I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 133.774,44 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin strebt eine andere Veranlagung an.
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin (im Folgenden ebenfalls: die Klägerin) wurde einer Rechtsvorgängerin der beklagten Berufsgenossenschaft (im Folgenden ebenfalls: die Beklagte) zum 1. Januar 1967 als Mitglied überwiesen und seitdem von der Beklagten – lange Zeit neben einer separaten Zuordnung eines kaufmännischen und verwaltenden Teils – unter die jeweilige Tarifstelle Maschinenbau veranlagt.
Für den Zeitraum 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2009 wurde die Klägerin mit Bescheid vom 20. Dezember 2005 nach der Tarifstelle 05 "Maschinenbau" des Gefahrtarifs 2006 (GT 2006) mit der Gefahrklasse 1,85 veranlagt.
Ab 1. Januar 2010 wurde die Klägerin dann mit Bescheid vom 21. Dezember 2009 nach der Tarifstelle 03 "Herstellung von Maschinen aller Art" des Gefahrtarifs 2010 (GT 2010) mit der Gefahrklasse 1,78 veranlagt.
Erstmals im Dezember 2010 wurde für die Klägerin gegenüber der Beklagten geltend gemacht, die Veranlagung sei nicht zutreffend (gewesen). Die von der Klägerin hergestellten Produkte seien vielmehr als Steuerungseinrichtungen bzw. elektrische oder elektronische Mess- und Prüfgeräte anzusehen und dementsprechend sei die Klägerin fremd zu veranlagen oder alternativ an eine andere Berufsgenossenschaft zu überweisen.
Die Beklagte holte noch verschiedene Informationen über die angebotenen Produkte der Klägerin ein und führte am 13. Mai 2011 eine Betriebsbesichtigung durch. Laut dem Vermerk darüber vom 20. Mai 2011 stelle die Klägerin Produkte im Beeich Enthärtungsanlagen, Filter, Dosierung und Kalkschutz her. Die Einzelteile würden meist zugekauft und dann montiert.
Mit Bescheid vom 18. August 2011 lehnte die Beklagte eine rückwirkende und zukünftige Änderung der Veranlagung und eine Überweisung an eine andere Berufsgenossenschaft ab. Nach den Feststellungen vor Ort beinhalteten die Produkte der Klägerin zwar Mess- und Steuerungselemente, jedoch würden diese Produktgruppen fremdbezogen und nur zum Endprodukt zusammengesetzt. Der Marktauftritt erfolge als Hersteller von Wasseraufbereitungsanlagen und nicht als Hersteller von Mess- und Steuerungselementen. Die Klägerin sei daher zutreffend veranlagt (worden).
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2011 zurückgewiesen.
Dagegen hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten am 12. Januar 2012 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Dosier- und Desinfektionsanlagen stellten den unternehmerischen Schwerpunkt dar. Zudem stelle die Beklagte schwerpunktmäßig auf wenige große Anlagen ab, die für die Tarifstellen als passend erachtet würden, und lasse dafür andere Produkte außer Acht. Der überwiegende Teil der Beschäftigten der Klägerin sei im Bereich Haustechnik tätig; das Produktportfolio bezüglich der Industrie spiele eine untergeordnete Rolle. Die hergestellten Geräte seien sehr wohl Steuergeräte. Wie sich die Klägerin am Markt darstelle sei für die tatsächlich hergestellten Produkte nicht relevant.
Für die Klägerin wird beantragt:
1. Der Bescheid der Beklagten vom 18. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Dezember 2011 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin ab 2007 auf der Basis des Gefahrtarifs der BG Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse nach der Gefahrtarifstelle 03 fremd zu veranlagen.
2. Hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet, die Klägerin ab 2007 an die BG Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse zu überweisen.
3. Hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet, die Klägerin ab 2007 bis 2009 nach der Gefahrtarifstelle 06 und ab 2010 nach der Gefahrtarifstelle 04 zu veranlagen.
4. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin zuviel berechnete Beiträge zu erstatten.
5. Weiter hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ab 2007 neu zu verbescheiden.
Für die Beklagte wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie den Inhalt der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 28. März 2012 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, in der Sache hat sie aber weder im Haupt- noch in einem der Hilfsanträge Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 18. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Dezember 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn die Klägerin ist auch seit dem Jahr 2007 zutreffend von der Beklagten veranlagt worden.
Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Überweisung an einen anderen Unfallversicherungsträger ist § 136 Abs. 1 Satz 4 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII). Danach überweist der Unfallversicherungsträger das Unternehmen dem zuständigen Unfallversicherungsträger, wenn die Feststellung der Zuständigkeit für ein Unternehmen von Anfang an unrichtig war oder sich geändert hat. Die Feststellung der Zuständigkeit war von Anfang an unrichtig, wenn sie den Zuständigkeitsregelungen eindeutig widerspricht oder das Festhalten an dem Bescheid zu schwerwiegenden Unzuträglichkeiten führen würde, § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB VII. Eine Anwendung von § 136 Abs. 1 Satz 4 SGB VII wegen anfänglicher Unrichtigkeit kommt allerdings nicht infrage, wenn die Zuständigkeit des die Mitgliedschaft führenden Unfallversicherungsträgers auf einer Überweisung beruht, weil es dann an einer erstmaligen Aufnahme fehlt und im Rahmen der Überweisung die Zuständigkeit umfassend geprüft wurde (BSG, Urteil vom
12. April 2005, B 2 U 8/04 R; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung,
§ 136 Rz. 5). So verhält es sich hier: Die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten ab 1. Januar 1967 beruhte auf einer Überweisung durch eine andere Berufsgenossenschaft.
Somit bleibt alleine eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Sinn des § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X), die zu einer Änderung der Zuständigkeit führt. Dies liegt nach § 136 Abs. 2 Satz 2 SGB VII vor, wenn das Unternehmen grundlegend und auf Dauer umgestaltet worden ist.
Die Klägerin ist ein Unternehmen, das nicht in die Zuständigkeit einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft oder eines Unfallversicherungsträgers der öffentlichen Hand fällt,
§ 121 Abs. 1 SGB VII. Welche gewerbliche Berufsgenossenschaft für die Klägerin zuständig ist, orientiert sich damit gemäß § 122 SGB VII mangels entsprechender Rechtsverordnung nach der überkommenen Aufteilung, wie sie im Beschluss des Bundesrates des Deutschen Reiches vom 21. Mai 1885 festgehalten ist. Eine Abänderung dieser bundesgesetzlichen Zuständigkeitsregelungen mittels Satzungsrechts einer Berufsgenossenschaft ist ohne eine entsprechende Rechtsgrundlage nicht möglich, so dass es auf die Satzungen der infrage kommenden Berufsgenossenschaften nicht entscheidend ankommt.
Nach den Ausführungen der Beklagte, wie sie im angefochtenen Bescheid vom 18. August 2011 festgehalten sind, stellt die Klägerin Produkte im Bereich Wasseraufbereitung her. Dazu zählen Entkalkungsanlagen, Filter, Dosier- und Filtrationsanlagen und auch ein Tafelwasserspender. In der mündlichen Verhandlung hat zudem ein Vertreter der Klägerin zusammengefasst, die Klägerin produziere Filtrationstechnik. Dabei weise die Klägerin nur eine geringe Fertigungstiefe auf, 80 bis 90% der Teile würden zugekauft und dann montiert. Das Gericht hat keinen Anlass an diesen Angaben zu zweifeln. Das gilt auch für die Beobachtungen, welche die Beklagte im Rahmen der Betriebsbesichtigung am 13. Mai 2011, festgehalten im Vermerk vom 20. Mai 2011, gemacht hat. Denn die beidseitigen Angaben decken sich. Die in der mündlichen Verhandlung überreichten Prospekte bestätigen das Bild, dass die Klägerin die oben genannten Produkte im Bereich Wasseraufbereitungssystem herstellt und verkauft.
Diese Unternehmenstätigkeit kann unter dem Begriff Maschinenbau subsumiert werden. Zwar enthalten die Produkte der Klägerin – dem technischen Fortschritt geschuldet – inzwischen auch elektrische oder elektronische Teile. Doch stellt die Klägerin diese Elemente zum einen nicht selbst her, sondern kauft sie zu und montiert sie nur. Und zum anderen handelt es sich bei den von der Klägerin hergestellten Endprodukten nicht um elektrische Klein- oder Großgeräte, Geräte der Nachrichten-, Mess-, Informationstechnik oder Mikroelektronik, weil der Hauptzweck die Wasseraufbereitung – zu welchem Zweck auch immer – ist, nicht aber das bloße Übermitteln von Nachrichten, das Messen oder das Steuern.
Ein eindeutiger Widerspruch zur Zuständigkeitsverteilung zwischen der Beklagten und der sonst infrage kommenden BG ETEM liegt damit nicht vor. Auch stellt sich der Verbleib der Klägerin bei der Beklagten nicht als schwerwiegende Unzuträglichkeit dar. Denn etwaige, von der Klägerin erhoffte Beitragseinsparungen bei einer Überweisung an eine andere Berufsgenossenschaft begründen eine solche Unzuträglichkeit nicht.
Somit ist die Klägerin zu Recht Mitglied der Beklagten.
Auch eine fehlerhafte Veranlagung bei der Beklagten ist nicht zu erkennen.
Für die Änderung einer Veranlagung bestimmt § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII i.V.m. den §§ 44 ff. SGB X, dass ein Veranlagungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wird, soweit die Veranlagung zu einer zu hohen Gefahrklasse von dem Unternehmern nicht zu vertreten ist. In allen übrigen Fällen wird nach § 160 Abs. 3 SGB VII ein Veranlagungsbescheid mit Beginn des Monats, der der Bekanntgabe des Änderungsbescheids folgt, aufgehoben.
