als unzulässig verworfen
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 05.12.2003 geändert und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 31.01.2000 und 25.01.2001 verurteilt, der Klägerin ab 15.10.2004 Leistungen bei Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe II im gesetzlichen Umfang zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat 1/5 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Pflegegeld nach der Pflegestufe III.
Die am 00.00.1929 geborene Klägerin ist Versicherte der Beklagten. Bei ihr besteht ein Zustand nach Schlaganfall mit linksseitiger Lähmung. Sie wird in der im Erdgeschoss eines Zweifamilienhauses gelegenen ehelichen Wohnung von ihrem Ehemann gepflegt. Nach dem Antrag auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung vom 15.11.1999 wurde aufgrund eines Pflegegutachten des Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) E vom 20.01.2000 Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von wöchentlich im Tagesdurchschnitt 92 Minuten ermittelt (Körperpflege einschließlich Darm- und Blasenentleerung 57 Minuten, im Bereich der Ernährung kein, im Bereich der Mobilität 35 Minuten Pflegebedarf). Der Zeitaufwand für die hauswirtschaftliche Versorgung belaufe sich auf "wöchentlich im Tagesdurchschnitt" 45 Minuten. Die Beklagte gewährte Pflegegeld nach der Pflegestufe l ab 01.11.1999 (Bescheid vom 31.01.2000). Ein auf den Widerspruch der Klägerin hin eingeholtes weiteres Pflegegutachten des SMD Dinslaken vom 05.01.2001 bestätigte den festgestellten pflegerischen Zeitaufwand. Die Pflegeperson überzeichne den Hilfebedarf. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 25.01.2001).
Zur Begründung der dagegen zum Sozialgericht (SG) Duisburg erhobenen Klage hat die Klägerin ein aufgrund einer Untersuchung im Oktober 2002 erstelltes Privatgutachten der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. Q vom 23.07.2003 vorgelegt. Wegen der zeitlichen und räumlichen Desorientierung bedürfe die Klägerin einer Beaufsichtigung rund um die Uhr. Der pflegerische Aufwand betrage mehr als 5 Stunden pro Tag.
Die Beklagte hat die angefochtenen Entscheidungen verteidigt.
Das SG hat einen Befundbericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. H eingeholt. Seit dem im Oktober 1999 erlittenen Schlaganfall habe die Klägerin sich deutlich erholt. Bei den Verrichtungen der Grundpflege bedürfe sie Unterstützung und Hilfe. Das SG hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten von Dr. S aus F (Gutachten vom 10.09.2001 aufgrund eines Hausbesuches am 31.08.2001). Im Bereich der Grundpflege bestehe ein wöchentlicher Hilfebedarf im Tagesdurchschnitt von 71 Minuten sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten (Körperpflege einschließlich Darm- und Blasenentleerung 33 Minuten, Ernährung keiner, Mobilität 38 Minuten Pflegebedarf).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 05.12.2003).
Zur Begründung der Berufung hat die Klägerin ihr Vorbringen wiederholt und geltend gemacht, ihr Pflegebedarf vergrößere sich ständig.
Die Beklagte hat das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II ab dem 15.10.2004 im Termin zur mündlichen Verhandlung anerkannt. Dieses Teilanerkenntnis hat die Klägerin nicht angenommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 05.12.2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 31.01.2000 und 25.01.2001 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung, soweit sie über das Teilanerkenntnis hinausgeht, zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil insoweit für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Sachverständigengutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M aus E vom 15.10.2004 und ergänzende Stellungnahme vom 08.03.2005 aufgrund Hausbesuchs am 15.10.2004. Der Zeitaufwand für Grundpflege betrage wöchentlich im Tagesdurchschnitt 217 Minuten. Der Senat hat sodann mit Beweisanordnung vom 12.10.2005 Dr. S zum Sachverständigen ernannt, der ein Sachverständigengutachten aufgrund ambulanter, häuslicher Untersuchung der Klägerin erstellen sollte. Die Klägerin hat es jedoch ablehnt, sich weiter ärztlich untersuchen zu lassen, obwohl sie im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 06.10.2005 über die Pflicht zur Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhaltes sowie der Folgen der unterlassenen Mitwirkung belehrt worden ist.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist im Sinne der Abänderung der angefochtenen Entscheidungen im Umfang des Teilanerkenntnisses der Beklagten vom 19.01.2006 begründet. Im Übrigen ist sie nicht begründet. Das Sozialgericht hat insoweit die Klage zu Recht abgewiesen. Ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach der Pflegestufe III oder auf Leistungen nach der Pflegestufe II für einen Zeitraum vor dem 15.10.2004 besteht nicht.
Pflegebedürftige haben bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (§ 36 Abs 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB XI -); anstelle der häuslichen Pflegehilfe kann der Pflegebedürftige ein Pflegegeld beantragen, wenn er mit dem Pflegegeld und dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung selbst sicherstellt (§ 37 Abs 1 Sätze 1 und 2 SGB XI).
