I. Der Bescheid des Beklagten vom 8. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 2011 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Unfall der Klägerin am 3. November 2009 ein Arbeitsunfall ist.
II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Der erwachsene Sohn der 1934 geborenen Klägerin, der zunächst auch als ihr Prozessbevollmächtigter auftrat, ist infolge einer Rückenmarksverletzung pflegebedürftig und benötigt in fast allen Verrichtungen des täglichen Lebens Hilfe. Er erhält von der Berufsgenossenschaft Holz und Metall Pflegegeld. Die Pflege wird auch durch die Klägerin geleistet. Diese pflegt ihren Sohn, zusammen mit ihrem Ehemann und der Lebensgefährtin ihres Sohnes, vor allem in der Nachtzeit und von freitags bis sonntags in einem Umfang von bis zu 20 Stunden pro Woche. Die Klägerin übernimmt dabei Aufgaben in den Bereichen Körperpflege, Ernährung, Mobilität und insbesondere hauswirtschaftliche Versorgung.
Am 3. November 2009 erhielt der Sohn der Klägerin eine Lieferung Holzbriketts zum Beheizen der von ihm und seiner Lebensgefährtin bewohnten Wohnung. Die Klägerin half mit, die Pellets einzulagern, als einige Pakete ins Rutschen gerieten und sie stürzte. Dabei zog sich die Klägerin eine Oberschenkelfraktur links, eine Olecranonabrissfraktur links und einen knöchernen Trizepssehnenausriss am linken Ellenbogen zu. Die Verletzungen wurden osteosynthetisch versorgt und vom 17. November bis zum 23. Dezember 2009 erfolgte noch eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der Geriatrischen Fachklinik N …
Der frühere Prozessbevollmächtigte der Klägerin wandte sich wegen etwaiger Leistungen für seine Mutter zunächst an die Rechtsvorgängerin der Berufsgenossenschaft Holz und Metall. Diese lehnte mit Bescheid vom 3. Dezember 2009 die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, da es sich um eine Gefälligkeitsleistung gehandelt habe.
Auf den hiergegen von den damaligen Bevollmächtigten der Klägerin eingelegten Widerspruch hin wurde der Vorgang dann an den Beklagten weitergeleitet. Dieser bejahte mit Schreiben vom 26. Juli 2010 seine Zuständigkeit.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2010 lehnte der Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Die pflegerische Tätigkeit sei hier nicht überwiegend dem Pflegebedürftigen zugute gekommen. Das Beheizen habe ebenso der Lebensgefährtin des Pflegebedürftigen gedient.
Im Widerspruch wurde vorgetragen, das Heizen sei überwiegend dem pflegebedürftigen Sohn der Klägerin zugute gekommen. Denn wegen dessen gestörten Kälteempfindens sei ein zusätzlicher Kaminofen eingebaut worden, der praktisch immer beheizt werde.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2011 zurück. Die Tätigkeit der Klägerin im Unfallzeitpunkt habe nicht überwiegend aus den Bedürfnissen des Pflegebedürftigen resultiert, sondern habe zu gleichen Teilen auch dessen Lebensgefährtin gedient. Unabhängig davon stelle die Hilfe beim Abladen der Holzbriketts lediglich eine Vorbereitungshandlung für eine versicherte Tätigkeit dar, nämlich dem Heizen der Wohnung. Als solche sei sie aber nicht versichert. Auch ein Versicherungsschutz als Wie-Beschäftigter habe wegen der engen familiären Bindung nicht bestanden.
Dagegen hat der frühere Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese am 3. Februar 2011 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Die Klägerin betreue ihren querschnittsgelähmten Sohn täglich mehrere Stunden. Es sei nicht richtig, dass die Klägerin in die Pflege in diesem Umfang miteinbezogen worden sei.
Der Beklagte hat sich im Wesentlichen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung gestützt.
Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört worden.
Für die Klägerin wird beantragt (sinngemäß):
Der Bescheid des Beklagten vom 8. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 2011 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Unfall der Klägerin am 3. November 2009 ein Arbeitsunfall ist.
Für die Beklagte wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht macht von der Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid Gebrauch. Die Beteiligten sind dazu angehört worden, der Sachverhalt ist geklärt und die Sache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig.
Die Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Die Klägerin hat am 3. November 2009 einen versicherten Arbeitsunfall erlitten. Daher ist der Bescheid des Beklagten vom 8. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 2011 aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, und die begehrte Feststellung zu treffen.
Nach § 8 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (Bundessozialgericht – BSG, Urteil vom 4. September 2007, B 2 U 28/06 R; Urteil vom 27. April 2010, B 2 U 11/09 R).
Der innere bzw. sachliche Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005, B 2 U 29/04 R).
Die Klägerin hat bei dem Unfall am 3. November 2009 einen Gesundheitsschaden erlitten, nämlich einen Oberschenkelbruch links sowie knöcherne und ligamentäre Verletzungen am linken Ellenbogen. Bei der unfallbringenden Verrichtung, der Mithilfe beim Einlagern der Holzbriketts, stand sie auch gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII sind Pflegepersonen im Sinne des § 19 des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) bei der Pflege eines Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 SGB XI versichert; die versicherte Tätigkeit umfasst Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege und – soweit diese Tätigkeiten überwiegend Pflegebedürftigen zugute kommen – Pflegetätigkeiten in den Bereichen der Ernährung, der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs. 4 SGB XI). § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI nennt im Rahmen der hauswirtschaftliche Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen. Pflegepersonen gemäß § 19 Satz 1 SGB XI sind Personen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 SGB XI in seiner häuslichen Umgebung pflegen, also jemanden, der wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf.
