I. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 17. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2008 verurteilt, dem Kläger wegen des Arbeitsunfalls vom 29. November 1990 ab Juni 2006 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 v.H. zu bewilligen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger 1/3 seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger höhere Rente auf unbestimmte Zeit beanspruchen kann.
Der 1962 geborene Kläger erlitt am 29. November 1990 auf dem Weg zu seiner Arbeit einen Verkehrsunfall. Dabei zog er sich im Wesentlichen eine Oberschenkelschaftfraktur, eine Kniegelenksluxation, eine Tibiakopffraktur und einen Abrissbruch der Kniescheibenspitze zu. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 24. März 1993 Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H. ab 25. Februar 1992. Als Unfallfolgen erkannte sie auf der Grundlage des Gutachtens des Prof. Dr. R. vom 3. Januar 1992 an: Bewegungseinschränkung im Hüft-, Knie- und oberen Sprunggelenk, Instabilität im Kniegelenk bei beginnender Sekundärarthrose sowie Muskelminderung des Beines nach Oberschenkelschaft- und Schienbeinkopfbruch sowie Verrenkung des Kniegelenks. Nachdem Dr. C. in seinem Gutachten vom 15. Januar 1994 die MdE mit 30 v.H. bestätigt hatte, wurde die Entscheidung der Beklagten durch den am 14. April 1994 geschlossenen Vergleich vor dem Sozialgericht Augsburg (Verfahren S 3 U 133/93) bestandskräftig.
Der Kläger nahm in der Folge an einer Umschulung zum Bürokaufmann teil. Seit 22. August 1998 war er dann als Wachmann beschäftigt.
Im Abschlussbericht des Klinikums A. vom 23. Januar 2004 wurde eine posttraumatische Pangonarthrose beim Kläger diagnostiziert und Arbeitsunfähigkeit bis 1. Februar 2004 bescheinigt. Außerdem wurde empfohlen zu klären, ob inzwischen nicht eine MdE von über 30 v.H. vorliegt. Dazu erstellte das Klinikum A. dann sein Gutachten vom 15. April 2004. Darin wurde aufgrund der Zunahme der Knorpelschädigung die MdE auf 40 v.H. geschätzt. Allerdings wandte der Beratungsarzt der Beklagten, Dr. G., dagegen ein, die MdE betrage weiter 30 v.H. Zweifelsfrei habe die Kniearthrose zugenommen. Jedoch sei auch schon bei der Erstbegutachtung ein bedeutender Knorpelschaden vorhanden gewesen. Die Kniegelenksbeweglichkeit sei gleich geblieben, es liege kein Reizknie vor und die Beweglichkeit von Hüft- und Sprunggelenk habe sich sogar gebessert.
Am 5. Januar 2005 wurde dem Kläger eine Kniegelenksprothese links implantiert.
Dr. G. empfahl daher eine abschließende Begutachtung nach Ende der Arbeitsunfähigkeit. Grundsätzlich hielt er die Totalendoprothese (TEP) aber nicht allein für einen Grund, die MdE höher zu bemessen.
Der Chirurg Herr M. gab in seinem Krankheitsbericht vom 6. April 2006 die Kniegelenksbeweglichkeit links mit 0-0-135° an. Das funktionelle Ergebnis der TEP sah er als ausgesprochen gut an. Er ging von einer vollen Arbeitsunfähigkeit des Klägers bezogen auf die Tätigkeit als Wachmann aus. Dies beschränkte er nach Vorlage einer geänderten Tätigkeitsbeschreibung in seiner Stellungnahme vom 24. April 2006 jedoch bis 1. Dezember 2005. Der D-Arzt nahm im Zwischenbericht vom 11. Mai 2006 eine MdE von über 20 v.H. und Arbeitsfähigkeit ab dem 18. Mai 2006 an.
Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Juni 2006 das Verletztengeld mit Ablauf des 17. Mai 2006 ein.
Mit dem Widerspruch hiergegen wurde ein Aufhebungsvertrag vorgelegt, demzufolge das Arbeitsverhältnis des Klägers als Wachmann zum 17. Mai 2006 beendet wurde.
