I. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2009 wird aufgehoben, es wird festgestellt, dass beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nummer 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vorliegt, und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab September 2005 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zu bewilligen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Streitig ist die Feststellung und Entschädigung einer Lärmschwerhörigkeit.
Der 1941 geborene Kläger war nach einer Tätigkeit bei der staatlichen Schifffahrt in I. von 1964 bis 1967 nach seiner Übersiedlung nach Deutschland von Juni 1970 bis Mai 1972 als Maschinenbediener in einer Spinnerei, von Juli 1972 bis Mai 1973 als Maschinenbediener bei der Firma B. in B., von Juni 1973 bis Juli 1980 als Maschinenarbeiter bei der K.-fabrik und von August 1980 bis zu seiner Verrentung am 1. September 2005 als Schleifmaschinenbediener, Lagergehilfe und Entgrater bei der Firma M. in A. tätig gewesen.
Im Februar 2007 zeigte der HNO-Arzt Dr. K. der Beklagten an, dass die beidseitige Innenohrschwerhörigkeit des Klägers berufsbedingt sein könnte. Der Kläger gab an, seine Schwerhörigkeit erstmals 1987 bemerkt zu haben.
Der Präventionsdienst ermittelte, dass die berufliche Lärmbelastung des Klägers bis 1998 einem energieäquivalenten Dauerschallpegel von 90,3 dB(A) über 50,3 Jahre entsprochen hat. Ab Januar 2002 hat ein Dauerschallpegel von 85 dB(A) vorgelegen.
Die Beklagte beauftragte dann den HNO-Arzt Dr. E. mit der Erstellung seines Gutachtens vom 7. April 2008. Dr. E. führte aus, es bestehe eine hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beidseits. Audiogramme aus früherer Zeit lägen nicht vor. Es sei anzunehmen, dass der Kläger schon bei der Schifffahrt in I. mit einem Dauerschallpegel von 98 dB geschädigt worden sei. Daher nahm Dr. E. eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. einschließlich des Tinnitus durch beruflich bedingte Lärmschwerhörigkeit an.
Anschließend erstellte außerdem Prof. Dr. J. für die beklagte Berufsgenossenschaft sein Gutachten nach Aktenlage vom 7. Mai 2008. Prof. Dr. J. stellte keine erkennbaren Zeichen einer Lärmschwerhörigkeit fest. Die Audiogramme ab 1995 belegten, dass der Kläger eine berufsfremde Schallempfindungsschwerhörigkeit habe. Eine MdE ergebe sich daher nicht.
Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 23. Juli 2008 ab, eine Berufskrankheit nach Nummer 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BK 2301) festzustellen. Auch ein Anspruch auf Leistungen wurde abgelehnt. Der untypische Verlauf der Hörkurven und der erhebliche Hörverlust in den mittleren und tiefen Frequenzen sprächen gegen eine Lärmschwerhörigkeit.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2009 zurück.
Dagegen hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 23. Januar 2009 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Der Kläger sei gefährdenden Einwirkungen durch Lärm ausgesetzt gewesen, die geeignet seien, eine Lärmschwerhörigkeit zu verursachen. Bei seiner Einreise nach Deutschland sei die Hörfähigkeit des Klägers nicht beeinträchtigt gewesen. Anderweitige Ursachen seien nicht ersichtlich. Die Audiogramme wiesen auch eine "c5-Senke" auf.
Die Beklagte hat im Hinblick auf die Angaben zur beruflichen Tätigkeit des Klägers in der Klagebegründung eine weitere Stellungnahme des Präventionsdienstes übersandt, nach welcher sich nunmehr ein Dauerschallpegel von 90 dB(A) über 58,7 Jahre ergibt.
