Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23.10.2006 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
In der Schwerbehindertenstreitsache S 8 SB 351/05 stritten die Beteiligten darüber, ob die gesundheitlichen Verhältnisse der Erinnerungsführerin (Ef) eine Herabsetzung des Grades der Behinderung rechtfertigen. Der Erinnerungsgegner (Eg) hatte mit Bescheid vom 24.08.2004 für die Zukunft eine Feststellung nach dem SGB IX mit der Begründung abgelehnt, dass die bei der Ef bestehenden Gesundheitsstörungen keinen GdB von wenigstens 20 mehr bedingen. Die Ef hatte die Aufhebung dieser Entscheidung und sinngemäß die Fortgeltung der früheren Feststellung eines GdB von 60 begehrt. Mit Schreiben vom 24.05.2006 erklärte sich die Ef schließlich mit dem Vergleichsangebot des Eg vom 10.03.2006 (GdB 30 ab 31.08.2004) einverstanden und erklärte den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt. Zur Festsetzung der von dem Eg vereinbarungsgemäß zu 4/10 übernommenen außergerichtlichen Kosten erstellte der Bevollmächtigte der Ef seine Kostenrechnung vom 07.06.2006. Hierbei machte er auch eine Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG geltend. Der Eg wandte ein, dass eine solche Gebühr nach dem eindeutigen Wortlaut der Nr. 3106 VV RVG nicht angefallen sei. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23.10.2006 schloss sich die Urkundsbeamtin insoweit der Rechtsauffassung des Eg an. Hiergegen richtet sich die Erinnerung der Ef. Sie trägt vor, dass es sich um ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers handele, wenn er in Nr. 3106 VV RVG den Vergleich nicht aufgeführt hat. Dies sei inzwischen von Rechtsprechung und Literatur anerkannt.
II.
Das Gericht ist zur Entscheidung befugt (§ 197 Abs. 2 SGG). Die rechtzeitig eingelegte Erinnerung ist zulässig, aber nicht begründet. Der Eg hat der Ef anlässlich des im Hauptsacheverfahren geschlossenen Vergleichs keine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG zu erstatten.
Nach dem Gebührentatbestand Nr. 3106 VV RVG entsteht in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen die Terminsgebühr auch dann, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (Ziff. 1), nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird (Ziff. 2) oder das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet (Ziff. 3).
Eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG ist nicht entstanden. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung hat unstreitig nicht stattgefunden. Ebenso wenig liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Nr. 3106 Ziff. 1 bis 3 VV RVG vor. Damit ist eine Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG nicht entstanden.
Der vereinzelt – und nicht wie von der Ef behauptet generell – vorgetragenen Rechtsauffassung, wonach auch im Falle eines außergerichtlichen Vergleichsschlusses vor dem Sozialgericht eine Terminsgebühr entstehe ist nicht zu folgen. Die gegenteilige Entscheidung des Sozialgerichts Detmold vom 21.03.2006 (S 4 AS 6/05) wurde mit Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16.08.2006 (L 20 B 137/06 AS) ebenso aufgehoben wie die gleichlautende Entscheidung des Sozialgerichts Detmold vom 23.09.2005 (S 11 SB 13/05) durch den Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.05.2006 (L 10 B 13/05 SB). Weder ergibt sich die von der Ef begehrte Rechtsanwendung aus der Systematik des Vergütungsverzeichnisses zum RVG, noch liegt eine Gesetzeslücke vor.
Normativ differenziert das RVG klar zwischen Verfahren, in den die anwaltlichen Gebühren nach dem (Gegenstands-)Wert berechnet werden (§§ 2, 13 RVG) und solchen, in den Beitragsrahmengebühren entstehen (§§ 3, 14 RVG). Diese strukturelle Trennung spiegelt sich wider im Vergütungsverzeichnis. Der Besonderheit der gemäß § 183 SGG kostenprivilegierten sozialgerichtlichen Streitverfahren Rechnung tragend nennt es für alle gebührenrechtlich relevanten anwaltlichen Tätigkeiten eigene Tatbestände (z.B. Nr. 1005 ff., Nr. 2400 ff., Nr. 3102 ff.). Den Anfall der Terminsgebühr regelt Nr. 3106 VV RVG.
