1. Der Bescheid der Beklagten vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Januar 2012 wird aufgehoben und die Beklagte wird dem Grunde nach verpflichtet, der Klägerin wegen ihrer Berufskrankheit nach Nummer 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-verordnung für die Zeit vom 21. Juli 2010 bis zum 20. Juli 2011 Übergangsleistungen zu bewilligen.
2. Die Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Übergangsleistungen.
Die 1987 geborene Klägerin absolvierte von September 2003 bis 20. Juli 2006 eine Bäckerlehre. Sie bezog zuletzt eine monatliche Ausbildungsvergütung von netto 482,25 EUR. Die Tätigkeit gab die Klägerin am 20. Juli 2006 auf.
Im Juli 2006 wurde der Beklagten der Verdacht auf eine Berufskrankheit wegen einer Mehlstauballergie angezeigt. Das von dem Arbeitsmediziner Dr. W. erstellte Gutachten vom 1. März 2007 ergab eine allergische Rhinopathie infolge berufsbedingter Allergenen (Roggen- und Weizenmehl). Dr. W. hielt eine Berufskrankheit (BK) nach Nummer 4301 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BK 4301) für gegeben und nahm einen Unterlassungszwang an. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit stufte er als nicht messbar ein.
Vom 21. Juli 2006 bis zum 3. Juni 2007 bezog die Klägerin Verletztengeld. Vom 25. August 2006 bis 7. April 2007 arbeitete sie zudem im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung als Lageristin.
Ab dem 4. Juni 2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben eine Umschulung zur Bürokauffrau, an welcher die Klägerin bis zum 6. Juli 2009 teilnahm. Während dieser Zeit erhielt die Klägerin Übergangsgeld.
Mit Bescheid vom 22. Oktober 2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin wegen der BK 4301 Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) für das 2. Laufjahr, wobei eine Staffelung von 5/5 im 1. Jahr bis 1/5 der Höchstgrenze im 5. Jahr zugrunde gelegt wurde.
Im Anschluss an das Ende der Umschulungsmaßnahme meldete sich die Klägerin arbeitslos und bezog bis zum 23. März 2010 Arbeitslosengeld.
Mit Bescheid vom 3. September 2009 bewilligte die Beklagte dann Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV für das 3. Laufjahr.
Am 2010 gebar die Klägerin eine Tochter.
Unter dem 23. Juli 2010 teilte die Klägerin auf Anfrage der Beklagten mit, sie erhalte vom 23. März bis 29. Juni 2010 Mutterschaftsgeld und vom 20. April 2010 bis 19. April 2011 Elterngeld. Arbeitslos sei sie nicht gemeldet.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 30. Juli 2010 Übergangsleistungen für das 4. Laufjahr.
Ende Juli 2011 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie erhalte noch vom 20. April 2011 bis zum 19. Oktober 2011 Landeserziehungsgeld. Arbeitslos sei sie nicht gemeldet.
Mit Bescheid vom 10. August 2011 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Übergangsleistungen für das 5. Laufjahr (21. Juli 2010 bis 20. Juli 2011) ab, weil ein Minderverdienst nicht infolge der BK bestehe.
Der Widerspruch, der von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin begründet wurde, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2012 zurückgewiesen.
Dagegen hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten am 1. März 2012 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Die wirtschaftlichen Nachteile der Klägerin seien nicht durch die Elternzeit verursacht worden, sondern ohne die Berufskrankheit hätte die Klägerin ihre Tätigkeit lediglich unterbrochen und nach Beendigung des Mutterschutzes wieder ausgeübt. Die Klägerin habe sich auch um Arbeit bemüht und dazu mit ihrer Mutter und einer Bekannten Stellenanzeigen durchgesehen. Die Klägerin hätte auch die Möglichkeit gehabt, ihr Kind betreuen zu lassen.
Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört worden und haben damit ihr Einverständnis erklärt.
Für die Klägerin wird beantragt (sinngemäß):
Der Bescheid der Beklagten vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Januar 2012 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin wegen ihrer Berufskrankheit nach Nummer 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung für die Zeit vom 21. Juli 2010 bis zum 20. Juli 2011 Übergangsleistungen zu bewilligen.
Für die Beklagte wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht macht von der Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid Gebrauch. Die Beteiligten sind dazu angehört worden, der Sachverhalt ist geklärt und die Sache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
Die Klägerin hat wegen der bei ihr anerkannten BK 4301 dem Grunde nach Anspruch auf Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV für die Zeit vom 21. Juli 2010 bis zum 20. Juli 2011. Der Bescheid der Beklagten vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Januar 2012 ist daher aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
Nach § 3 Abs. 2 BKV haben Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen. Als Übergangsleistung wird ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Vollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe eines Zwölftels der Vollrente längstens für die Dauer von fünf Jahren gezahlt.
Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum (dem 5. Laufjahr) gegeben.