Danach ist Beweis erhoben worden durch Einholung des HNO-ärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. D. vom 23. November 2009. Dr. D. hat einen Hörverlust bis 1 kHz von 35 bis 50 dB, einen anschließenden Abfall bis zu einem Hörverlust von 80 dB bei 6 und 8 kHz rechts sowie links einen Hörverlust von 50 bis 65 dB bis 2 kHz, einen anschließenden Abfall bis zu einem Hörverlust von 80 dB bei 8 kHz festgestellt. In der Computeraudiometrie (BERA) hat sich beidseits eine eindeutige Reizantwort ergeben. Der Tinnitus des Klägers ist rechts bei 1,5 kHz mit 55 dB und links bei 8 kHz mit 90 dB maskierbar gewesen. Alle Gleichgewichtstests sind unauffällig verlaufen. Seit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben habe sich die Schwerhörigkeit nicht verschlechtert. Ohrgeräusche seien aber erst nach Beendigung der beruflichen Tätigkeit aufgetreten. Nach der 3-Frequenz-Tabelle von Röser errechne sich ein Hörverlust von 30% rechts und 55% links, nach den Sprachaudiogrammen von 40% rechts und 50% links. Das Gesamtwortverstehen betrage rechts 165 und links 180. Es liege somit eine beidseitige Schallempfindungsschwerhörigkeit vor mit mittelgradiger Herabsetzung des Sprachverständnisses. Der Kläger sei, so die Sachverständige weiter, während seiner gesamten beruflichen Tätigkeit einer erheblichen Lärmbelastung ausgesetzt gewesen. Somit seien die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit gegeben. Der ausgeprägte Hörverlust im Tief- und Mitteltonbereich sei bei jahrzehntelanger Lärmbelastung ebenfalls erklärt. Außerberufliche Faktoren für die Entstehung einer Lärmschwerhörigkeit lägen nicht vor. Die Ohrgeräusche seien dagegen nicht beruflich bedingt, weil sie nicht im typischen Frequenzbereich lägen und erst nach Beendigung der beruflichen Tätigkeit bewusst geworden seien. Die MdE hat die Sachverständige mit 30 v.H. ab Beendigung der Lärmtätigkeit im September 2005 eingeschätzt.
Die Beklagte hat unter Berufung auf die beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. J. vom 17. Dezember 2009 angeführt, die Audiogramme ab 1995 zeigten, dass schon damals eine Schwerhörigkeit über alle Frequenzen bestanden habe. Form und Entwicklung der Tonaudiogramm beweise, dass Lärm keine erkennbare ursächliche Rolle eingenommen habe. Auch habe die Sachverständige versäumt, die Asymmetrie zu erklären.
Für den Kläger wird beantragt:
Der Bescheid der Beklagten vom 23. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2009 wird aufgehoben, es wird festgestellt, dass beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nummer 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vorliegt, und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab September 2005 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 v.H. zu bewilligen.
Für die Beklagte wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 19. April 2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 23. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2009 ist rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt. Denn der Kläger hat Anspruch auf Feststellung einer BK 2301 und Verletztenrente wegen der Folgen dieser Berufskrankheit.
Nach § 7 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Grundlage für die Feststellung einer Berufskrankheit ist § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit einer in der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) aufgeführten Nummer. Zugrunde gelegt wird die BKV in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 11. Juni 2009 (BGBl. I S. 1273). Denn maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Rechtsstand zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Allerdings ist bezüglich der hier im Streit stehenden Berufskrankheiten inhaltlich keine Änderung gegenüber der früheren Fassung der BKV eingetreten.
Demnach muss eine in der BKV aufgeführte Krankheit vorliegen, die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet.
Im Streit steht hier die Feststellung der in Nummer 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung als Berufskrankheit bezeichneten "Lärmschwerhörigkeit".
Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt im Einzelfall voraus, dass die Verrichtung einer – grundsätzlich – versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinn des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, d.h. nach vernünftiger Abwägung aller Umstände müssen die auf die berufliche Verursachung der Krankheit deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann (vgl. BSG in SozR 2200 § 548 Nr. 38; Urteil vom 2. April 2009, B 2 U 7/08 R). Hierbei trägt der Kläger die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. deren etwaige Nichterweislichkeit geht zu seinen Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 5. Februar 2008, B 2 U 10/07 R).
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf eine Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Wie Absatz 2 bestimmt, richtet sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Weiter regelt § 56 Abs. 3 SGB VII, dass bei Verlust der Erwerbsfähigkeit Vollrente und bei einer MdE Teilrente geleistet wird, die in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt wird, der dem Grad der MdE entspricht.
Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch die Folgen einer Berufskrankheit eingeschränkt werden, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Bei der Beurteilung der MdE sind auch die von der Rechtsprechung sowie die vom unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, welche zwar nicht im Einzelfall bindend sind, aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 1987, 2 RU 42/86, m. w. N.). Bei der Bildung der MdE sind alle Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen, die mit Wahrscheinlichkeit in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Versicherungsfall stehen. Die Bemessung der MdE ist eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft; dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG, Urteil vom 5. September 2006, B 2 U 25/05 R).
Nach diesen Grundsätzen stellt die beidseitige Schwerhörigkeit des Klägers eine BK 2301 dar, deren Folgen eine MdE von 20 v.H. rechtfertigen.
Eine jahrzehntelange, berufliche Lärmbelastung des Klägers (von 1970 bis August 2005) ist nachgewiesen. Der Kläger war nach den Ermittlungen des Präventionsdiensts einem energieäquivalenten Dauerschallpegel von 90,3 dB(A) über 58,7 Jahre ausgesetzt. Somit war der Kläger in erheblichem Umfang gehörgefährdend tätig gewesen.
