Die Berufung der Klägerinnen gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 21.10.2019 wird zurückgewiesen. Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren die Umwandlung eines Kautionsdarlehens in einen Zuschuss und die Zulässigkeit der Aufrechnung des Kautionsrückzahlungsanspruchs mit dem Regelbedarf streitig.
Die 1980 geborene Klägerin zu 1) ist die Mutter der am 00.00.2002 geborenen Klägerin zu 2). Die Klägerinnen bezogenen – wegen bedarfsübersteigendem aber nicht sofort verwertbarem Vermögen (1/4 Eigentumsanteil an der Liegenschaft/ Doppelhaushälfte L-Weg, B) – ab dem 16.07.2014 bis 31.01.2015 darlehensweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (§§ 9 Abs. 4, 24 Abs. 5 SGB II) vom Beklagten. Ab dem 01.02.2015 standen die Klägerinnen nicht mehr im SGB II-Leistungsbezug, da das Einkommen aus Erwerbstätigkeit, Unterhalt und Kindergeld bedarfsdeckend war.
Bereits im April 2014 stellten die Klägerinnen einen Antrag auf Umzugszusicherung und Kautionsgewährung (881 EUR) für eine Wohnung unter der Anschrift Auf dem K, B. Nach erteilter Umzugszusicherung zogen die Klägerinnen zum 15.07.2014 in die genannte Wohnung. Mit Bescheid vom 29.07.2014 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen für die Kaution einen Betrag iHv je 440,50 EUR, insgesamt 881 EUR als Darlehen. Die Kaution solle gemäß § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II im Regelfall als Darlehen erbracht werden. Da im Falle der Klägerinnen keine Anhaltspunkte für einen Ausnahmesachverhalt vorlägen, sei die Kaution in Form eines Darlehens zu übernehmen. Gemäß § 42a Abs. 2 SGB II würden die Rückzahlungsansprüche aus einem Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung iHv 10 % des maßgebenden Regelbedarfs (39,10 EUR [10 % von 391 EUR] bzw. 26,10 EUR [10 % von 261 EUR]) getilgt. Im Falle der Klägerinnen würde ab dem 01.09.2014 iHv 65,20 EUR aufgerechnet.
Die Klägerinnen widersprachen am 29.08.2014. Der Widerspruch richte sich gegen die Aufrechnungserklärung, da bei der Berechnung des Regelbedarfs Ausgaben für die Mietkaution nicht berücksichtigt würden, was gegen das verfassungsrechtliche Transparenzverbot verstoße und zu einer verfassungswidrigen Bedarfsunterdeckung führe. Daher habe der Beklagte seinen verbliebenen Ermessensspielraum dahingehend auszulegen, dass die Kaution als Zuschuss zu gewähren sei. Der Widerspruch habe insoweit aufschiebende Wirkung.
Mit Bescheid vom 10.11.2014 half der Beklagte dem Widerspruch teilweise ab. Die Aufrechnungsentscheidung werde zurückgenommen. Dieser Bescheid werde gemäß § 86 SGG zum Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens.
Ab dem 03.12.2014 begann die Klägerin zu 1) eine Teilzeitbeschäftigung in einem Umfang von 20 Stunden/Woche (Stundenlohn: 8,66 EUR). Zuvor war sie dort auf geringfügiger Basis beschäftigt.
Mit Bescheid vom 05.03.2015 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerinnen zurück. Die darlehensweise Übernahme der Kaution stelle den gesetzlichen Regelfall dar. Gründe von diesem intendierten Ermessen ("soll") abzuweichen, bestünden nicht. Als Ausnahmegründe käme ein Eigenanteil an den Unterkunftskosten, Energiekostenrückstände, krankheitsbedingte Belastungen etc. in Betracht. Derartige Ausnahmegründe seien nicht gegeben, zumal die Klägerin zu 1) Freibeträge aus ihrem Erwerbseinkommen zur Sicherung des Lebensunterhalts einsetzen könne. Die Aufrechnungsmöglichkeit ergebe sich aus § 42a SGB II und sei nicht verfassungswidrig. Die Wiederaufnahme der Aufrechnung erfolge mit dem 1. des Folgemonats, der auf die Bestandskraft des angefochtenen Bescheides folge.
Hiergegen haben die Klägerinnen bei dem Sozialgericht Detmold am 10.04.2015 Klage eingereicht und ihr Vorbringen wiederholt und vertieft.
Die Klägerinnen haben schriftsätzlich beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 29.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Mietkaution für die Wohnung Auf dem K in B in Höhe von 881 EUR als Zuschuss zu gewähren, hilfsweise auf die Aufrechnung zu verzichten.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Rahmen eines Erörterungstermins hat das Sozialgericht die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid und die Verhängung von Verschuldenskosten angehört.
Mit Gerichtsbescheid vom 21.10.2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und der Klägerin zu 1) Verschuldenskosten iHv 150 EUR auferlegt.