Leistungen nach der Pflegestufe II erhalten Personen, welche die pflegerischen und zeitlichen Voraussetzungen des § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 2 sowie Abs 3 Nr. 2 SGB XI erfüllen (§§ 36 Abs 3 Nr 2, 37 Abs. 1 Satz 3 Nr 2 SGB XI). Schwerpflegebedürftige sind demnach Personen, die Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung und/oder der Mobilität (§ 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI – sogenannte Grundpflege) mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Zeiten und zusätzlich mehrfach in der Woche bei der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs 4 Nr 4 SGB XI) benötigen; der gesamte Pflegebedarf muss mindestens 3 Stunden, die Grundpflege davon mindestens 2 Stunden (120 Minuten) betragen.
Leistungen nach der Pflegestufe III erhalten Personen, welche die pflegerischen und zeitlichen Voraussetzungen des § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 3 sowie Abs 3 Nr 3 SGB XI erfüllen (§§ 36 Abs 3 Nr 3, 37 Abs 1 Satz 3 Nr 3 SGB XI). Schwerstpflegebedürftige sind demnach Personen, die Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung und/oder der Mobilität (§ 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI – sogenannte Grundpflege) täglich rund um die Uhr, auch nachts und zusätzlich mehrfach in der Woche bei der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs 4 Nr 4 SGB XI) benötigen; der gesamte Pflegebedarf muss, mindestens 5 Stunden, die Grundpflege davon mindestens 4 Stunden (240 Minuten) betragen.
Das Ergebnis der Beweisaufnahme reicht weder für die Begründung des Vorliegens der Voraussetzungen der Pflegestufe III aus noch kann damit die Pflegestufe II vor dem 15.10.2004 begründet werden.
Dabei stützt sich der Senat auf die Feststellungen des Sachverständigen Dr. S im Gutachten vom 10.09.2001 auf der Grundlage einer ausgiebigen Untersuchung der Klägerin im Rahmen des Hausbesuches vom 31.08.2001. Nach der inhaltlich ergiebigen, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Argumentation des Sachverständigen hat der Zeitaufwand für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege weniger als 120 Minuten wöchentlich im Tagesdurchschnitt betragen. Die Klägerin, die zum Untersuchungszeitpunkt über Schmerzen im Bereich der rechten Leiste, eingeschränktes Laufen und schlechte Beweglichkeit sowie zunehmende Vergesslichkeit und Verschlechterung des Konzentrationsvermögens klagte, konnte sich im Bereich der Körperpflege den Oberkörper – ohne Rücken – selbst waschen, selbständig die Zähne putzen sowie kämmen. Die Aufnahme der mundgerecht zubereiteten Nahrung erfolgte selbständig. Den Weg zur Toilette sowie die Toilettenbenutzung war ihr mit Hilfsmitteln selbständig möglich, das Richten der Kleidung durch die Pflegeperson jedoch erforderlich. Der Vorlagenwechsel gelang selbständig. Für 1 bis 2 wöchentliche Wannenbäder bedurfte sie der Hilfe bei den Transferleistungen. Es ist daher nachvollziehbar, dass bei der im Zeitpunkt der Untersuchung im August 2001 psychisch als wach, ansprechbar und voll orientiert charakterisierten Klägerin nach den objektivierbaren Befunden der "wöchentlich im Tagesdurchschnitt" (gemeint ist: täglich im Wochendurchschnitt) erforderliche Zeitaufwand im Bereich der Grundpflege 71 Minuten (Körperpflege einschließlich Darm- und Blasenentleerung 33 Minuten, Ernährung keiner, Mobilität 38 Minuten) und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 45 Minuten betragen hat.
Dem Gutachten von Dr. M vermochte der Senat nicht zu folgen, da dessen Schlussfolgerung, der Zeitaufwand für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung betrage seit November 1999 täglich im Wochendurchschnitt für die Grundpflege 217 Minuten und für die hauswirtschaftliche Versorgung 120 Minuten, nicht im Einklang mit den für die Zeit ab November 1999 erhobenen medizinischen Befunden steht. Der SMD hat in seinen Gutachten vom 20.01.2000 und 25.01.2001 den Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von wöchentlich im Tagesdurchschnitt mit 92 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten ermittelt. Dieses Ergebnis berücksichtigt, dass die Klägerin sich durch Rehabilitationsmaßnahmen von den Folgen des Schlaganfalls deutlich erholt hat und erscheint unter Einbeziehung des Berichts der X Kliniken in E vom 29.11.2000 über die teilstationäre Behandlung der Klägerin in der Geriatrischen Tagesklinik nachvollziehbar. Hinsichtlich des Transfers, der Mobilität, der Kraft, der Gehstrecke und der Gehsicherheit wurden Verbesserungen dokumentiert; eine Etage Treppensteigen war mit lediglich geringer Hilfe möglich; die Gehstrecke verbesserte sich mit Hilfe eines Rollators von 30 auf 800 Meter; das Kurzzeitgedächtnis erwies sich als ausreichend; das Lese-Sinn-Verständnis war intakt; eine deutliche Verbesserung der phonematischen Fehlleistungen als auch der Schriftsprache waren zu verzeichnen; die Klägerin machte bei äußerst starker Motivation gute Fortschritte.
