I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf rückwirkende Zahlung von Verletztenrente nebst Verzinsung.
Der 1960 geborene Kläger beantragte im Mai 1996 bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden ebenfalls: die Beklagte) die Anerkennung und Entschädigung eines Unfalls im August 1977. Wie sich herausstellte, war der Kläger am 30. September 1977 mit seinem Motorrad auf dem Rückweg von einer Baustelle nach Hause verunglückt und hatte sich dabei eine Gehirnerschütterung und eine Nierenkontusion rechts zugezogen. Zur späten Anmeldung seines Begehrens gab der Kläger an, erst 1996 sei ihm aufgrund einer Tätigkeit als Betriebsrat der Gedanke gekommen, es könne sich um einen Arbeitsunfall handeln.
Die Beklagte lehnte zunächst mit Bescheid vom 20. August 2008 und Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2009 die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, da der Unfall nicht erwiesen sei. Im anschließenden Klageverfahren stellte dieses Gericht mit – nicht angefochtenem – Gerichtsbescheid vom 3. Februar 2010, Verfahren S 8 U 79/09, fest, dass der Kläger am 30. September 1977 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Daraufhin nahm die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juni 2010 ihren Bescheid vom 20. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Februar 2009 zurück, erkannte den Unfall vom 30. September 1977 als Arbeitsunfall an und unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit vom Unfalltag bis zum 3. Oktober 1977. Gleichzeitig veranlasste die Beklagte die Begutachtung des Klägers durch den Chirurgen Dr. H., den Internisten Dr. E. sowie später durch Urologen der Unfallklinik M …
Nach Auswertung der Gutachten, die die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) insgesamt mit 20 v.H. bewerteten bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 9. Januar 2013 "Rente auf unbestimmte Zeit" nach einer MdE von 20 v.H. ab dem 1. Mai 1996 bis auf Weiteres. Leistungsbeginn sei Anfang Mai 1996, da der Arbeitsunfall nicht innerhalb von zwei Jahren gemeldet worden sei und erst im Mai 1996 Leistungen beantragt worden seien.
Im Widerspruch wurde geltend gemacht, der Anspruch sei im Hinblick auf die Verjährungsregelung rückwirkend ab 1992 festzustellen.
Mit Bescheid der Beklagten vom 1. März 2013 erfolgte die Abrechnung der Verzinsung.
Auch dagegen wurde mit gleicher Begründung Widerspruch eingelegt.
Beide Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2013 zurückgewiesen.
Der Kläger hat durch seine Prozessbevollmächtigten am 16. Mai 2013 Klage zum Sozialgericht Augsburg gegen den Bescheid vom 9. Januar 2013 erheben lassen.
Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört worden.
Für den Kläger wird beantragt (sinngemäß):
Die Beklagte wird unter Abänderung ihres Bescheids vom 9. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2013 verurteilt, dem Kläger die Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 30. September 1977 bereits ab 1. Januar 1992 zu bewilligen.
Für die Beklagte wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht macht von der Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid Gebrauch. Die Beteiligten sind dazu angehört worden, der Sachverhalt ist geklärt und die Sache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Gegenstand des Verfahrens ist allein die von der Beklagten mit Bescheid vom 9. Januar 2013 getroffene Entscheidung zur Rentenfeststellung, wobei hier allein streitig der Zeitpunkt des Beginns der Rentenzahlung ist. Die mit Bescheid vom 1. März 2013 erfolgte Verzinsung der Rentennachzahlung ist nicht streitgegenständlich. Das ergibt sich aus der insoweit eindeutigen Klageschrift vom 15. Mai 2013, mit der die Prozessbevollmächtigten des Klägers sich allein gegen den Bescheid vom 9. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2013 gewandt haben. Der weitere Bescheid vom 1. März 2013 ist nicht, auch später nicht genannt worden. Auch wenn die Klageschrift im Betreff auch die Verzinsung aufführt, kann das Gericht das nicht als Einbeziehung des Bescheids vom 1. März 2013 deuten. Denn von den Prozessbevollmächtigten des Klägers konnte aufgrund ihrer Profession erwartet werden, dass sie die angefochtenen Bescheide konkret bezeichnen, zumal der Widerspruchsbescheid vom 24. April 2013 im Tenor zu jedem Bescheid eine eigene Ziffer enthält und beide Widersprüche von den Prozessbevollmächtigten eingelegt worden waren, sie also um die Lage genau wussten. Deswegen kann auch die Bezeichnung des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2013 nicht genügen, um eine umfassende Anfechtung anzunehmen. Schließlich ist auch im gerichtlichen Schreiben vom 19. Juni 2013 einleitend als Klagegegenstand allein die Verletztenrente aufgeführt worden. Im klägerischen Schriftsatz vom 3. Juli 2013 ist diesbezüglich nichts eingewandt worden. In der Gesamtschau hält das Gericht daher eine andere Auslegung für nicht gerechtfertigt.