Die Beklagte veranlasste eine weitere Begutachtung durch die Dres. S./Z … Diese stellten in ihrem Gutachten vom 2. Dezember 2006 ein hinkendes Gangbild, eine verminderte Kniebeugung links (0-0-115°), eine deutliche Bewegungseinschränkung des linken oberen Sprunggelenks, eine regelrecht einliegende TEP ohne Patellaersatz sowie eine deutliche Muskelminderung am linken Bein fest. Es bestünden noch Anlaufbeschwerden und Schmerzen an der linken Hüfte und dem linken oberen Sprunggelenk. Eine Verschlimmerung sei nicht eingetreten, die MdE betrage nach wie vor 30 v.H.
Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. Juni 2006 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2007 zurück.
Die hiergegen am 24. Juli 2007 zum Sozialgericht Augsburg erhobene Klage ist unter dem Aktenzeichen S 8 U 188/07 anhängig geworden.
Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. Juli 2006 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2008 zurückgewiesen.
Dagegen hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 28. März 2008 ebenfalls Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben.
Mit Beschluss des Gerichts vom 24. April 2008 sind die beiden Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 8 U 92/08 verbunden worden.
Zur Begründung der Klage wird vorgebracht, durch die TEP sei eine wesentliche Änderung eingetreten. Dieser Umstand werde nicht ausreichend gewürdigt, zumal die Kniebeweglichkeit und die Beugefähigkeit des Knies schmerzhaft eingeschränkt sein. Letztlich sei die gesamte linke Körperseite des Klägers in Mitleidenschaft gezogen: Oberes Sprunggelenk, Kniegelenk und Hüftgelenk. Auch psychisch sei der Kläger aufgrund der Unfallfolgen beeinträchtigt.
Das Gericht hat Befundberichte von dem Allgemeinarzt Herrn Sch., dem Orthopäden Dr. R. und dem Nervenarzt Dr. D. eingeholt. Dr. D. hat unter dem 26. Juni 2008 eine tiefergehende depressive Verstimmung ausgeschlossen. Es bestehen keine anhaltende Angst, keine Anhedonie, die kognitiven Funktionen seien normal. Aus den weiter beigezogenen Unterlagen des Versorgungsamtes ergibt sich, dass für die Bewegungseinschränkung von Hüft-, Knie- und oberem Sprunggelenk, die Instabilität im Kniegelenk und den künstlichen Gelenkersatz des Knies sowie eine Muskelminderung des Beins (Folgen des Arbeitsunfalls) und eine Hüftgelenksarthrose rechts ein Einzelgrad der Behinderung von 40 festgestellt worden ist.
Das Gericht hat dann Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. E … Aus dessen Gutachten vom 27. Mai 2009 ergibt sich, dass der Kläger seit der TEP-Implantation Schmerzen und eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung beklagt. Nach einer Gehzeit von etwa 30 Minuten würden Knieschwellungen auftreten. Der Sachverständige hat ein linksbetont hinkendes Gangbild beschrieben. Akute Entzündungszeichen der Gelenke hat er nicht gefunden, ebenso wenig Gefühlsstörungen an beiden Beinen. Für das linke Knie hat er eine Bewegungseinschränkung bei Beugung von 0-0-115° festgestellt. Die Seitenbänder sind stabil gewesen. Es hat sich eine deutliche Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur links gezeigt. Auch am linken oberen Sprunggelenk ist eine Bewegungseinschränkung gegeben gewesen. Im Röntgenbild hat sich gezeigt, dass die TEP korrekt und reizlos, ohne Lockerungszeichen einliegt. Aufgefallen sind zudem eine deutliche Kraftminderung bei der Kniestreckung und ein Tiefstand der linken Patella. Ferner hat Dr. E. eine Lähmung des Nervus femoralis ausgemacht. Dies sei eine nicht seltene Komplikation nach Implantation einer Knieprothese. Bei einer Lähmung dieses Nervs komme es zu einer Verschmächtigung der von ihm innervierten Oberschenkelmuskulatur, des so genannten Streckapparates des Beines. Typisch sei auch ein Tiefstand der Kniescheibe, da die Muskelspannung der Oberschenkelstreckmuskulatur, welche die Kniescheibe normalerweise stabilisiere und in ihrem knöchernen Bett halte, nicht mehr ausreichend gegeben sei. Für ein sicheres und hinkfreies Gehen sei eine aktive Streckung im Knie unerlässlich. Sei diese gestört, seien ein hinkendes Gangbild und Schmerzen beim Gehen erklärbar. Außerdem sei durch die veränderte Stellung der Kniescheibe die Kniegelenkskinematik deutlich verändert. Eine Schwäche der Kniegelenksbeugung sowie der Hüftgelenksbeugung und der aktiven Gelenksstreckung hat der Sachverständige bei der Untersuchung nicht gefunden. Auch hat es keinen Hinweis auf eine radikuläre Symptomatik oder eine Lähmungserscheinung am Bein gegeben. Die MdE hat Dr. E. vor allem wegen der Teillähmungen der Oberschenkelstreckmuskulatur und der daraus folgenden Kraftminderung bei Streckung des Kniegelenks mit nachfolgender Fehlstellung der Kniescheibe und zunehmender Beschwerdesymptomatik auf 40 v.H. geschätzt. Auch hat er den Kläger über den 17. Mai 2006 hinaus als arbeitsunfähig angesehen.
