I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung eines Unfallereignisses vom 1. September 2009 als Wegeunfall.
Der 1964 geborene Kläger verunglückte am 1. September 2009 auf der Fahrt von seiner Arbeitsstätte nach Hause, als ein anderer Wagen von hinten auf seinen Wagen auffuhr. Laut dem Durchgangsarztbericht vom 3. September erlitt der Kläger ein HWS-Schleudertrauma Grad 1 mit Zerrung der Nackenmuskulatur, Stauchungsfolgen am linken Ellenbogengelenk bei bestehendem Vorschaden sowie eine leichte Stauchung des linken Handgelenks.
In der Unfallanzeige wurde angegeben, der Kläger sei beim Überqueren einer Kreuzung angehupt worden. Er habe angehalten, um die Situation zu klären. Als er bereits stand, sei ihm der andere Wagen aufgefahren.
Daraufhin lehnte die beklagte Berufsgenossenschaft mit Bescheid vom 3. Dezember 2009 die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Die Gründe für das Anhalten seien dem privaten Bereich zuzuordnen. Damit habe sich der Kläger von der versicherten Tätigkeit gelöst gehabt, als es zu dem Unfall kam.
Im Widerspruch führte der Kläger an, er habe keinen Umweg benutzt. Eine Unterbrechung des Heimweges habe nicht stattgefunden.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2009 zurück. Es habe eine Unterbrechung vorgelegen. Diese dauere so lange, bis der Heimweg wieder aufgenommen werde. Der Unfall habe sich während der Unterbrechung ereignet.
Dagegen hat der Kläger am 15. Januar 2010 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Zur Begründung hat er auf die Widerspruchsbegründung verwiesen.
Das Gericht hat die polizeilichen Unterlagen über den Unfall beigezogen. Demnach wollten der Kläger und der andere Fahrer nach einem Beinahezusammenstoß über das Fahrmanöver reden. Der Kläger hielt dann unvermittelt am rechten Fahrbandrand an und der andere Fahrer fuhr ihm auf, weil er dies zu spät bemerkte.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Unfallhergang im Wesentlichen so geschildert, wie im Polizeiprotokoll angegeben.
Der Kläger beantragt:
Der Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Dezember 2009 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Unfall des Klägers am 1. September 2009 ein Arbeitsunfall ist.
Für die Beklagte wird beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 19. April 2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Dezember 2009 ist rechtmäßig. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Arbeitsunfalls.
Nach § 8 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII regelt, dass auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit versichert ist.
Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 4. September 2007, B 2 U 28/06 R).
Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, der Unfall und die Gesundheitsschädigung im Sinn des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden. Für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, reicht grundsätzlich die "hinreichende" Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – aus (BSG in SozR 3-2200 § 551 RVO Nr. 16, m. w. N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (BSG, BSGE 45, 285; 60, 58). Hierbei trägt der Kläger die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. deren etwaige Nichterweislichkeit geht zu seinen Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 5. Februar 2008, B 2 U 10/07 R).
Für Unfälle auf Wegen gilt zudem, dass das Zurücklegen von Wegen in aller Regel nicht die Ausübung der versicherten Tätigkeit selbst darstellt, sondern eine der versicherten Tätigkeit vor- oder nachgelagerte Tätigkeit ist, die zu der eigentlichen Tätigkeit, weswegen das Beschäftigungsverhältnis eingegangen wurde, in einer mehr (z.B. bei Betriebswegen) oder weniger engen Beziehung (z.B. Weg zur Arbeit) steht, und dass die Beurteilung des Versicherungsschutzes auf Wegen spezielle Probleme aufwirft. Daher sind bei der Prüfung des sachlichen Zusammenhangs vorliegend zwei Prüfungsschritte zu unterscheiden: Zunächst die Zurechnung des Weges zu der (grundsätzlich) versicherten Tätigkeit nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII im Hinblick darauf, ob es sich um einen Betriebsweg gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII oder einen anderen unter Versicherungsschutz stehenden Weg nach § 8 Abs. 2 SGB VII handelt, und, wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, die Zurechnung der Verrichtung zur Zeit des Unfalls zu diesem unter Versicherungsschutz stehenden Weg (BSG, Urteil vom 7. September 2007, B 2 U 24/06 R).
Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist die Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung ausüben wollte. Die Fortbewegung des Versicherten muss also dem Zurücklegung des grundsätzlich versicherten Weges zu dienen bestimmt sein; sie muss darauf gerichtet sein, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung zu erreichen. Sobald allein eigenwirtschaftliche (private) Zwecke verfolgt werden, wird der Versicherungsschutz unterbrochen, bis die Fortbewegung auf das ursprüngliche Ziel hin wieder aufgenommen wird. Bei einer gemischten Tätigkeit, d.h. wenn die Fortbewegung betriebsdienlichen und eigenwirtschaftlichen Zwecken zugleich dient, ist maßgeblich, ob die Tätigkeit so auch ohne die eigenwirtschaftlichen Zwecke durchgeführt worden wäre. Zur Beurteilung der Handlungstendenz des Versicherten ist neben den Angaben des Versicherten auf die objektiven Umstände abzustellen; eine Unterbrechung des Weges muss sich auf erkennbare Art nach außen hin manifestieren (vgl. BSG, a.a.O.; Urteil vom 9. Dezember 2003, B 2 U 23/03 R; Urteil vom 17. Februar 2009, B 2 U 26/07 R).
Nach diesen Grundsätzen ergibt sich hier, dass der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.
Der Kläger befand sich am 1. September 2009 auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII grundsätzlich versicherten Weg von seiner Arbeitsstätte nach Hause. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auch seine geplante Route geschildert. Diese stellte insbesondere die unmittelbare Strecke von seiner damaligen Arbeitsstätte zu seiner Wohnung dar.
Allerdings hatte der Kläger seinen versicherten Weg im Zeitpunkt des Unfalls unterbrochen. Der Kläger hat den Unfallhergang in der mündlichen Verhandlung dahin geschildert, dass er nach dem Überqueren einer Kreuzung ein Hupen gehört hat. Kurz danach hörte er ein zweites Hupen und sah den Fahrer hinter ihm in seinem Wagen die Faust heben. Der Kläger bremste etwas, fuhr langsamer und machte mit dem linken Arm ein Zeichen dahin, dass der andere Fahrer anhalten sollte. Der Kläger fuhr an den rechten Straßenrand und hielt an. Dann fuhr ihm der andere Fahrer auf.
Das Gericht hat keinen Zweifel, dass die Schilderung des Klägers glaubhaft ist. Denn sie deckt sich sowohl mit seinen bisherigen Angaben im Verwaltungsverfahren als auch mit der polizeilichen Unfallbeschreibung.
Im Zeitpunkt des Unfalls lag somit eine Unterbrechung des Weges vor. Diese führte zu einer Lösung vom versicherten Heimweg, weil ihr eigenwirtschaftliche Zwecke zugrunde lagen und sie nicht nur geringfügig war. Der Kläger war an den rechten Straßenrand gefahren und hatte angehalten. Dies war nicht verkehrsbedingt. Der Verkehr stockte zwar, ein Halten am rechten Straßenrand war aber deswegen nicht erforderlich. Allein ausschlaggebend für das Anhalten war vielmehr, dass der Kläger von dem hinter ihm Fahrenden den Grund für dessen Hupen erfahren wollte. Damit erfolgte das Anhalten nicht aus verkehrsbedingten Gründen oder aus Gründen, die von dem Willen geprägt waren, sich auf dem versicherten Weg fortzubewegen. Davon dass der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, auch erfahren wollte, ob etwas mit seinem Wagen nicht in Ordnung sei, geht das Gericht nicht aus. Denn die Vermutung einer zu behebenden Störung lag angesichts der Umstände nicht nahe. Der Kläger war erst kurz zuvor losgefahren, es war nicht dunkel und ihm war auch nichts an seinem Wagen aufgefallen. Zudem sprach das Verhalten des anderen Fahrers, nämlich ein Heben der Faust, nicht für einen Hinweis auf eine Störung am Fahrzeug des Klägers, sondern dafür, dass der andere Fahrer sich über die Fahrweise des Klägers ärgerte. Auch wäre es für eine Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit seines eigenen Fahrzeugs nicht erforderlich gewesen, den anderen Fahrer zum Anhalten aufzufordern. Damit war das Anhalten allein oder jedenfalls ganz überwiegend von eigenwirtschaftlichen Gründen geprägt und sollte nicht das weitere Zurücklegen des Weges ermöglichen oder fördern. Der Kläger wollte – so wie es auch im Polizeibericht formuliert ist – über das Fahrmanöver sprechen. Das Handeln des Klägers war also spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem er zum Anhalten an den rechten Fahrbahnrand ansetzte, (vorübergehend) nicht mehr von der Motivation getragen, sich in Richtung seines Wohnortes zu bewegen.