Der Sohn der Klägerin war infolge seiner Querschnittslähmung im Unfallzeitpunkt am 3. November 2009 pflegebedürftig im o.g. Sinn, da er wegen Pflegebedürftigkeit Pflegegeld von der Berufsgenossenschaft Holz und Metall erhielt. Auch pflegte die Klägerin ihren Sohn in nicht erwerbsmäßiger Weise in seiner häuslichen Umgebung, indem sie regelmäßig hauswirtschaftliche Verrichtungen im Sinn des § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI verrichtete. Damit war sie Pflegeperson.
Zu diesen von der Klägerin ausgeübten hauswirtschaftlichen Verrichtungen zählt hier auch das Mitabladen und Einlagern der Holzbriketts am 3. November 2009. Zwar stellt es keine unmittelbar in § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI genannte Verrichtung dar. Es ist aber der Verrichtung "Beheizen" als mitversicherte Handlung zuzuordnen.
Mit § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB XI soll auch die Pflege durch Familienangehörige gefördert werden und deren besonderes Engagement für das Gemeinwesen Anerkennung erfahren, indem der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auf diese Angehörigen ausgedehnt wird. Diese wären ansonsten wegen der engen familiären Bande in der Regel unversichert, vor allem wäre ein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII meist zu verneinen. Die geleistete Pflege muss einem Pflegebedürftigen zugute kommen (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, § 2 Rz. 597 ff.). Der Unfallversicherungsschutz erstreckt sich auf alle Tätigkeiten, die im wesentlichen Zusammenhang mit der Pflege stehen (BSG, Urteil vom 9. November 2010, B 2 U 6/10 R).
Ein derartiger wesentlicher Zusammenhang mit der Pflegeleistung besteht auch hier. Das Abladen und Einlagern der Holzbriketts war eine notwendige Handlung für das Beheizen der Wohnung des pflegebedürftigen Sohnes der Klägerin. Diese Tätigkeit hat auch die Klägerin im Rahmen der hauswirtschaftlichen Versorgung übernommen. Zur Überzeugung des Gerichts steht weiter fest, dass die Klägerin beim Abladen und Einlagern der Holzbriketts allein deswegen mitgeholfen hat, weil ihr pflegebedürftiger Sohn diese Arbeiten nicht selbst erledigen konnte. Nach der Lebenserfahrung ist es nämlich – mit Ausnahme von landwirtschaftlichen Betrieben vielleicht – völlig unüblich, dass eine 75jährige Mutter, die selbst seit Langem wegen Erwerbsminderung verrentet ist, ihrem erwachsenen Sohn schwere Holzbriketts einlagert. Vielmehr ist es, auch heute noch, in der Regel umgekehrt: Der Sohn übernimmt solche Arbeiten für seine Eltern, um diese von einer solchen, körperlich schweren Verrichtung zu entlasten.
Der Einwand des Beklagten, es handle sich beim Abladen und Einlagern der Briketts lediglich um eine Vorbereitungshandlung, die als solche nicht versichert ist, greift nicht durch. Die Ausnahme von Vorbereitungshandlungen aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung mag ihre Berechtigung dort haben, wo die Unfallversicherung an die Stelle der Unternehmerhaftung tritt. Anders ist es aber bei § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII. Dort geht es nicht um die Substituierung einer Haftung des Unternehmers, sondern – wie oben dargelegt – um die Einbeziehung von Tätigkeiten, die der Gesetzgeber für sozial erwünscht hält und daher fördern will. Daher kann das Abgrenzungskriterium "Vorbereitungshandlung" für diese Tätigkeiten nicht unbesehen übernommen werden. Vielmehr gebietet es der Normzweck, den Schutzbereich hier weiter zu ziehen und alle Handlungen zu erfassen, die wesentlich der (fremdnützigen) Pflege dienen und nicht überwiegend eigenwirtschaftlichen Interessen der Pflegeperson oder Dritten. Ein solcher wesentlicher Zusammenhang ist hier auch zu bejahen, wie oben bereits erläutert wurde.
Gerade angesichts der Motivationslage der Klägerin bei der unfallbringenden Verrichtung hält es das Gericht auch bei wertender Betrachtung für angezeigt, die hier fragliche Verrichtung der Klägerin in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung einzubeziehen. Je enger nämlich der Kreis der versicherten Tätigkeiten gezogen wird, desto abträglicher ist dies dem Engagement bei der Pflege durch Angehörige. Somit würde dieses nicht gefördert, sondern verringert. Dies liefe aber dem Willen des Gesetzgebers zuwider. Zudem ist zu bedenken, dass eine Familienpflege die Sozialleistungsträger in erheblichem Umfang von Aufwendungen entlastet, auch die Unfallversicherungsträger. Der frühere Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zutreffend darauf hingewiesen, dass dies auch vorliegend der Fall war.
Unschädlich ist ferner, dass der Sohn der Klägerin die Wohnung zusammen mit seiner Lebensgefährtin bewohnte. Im Widerspruchsverfahren hat er nachvollziehbar erläutert, dass und warum das Beheizen mit Holzbriketts vor allem ihm zugute kam, nämlich weil er wegen seines gestörten Kälteempfindens einer zusätzlichen Wärmequelle bedurfte, die in Form eines Kaminofens installiert worden war. Damit kam das Einlagern der Holzbriketts überwiegend dem Pflegebedürftigen zugute.
Daher ist der Klage stattzugeben und wie aus dem Tenor ersichtlich zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 04.04.2011
Zuletzt verändert am: 04.04.2011