Die Beklagte hat unter Berufung auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. G. vom 26. August 2009 eingewandt, im Vergleich zum Vorgutachten vom 15. April 2004 habe sich keine wesentliche Änderung ergeben. Eine deutliche Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur sei bereits im Ausgangsgutachten festgehalten. Die diskrete Läsion des Nervus femoralis sei wahrscheinlich auf das Trauma beziehungsweise die Operation zurückzuführen. Wahrscheinlich sei auch dieser geringe Befund schon im Ausgangsgutachten vorhanden gewesen. Die TEP am linken Kniegelenk sei stabil verankert. Alle artikulierenden und vorher arthrotisch veränderten Gelenksflächen seien durch die Implantate voll abgedeckt. Eine Reizknie bestehe nicht mehr, die Bandverhältnisse seien stabil. Zusammenfassend sei daher keine Befundverschlechterung zu verzeichnen und die MdE weiterhin in Höhe von 30 v.H. gerechtfertigt.
Der Sachverständige hat dazu in einer ergänzenden Stellungnahme vom 30. September 2009 erwidert, die Teillähmung des Nervus femoralis sei durchaus gravierend, da hieraus eine Fehlstellung der Kniescheibe resultiere. Dies werde von Dr. G. nicht erwähnt. Bereits ein gut funktionierendes Knie mit TEP ohne Fehlstellung und ohne Lähmung werde mit einer MdE von 30 v.H. bewertet. Bei lähmungsbedingter Kraftminderung müsse daher die MdE mit 40 v.H. angesetzt werden.
In der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2009 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage zurückgenommen, soweit Verletztengeld über den 17. Mai 2006 hinaus begehrt worden ist.
Für den Kläger wird beantragt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 17. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2008 verurteilt, dem Kläger ab Juni 2006 wegen des Arbeitsunfalls vom 29. November 1990 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 v.H. zu bewilligen.
Für die Beklagte wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 14. Dezember 2009 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Gegenstand des Verfahrens ist nach Rücknahme der Klage bezüglich des zunächst auch beanspruchten weiteren Verletztengeldes noch der Anspruch des Klägers auf höhere Verletztenrente. Darüber hat die Beklagte mit Bescheid vom 17. Juli 2007 entschieden, so dass nur noch dieser in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2008 streitgegenständlich ist, nicht mehr aber der Bescheid vom 2. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juni 2007.
Mit diesem Inhalt ist die Klage zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2008 ist rechtswidrig und der Kläger hierdurch in seinen Rechten verletzt. Denn der Kläger hat ab Juni 2006 Anspruch auf Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 40 v.H.; insofern ist eine wesentliche Änderung eingetreten.
Der Versicherungsfall ist hier am 29. November 1990 und somit vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) zum 1. Januar 1997 eingetreten. Nach den §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII bestimmt sich damit der Eintritt und das Wirksamwerden einer Änderung der Dauerrente nach § 73 SGB VII, die Bemessung der MdE richtet sich aber nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), hier v.a. §§ 580 ff. RVO.
Nach § 580 Abs. 1 RVO erhält ein Verletzter Rente, wenn die zu entschädigende Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert. Zur Höhe regelt § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO, dass als Verletztenrente, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens ein Fünftel gemindert ist, der Teil der Vollrente gewährt wird, der dem Grad der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit entspricht.
Hinsichtlich der Bemessung der MdE galt bereits unter Geltung der RVO, was nun § 56 Abs. 2 SGB VII ausdrücklich festschreibt: Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 30. Juni 1998, B 2 U 41/97 R).
Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch die Unfallfolgen eingeschränkt werden, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Bei der Beurteilung der MdE sind auch die von der Rechtsprechung sowie von dem unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht im Einzelfall bindend sind, aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (vgl. BSG, a.a.O., m. w. N.). Bei der Bildung der MdE sind alle Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen, die mit Wahrscheinlichkeit in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Versicherungsfall stehen. Die Bemessung der MdE ist eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht nach § 128 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft; dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG, Urteil vom 5. September 2006, B 2 U 25/05 R).
Ist bereits in der Vergangenheit bindend über die MdE entschieden worden, ist nach § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) der entsprechende Verwaltungsakt aufzuheben bzw. abzuändern, wenn eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eingetreten ist. Eine solche wesentliche Änderung ist nach § 73 Abs. 3 SGB VII nur gegeben, wenn sich die MdE um mehr als 5 v.H. verändert hat; bei Renten auf unbestimmte Zeit muss die Veränderung der MdE außerdem länger als drei Monate andauern.
Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger ab Juni 2006 Anspruch auf Verletztenrente als Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 40 v.H.
Allein streitig ist zwischen den Beteiligten, wie die MdE aufgrund der im Januar 2005 erfolgten Knie-TEP nun zu bewerten ist. Unstreitig ist zwischen ihnen, dass die TEP unfallbedingt erfolgt ist. Auch das Gericht hat daran keinen Zweifel. Sowohl der Sachverständige Dr. E. als auch der Beratungsarzt der Beklagten, Dr. G., gehen davon aus, dass die Folgen des Arbeitsunfalls vom 29. November 1990 die Implantation der TEP mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bedingt haben. Auch war dies als mögliche Entwicklung bereits im ersten Rentengutachten vom 3. Januar 1993 angedeutet worden.
An Unfallfolgen liegen zur Überzeugung des Gerichts seit Juni 2006 vor: Die Knie-TEP links, eine Beugungseinschränkung im linken Kniegelenk von 0-0-115°, eine partielle Lähmung des Nervus femoralis, ein Tiefstand der Kniescheibe, eine Bewegungseinschränkung im linken Sprunggelenk und im Hüftgelenk links, eine deutliche Muskelminderung und eine Kraftminderung des linken Beins sowie ein linkshinkendes Gangbild. Die Knie-TEP links liegt nach den sachverständigen Feststellungen regelgerecht und reizlos ein, die Bandverhältnisse sind stabil. Es zeigen sich keine Reizerguss- oder Lockerungszeichen der TEP. Diese unfallbedingten Beeinträchtigungen des Klägers ergeben sich insbesondere aufgrund der Feststellung des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 27. Mai 2009. Zweifel an deren Vorliegen hat das Gericht nicht; diese sind auch nicht von Beklagtenseite geäußert worden (siehe dazu auch die Aufzählung in der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 26. August 2009). Dass auch eine Teilläsion des Nervus femoralis vorliegt, hat sich bei der zusätzlichen neurologischen Untersuchung im Rahmen der gerichtlichen Begutachtung bestätigt. Zudem hat Dr. E. erläutert, dass dies eine nicht seltene Komplikation nach Implantation einer Knieprothese ist. Bei einer Lähmung dieses Nervs komme es zu einer Verschmächtigung der von ihm innervierten Oberschenkelmuskulatur, des so genannten Streckapparates des Beines. Typisch ist auch ein Tiefstand der Kniescheibe, da die Muskelspannung der Oberschenkelstreckmuskulatur, welche die Kniescheibe normalerweise stabilisiert und in ihrem knöchernen Bett hält, nicht mehr ausreichend gegeben ist. Diese Begründung hält das Gericht für überzeugend, insbesondere da die Läsion des Nervs elektromyelographisch bestätigt ist und gut den Tiefstand der Patella erklärt. Nachdem eine frühere Läsion nicht nachgewiesen ist und ein Kniescheibentiefstand links zuvor auch nirgends dokumentiert ist, ist davon auszugehen, dass die Läsion – zumindest in dem nun feststellbaren Ausmaß – erst bei der TEP-Implantation am 5. Januar 2005 eingetreten ist. Der Auffassung von Dr. G., ein geringer Befund sei bereits im Ausgangsgutachten berücksichtigt, kann daher nicht gefolgt werden.
