Artikel 90 des EWG-Vertrages vereinbar ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, der Gesetzgeber sei nicht dazu verpflichtet, die Leistung der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung in einer bestimmten Weise zu honorieren. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des BVerfG vom 03.04.2001 (aaO). Insoweit sei auf die strukturellen Unterschiede zwischen Pflegeversicherung und Rentenversicherung hinzuweisen. Anders als in der Pflegeversicherung, bei der eine Honorierung von Erziehungsleistungen maßgeblich nur auf der Finanzierungsseite erfolgen könne, sei dies bei der Rentenversicherung auch auf der Leistungsseite möglich und im übrigen auch angezeigt. Ein solcher effektive Familienlastenausgleich finde in der gesetzlichen Rentenversicherung bereits statt. So könnten für die Erziehung eines Kindes insgesamt bis zu sechs Entgeltpunkte gut geschrieben werden.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen; diese haben vorgelegen und waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Da die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils fehlerhaft ist, ist nach § 66 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eine Berufungsfrist von einem Jahr eröffnet. Damit ist die Berufungsfrist gewahrt.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Kläger ist sowohl der Beklagten als auch den Beigeladenen zu 1), 3) und 4) als Einzugsstellen (§§ 28d, h des vierten Buches des Sozialgesetzbuches – SGB IV -) gegenüber beitragspflichtig zur gesetzlichen Rentenversicherung. Seine Versicherungspflicht folgt aus § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, denn er ist gegen Arbeitsentgelt beschäftigt. Versicherungsfreiheit (§ 5 SGB VI) oder eine Befreiung von der Versicherungspflicht (§ 6 SGB VI) liegen nicht vor. Die Höhe der zu zahlenden Beiträge ergibt sich aus den §§ 153 ff. SGB VI.
Die Befürchtung des Klägers, er werde keine angemessene Altersvorsorge erhalten, ist zwar angesichts der demographischen Entwicklung nicht unbegründet. Hieraus bereits folgt jedoch nicht, dass die Beitragserhebung zur gesetzlichen Rentenversicherung verfassungswidrig ist oder dass gar die solidarische Rentenversicherung als solche gegen die Verfassung verstößt. Vielmehr ist es zur Überzeugung des Senats eine permanente Aufgabe des Gesetzgebers, das System der solidarischen Versicherung zu erhalten. Nichts anderes folgt auch aus dem Urteil des BVerfG vom 03.04.2001 (aaO).
Die der Beitragserhebung zugrunde liegenden Vorschriften sind jedenfalls derzeit weder formell noch materiell verfassungswidrig.
1. Insbesondere liegt keine Verletzung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG vor. Insoweit nimmt der Senat im wesentlichen auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.10.2001 (B 12 KR 19/00 R) Bezug und schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung an.
Im einzelnen ist hervorzuheben:
a) Art. 2 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Der Schutzbereich dieser Vorschrift ist berührt, wenn der Gesetzgeber durch die Anordnung einer Zwangsmitgliedschaft in die allgemeine Handlungsfreiheit eingreift. Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit ist jedoch nur in den Schranken des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG gewährleistet und nicht verletzt, wenn die es beschränkenden Eingriffsnormen verfassungsgemäß sind. Dies ist der Fall. Der Gesetzgeber hatte sowohl zur Einführung als auch bei der Aufrechterhaltung der Versicherungspflicht die formelle und materielle Gesetzgebungskompetenz. Diese beruht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG n.F. – (früher Art. 74 Nr. 12 GG; der bisherige Text wurde ersetzt, Gesetz vom 27.10.1994, BGBl. I S. 3146).
Die Beitragserhebung verstößt auch nicht gegen die Grundsätze der Finanzverfassung (Art 104 a ff. GG). Sozialversicherungsbeiträge sind keine Sonderabgaben i.S.d. Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen – LSG NRW – vom 22.10.2001, L 3 RA 38/99 mwN).