Eine als Klageerweiterung im Sinn des § 99 Abs. 1 SGG zu deutende Äußerung ist ebenfalls nicht erfolgt, zudem wäre in diesem Fall nicht von der Erfüllung der Sachurteilsvoraussetzungen abzusehen (vgl. BayLSG, Urteil vom 26. Februar 2013, L 19 R 918/12). An der Einhaltung der Klagefrist nach § 87 SGG würde es dann aber fehlen, so dass die Klage – auch bei zulässiger Klageänderung – insofern unzulässig wäre.
Mit dem oben dargelegten Inhalt ist die Klage zulässig, sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn der Kläger hat wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 30. September 1977 keinen Anspruch auf Verletztenrente vor dem 1. Mai 1996.
Der Versicherungsfall ist vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) am 1. Januar 1997 (Art. 36 Satz 1 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes – UVEG -) eingetreten. Auch ist die Verletztenrente bereits vor diesem Datum erstmals festzusetzen gewesen. Zwar hat die Beklagte erst im Jahr 2008 erstmals eine Entscheidung getroffen, doch hat sie bereits im Mai 1996 Kenntnis von dem Unfall erhalten und der Kläger hat Leistungen beantragt. Damit lagen vor 1997 alle Voraussetzungen für einen Anspruch vor. Nach den §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII bestimmen sich somit (allein) die Voraussetzungen für eine Änderung der Rente nach dem SGB VII, während die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit sich weiter nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), hier v.a. den §§ 580 ff. RVO, richtet (vgl. BSG, Urteil vom 21. September 2010, B 2 U 3/10 R; Urteil vom 19. August 2003, B 2 U 9/03 R). Gleiches gilt in Bezug auf die anderen Vorgaben der RVO hinsichtlich der Rentenfestsetzung, namentlich den hier im Raum stehenden § 1546 Abs. 1 RVO (vgl. BSG, a.a.O.).
§ 1546 Abs. 1 RVO in der hier anzuwendenden Fassung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. April 1963 (BGBl. I S. 241) besagt, dass in Fällen, in denen die Unfallentschädigung nicht von Amts wegen festgestellt wird, die Leistungen mit dem Ersten des Antragsmonats beginnen, es sei denn, dass die verspätete Anmeldung durch Verhältnisse begründet ist, die außerhalb des Willens des Antragstellers lagen.
Demnach hat die Beklagte die Verletztenrente zutreffend ab 1. Mai 1996 festgestellt.
Der Kläger hat den betreffenden Versicherungsfall, einen Arbeitsunfall, am 30. September 1977 erlitten. Das ist rechtskräftig durch den Gerichtsbescheid dieses Gerichts vom 3. Februar 2010, Verfahren S 8 U 79/09, festgestellt worden (ebenso der bestandskräftige Ausführungsbescheid der Beklagten vom 9. Juni 2010). Der Arbeitsunfall vom 30. September 1977 ist der Beklagten als zuständigem Unfallversicherungsträger erst später als zwei Jahre nach seinem Eintritt, nämlich erst im Mai 1996 gemeldet worden. Unfallentschädigung war daher vor diesem Zeitpunkt nicht von Amts wegen zu erbringen. Der Kläger hat vielmehr erstmals im Mai 1996 Leistungen beantragt, so dass auf diesen Zeitpunkt nach § 1546 Abs. 1 Halbsatz 2 RVO abzustellen ist.
Auch ist die verspätete Anmeldung des Anspruchs nicht durch Verhältnisse begründet, die außerhalb des Willens des Klägers lagen. Der Kläger hatte seinen eigenen Angaben zufolge vor 1996 schlichtweg nicht daran gedacht, dass es sich um einen Arbeitsunfall handeln und ihm deswegen Entschädigungsleistungen zustehen könnten. Das stellt jedoch keine unverschuldete Verhinderung an der Anmeldung dar.
Nachdem somit kein Anspruch des Klägers auf Rentenfestsetzung vor dem 1. Mai 1996 besteht, scheidet auch die geltend gemachte Anwendung von § 45 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) aus. Denn diese Vorschrift setzt voraus, dass ein Anspruch besteht, der dann der Verjährung unterworfen wird. Besteht aber zeitlich zurückreichend gar kein Anspruch, wie hier, kommt die Verjährungsregelung nicht zum Tragen.
Ein früherer Rentenbeginn kann auch nicht aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch hergeleitet werden. Voraussetzung für einen solchen Anspruch wäre nämlich unter anderem, dass ein Sozialleistungsträger gegenüber dem Kläger als Berechtigtem eine Nebenpflicht verletzt hat und es dadurch zu einem Schaden gekommen ist. Zudem müsste es rechtlich möglich und erlaubt sein, den Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2009, B 2 U 34/07 R, m.w.N.). Vorliegend fehlt es schon an jeglichen Anhaltspunkten für eine entsprechende Pflichtverletzung. Eine solche ist weder behauptet worden noch sonst ersichtlich.
Damit kommt eine Rentenfeststellung vor dem 1. Mai 1996 nicht infrage. Daraus folgt zugleich, dass auch – seine Zulässigkeit unterstellt – kein weitergehender Verzinsungsanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten besteht.
Daher ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 18.07.2013
Zuletzt verändert am: 18.07.2013