Die in Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 3. Alternative VV RVG für Wertgebühren-Verfahren getroffene Regelung, wonach die Terminsgebühr auch entsteht, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird kann nicht in die Nr. 3106 VV RVG hinein interpretiert werden. Bereits durch den Wortlaut der Nr. 3104 VV RVG stellt der Gesetzgeber klar, dass es sich bei Nr. 3106 VV RVG um eine Spezialregelung handelt. Dies wird deutlich aus der Formulierung "soweit in Nr. 3106 nichts anderes bestimmt ist". Der Gesetzgeber hat hier also in Nr. 3106 VV RVG für das Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen – wie vorliegend – Betragsrahmengebühren gemäß § 3 RVG entstehen eine dort ausschließlich zur Anwendung kommende und gleichzeitig die Berufung auf die Nr. 3104 VV RVG ausschließende Regelung geschaffen, die der Allgemeinregelung (Nr. 3104 VV RVG) als lex spezialis nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen mit Ausschlusswirkung vorgeht.
Das Fehlen einer der Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 3. Alternative VV RVG entsprechende Regelung in Nr. 3106 VV RVG stellt auch keine Gesetzeslücke dar, die im Wege der Rechtsprechung geschlossen werden könnte/müsste. Voraussetzung für eine solche Annahme wäre eine "planwidrige" Unvollständigkeit des Gesetzes (BSG B 10 LW 2/97 R vom 12.02.1998). Eine solche Regelungslücke kann und darf von der Rechtsprechung immer nur vor dem Hintergrund des Regelungszusammenhangs des Gesetzes und in Respektierung der Regelungsabsicht des Gesetzgebers (seines "Plans") festgestellt und geschlossen werden (BSG, Urteil vom 30.06.1999, B 10 LW 17/98 R). Nach der ständigen BSG-Rechtsprechung sind die Gerichte zur Ausfüllung von Regelungslücken nur berufen, wenn
a) das Gesetz schweigt, weil es der Gesetzgeber der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht in Detailfragen zu finden,
b) das Schweigen des Gesetzes auf einem Versehen oder dem Übersehen eines Tatbestandes beruht oder
c) sich nach Erlass des Gesetzes Veränderungen der Lebensverhältnisse ergeben, die der Gesetzgeber noch nicht berücksichtigen konnte (BSG a.a.O.).
Es ist dem LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 10.05.2006 (L 10 B 13/05 SB) zuzustimmen, wenn es in der vorliegend zu entscheidenden Streitfrage weder ein absichtliches noch ein versehentliches Schweigen des Gesetzgebers erkennt und feststellt, dass nach Inkrafttreten des RVG eine Gesetzeslücke nicht durch Änderung tatsächlicher Umstände eingetreten ist. Wortlaut (und Systematik – s. hierzu bereits oben ) von Nr. 3104 und Nr. 3106 VV RVG machen deutlich, dass der Gesetzgeber hier nicht unbewusst oder versehentlich eine Lücke hat entstehen lassen, sondern vielmehr bewusst und nach dem sachlichen Differenzierungsgrund, ob in dem kostenrechtlich zur Beurteilung anstehenden Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen oder nicht eine differenzierte Lösung getroffen hat. Für die Annahme einer Gesetzeslücke liegen keinerlei Anhaltspunkte vor.
Hätte der Gesetzgeber tatsächlich bei Verfahren im Sinne von § 3 RVG eine der Regelung der Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 bis 3 VV RVG entsprechende Regelung treffen wollen, hätte keine Veranlassung bestanden den Anfall der sog. fiktiven Terminsgebühr in Nr. 3106 VV RVG gesondert und detailliert zu regeln; eine einfache Bezugnahme auf Nr. 3104 Abs. 1 VV RVG hätte genügt. Aus der Existenz eines eigenständigen Regelungstextes in Nr. 3106 VV RVG kann somit nur gefolgert werden, dass der Gesetzgeber insoweit bewusst eine von der allgemeinen Regelung für Verfahren im Sinne von § 3 RVG abweichende und damit die Situation des Vergleichs eben nicht erfassende Regelung treffen wollte.
Aus der amtlichen Vorbemerkung 3 VV RVG ergibt sich nichts Gegenteiliges.
Diese Entscheidung ergeht kostenfrei. Sie ist endgültig (§ 197 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 22.01.2007
Zuletzt verändert am: 22.01.2007