Gegen den am 23.10.2019 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Klägerinnen am Montag, den 25.11.2019 Berufung eingelegt und ihre Begründung aus dem Widerspruchs- und Klageverfahren wiederholt und vertieft.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 21.10.2019 und den Bescheid des Beklagten vom 29.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2015 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, die darlehensweise gewährte Mietkaution für die Wohnung Auf dem K in B iHv 881 EUR als Zuschuss zu gewähren, hilfsweise auf die Aufrechnung zu verzichten.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er nimmt auf den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bezug.
Der Senat hat nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 03.03.2020 die Berufung dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und alleine durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung wurde gemäß § 153 Abs. 5 SGG dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheiden konnte. Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG). Von einer Entscheidung durch den konsentierten Einzelrichter hat das Gericht – trotz der Zustimmung der Beteiligten – abgesehen, was zulässig ist (vgl. hierzu: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 155 Rn. 13).
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage der Klägerinnen auf Umwandlung des Kautionsdarlehens in einen Zuschuss und auf Aufhebung der Aufrechnungsentscheidung, abgewiesen.
Gemäß § 22 Abs. 6 SGB II können Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen können bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden.
Nach der gesetzlichen Konzeption soll die Kaution nur darlehensweise übernommen werden. Durch die Verwendung des Wortes "soll" in § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II ist ein (intendiertes) Ermessen für ein Darlehen gegeben, von welchem nur in Fällen atypischer Bedarfslagen abgewichen werden kann (Luik, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl., § 22 Rn. 238). Ein Ermessensausfall liegt insoweit nicht vor. Schon in dem Ausgangsbescheid vom 29.07.2014 hat der Beklagte Ermessen ausgeübt. Weder liegt eine Ermessensüberschreitung noch ein Ermessensmissbrauch vor. Die Klägerin verkennt, dass hier ein Fall des rechtlich gebundenen, intendierten Ermessens ("soll") vorliegt. Bei dieser Form handelt es sich grundsätzlich um eine gebundene Entscheidung, von der die Behörde nur in atypischen Fällen abweichen darf. Dies hat der Beklagte hier zutreffend eingeordnet.
Wie auch das Sozialgericht zutreffend herausgearbeitet hat, ist hier kein atypischer Fall zu erkennen. Dass die Klägerin zu 1) wegen der Finanzierung ihres Hausanteils "ganz erhebliche Verbindlichkeiten" gehabt habe, mag sein, jedoch stand diesen Verbindlichkeiten Vermögen in Form der Immobilie entgegen, was sogar dazu geführt hat, dass den Klägerinnen nur darlehensweise Leistungen erbracht wurden. Das Sozialgericht hat insoweit treffend ausgeführt, dass es widersinnig wäre, wenn das eigentlich zuschusssweise zu erbringende Alg II darlehensweise erbracht wird, während die grundsätzlich darlehensweise zu erbringende Kaution als Zuschuss gezahlt werden soll. Unabhängig davon war die Situation der Klägerinnen in wirtschaftlicher Hinsicht sogar besser als in den meisten Bedarfsgemeinschaften, weil von Anfang an anrechnungsfreies Einkommen und Vermögen vorlag und die Klägerinnen sogar relativ rasch wegen Erwerbseinkommen, Unterhalt, Kindergeld etc. aus dem Leistungsbezug ausgeschieden sind. Der Umstand, dass ein Studium betrieben wurde, ist ebenfalls unerheblich, da ein Urlaubssemester eingelegt wurde und andernfalls ohnehin Leistungen gänzlich hätten versagt werden müssen (§ 7 Abs. 5 SGB II). Auch der Umstand, dass die Klägerin zu 1) alleinerziehende Mutter war, führt nicht zu einer Atypik, da alleinerziehende Mütter und Väter häufig wegen der Doppelbelastung von Beruf und Familie – wie hier – temporär auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind. Dem hierdurch entstehenden Mehraufwand begegnet der Gesetzgeber mit einer finanziellen Mehrbedarfsentschädigung (§ 21 Abs. 3 SGB II).
Die anfänglich erklärte Aufrechnung ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Insoweit hat das Sozialgericht auch den Hilfsantrag der Klägerinnen zu Recht abgewiesen. Wie das Bundessozialgericht bereits entschieden hat, stehen der gesetzlich geregelten Aufrechnung zur Tilgung von Mietkautionsdarlehen (§ 42a Abs. 2 SGB II) durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken wegen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht entgegen (BSG Urteil vom 28.11.2018 – B 14 AS 31/17 R). Ohnedies ist die Aufrechnungserklärung bereits mit Teilabhilfebescheid vom 10.11.2014 vom Beklagten aufgehoben worden und hat sich nach dem schnellen Ausscheiden aus dem Leistungsbezug auf sonstige Weise erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), da mit dem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug der nicht getilgte Darlehensbetrag sofort fällig wird (§ 42a Abs. 4 Satz 1 SGB II) und eine Aufrechnung mangels Aufrechnungslage ausscheidet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Revisionszulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG lagen keine vor.
Erstellt am: 28.07.2020
Zuletzt verändert am: 28.07.2020