Auch eine Hörstörung in Form einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit sowie eines Tinnitus ist nachgewiesen. Dies ergibt sich aus den Gutachten des Dr. E. und der Dr. D …
Fraglich ist lediglich, ob die berufliche Lärmbelastung des Klägers für die Hörstörungen ursächlich im Sinn des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung war. Dazu haben Rechtsprechung und unfallversicherungsrechtliches Schrifttum eine Reihe von Kriterien ent-wickelt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 326 ff.; "Königsteiner Merkblatt", Januar 1996). Diese umfassen vor allem:
– Die Innenohrschwerhörigkeit muss sich in einem Zeitraum entwickelt haben, in dem eine adäquate Lärmexposition bestand, d.h. ein äquvivalenter Dauerschallpegel von mehr als 85 dB(A) über viele Jahre;
– Das tonaudiometrische Bild: Eine Schallleitungsstörung im tiefen oder mittleren Frequenzbereich ist nicht durch chronische Lärmeinwirkung bedingt. In den Frequenzen oberhalb von 4 bis 6 kHz soll sich regelmäßig eine leichte Luftleitungs-/Kno-chenleitungsdifferenz finden lassen. Eine Schalleitungsschwerhörigkeit kann nicht lärmbedingt sein. Zu Beginn einer Lärmschwerhörigkeit kommt es stets zur Entstehung einer sogenannten c5-Senke (c5 = 4096 Hz). Nach längerer Lärmbelastung kann sich die Senke vertiefen und verbreitern. Meist besteht oberhalb von 1 oder 2 kHz ein Steilabfall. Hörverluste im tiefen und mittleren Frequenzbereich können ebenfalls lärmbedingt sein, allerdings erst nach jahre- bzw. jahrzehntelanger und erheblicher Lärmbelastung;
– Die Lärmschwerhörigkeit weist im Tonaudiogramm grundsätzlich ein symmetrisches Bild auf;
– Eine Lärmschwerhörigkeit schreitet nach dem Ende der Lärmeinwirkung nicht fort (keine Progredienz);
– In der Regel ist das Sprachgehör bei Lärmgeschädigten verglichen mit anderen Innenohrgeschädigten relativ gut;
– Bei einem negativen Recruitment (Lautheitsausgleich) ist die Verursachung der Hörstörung durch Lärm unwahrscheinlich. Ein positives Recruitment beweist aber noch nicht, dass eine Lärmschwerhörigkeit vorliegt;
– Vestibuläre Störungen gehören nicht zum Bild einer chronischen Lärmschwerhörigkeit. Sie beweisen, dass eine zusätzliche andere Erkrankung vorliegt;
– Ein lärmbedingter Tinnitus liegt meist im Frequenzbereich, in dem sich der Hochtonabfall befindet, selten im Bereich des maximalen Hörverlustes. Die Verdeckungslautstärke liegt meist nur bei 10 bis 15 dB.
Nach den Feststellungen insbesondere im Gutachten der Sachverständigen Dr. D. vom 23. November 2009 beträgt der Hörverlust des Klägers rechts bis 1 kHz 35 bis 50 dB, mit einen anschließenden Abfall bis zu einem Hörverlust von 80 dB bei 6 und 8 kHz sowie links 50 bis 65 dB bis 2 kHz, mit einen anschließend Abfall bis zu einem Hörverlust von 80 dB bei 8 kHz festgestellt. In der Computeraudiometrie (BERA) hat sich beidseits eine eindeutige Reizantwort ergeben. Der Tinnitus des Klägers ist rechts bei 1,5 kHz mit 55 dB und links bei 8 kHz mit 90 dB maskierbar gewesen. Alle Gleichgewichtstests sind unauffällig verlaufen. Seit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben hat sich die Schwerhörigkeit beim Kläger nicht verschlechtert. Die Ohrgeräusche sind allerdings erst nach Beendigung der beruflichen Tätigkeit aufgetreten.
