Rev. erledigt durch Zurückweisung
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26. Mai 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für eine künstliche Befruchtung mit intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI).
Bei der Klägerin, die seit September 2000 wegen unerfüllten Kinderwunsches mit ihrem Ehemann in ärztlicher Behandlung stand, wurde aufgrund einer am 18.12.2000 durchgeführten Bauchspiegelung eine ausgedehnte Endometriose festgestellt. Nachdem ein künstlicher Befruchtungsversuch (In-vitro-Fertilisation – IVF -) fehlgeschlagen war, beantragte die Klägerin unter Vorlage einer Bescheinigung des Frauenarztes Dr. H die Übernahme der Kosten einer Behandlung mittels ICSI. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) – Dr. C – hielt in seinem Gutachten vom 28.11.2001 lediglich eine IVF für erforderlich. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03.12.2001 die Kostenübernahme für eine ICSI ab. Unter Vorlage einer weiteren Bescheinigung des Dr. H legte die Klägerin am 17.12.2001 Widerspruch ein, mit der sie die Auffassung vertrat, Anspruch auf eine entsprechende Behandlung zu haben. In einer weiteren Bescheinigung vom 11.01.2002 wies Dr. H darauf hin, dass die Anwendung von ICSI nach einem Befruchtungsversagen in der konventionellen IVF absolut indiziert sei. Dr. C verwies in einem weiteren Gutachten vom 13.02.2002 darauf, dass der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) die Indikation einer ICSI nur bei andrologischen Problemen bearbeitet habe. Wenn, wie bei der Klägerin im Rahmen der IVF keine Fertilisierung bei einer nur geringen Anzahl von Oozyten zu erreichen gewesen sei, sei es jedoch sinnvoll, auf die IVF/ICSI-Kombinationstherapie umzusteigen, um die Anzahl frustraner IVF-Versuche gering zu halten. Im Februar 2002 wurde bei der Klägerin die IVF/ICSI-Behandlung durchgeführt, wofür ihr einschließlich der Medikamente und Hilfsmittel Kosten in Höhe von 4.230,91 Euro entstanden. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.03.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, weil allein die Reduzierung frustraner IVF-Versuche die Kostenübernahme einer ICSI-Behandlung nicht rechtfertigte.
Die Klägerin hat am 12.04.2002 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben. Sie hat geltend gemacht, eine alleinige Behandlung mittels IVF scheide aufgrund der begrenzten Anzahl verwendungsfähiger Eizellen in ihrem Fall aus. Die Entscheidung der Beklagten stelle sich daher auch wirtschaftlich als unsinnig dar. Soweit in den Richtlinien des Bundesausschusses nur die männliche Fertilitätsstörung als Indikation für ICSI angegeben werde, verstoße diese Regelung gegen das Willkürverbot des Art. 3 Grundgesetz (GG).
Mit Urteil vom 26.05.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 02.07.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Montag, dem 04.08.2003, Berufung eingelegt. Sie ist der Ansicht, dass sachliche Gründe für einen Ausschluss der ICSI bei weiblichen Fertilitätsstörungen nicht vorlägen. Es sei ohne Weiteres erkennbar, dass bestimmte Formen der weiblichen Unfruchtbarkeitsursachen in diese Behandlungsmethode einbezogen werden müssten. Die bei der Klägerin bestehende Eizellendeformierung verhindere die einfache Befruchtung im Reagenzglas, wie sie bei der IVF stattfinde. Ein entsprechender Defekt könne hingegen mittels ICSI behoben werden, wie die inzwischen eingetretene Zwillingsschwangerschaft belege. Eine entsprechende Differenzierung nach männlicher und weiblicher Fertilitätsstörung verstoße im Übrigen gegen Art. 3 GG. Sie widerspreche auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in seinen Urteilen vom 03.04.2001. Schließlich müsste die Beklagte zumindest die Kosten der IVF tragen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Düsseldorf vom 26.05.2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2002 zu verurteilen, ihr 4.230,91 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.04.2002 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, wonach die Endometriose nur eine Indikation für die IVF darstelle.
Der Senat hat eine Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 27.05.2004 eingeholt, auf welche verwiesen wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil der Klägerin die begehrte Kostenerstattung nicht zusteht.
Letzterer Anspruch kann sich nur aus § 13 Abs. 3 Satz 1 Zweite Alt. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) herleiten. Danach sind, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil die Behandlung der Klägerin mittels ICSI nicht notwendig und die Ablehnung der Beklagten daher rechtmäßig gewesen ist. Nach § 27a Abs. 1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung der Schwangerschaft. Dass die hierfür erforderlichen Feststellungen und Beratungen im Sinne des § 27 a Abs. 1 Nrn. 2 und 5 SGB V erfolgt sind, ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Bescheinigungen des Dr. H und Prof. Dr. G, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist. An der Erfüllung der Erfordernisse des § 27 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 SGB V bestehen ebenfalls keine Zweifel. Schließlich bedurfte die Klägerin auch grundsätzlich medizinischer Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft im Sinne des § 27 a Abs. 1 SGB V. Dies jedoch beschränkt auf die IVF; eine Behandlung mittels ICSI war nicht indiziert.
Dies folgt allerdings nicht schon aus der Richtlinie des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss). Die im Zeitpunkt der Durchführung der streitigen Maßnahme entgegenstehende Richtlinie über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung, Stand 01.10.1997 (BAnz 1997 Nr. 243), war wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam (vgl. BSG SozR 3-2500 § 27 a Nr. 3). Die zum 26.02.2002 in Kraft getretene Richtlinie (BAnz 2002 Nr. 92 S. 10941), die nur männliche Fertilitätsstörungen als Indikation für ICSI zulässt (Nr. 11.5) und bei der Endometriose nur IVF vorsieht (Nr. 11.3), galt mangels Veröffentlichung im Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin, die spätestens am 14.02.2002 beendet war, noch nicht (zum Wirksamkeitszeitpunkt entsprechender Richtlinien vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 22).
