Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 26. Januar 2007 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für ein Therapie-Dreirad nebst Zubehör (Dreirad Roll-tech Duo 20615) zum Preis von 3.819,47 EUR.
Die am 00.00.1952 geborene, bei der Beklagten familienversicherte Klägerin ist gelernte Sozialpädagogin und war zuletzt als Lehrerin für behinderte Kinder tätig. Im August 2004 erlitt sie eine rechtshemisphärische Hirnblutung. Seit dieser Zeit besteht eine schwere spastische Hemiparese links mit inkompletter Tetraplegie bei Verlust der Körperkontrolle (Befund- und Behandlungsbericht Dr. L vom 22.08.2006). Die Ernährung erfolgt überwiegend über eine PEG-Sonde bei weitgehend aufgehobener Mobilität (Entlassungsbericht Zentrum für ambulante Rehabilitation GmbH N, Dr. U, vom 25.10.2005). Kurzzeitiges Stehen und Gehen sind nur mit personeller Unterstützung möglich, über-wiegend erfolgt die Fortbewegung im Rollstuhl (MDK-Pflegegutachten Dr. H vom 30.08.2005). Sie bezieht Leistungen nach der Pflegestufe II aus der gesetzlichen Pflegeversicherung (Bescheid der Beklagten als Pflegekasse vom 25.04.2005).
Der behandelnde Allgemeinmediziner Dr. L, X, verordnete ihr am 27.06.2005 ein "Therapiefahrrad bei Tetraplegie". Diese Verordnung faxte die Klägerin am 29.06.2005 zusammen mit einem Kostenvoranschlag vom selben Tag der Firma Bever Med, Ostbevern, über ein Dreirad Roll-tech Duo 20615 mit Fußhalter und Fersenführung über zusammen 3.937,60 EUR an die Beklagte. Noch am selben Tag (29.06.2005) lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab, da nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Versorgung erwachsener Versicherter mit speziellen Behindertenfahrrädern bzw Therapiedreirädern zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht in Betracht komme. Diesen Bescheid gab die Beklagte zusammen mit einem Anschreiben an die Firma Bever Med zur Post auf.
Am 30.06.2005 wurde das Dreirad ausgeliefert (Rechnung vom selben Tag über 3.937,60 EUR) und am 08.07.2005 von der Klägerin nach eigenen Angaben der Kaufpreis (abzüglich Skonto) von 3.819,47 EUR bezahlt. Der von der Klägerin am 12.07.2005 eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20.09.2005).
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 02.11.2005 vor dem Sozialgericht (SG) Münster mit der Begründung Klage erhoben, die Benutzung des Dreirades diene sowohl therapeutischen Zwecken zur Verbesserung des Gleichgewichts, der motorischen Koordination, des Körpergefühls und der Mobilität als auch dem Ausgleich für die bei ihr ausgefallenen Körperfunktionen.
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.07.2005 (gemeint sein dürfte der 29.06.2005) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2005 zu verurteilen, die Kosten für das selbstbeschaffte Therapie-Dreirad mit Zubehör in Höhe von 3.937,60 EUR zu erstatten, hilfsweise, zum Beweis, dass das Dreirad erforderlich sei, um die genannten therapeutischen Ziele zu erreichen, ein Sachverständigengutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Dr. U einzuholen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides bezogen und weiter ausgeführt, die therapeutischen Effekte seien mit einer zielgerichteten Physiotherapie im Rahmen einer Krankenbehandlung ebenso zu erzielen.
Das SG hat von dem behandelnden Allgemeinmediziner Dr. L einen Befund- und Behandlungsbericht (Bericht und Stellungnahmen vom 22.08.2006, 29.08.2006 und 08.09.2006) eingeholt und mit Gerichtsbescheid vom 26.01.2007 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 16.09.1999 – B 3 KR 8/98 R – Sozialrecht (SozR) 3-2500 § 33 Nr 31- ausgeführt, das Therapie-Dreirad sei weder zum Behinderungsausgleich noch zur Sicherung der Krankenbehandlung erforderlich. Es diene einem weit über den allein von der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldeten Basisausgleich hinausgehenden Zweck der Erschließung eines körperlichen Freiraums; die mit der Benutzung des Dreirades möglichen Trainings-Effekte seien mit einem geringeren Kostenaufwand durch weniger aufwendige Geräte und durch entsprechende krankengymnastische oder sportliche Übungen zu erreichen.