Maßstab für die Beurteilung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, ist zudem nicht das Gutachten vom 15. April 2004, sondern die Unfallfolgen, wie sie im Bescheid der Beklagten vom 24. März 1993 festgehalten sind. Damals war eine Läsion des Nervus femoralis nicht anerkannt worden. Das zeigt auch nochmals das im Verfahren S 3 U 133/93 eingeholte Gutachten des Dr. C. vom 15. Januar 1994.
Messbare, zusätzliche Unfallfolgen auf psychischem Gebiet haben sich nicht feststellen lassen. Die Behandlung bei Dr. D. gibt, wie dessen Befundbericht zeigt, keinen Anhalt dafür, dass der Kläger psychisch über das üblicherweise zu erwartende Maß infolge seiner Unfallfolgen belastet ist.
Anders als die Beklagte meint, hält das Gericht eine MdE von 30 v.H. allein für die korrekt und reizlos einliegende Knie-TEP hier für gerechtfertigt. Richtig ist, dass insofern im unfallversicherungsrechtlichen Schrifttum unterschiedliche Erfahrungswerte angegeben werden. So nennt etwa Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Auflage, S. 169, für eine schmerzfreie Totalprothese am Kniegelenk eine MdE von 20 v.H., während in Schönberger/Mehrtens/Valtentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 724, eine MdE von 30 v.H. für eine regelgerecht funktionierende TEP angegeben wird. Allerdings hat auch der Sachverständige Dr. E. die MdE allein wegen der TEP auf 30 v.H. geschätzt und sich dabei auf entsprechende Erfahrungswerte berufen. Das lässt das Gericht annehmen, dass die Einschätzung mit 30 v.H. trotz medizinischer Fortschritte auf dem Gebiet des künstlichen Kniegelenkersatzes weiter angemessen ist. Zumindest gilt dies im Fall des Klägers. Auch wird in relativ aktueller obergerichtlicher Rechtsprechung für eine reizlos einliegende Knie-TEP weiter eine MdE von 30 v.H. angenommen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. März 2009, L 3 U 315/08).
Dazu kommen noch weitere funktionelle Beeinträchtigungen: Die Beugebehinderung im linken Kniegelenk mit 0-0-115°, eine leichte Gangbehinderung, die Bewegungseinschränkungen im linken Sprunggelenk und im Hüftgelenk links, die deutliche Muskel- und Kraftminderung am Bein und vor allem die Läsion des Nervus femoralis mit daraus folgendem Patellatiefstand. Diese weiteren Einschränkungen rechtfertigen es, die MdE insgesamt mit 40 v.H. anzusetzen. Denn wie der Sachverständige überzeugend dargelegt hat, ist durch die veränderte Stellung die Kniegelenkskinematik deutlich gestört. Die Muskel- und Kraftminderung am Bein beeinträchtigen die Geh- und Stehfähigkeit. Zusätzlich ist der Kläger in seiner Beweglichkeit durch die Beugeeinschränkung im linken Kniegelenk, im Sprunggelenk und im Hüftgelenk beeinträchtigt.
Der somit geminderte Teil der Erwerbsfähigkeit muss daher höher sein als 30 v.H. allein wegen der Knie-TEP. Das zeigt auch der Vergleich mit dem Ausmaß der Erwerbsminderung beim Verlust von Daumen und Zeigefinger bzw. Mittelfinger (MdE 30 v.H.). Die Beeinträchtigungen des Klägers wiegen demgegenüber unerheblich schwerer. Dagegen erreichen sie noch nicht das Maß wie beim Verlust des Unterschenkels im Knie (MdE 50 v.H.). Insgesamt hält das Gericht daher eine MdE von 40 v.H. für gerechtfertigt.
Somit ist eine wesentliche Änderung bei der Feststellung der MdE im Sinn des § 73 Abs. 3 SGB VII eingetreten. Diese ist ab Juni 2006 zu berücksichtigen, da der Verletztengeldanspruch im Mai 2006 geendet hat.
Daher war der Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2007 aufzuheben und die Beklagte wie aus dem Urteilsspruch ersichtlich zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG. Zu berücksichtigen war, dass die Klage hinsichtlich des Verletztengeldes zurückgenommen und bis zur mündlichen Verhandlung Verletztenrente nach einer MdE von 50 v.H. begehrt worden ist. Den Umfang des letztlichen Obsiegens des Klägers bewertet das Gericht daher mit 1/3.
Erstellt am: 02.03.2010
Zuletzt verändert am: 02.03.2010