Bei der Klägerin liegt eine BK 4301 vor. Das ergibt sich aus dem Gutachten des Dr. W. vom 1. März 2007. Die Beklagte hat auch anerkannt, dass die medizinischen Voraussetzungen der BK 4301 vorliegen. Die Klägerin hat ihre gefährdende Tätigkeit am 20. Juli 2006 aufgegeben. Zudem hat die Beklagte der Klägerin für frühere Laufjahre bereits Übergangsleistungen bewilligt, wie sich aus den vorliegenden Bescheiden ergibt.
Dem Anspruch der Klägerin gemäß § 3 Abs. 2 BKV steht im 5. Laufjahr nicht entgegen, dass sie in diesem Zeitraum vom 21. Juli 2010 bis 19. April 2011 Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) und vom 20. April bis 20. Juli 2011 Landeserziehungsgeld nach dem Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetz (BayLErzGG) von jeweils 300 EUR monatlich erhalten und sich nicht arbeitslos gemeldet hat. Denn nach § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 6 BEEG bzw. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG kann neben der Betreuung des Kindes, für das die Leistung bezogen wird, eine Berufstätigkeit von bis zu 30 Stunden pro Woche ausgeübt werden. Der Bezug dieser Leistungen bedeutet somit im Umkehrschluss nicht, dass jemand dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht und deswegen seine Pflicht zur Minderung der BK-bedingten wirtschaftlichen Nachteile verletzt.
Dass die Klägerin sich in ausreichender Weise um Stellen bemüht hat, ergibt sich aus ihren Angaben: Zwar hat sie sich nicht mehr arbeitslos gemeldet. Doch hat sie sich trotzdem um Stellen bemüht und dazu Stellenangebote durchgesehen. Auch stand ihr eine Betreuungsmöglichkeit für ihre Tochter zur Verfügung für den Fall, dass sich eine Beschäftigungsmöglichkeit ergeben hätte.
Das Gericht hält dieses Bemühen der Klägerin hier für ausreichend, zumal auch die Beklagte keine weiteren Anforderungen an die Klägerin gestellt hat, wie etwa die Vorlage einer bestimmten Zahl von Bewerbungen.
Weiter hält das Gericht die zugrunde gelegten Angaben der Klägerin auch für glaubwürdig. Denn bei der geschilderten wirtschaftlich schwierigen Situation ihrer Familie erscheint es dem Gericht vollkommen einleuchtend, dass die Klägerin Elterngeld bzw. Landeserziehungsgeld beantragt und bezogen hat und nicht auf diese Einkünfte verzichtet hat, da sie eben keine Arbeitsstelle hatte. Weiter hält es das Gericht auch für plausibel, dass sich die Klägerin bemüht hat, eine neue Arbeitsstelle zu finden. Denn der Bezug des Eltern- bzw. Erziehungsgelds war – auch zusammen mit der Berufsunfähigkeitsrente – wohl nicht geeignet, recht komfortable Lebensverhältnisse für die 3köpfige Familie zu gewährleisten, zumal das Ende der Zahlung der Übergangsleistungen absehbar war. Hinzu kamen noch die Krankheit des Ehemanns der Klägerin und die dadurch verursachte Einkommensminderung während der Umschulungsmaßnahme durch den Rentenversicherungsträger.
Alles in allem ergibt sich damit für das Gericht, dass die Klägerin gegen ihre Pflicht zur Minderung der wirtschaftlichen Nachteile, die durch die BK-bedingte Tätigkeitsaufgabe entstanden sind, nicht verstoßen hat und sich nicht dem Zweck des § 3 BKV zuwider verhalten hat. Mithin sind die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.
Die Verpflichtung der Beklagten zur Bewilligung von Übergangsleistungen wird gemäß § 130 Abs. 1 SGG nur dem Grunde nach ausgesprochen, weil die Beklagte die Höhe des Anspruchs einfacher ermitteln kann als das Gericht und bisher allein das Bestehen des Anspruchs streitig war.
Daher ist wie aus Ziffer 1. des Tenors ersichtlich zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG und § 63 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch. Das Gericht hält trotz des (formellen) Erfolgs der Klage eine hälftige Kostenerstattung für ausreichend und angemessen. Denn die Verurteilung der Beklagten wird der Klägerin im Ergebnis voraussichtlich allenfalls geringen wirtschaftlichen Nutzen bringen, weil eine etwaige Zahlung von Übergangsleistungen durch eine dann wohl folgende Kürzung bzw. (Teil-)Rückforderung des Elterngeldes bzw. Erziehungsgeldes zu einem großen Teil aufgezehrt werden dürfte und auch die von der Klägerin bezogene private Berufsunfähigkeitsrente auf den Anspruch angerechnet werden dürfte. Diesen Umständen trägt die lediglich hälftige Kostenerstattung Rechnung. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war wegen der streitigen Rechtsfragen notwendig.
Erstellt am: 13.07.2012
Zuletzt verändert am: 13.07.2012