I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin strebt einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 40 an.
Bei dem 1971 geborenen Kläger war mit Bescheid des Beklagten vom 12. Juli 2011 die Feststellung eines GdB abgelehnt worden, weil kein GdB von wenigstens 20 erreicht wurde. Es wurden ein Teilverlust des Dickdarms und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen mit einem Einzel-GdB von jeweils 10 berücksichtigt.
Am 13. März 2012 beantragte der Kläger erneut beim zuständigen Versorgungsamt des Beklagten die Neufeststellung seines GdB. Er gab Abdominal- und Wirbelsäulenbeschwerden an. Außerdem übersandte der Kläger einen Bescheid eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung über die Gewährung einer Rente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 35 v.H. ab 16. August 2011. Als Unfallfolgen waren insbesondere Unterbauchbeschwerden und eine Teilentfernung des Kurzdarms und des Grimmdarms nach einem Bauchtrauma sowie eine Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule anerkannt worden.
Der Beklagte holte weitere Befundunterlagen über den Kläger ein. Mit Bescheid vom 14. Mai 2012 wurde eine Neufeststellung des GdB abgelehnt, da bereits eine MdE-Feststellung vorliege und ein Interesse an einer anderweitigen Feststellung nicht ersichtlich sei.
Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2012 zurückgewiesen.
Dagegen hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 6. September 2012 Klage zum Sozialgericht Augsburg erheben lassen. Der Rentenbescheid sei nicht bestandskräftig, sondern angefochten worden (Verfahren S 8 U 148/12 bei dieser Kammer). Außerdem sei beim Kläger ein Narbenbruch an der rechten Seite des Unterbauchs diagnostiziert worden. Der Kläger müsse damit rechnen, dass er später Probleme mit dem Stuhlgang bekomme. Das sei nicht berücksichtigt worden.
Das Gericht hat den Chirurgen Dr. F. mit der Erstattung des Gutachtens vom 23. Mai 2013 beauftragt. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass beim Kläger kein Narbenbruch bestehe. Auch Probleme mit dem Stuhlgang seien nicht zu erwarten. Entsprechende intraabdominelle Verwachsungen hätten sich nicht entwickelt. Der Kläger leide unter einer postoperativen Bauch- und Rumpfmuskelinsuffizienz und kurzstreckigen operativen Teilverlusten von Dünn- und Dickdarm. Dafür sei bei fehlender Überlagerung ein GdB von 25 anzusetzen.
Klägerseits ist dann die gutachterliche Anhörung des Chirurgen Dr. C. beantragt worden. Nachdem dieser mitgeteilt hat, dass er aus Kapazitätsgründen ein Gutachten nicht erstellen könne, ist eine Begutachtung durch den Chirurgen Dr. D. beantragt worden. Dr. D. hat die Beauftragung abgelehnt, weil er generell keine Gutachten erstelle und außerdem zeitlich überlastet sei. Daraufhin hat der Kläger die gutachterliche Anhörung des Chirurgen Prof. Dr. E. beantragt, der wiederum ebenfalls mit Verweis auf zeitliche Gründe eine Übernahme der Begutachtung abgelehnt hat. Schließlich ist dem Kläger mit gerichtlichem Schreiben vom 18. November 2013 nochmals eine dreiwöchige Frist zur Benennung eines anderen Arztes gesetzt worden. Am 27. Dezember 2013 ist der Chirurg Dr. F. benannt worden.
Ab 1. August 2013 ist dem Kläger vom Unfallversicherungsträger Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 25 v.H. bewilligt worden.
In der mündlichen Verhandlung ist für den Kläger beantragt worden:
1. Herr Dr. Thomas F., A-Stadt, soll nach § 109 SGG gehört werden entsprechend der an den Gutachter Dr. F. gestellten Beweisfragen und
2. für den Fall, dass diesem Antrag zu Ziffer 1 nicht nachgekommen wird, wird beantragt, den Beklagten zu verpflichten, beim Kläger ab dem 13. März 2012 einen Grad der Behinderung von mindestens 40 festzustellen.
Für den Beklagten wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Dem klägerischen Antrag auf gutachterliche Anhörung des Dr. F. wird gemäß § 109 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht nachgekommen. Daher wird auch in der Sache entschieden.