Die Unterbrechung des Weges war auch nicht nur ganz kurz und geringfügig. Dies wird angenommen, wenn eine private Verrichtung sozusagen "im Vorbeigehen" erledigt wird, beispielsweise wenn der Versicherte auf seinem Weg von oder zur Arbeit ein Brief einwirft oder an einem am Weg angebrachten Automaten Zigaretten kauft. Der Kläger wollte die Situation klären. Dazu ist er an den Straßenrand gefahren und hat angehalten. Das stellte bei dem vom Kläger gewählten Zurücklegen des versicherten Weges mit dem Pkw keine nur geringfügige Unterbrechung dar, weil damit ein, wenn auch nur vorübergehendes Ausscheiden aus dem fließenden Verkehr verbunden war. Zudem hatte er vor auszusteigen. Die Unterbrechung stellte eine erhebliche Zäsur dar und war nicht mehr von vergleichbar geringem Gewicht wie in den genannten Beispielen.
Ein Versicherungsschutz ist auch nicht zu bejahen im Hinblick auf Rechtsklarheit und Verwaltungspraktikabilität. Aus diesen Gründen herrschte früher die Auffassung, dass bei einer relevanten Unterbrechung der öffentliche Verkehrsraum verlassen werden muss (vgl. noch BSG, Urteil vom 30. August 1979, 8a RU 96/78). Diese Auffassung hat mit einer Begründung, die auch das Gericht für überzeugend hält (Abgrenzungsprobleme und Wertungswidersprüche), das BSG inzwischen aufgegeben (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2003, B 2 U 23/03 R). Daher muss eine solch deutliche Lösung vom Weg nicht erfolgen, um eine nicht mehr versicherte Unterbrechung anzunehmen. Maßgeblich und auch ausreichend ist vielmehr, wie oben bereits erläutert, dass die eigenwirtschaftliche Handlungstendenz ersichtlich wird. Dies erfordert aber beim Zurücklegen des Weges mit einem Pkw nicht unbedingt, dass der Versicherte aus diesem aussteigt (so o.g. Urteil des BSG vom 9. Dezember 2003). Entscheidend ist ja, dass eine Zäsur deutlich wird. Das kann aber auch an anderen objektiven Umständen mit der gleichen Deutlichkeit festgemacht werden. So am Ausscheiden aus dem fließenden Verkehr, wie es der Kläger getan hat. Mit dem Anhalten am Fahrbahnrand ist ein Schritt getan, der es für einen außenstehenden Betrachter ersichtlich werden lässt, dass der Betreffende – aus welchem Grund auch immer – offenbar im Moment seinen Weg nicht mehr fortsetzen will.
Somit war der Weg im Zeitpunkt des Unfallereignisses unterbrochen und der Kläger nicht mehr versichert.
Daher war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Erstellt am: 27.04.2010
Zuletzt verändert am: 27.04.2010