Schließlich ist auch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Dieses enthält den Auftrag an den Gesetzgeber, soziale Sicherungssysteme gegen die Wechselfälle des Lebens zu schaffen. Zwangsmitgliedschaft und Zwangsbeiträge sind insofern erforderlich, weil der Schutz in gleicher Weise nicht durch ein anderes, milderes Mittel gewährleistet werden kann. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass im Hinblick auf die erzielbare "Rendite" nicht allein auf die Altersrente abgestellt werden kann. Vielmehr deckt die gesetzliche Rentenversicherung auch die Risiken der verminderten Erwerbsfähigkeit (§ 43 SGB VI) sowie des Todes (durch Hinterbliebenenrenten, §§ 46 ff. SGB VI) ab. Gleiches gilt für die Gewährung von Heilverfahren (§ 15 SGB VI) u.ä. Leistungen.
b) Die Beitragspflicht des Klägers verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Schutzbereich dieser Vorschrift ist verletzt, wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird, ohne dass es hierfür sachliche Gründe gibt.
Insofern können auch nach Auffassung des Senats nicht die jetzigen Beitragszahler mit den jetzigen Rentenempfängern verglichen werden. Zwar ist nicht sicher gestellt, dass die zukünftige Rentnergeneration die gleiche "Rendite" erzielt, wie die jetzige. Eine uneingeschränkte "Gleichbehandlung in der Zeit" kann aus Art. 3 Abs. 1 GG jedoch nicht hergeleitet werden (vgl. Urteil des BSG vom 11.10.2001, B 12 KR 19/00 R).
c) Auch das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG wird durch die Beitragserhebung nicht verletzt. Wie bereits das SG ausgeführt hat, ist das Vermögen als solches kein Eigentum i.S.d. Grundrechts (vgl. u.a. BVerfGE 95, 267, 300). Art. 14 Abs. 1 GG schützt auch nicht vor der staatlichen Auferlegung von Geldleistungspflichten. Eine Verletzung des Eigentumsrechts liegt erst dann vor, wenn der Betroffene übermäßig belastet ist und seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beeinträchtigt sind, dass die Geldleistungspflichten eine erdrosselnde Wirkung haben. Davon kann bei dem Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht ausgegangen werden kann.
2. Schließlich verstößt die Heranziehung des Klägers zu Rentenversicherungsbeiträgen auch nicht gegen Art. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG. Art. 6 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, Eingriffe in die Familie zu unterlassen und enthält desweiteren eine wertentscheidende Grundsatznorm, die die Pflicht des Staates begründet, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern (vgl. Urteil des BVerfG vom 03.04.2001, aaO., mwN.). In Verbindung mit Art. 3 Satz 1 GG ergibt sich hieraus die Verpflichtung, Personen mit und ohne Kinder gleich zu behandeln.
Hiervon ausgehend verletzt die Auferlegung einer Beitragspflicht auch für diejenigen, die Kinder betreuen und erziehen, nicht Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG, wie das BVerfG bereits in der Entscheidung zur Pflegeversicherung ausgeführt hat (Urteil vom 03.04.2001 aaO).
Allerdings hat das BVerfG für die gesetzliche Pflegeversicherung entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG dadurch verletzt ist, dass die Betreuung und Erziehung von Kindern bei der Bemessung der Beiträge keine Berücksichtigung findet. Kindererziehende Beitragszahler müssen nach dieser Entscheidung aktuell, d.h. während der Erziehung und den damit verbundenen Belastungen entlastet werden. Die Bedeutung der Entscheidung sei, so das BVerfG, auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen. Es stellt sich also die Frage, ob die vom Kläger zu entrichtenden Beiträge wegen der Aufwendungen, die er für seine vier Kinder zu erbringen hat, aus Verfassungsgründen aktuell zu hoch sind. Die vom BVerfG für die sog. solidarische Pflegeversicherung aufgezeigten Gesichtspunkte sind nach Auffassung des Senats jedoch nicht ohne weiteres auf den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung zu übertragen. Zwar ist auch die Rentenversicherung, wie die Pflegeversicherung umlagefinanziert (§ 153 Abs. 1 SGB VI). Damit ist auch die Rentenversicherung darauf angewiesen, dass heute Kinder geboren und großgezogen werden, um später als Beitragszahler die Leistungen zu finanzieren. Damit leisten auch hier Versicherte, die Kinder erziehen, einen systemerhaltenden Beitrag, der über die finanzielle Beitragsleistung hinaus geht.