§ 109 Abs. 2 SGG ermöglicht dem Gericht, einen klägerischen Antrag auf gutachterliche Anhörung eines bestimmten Arztes ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Zwar ist klägerseits der ursprüngliche Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG auf gutachterliche Anhörung des Dr. C. fristgerecht gestellt worden, ebenso wie bezüglich der danach benannten Dr. D. und Prof. Dr. E … Allerdings hatten die genannten drei Ärzte allesamt aus Kapazitätsgründen bzw. weil sie generell keine Gutachten erstellen, eine Beauftragung abgelehnt. Die zuletzt erfolgte Benennung des Dr. F. nach § 109 Abs. 1 SGG war verspätet. Mit gerichtlichem Schreiben vom 18. November 2013 war dafür eine Frist von drei Wochen gesetzt worden, also längstens bis 12. Dezember 2013. Die gutachterliche Anhörung des Dr. F. ist allerdings erst am 27. Dezember 2013 beantragt worden, und damit gut 14 Tage nach Fristablauf. Als Grund hierfür ist angegeben worden, dass die Abklärung, ob Dr. F. das Gutachten auch erstellen würde, mehr Zeit in Anspruch genommen hat. Das genügt jedoch nicht. Vielmehr hätte – was aber nicht geschehen ist – innerhalb offener Frist Fristverlängerung beantragt werden können. Auch dass die zunächst benannten drei Ärzte aus – wie vorgetragen wird – für den Kläger nicht erkennbaren Gründen eine Beauftragung abgelehnt haben, ist unerheblich. Denn dies ist darauf zurückzuführen, dass klägerseits nicht vor der Benennung der Ärzte ausreichend geklärt wurde, dass diese zu einer zeitnahen Gutachtenserstattung bereit und in der Lage sind. Damit liegt aber gerade eine grobe Nachlässigkeit im Sinn des § 109 Abs. 2 SGG vor. Würde dem Antrag dennoch nachgekommen, hätte dies eine Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits zur Folge, da dann nicht bereits jetzt entschieden werden könnte.
Eines gerichtlichen Hinweises auf die etwaigen Konsequenzen einer Versäumung der Frist oder darauf, dass es sich um eine Ausschlussfrist handle – was nicht der Fall ist, bedurfte es nicht. Bei anwaltlicher Vertretung des Klägers, zumal durch einen Fachanwalt für Sozialrecht, der auch vor dieser Kammer regelmäßig auftritt, obliegt dem Gericht keine derartige Fürsorgepflicht gegenüber dem Beteiligten, dass sie sich zu einer Hinweispflicht verdichtet hätte. Hinzu kommt, dass angesichts des bisherigen Verlaufs bei der Benennung eines Gutachters nach § 109 Abs. 1 SGG sich vielmehr die Sorgfaltspflichten auf Seiten des Klägers erhöhten. Dazu gehört auch, gerichtlich gesetzte Fristen einzuhalten oder gegebenenfalls rechtzeitig Fristverlängerung zu beantragen und bei Unklarheiten sich rechtzeitig nach der Bedeutung der Frist bzw. möglichen Folgen einer Fristversäumnis bei Gericht zu erkundigen. Davon ist nichts erfolgt.
In der Gesamtschau überwiegen daher für das Gericht die Gründe dafür, von der Ablehnungsmöglichkeit des § 109 Abs. 2 SGG Gebrauch zu machen. Das Verfahren ist als eines von ganz wenigen aus diesem Zeitraum in dieser Kammer noch anhängig und daher wegen der bisherigen Verfahrensdauer auf seine zügige Erledigung – nicht zuletzt im Interesse des Klägers – vom Gericht besonderes Augenmerk zu legen. Ferner reicht die Benennung der Ärzte im Rahmen der Antragstellung nach § 109 SGG nunmehr schon bis Mitte 2013 zurück und Dr. F. ist als inzwischen vierter Arzt benannt worden. Der Kläger hatte also genügend Gelegenheit, sein Antragsrecht nach § 109 Abs. 1 SGG praktisch zu verwirklichen.
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 14. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. August 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weiterhin keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB, weil weder der GdB höher als die derzeit festgestellte MdE ist noch andere Behinderungen als die anerkannten Unfallfolgen vorliegen und auch sonst kein Interesse an einer Feststellung des Beklagten ersichtlich ist.
Nach § 69 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert im Sinn des Teils 2 des SGB IX ist nach § 2 Abs. 2 SGB IX derjenige, bei dem ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und der seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinn des § 73 SGB IX rechtmäßig in Deutschland hat.
Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind gemäß § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX abgestuft als GdB in 10er Graden von 20 bis 100 entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG und der seit 1. Januar 2009 geltenden Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) festzustellen. Die VersMedV enthält als Anlage die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG), anhand derer die medizinische Bewertung von Behinderungen und die Bemessung des GdB erfolgt.
Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, ist für jede einzelne Behinderung ein GdB anzugeben. Zur Bildung des Gesamt-GdB sind die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Dabei verbietet sich die Anwendung jeglicher Rechenmethode. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. In der Regel ist von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Dabei führen grundsätzlich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (VMG Teil A. Nr. 3 Buchstabe d; vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. Januar 2008, L 13 SB 79/04).
Ist bereits in der Vergangenheit bindend über den GdB entschieden worden, ist nach § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) der entsprechende Verwaltungsakt aufzuheben bzw. abzuändern, wenn eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eingetreten ist. Eine solche Änderung im Ausmaß der Behinderung ist gegeben, wenn der Vergleich des gegenwärtigen mit einem verbindlich festgestellten Gesundheitszustand des behinderten Menschen eine GdB-Differenz von mindestens 10 ergibt.
§ 69 Abs. 2 SGB IX sieht außerdem vor, dass GdB-Feststellungen nicht zu treffen sind, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung glaubhaft macht. Eine Feststellung nach Satz 1 gilt zugleich als Feststellung des GdB.
Nach diesen Grundsätzen ist der GdB des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 13. März 2012 weder höher zu bewerten als die vom Unfallversicherungsträger festgestellte MdE noch sind andere Behinderungen als die anerkannten Unfallfolgen feststellbar.
Für die Bauchwandschwäche ist nicht mehr als ein GdB von 20 anzunehmen (VMG Teil B. 11.2). Die Begutachtung durch Dr. F. hat ergeben, dass kein Narbenbruch, insbesondere nicht im Bereich des Unterbauchs, vorliegt. Es ist weder feststellbar noch zu erwarten, dass die bestehende Bauchwandschwäche zu nennenswerten Beeinträchtigungen etwa beim Stuhlgang oder in Bezug auf den Kräfte- und Ernährungszustand führt. Damit ist keine höhere Bewertung zu rechtfertigen als vom Unfallversicherungsträger seinem Rentenbescheid zugrunde gelegt. Das hat auch die Parallelbegutachtung durch
Dr. F. im Rahmen des Verfahrens S 8 U 148/12 ergeben.
Der Teilverlust des Darms ist mit einem GdB von 10 anzusetzen (VMG Teil B. 10.2.2). Es sind keine wesentlichen Auswirkungen auf den Kräfte- und Ernährungszustand feststellbar. Auch sind keine über die anerkannten Unfallfolgen hinausgehenden Beeinträchtigungen feststellbar gewesen. Dazu kann ebenfalls auf die Begutachtung durch Dr. F. verwiesen werden.
Weitere Behinderungen, die einen GdB von mindestens 10 rechtfertigen, liegen nicht vor. Insbesondere hat die gerichtliche Begutachtung GdB-relevante Wirbelsäulenschäden nicht bestätigen können.
Insgesamt ist somit kein höherer GdB des Klägers als 20 anzunehmen. Eine Erhöhung des GdB von 20 wegen der Bauchwandschwäche kommt aufgrund der weiteren Behinderung nicht – auch nicht ausnahmsweise – infrage. Dass ein GdB von 20 nicht überschritten wird, ergibt auch eine vergleichende Betrachtung: Der Kläger ist noch nicht im selben Ausmaß in seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt wie etwa beim Verlust aller Zehen an beiden Füßen (GdB 30) oder beim Linsenverlust eines Auges mit einer Sehschärfe weniger 0,1 (GdB 25 bis 30).
Wie bereits dargelegt, sind alle feststellbaren Behinderungsleiden des Klägers bereits im Rahmen der Rentenentscheidung des Unfallversicherungsträgers als Unfallfolgen anerkannt. Das ist auch durch die Entscheidung des Gerichts im Verfahren S 8 U 148/12 bestätigt worden.
Demzufolge ergibt sich kein Interesse des Klägers an einer gesonderten GdB-Feststellung durch den Beklagten. Das folgt auch nicht aufgrund anderer Umstände.
Daher ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Erstellt am: 29.01.2014
Zuletzt verändert am: 29.01.2014