Demnach spricht für die Annahme einer BK 2301, die jahrzehntelange erhebliche Lärmbelastung des Klägers. Während dieser Zeit hat sich nach Aussage der Sachverständigen Dr. D. die Schwerhörigkeit des Klägers auch entwickelt. Der Kläger hatte auch angegeben, die Schwerhörigkeit erstmals 1987 bemerkt zu haben. Auch zeigen die ab 1995 vorhandenen Audiogramme eine Zunahme der Schwerhörigkeit bis zum Ende der beruflichen Tätigkeit des Klägers im Jahr 2005. Weiter ist für eine berufliche Verursachung anzuführen, dass die Schwerhörigkeit nach August 2005, also dem Ende der Lärmarbeit, nicht weiter zugenommen hat. Auch konnte die Sachverständige in der Computeraudiometrie (BERA) eine eindeutige Reizantwort auf beiden Seiten, also ein positives Recruitment, nachweisen. Ferner haben sich keine vestibulären Zeichen gefunden. Auch konnte Dr. D. keinerlei von der beruflichen Lärmbelastung unabhängige Faktoren für die Entstehung der Schwerhörigkeit erkennen. So lagen beispielsweise keine sichtbaren Folgen der Mittelohrentzündung vor, die Zuckerkrankheit und der Bluthochdruck des Klägers werden seit 1996 behandelt und können daher nicht für die Entstehung der Schwerhörigkeit verantwortlich gemacht werden. Hinzu kommt, dass auf dem rechten Ohr durchaus ein Hochtonabfall erkennbar war.
Gegen eine BK 2301 sprechen vor allem die Asymmetrie im Tonaudiogramm sowie der Hörverlust in den tiefen und mittleren Frequenzen. Hinsichtlich der Asymmetrie hat weder Dr. E. in seinem Gutachten im Verwaltungsverfahren noch die Sachverständige in ihrem gerichtlichen Gutachten eine Erklärung geliefert. Möglicherweise kann dies aber auf einen Schallschutzeffekt durch die Mittelohrentzündungen zurückgeführt werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valtenin, a.a.O., S. 335). Den Hörverlust im tiefen und mittleren Frequenzbereich erklärt die Sachverständige mit der jahrzehntelangen erheblichen Lärmbelastung.
In der Zusammenschau dieser Kriterien hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass die berufliche Lärmbelastung des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentliche Ursache seiner beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit ist. Als einzig relevantes Kriterium spricht die Asymmetrie des Hörverlusts hiergegen. Alle anderen Kriterien weisen aber in Richtung einer beruflichen Verursachung. Diese überwiegen nach Meinung des Gerichts, vor allem weil der Kläger seit Beginn seiner beruflichen Tätigkeit einem erheblichen Dauerschallpegel von 90 dB(A) ausgesetzt war. Damit ist auch gut der Hörverlust in den tiefen und mittleren Frequenzen zu erklären. Dieser lag seit 1995 vor. Bereits damals war aber der Kläger schon viele Jahre chronischem Lärm in erheblichem Umfang ausgesetzt gewesen. Mit der Reihe der für eine Lärmschwerhörigkeit sprechenden Argumente hat sich auch Prof. Dr. J. weder in seinem Gutachten vom 7. Mai 2008 noch in seiner Stellungnahme vom 17. Dezember 2009 auseinandergesetzt. Er hat vielmehr von Vorneherein ganz wesentlich auf das seiner Meinung nach untypische Bild im Tonaudiogramm abgestellt. Warum dies gegenüber den anderen Kriterien den Ausschlag geben soll, hat er nicht dargelegt.
Nicht als berufsbedingt angesehen werden können die Ohrgeräusche. Dr. E. hat diese zwar offenbar auch als Folgen der BK 2301 angesehen. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Denn die Sachverständige Dr. D. hat zutreffend darauf verwiesen, dass der Tinnitus nicht im typischen Frequenzbereich liegt und dem Kläger erst nach Beendigung der beruflichen Tätigkeit aufgefallen ist.
Die MdE für die beidseitige Schwerhörigkeit bewertet das Gericht mit 20 v.H. ab September 2005. Die Bemessung der MdE richtet sich im Fall des Klägers maßgeblich nach dem Sprachaudiogramm, vor allem nach dem gewichteten Gesamtwortverstehen. Denn der Hörschaden geht hier über eine beginnende bis knapp geringgradige Schwerhörigkeit hinaus – hier wäre dann der Hörverlust vorrangig nach dem Tonaudiogramm zu bestimmen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 344 ff.). Der prozentuale Hörverlust nach dem Sprachaudiogramm von 40% rechts und 50% links sowie das Gesamtwortverstehen von rechts 165 und links 180 rechtfertigt eine MdE von 20 v.H., jedoch noch nicht von 30 v.H. (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.; Königsteiner Merkblatt, S. 25 ff.). Insofern kann der MdE-Einschätzung von Dr. D. in ihrem Gutachten vom 23. November 2009 nicht gefolgt werden. Der Tinnitus ist nicht zu berücksichtigen, weil er nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die BK 2301 zurückzuführen ist. Die MdE-Bemessung gilt ab September 2005. Das Gericht sieht diesbezüglich keinen Grund, der Beurteilung der Sachverständigen nicht zu folgen.
Daher war wie aus dem Urteilsspruch ersichtlich zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 06.07.2012
Zuletzt verändert am: 06.07.2012