Daraus folgt jedoch nicht, dass die Klägerin unabhängig von der bei ihr bestehenden Diagnose Anspruch auf die Behandlung mittels ICSI hatte. ICSI unterfiel als neue Behandlungsmethode dem Anwendungsbereich des § 135 SGB V, wonach neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden dürfen, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (Gemeinsamer Bundesausschuss) hierüber Empfehlungen abgegeben hat (vgl. BSG SozR 3-2500 § 27 a Nr. 2 S. 18 ff.; Nr. 3 S. 28 f.). Der zum 01.10.1997 gefasste Beschluss des Ausschusses, ICSI nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zuzulassen, war unwirksam, weil im Lichte der Wertentscheidung des Gesetzgebers mit der Einführung des § 27 a SGB V der Bundesausschuss keine schlüssige Begründung für den Ausschluss für ICSI gegenüber der Durchführbarkeit der IVF geliefert hat (vgl. dazu ausführlich BSG SozR 3-2500 § 27 a Nr. 3 S. 28 ff.). Damit bestand seit dem 01.01.1998 eine Lücke im Leistungssystem (BSG a.a.O. S. 35). Diese kann jedoch zugunsten der Versicherten nur in dem Umfang geschlossen werden und zu Leistungsansprüchen führen, wie in der medizinischen Wissenschaft Konsens über den voraussichtlichen Nutzen der Anwendung von ICSI bestand (so im Ergebnis auch BSG a.a.O., wo unzweifelhaft eine Indikation für ICSI wegen schwerwiegender männlicher Infertilisation bestand). An solchen übereinstimmenden Kenntnissen, bezogen auf den Nutzen von ICSI bei einer vorrangig weiblichen Infertilität, fehlte es jedoch im Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 12), wie auch heute noch.
Nach der damals gültigen Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion der Bundesärztekammer (Dt Ärztebl. 1998, A-3166 – 3171), bestand eine Indikation zur ICSI nur dann, wenn bei schwerer männlicher Infertilität oder aufgrund anderer Gegebenheiten (z.B. erfolglose Befruchtungsversuche), die Herbeiführung einer Schwangerschaft höchst unwahrscheinlich ist (3.2.1.3 der Richtlinie). Es fehlte jedoch an einer schweren männlichen Infertilität beim Ehemann der Klägerin, wie auch an anderen Gegebenheiten im Sinne dieser Richtlinie. Vor Durchführung der streitigen Behandlung hatte lediglich ein einziger Befruchtungsversuch mittels IVF stattgefunden und sonstige besondere Umstände waren nicht zu verzeichnen. Auch Dr. C hat solche nicht aufgezeigt, sondern lediglich allgemein auf die Vermeidung weiterer frustraner Versuche verwiesen. Dass ein weiterer Versuch mittels IVF völlig aussichtslos gewesen sei, hat er hingegen nicht aufgezeigt.
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat in seiner Antwort auf die Anfrage des Senats angegeben, dass die Beschränkung der ICSI auf Fälle der männlichen Infertilität u.a. das Ergebnis der Befragung zahlreicher Sachverständiger der maßgeblichen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften gewesen sei, so dass auch von daher kein Anhalt für ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse zum Nutzen der ICSI bei anderen Diagnosen besteht. Unter diesen Umständen entspricht die Anwendung der ICSI im Fall der Klägerin aber nicht den Anforderungen der §§ 2, 12 SGB V, wonach die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden können und dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen haben.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die bei der hier indizierten IVF entstanden wären (Medikamente, Eizellenuntersuchung- und entnahme). Die Behandlung lässt sich nicht in zwei selbständige Teilbehandlungen im Sinne der IVF und ICSI aufspalten (so im Ergebnis auch BSG SozR 3-2500 § 27 a Nr. 2). ICSI unterscheidet sich im Wesentlichen von IVF dadurch, dass der Befruchtungsversuch im Reagenzglas mittels besonders aufbereiteter Samenzellen durch deren unmittelbare Injektion in die Eizelle erfolgt. Die in gleicher Weise wie bei der IVF dabei erforderliche vorherige medikamentöse Behandlung der Frau und Eizellenentnahme sind nicht als selbständige Behandlungsteile anzusehen, sondern unverzichtbarer Bestandteil der Behandlung mittels ICSI, so dass infolge dieser Behandlungseinheit die Einstandspflicht der Krankenkasse auch nur insgesamt oder überhaupt nicht gegeben ist (vgl. dazu BSG SozR 3-2500, § 135 Nr. 4 S. 11; 14 S. 63 f.).
Diese Betrachtungsweise verletzt die Klägerin nicht in ihren Grundrechten aus Art. 3 GG. Die Klägerin wird nicht wegen ihres Geschlechtes benachteiligt, sondern sie kann die geltend gemachte Leistung allein deshalb nicht beanspruchen, weil es an wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Nutzen der Anwendung von ICSI bei weiblicher Infertilität mangelt. Der Einwand der Klägerin, die Überlegenheit und Notwendigkeit der Behandlung mittels ICSI sei durch deren schließlich erfolgreiche Anwendung bei ihr belegt, überzeugt schon deshalb nicht, weil hierdurch nicht belegt wird, dass auch die Wiederholung der IVF ein entsprechendes Ergebnis nicht erbracht hätte.
Die Berufung war daher mit der aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 18.04.2006
Zuletzt verändert am: 18.04.2006