Gegen diese, der Klägerin am 31.01.2007 zugestellte Entscheidung richtet sich die bei dem erkennenden Senat am 07.02.2007 eingegangene Berufung. Unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens macht die Klägerin geltend, erst das Training und die Arbeit mit dem Therapie-Dreirad führten bei ihr zu einer Verbesserung des Körpergefühls, des Gleichgewichts und der motorischen Koordination.
Auf Nachfrage des Senats hat sie weiter vorgetragen, das Dreirad werde von ihr seit der Anschaffung 2-mal täglich genutzt. Sie lege jeden Tag insgesamt 10 km zurück und werde dabei von ihren Familienangehörigen, insbesondere ihrem Ehemann, begleitet. Die Häufigkeit der Nutzung erfolge auf ärztliche Weisung, zudem erhalte sie 3-mal in der Woche zusätzliche Krankengymnastik. Ihr sei von einer Mitpatientin in der Rehabilitations-klinik I das Therapie-Dreirad empfohlen worden. Sie habe dann mit dem Lieferanten des Rades ein Rückgaberecht binnen eines Monats vereinbart, falls es für sie nicht geeignet sei. Daraufhin habe sie das Rad bestellt und es am 30.06.2005 ausgeliefert bekommen. Zu diesem Zeitpunkt habe der Ablehnungsbescheid der Beklagten ihr noch nicht vorgelegen. Da sie sich mit dem Rad zunächst nicht recht habe anfreunden können, habe sie bei dem Lieferanten eine weitere Rückgabefrist erreicht und sich danach entschlossen, das Rad zu behalten. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat sie ihr Begehren auf eine Erstattung der von ihr tatsächlich nur aufgewandten Kaufpreiszahlung von 3.819,47 EUR beschränkt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 26.01.2007 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2005 zu verurteilen, ihr aus Anlass des Kaufes des Dreirades Roll-tech Duo 20615 mit Fußhalter und Fersenführung (Rechnung Firma Bever Med vom 30.06.2005) 3.819,47 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid im Ergebnis weiter für zutreffend.
Zur Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat eine Auskunft über die näheren Umstände der Bestellung des Dreirades bei der Firma Bever Med eingeholt. Danach sei das Dreirad am 29.06.2006 von der Klägerin bestellt und am 30.06.2006 ausgeliefert worden (Faxantwort vom 22.01.2008).
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozess- und Verwaltungsakte Bezug genommen, die, ebenso wie die vom Senat beigezogene Verwaltungsakte der Klägerin nach der gesetzlichen Pflegeversicherung, ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, da der Klägerin gegen die Beklagte kein Anspruch auf Kostenerstattung der von ihr für den Kauf des Dreirades Roll-tech Duo 20615 aufgewendeten 3.819,47 EUR zusteht.
Als Rechtsgrundlage kommt für das Begehren der Klägerin allein § 13 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) (hier anzuwenden in der seit 1.07.2001 geltenden Fassung des Art 5 Nr 7 Buchstabe b Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.06.2001, BGBl I 1046) in Betracht. Diese Vorschrift regelt einen Kostenerstattungsanspruch der Versicherten, wenn eine Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch der Versicherten, die sich die Leistung selbst beschafft hat, Kosten entstanden sind.
Die Voraussetzungen der 1. Fallalternative (unaufschiebbare Leistung) liegen nicht vor. Eine Unaufschiebbarkeit in diesem Sinne setzt eine dringende Bedarfslage iSd § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V voraus, die es ausschließt, vor Inanspruchnahme der Leistung einen Antrag bei der Krankenkasse zu stellen. Ein derartiger Notfall bestand hier nicht.