Die Veranlagung selbst richtet sich nach § 159 SGB VII in Verbindung mit einem auf der Grundlage von § 157 SGB VII erlassenen Gefahrtarif. Gefahrtarife können als autonomes Recht durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit überprüft werden. Allerdings nur daraufhin, ob sie mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage und mit sonstigem höherrangigem Recht vereinbar sind. Innerhalb der Ermächtigung ist den Unfallversicherungsträgern ein Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt. Die Prüfung, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung trifft, ist deshalb nicht Aufgabe der Gerichte (BSG, Urteil vom 28. November 2006, B 2 U 10/05 R).
Demzufolge hat die Beklagte die Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2009 mit Bescheid vom 20. Dezember 2005 zu Recht nach der Tarifstelle 05 "Maschinenbau" des Gefahrtarifs 2006 (GT 2006) mit der Gefahrklasse 1,85 und seit 1. Januar 2010 mit Bescheid vom 21. Dezember 2009 zu Recht nach der Tarifstelle 03 "Herstellung von Maschinen aller Art" des Gefahrtarifs 2010 (GT 2010) mit der Gefahrklasse 1,78 veranlagt.
Der GT 2006 führt als Tarifstellen 05 "Herstellung von Maschinen aller Art, …" auf und als Tarifstelle 06 "Herstellung und Instandhaltung von Haushaltsmaschinen, kleinen Büromaschinen und -geräten, Steuerungsgeräten, Herstellung von Wälzlagern, Armaturen bis 2 kg und Erzeugnissen aus Sintermetallen, Herstellung von Drahtwaren aus Nichteisenmetall".
Der GT 2010 führt als Tarifstelle 03 "Herstellung von Maschinen aller Art, …" und als Tarifstelle 04 "Herstellung und Instandhaltung von Haushaltsmaschinen, kleinen Büromaschinen und -geräten, Steuerungsgeräten, Herstellung von Wälzlagern, Armaturen bis 2 kg und Erzeugnissen aus Sintermetallen, Herstellung von Drahtwaren, Federn, Ketten, Metallschläuchen, Schrauben, Norm- und Facondrehteilen, Schlössern, Beschlägen, Metallkurzwaren, Herstellung von Gold-, Silber, Blei- und Zinnwaren, Graveure" auf.
Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, stellt die Klägerin keine Mess-, Regelungs- oder Steuergeräte her, sondern Produkte zur Wasseraufbereitung. Diese werden zwar zu einem größeren Teil auch in Privathäusern eingesetzt. Sie sind aber nicht als Haushaltsmaschinen zu verstehen, weil sie keine Funktion im Rahmen einer hauswirtschaftlichen Tätigkeit einnehmen, sondern zur Haustechnik gehören. Dagegen sprechen auch schon die bloßen Dimensionen der Geräte, die auch den überreichten Katalogen ersichtlich sind. Dies gilt auch für den Tafelwasserspender Soda-Jet, der je nach Ausführung bis zu 135 kg wiegt.
Eine Zuordnung der Klägerin insbesondere zur Tarifstelle 06 des GT 2006 bzw. zur Tarifstelle 04 des GT 2010 kommt daher nicht infrage. Die Klägerin betreibt die Herstellung von Maschinen aller Art im Sinn der Tarifstelle 05 des GT 2006 bzw. der Tarifstelle 05 des GT 2010.
Auch im Übrigen ist keine Fehlerhaftigkeit der Veranlagung erkennbar, insbesondere kein Verstoß der GT 2006 und GT 2010 gegen höherrangiges Recht.
Somit scheidet auch ein Anspruch auf Fremdveranlagung oder Veranlagung nach einer anderen Tarifstelle des Gefahrtarifs der Beklagten aus.
Wegen der Rechtmäßigkeit der bisherigen Veranlagung gibt es auch keine Grundlage für eine Neuverbescheidung oder für die Erstattung zu viel gezahlter Beiträge.
Daher ist die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 54 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes. Beim Streit über die richtige Veranlagung bzw. die Überweisung ist als Streitwert der dreifache Betrag der streitigen jährlichen Beitragsdifferenz, mindestens aber der vierfache Auffangstreitwert, also 20.000 EUR, anzunehmen (BSG, Urteil vom
9. Mai 2006, B 2 U 34/05R). Der erstgenannte Betrag ist hier der höhere. Auf der Grundlage der von der Beklagten im Schreiben vom 3. November 2011 im Verfahren S 8 U 278/11 vorgenommen Berechnung ergibt sich eine jährliche Beitragsdifferenz von 44.591,48 EUR. Der dreifache Betrag beläuft sich demnach auf 133.774,44 EUR und wird als Streitwert festgesetzt. Die Frage der richtigen Veranlagung und das Begehren nach Überweisung überschneiden sich derart, dass keinem eine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt.
Erstellt am: 24.09.2013
Zuletzt verändert am: 24.09.2013