Ebenso wenig überzeugen die Ausführungen der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. Q (Gutachten vom 23.07.2003). Dieses Gutachten genügt nicht den Anforderungen an die Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen für die Zuordnung pflegebedürftiger Personen zu einer der Pflegestufe nach § 15 SGB XI. Dafür ist nicht entscheidend, dass Frau Dr. Q zur Einschätzung gelangt, die Klägerin sei seit etwa Mitte 2000 schwerst pflegebedürftig. Nach § 15 Abs 3 SGB XI kommt es vielmehr auf den erforderlichen Zeitaufwand an, der täglich im Wochendurchschnitt nach Minuten (Stunden) festzustellen ist. Daran fehlt es hier.
Vor diesem Hintergrund erachtet der Senat die weitere Aufklärung des Sachverhaltes für notwendig. Diese wird jedoch durch die Weigerung der Klägerin, sich untersuchen und begutachten zu lassen, verhindert. Die Folgen dieser Weigerung, insbesondere der Umstand dass der Senat die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe III als nicht erwiesen ansieht, gehen zu Lasten der Klägerin. Nach § 103 Satz 1 2. Halbsatz SGG sind die Beteiligten zur Mitwirkung bei der Ermittlung verpflichtet. Dementsprechend ist die Klägerin grundsätzlich verpflichtet sich ärztlich untersuchen zu lassen, soweit dies zumutbar ist (vgl BayLSG Urteil vom 27. 10.1999, L 18 SB 48/98, Breithaupt 2000,78). Es steht für den Senat außer Frage, dass die ärztliche Untersuchung durch den mit Beweisanordnung vom 12.10.2005 ernannten Sachverständigen für die Klägerin zumutbar ist. Nachhaltige Gründe gegen die Zumutbarkeit einer ärztlichen Untersuchung im häuslichen Umfeld hat die Klägerin nicht benannt, solche ergeben sich auch nicht aus den Akten. Der bloße Hinweis, sie sei gesundheitlich nicht mehr in der Lage, auf die Fragen eines Sachverständigen zu antworten, reicht nicht aus. Gerade das Ausmaß der körperlichen, seelischen und geistigen Einschränkungen der Klägerin im Hinblick auf den daraus resultierenden individuellen Pflegebedarf ist Gegenstand der Beweiserhebung. Verweigert ein Beteiligter aber die ihm zumutbare Mitwirkung, so verletzt das Gericht nicht seine Pflicht aus § 103 SGG zur Aufklärung von Amts wegen, wenn es keine weiteren Ermittlungen anstellt (Meyer-Ladewig/Leitherer, SGG, § 103 Rdn 17 mwN). Vielmehr gilt, dass auf der Grundlage des bisherigen Ermittlungsergebnisses nach der objektiven Beweislast zu entscheiden ist. D. h., dass jeder im Rahmen des materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Beruft sich die Klägerin darauf, dass bei ihr die Voraussetzungen für die Pflegestufe III bzw.vor dem 15.10.2004 diejenigen der Pflegestufe II vorliegen, geht es zu ihren Lasten, wenn die Tatbestandsmerkmale der § 15 Abs 1 Ziff. 3 bzw. § 15 Abs 1 Ziff. 2 SGB XI durch das Gericht nicht zweifelsfrei festgestellt werden können. Der Bevollmächtigten der Klägerin ist im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 06.10.2005 eingehend über die Folgen einer mangelnden Mitwirkung belehrt worden. Der Senat sieht auch keine Veranlassung, den Sachverhalt angesichts der Weigerung der Klägerin, sich untersuchen zu lassen, durch eine Aktengutachten weiter aufzuklären. Die nach Auffassung des Senats notwendigen Feststellungen lassen sich mit der erforderlichen Genauigkeit nur nach ambulanter Untersuchung der Klägerin treffen. Der für die Zuordnung zu einer Pflegestufe maßgebende Pflegebedarf ist nach seinem objektiven Ausmaß, soweit dieses berücksichtigungsfähig ist (§ 14 SGB XI), zu beurteilen. Der Umfang des Hilfebedarfs bei einer Verrichtung richtet sich grundsätzlich nach den individuellen Bedürfnissen des zu Pflegenden, soweit diese sachlich begründet sind. Nach den Richtlinien zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuchs (Begutachtungs-Richtlinien-BRi) vom 21.03.1997 in der Fassung vom 22.08.2001 hat die Bemessung der zeitlichen Dauer des Hilfebedarfs immer individuell nach den Gegebenheiten und Lebensgewohnheiten des Betroffenen zu erfolgen. Der Zeitbedarf ist dabei auf der Grundlage von Zeitkorridoren zu schätzen. Die Tatsachen, auf denen die Schätzung beruht, sind sachgerecht auszuwählen und vollständig zu ermitteln. Das Abweichen von Zeitvorgaben bedarf der besonderen Begründung. Zur Ermittlung der Tatsachen sind Hausbesuche durchzuführen (BRi, C 2., 2.1., 2.2., 2.3.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Quotelung entspricht dem Verhältnis zwischen Obsiegen und Unterliegen.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 20.01.2010
Zuletzt verändert am: 20.01.2010