I. Der Bescheid der Beklagten vom 4. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Juni 2013 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 16. Oktober 2010 ein Arbeitsunfall ist.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht im Streit, ob der Kläger einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Der 1958 geborene Kläger nahm am 16. Oktober 2010 als Repräsentant seines Arbeitgebers an der Geburtstagsfeier eines Kunden teil, den er als Vertriebsmitarbeiter betreute. Dabei stürzte der Kläger während eines Pseudotennisspiels auf den Rücken. Zwei Tage später suchte der Kläger seinen Hausarzt auf, der ihn an einen Orthopäden überwies. Dieser diagnostizierte eine Deckenplattenimpressionsfraktur des zweiten Lendenwirbelköpers ohne Hinterkantenbeteiligung und attestierte Arbeitsunfähigkeit.
Erst Ende Januar 2013 wurde der Unfall gegenüber der Beklagten angezeigt. Diese lehnte mit Bescheid vom 4. April 2013 die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, weil geschäftliche Nachteile aus der Nichtteilnahme an der Geburtstagsfeier nicht zu erwarten gewesen seien. Daher bestehe kein Versicherungsschutz.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2013 zurückgewiesen.
Dagegen hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 9. Juli 2013 Klage zum Sozialgericht Augsburg erheben lassen. Der Kläger habe als Repräsentant seiner Arbeitgeberin an der Feier teilgenommen. Als Dankeschön habe er eine Flasche firmeneigenen Champagners überreicht. Die Mitwirkung des Klägers an der Feier habe im Unternehmensinteresse gelegen und sei ausschließlich unternehmensbezogen gewesen, ein privater Bezug bzw. private Interessen habe der Kläger nicht verfolgt.
Die Beklagte hat ihre Entscheidung verteidigt und noch darauf verwiesen, dass es nicht für die Annahme von Versicherungsschutz genüge, wenn eine Tätigkeit lediglich als Werbung, Kundendienst oder zur Pflege des Ansehens des Unternehmens vorgenommen werde. Bei einer privaten Veranstaltung bestehe kein Versicherungsschutz, es sei denn, die geschäftlichen Belange stünden erkennbar im Vordergrund. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger auf der Geburtstagsfeier dienstliche Belange habe besprechen wollen oder in Bezug auf ein bevorstehendes Geschäft habe tätig werden wollen. Zudem habe sich der Unfall beim Tennisspielen ereignet, also einer abgrenzbaren eigenwirtschaftlichen Tätigkeit.
Für den Kläger wird beantragt:
Der Bescheid der Beklagten vom 4. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Juni 2013 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 16. Oktober 2010 ein Arbeitsunfall ist.
Für die Beklagte wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten
sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der Kläger hat Anspruch auf die Feststellung, dass er am 16. Oktober 2010 einen Arbeitsunfall erlitten hat. Der Bescheid der Beklagten vom 4. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Juni 2013 ist daher aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.
Nach § 8 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 4. September 2007, B 2 U 28/06 R).
Der innere bzw. sachliche Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005, B 2 U 29/04 R). Für die Beurteilung, ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand, ist maßgebend, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird. Zu prüfen ist, ob der Verletzte eine eigene Tätigkeit verrichtet hat, deren Ergebnisse dem Unternehmen und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen sollten (vgl. BSG, Urteil vom 13. November 2012, B 2 U 27/11 R).
Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und (subjektiv) – zumindest auch – auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese auch als "Handlungstendenz" bezeichnete subjektive Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten ist eine innere Tatsache. Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes, soweit die Intention objektiviert ist (sogenannte objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung (erst recht nicht eine niedrigere Vorsatzstufe) reicht hingegen nicht (BSG, Urteil vom 5. Mai 2012, B 2 U 8/11 R).
Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, der Unfall und die Gesundheitsschädigung im Sinn des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden. Für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, reicht grundsätzlich die "hinreichende" Wahrscheinlichkeit
– nicht allerdings die bloße Möglichkeit – aus (BSG in SozR 3-2200 § 551 RVO Nr. 16, m.w.N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (BSG, BSGE 45, 285; 60, 58). Hierbei trägt der Anspruchsteller, also die Klägerseite, die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. deren etwaige Nichterweislichkeit geht zu ihren Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 5. Februar 2008, B 2 U 10/07 R).
Nach diesen Grundsätzen stand der Kläger bei seiner zum Unfall führenden Verrichtung am 16. Oktober 2010, dem "Tennisspielen", unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Kläger am 16. Oktober 2010 eine
Deckenplattenimpressionsfraktur des zweiten Lendenwirbelkörpers erlitten hat. Das hat der Orthopäde Dr. L. am 18. Oktober 2010 diagnostiziert. Es ist auch nichts dafür vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass für diesen Gesundheitsschaden eine andere Ursache als der Sturz des Klägers bei dem Pseudotennisspiel auf der Geburtstagsfeier am 16. Oktober 2010 infrage kommt.