Die Pflegeversicherung ist jedoch, wie die Krankenversicherug eine Risikoversicherung, während die gesetzliche Rentenversicherung sich durch das Prinzip der Teilhabeäquivalenz auszeichnet. Die Rentenanwartschaften unterliegen dem Eigentumsschutz, die zur Risikoversicherung geleisteten Beiträge aber nicht.
Es besteht die Gefahr, dass das Äquivalent im Umlageverfahren nicht hergestellt werden kann: Um die wirtschaftliche Situation der Rentenversicherung nicht zu gefährden, müssten Kinderlose höhere Beiträge zahlen. Zugleich würde die Beitragsrendite der Kinderlosen gesenkt und die der Erziehenden erhöht. Die von einem Kinderlosen zu erwartende Rentenleistung stünde dann nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu den von ihm aufgewendeten Beiträgen.
Bei der Pflegeversicherung ist es nicht möglich, die Kindererziehung leistungsrechtlich zu honorieren. Ein Ausgleich könnte also nur auf der Beitragsseite erfolgen. Dies ist bei der gesetzlichen Rentenversicherung anders. Ihr Leistungsrecht genügt entgegen der Ansicht des Klägers den Anforderungen, die das BVerfG in seiner Rechtsprechung, insbesondere im Urteil vom 07.07.1992 (1 BVL 51/96) aufgestellt hat. Insofern ist der Gesetzgeber verpflichtet worden, den Mangel, der in dem durch Kindererziehung bedingten Nachteil bei der Altersversorgung liegt, über die Regelung des Hinterbliebenen- und Erziehungszeitengesetzes (HEZG) und des Gesetzes über Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung für Kindererziehung an Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 (RVKLG) hinaus zu berücksichtigen. Diesem Auftrag ist der Gesetzgeber durch die zeitliche Ausdehnung der Kindererziehungszeiten für Kinder mit einem Geburtsdatum ab dem 01.01.1992 nachgekommen (so Entscheidung des BVerfG vom 29.03.1996, 1 BVR 1238/95).
Eine verfassungswidrige Benachteiligung des Klägers ergibt sich auch nicht daraus, dass drei seiner vier Kinder vor dem Stichtag 01.01.1992 geboren wurden. Entgegen der Ansicht des Klägers ist diese Stichtagsregelung nicht verfassungswidrig. Eine entsprechende Regelung hat das BVerfG bereits in der sog. Trümmerfrauenentscheidung (Urteil vom 07.07.1992, 1 BvL 50/87, BVerfGE 87, 1) für verfassungsgemäß gehalten. Danach ist es dem Gesetzgeber grund sätzlich nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage zu bestimmen, obwohl diese Regelung unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt. Die Wahl des Zeitpunkts muss sich zwar am gegebenen Sachverhalt orientieren. Insofern kann aber auch der Umstand mangelnder Finanzierbarkeit bei der Wahl des Stichtags berücksichtigt werden.
Nach Auffassung des Senats kann im System der gesetzlichen Rentenversicherung die Ungleichbehandlung der Familien auch steuerrechtlich gelöst werden. So ist beispielsweise das Problem der sogenannten Fremdlasten durch den Gesetzgeber ebenfalls entsprechend gelöst worden.
Nach allem konnte sich der Senat nicht von der Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung zur gesetzlichen Rentenversicherung überzeugen, so dass eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht in Betracht kam.
Das Verfahren war auch nicht auszusetzen, um nach Art. 234 EGVtr eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EUGH) zur Auslegung von Normen des Gemeinschaftsrechts einzuholen. Die Anordnung der Versicherungspflicht verstößt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 11.10.2001, B 12 KR 19/00 R, mwN) nicht gegen die für öffentliche Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln des EGVtr (Art. 90, 85 ff).
Der Senat teilt auch nicht die Ansicht des Klägers, dass die gesetzliche Rentenversicherung nicht mehr solidarisch sei. Damit verdient sie auch weiterhin die "europarechtliche Priveligierung".
Da die Beitragspflicht des Klägers zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht zu beanstanden ist, hat er keinen Anspruch auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile der Beiträge zur Rentenversicherung ab August 1996.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Rechtssache insbesondere unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG vom 03.04.2001 (aaO) grundsätzliche Bedeutung hat.
Erstellt am: 15.08.2003
Zuletzt verändert am: 15.08.2003