Die Teilnahme an dem angedeuteten Tennisspiel auf der Geburtstagsfeier ist auch noch der grundsätzlich versicherten Tätigkeit des Klägers als Außendienst- bzw. Vertriebsmitarbeiter zuzurechnen. Zwar hat der Kläger damit, ebenso wie mit der Teilnahme an der Geburtstagsfeier des Kunden an sich, keine Tätigkeit ausgeführt, die in Erfüllung seiner unmittelbaren arbeitsvertraglichen Pflichten gegenüber seiner Arbeitgeberin erfolgte. Allerdings kann der Besuch der Geburtstagsfeier und insbesondere auch das Spiel noch als wesentlich betriebsdienlich und wesentlich von betrieblicher Motivation geprägt angesehen werden. Auch wenn es sich bei der Geburtstagsfeier zunächst um einen privaten Anlass handelte, war dem Kläger nicht freigestellt, ob er daran teilnimmt oder nicht. Vielmehr hat er von der Geschäftsführung seiner Arbeitgeberin die Anweisung erhalten, die Feier zu besuchen. Das hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert. Dem Kläger wurde dazu auch eine Flasche Champagner mitgegeben, den er an das Geburtstagskind als Geschenk überreichen sollte. Es erscheint dem Gericht auch überzogen, Versicherungsschutz für solche Veranstaltungen nur dann anzunehmen, wenn geschäftliche Belange besprochen werden oder der Kläger im Hinblick auf ein bevorstehendes Geschäft tätig werden sollte. Denn es ist nachvollziehbar, dass die Pflege geschäftlicher Beziehungen auch durch die Teilnahme an Veranstaltungen wie der vorliegenden, die nicht konkrete Geschäfte oder geschäftliche Belange zum Gegenstand haben, erfolgt, gerade mit der Erwartung, zukünftig weitere Aufträge zu erhalten. Das Gericht hält die Annahme der Arbeitgeberin bzw. des Geschäftsführers für nachvollziehbar und objektiv begründet, durch den Besuch der Geburtstagsfeier werde die bestehende Geschäftsbeziehung vertieft und sozusagen der Boden für weitere Aufträge bereitet. Wäre der Kläger als Repräsentant seiner Arbeitgeberin nicht bzw. ohne nachvollziehbaren Grund der Feier ferngeblieben, ist die Befürchtung verständlich, dass sich das negativ auf die weitere Beauftragung der Firma durch den Kunden auswirken kann. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass der Kläger nicht als Unternehmer tätig war, sondern als abhängig Beschäftigter. Bezüglich des Handelns von Unternehmern sieht das Gericht eher die Gefahr, dass sich private und unternehmerische Belange vermengen und Versicherungsschutz dann für Tätigkeiten in Anspruch genommen werden könnte, bei denen der eigenwirtschaftliche Charakter überwiegt. Bei weisungsgebundenen Mitarbeitern wie dem Kläger, denen die Teilnahme an einer vordergründig privaten Veranstaltung nahe gelegt oder wie hier aufgetragen wird, ist diese Gefahr geringer. Es wird dann von einer wesentlich unternehmensbezogenen Motivation und einem wesentlich unternehmensbezogenen Tätigwerden auszugehen sein. Etwas anders könnte gelten, wenn erkennbar private Interessen des Versicherten bestehen und die geschäftlichen in den Hintergrund treten. Dafür gibt es im Fall des Klägers aber keinen Anhalt: Es bestanden weder private Beziehungen des Klägers zu dem Kunden noch besondere eigenwirtschaftliche Interessen an der Veranstaltung oder dem angedeuteten Tennisspiel im Besonderen. Auch die weiteren Teilnehmer der Feier stammten allesamt aus dem Kreis der geschäftlichen Beziehungen des Geburtstagskindes. Dass Ehefrauen der Geschäftspartner des Geburtstagskindes ebenfalls dabei waren, ist unerheblich. Im Hinblick auf den Rahmen der Veranstaltung war das offenbar erwartet und gewünscht, so dass der unternehmensbezogene Charakter damit nicht in den Hintergrund tritt. Daher ist grundsätzlich von Versicherungsschutz während der Geburtstagsfeier auszugehen.
Dieser umfasst auch die Teilnahme an dem Pseudotennisspiel. Nach den vom Kläger geschilderten Umständen, das Geburtstagskind ging voran und hat die Eingeladenen aufgefordert, ihm zu folgen und mitzumachen, konnte der Kläger sich dem schwerlich entziehen und als "Spaßbremse" dastehen. Zwar stand nicht zu befürchten, dass sich dies zwangsläufig als nachteilig für die geschäftliche Beziehung erwiesen hätte. Allerdings ist es auch lebensfremd zu erwarten, dass der Kläger seine Teilnahme an den einzelnen Teilen der Veranstaltung davon abhängig machen konnte, ob er Versicherungsschutz annehmen konnte oder nicht. Und gerade bei dem geschilderten Ablauf war keine spezielle Zäsur gegeben, die ihm ein im gesellschaftlichen Umgang akzeptables Abstandnehmen von dem Spiel ermöglicht hätte. Zudem hatte der Kläger keinen Grund, die Spieleinlage als besonders gefährlich zu bewerten, was ihm ein Abstandnehmen erlaubt bzw. geboten hätte.
Daher ist der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 10.02.2014
Zuletzt verändert am: 10.02.2014