Auch die Voraussetzungen der 2. Fallalternative des § 13 Abs 3 SGB V liegen nicht vor. Die Beklagte hat den Leistungsantrag der Klägerin vom 29.06.2005 nämlich nicht im Sinne dieser Vorschrift zu Unrecht abgelehnt. Bereits der Wortlaut der Regelung ("dadurch") macht deutlich, dass zwischen der Leistungsablehnung und den dadurch entstandenen Kosten ein Ursachenzusammenhang bestehen muss. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, der der Senat nach eigener Prüfung folgt, setzt ein auf Verweigerung der Sachleistung gestützter Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 2. Alternative SGB V voraus, dass die Versicherte die Krankenkasse einschaltet und deren Entscheidung abwartet, bevor sie sich die Leistung beschafft. Denn die Regelung stellt in dem Sachleistungsprinzip des SGB V einen Ausnahmefall dar und gibt einen Anspruch der Versicherten auf Kostenerstattung nur dann, wenn sich das Leistungssystem der Krankenversicherung im Einzelfall als mangelhaft erwiesen hat (st Rspr, vgl BSG, Urteil vom 14.12.2006 – B 1 KR 8/06 R – SozR 4-2500 § 33 Nr 12; Urteil vom 02.11.2007 – B 1 KR 14/07 R – juris.de).
An einer solchen notwendigen vorherigen Ablehnung durch die Beklagte fehlt es hier. Die Klägerin hatte sich bereits unabhängig vom Verhalten ihrer Krankenkasse vertraglich bindend verpflichtet. Dabei kann es der Senat im Ergebnis offen lassen, ob für den maßgeblichen Zeitpunkt der eigenverantwortlichen Durchbrechung des Sachleistungssystems (§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) auf die Bestellung des Dreirades am 29.05.2006 oder auf dessen Auslieferung am 30.06.2005 abzustellen ist, denn die Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 29.06.2005 konnte das weitere Geschehen im Zusammenhang mit dem Kauf des Dreirades nicht mehr beeinflussen.
Die Ablehnungsentscheidung der Krankenkasse vom 29.05.2005 lag der Klägerin bei Auslieferung des Dreirades nach der glaubhaften und mit dem üblichen Verfahrensgang übereinstimmenden Einlassung ihres Ehemannes noch nicht vor. Nach § 39 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wird ein Verwaltungsakt gegenüber derjenigen, für den er bestimmt ist, erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihr nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X bekannt gegeben wird, hier mithin erst nach Auslieferung des Rades durch die Firma Bever Med am 30.06.2005. Die Ablehnung der Beklagten gilt nach § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X erst am 3 Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin unabhängig von der Leistungsentscheidung ihrer Krankenkasse mit der Firma Bever Med bereits eine wirksame privatrechtliche Verein-barung über die Lieferung des Dreirades getroffen, die inhaltlich der Versorgung mit dem Hilfsmittel als Sachleistung durch die Krankenkasse entsprach. Die Einigung erfolgte am 29.05.2006, die Übergabe des Dreirades fand am 30.05.2006 statt, was auf Nachfrage des Senats von der Firma Bever Med bestätigt worden ist. Auf die inhaltliche Ausge-staltung des Vertrages vom 29.06.2006 kommt es nicht an. Wenn diese Vereinbarung als Kaufvertrag oder sonstiger Liefervertrag zwischen der Klägerin und der Firma Bever Med ausgelegt würde, bei der der Klägerin bei Nichtgefallen ein Rücktrittsrecht (§§ 346 f Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) zustand, stand der Vertrag unter der auflösenden Bedingung nach § 158 Abs 2 BGB und die Zahlungsverpflichtung wäre schon vor dem Zugang der Ablehnungsentscheidung der Beklagten fällig gewesen (§ 271 Abs 1 BGB). Legt man den Vertrag ähnlich einem Kauf auf Probe (§ 454 BGB) unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs 1 BGB) der Billigung der Kaufsache aus, wäre der Vertrag zwar erst später (dazu: Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Auflage, § 454 Rn 5), aber immer noch unabhängig von der Leistungsent-scheidung der Beklagten zustande gekommen. Die Klägerin hätte sich auch in diesem Fall bereits vor Ablehnung ihres Leistungsantrags mit der Firma Bever Med abschließend inhaltlich geeinigt, die Rechtsfolgen dieser Einigung wären nur noch abhängig von ihrer Annahmeerklärung gewesen (allein beruhend auf ihrer Entscheidung, ob sie das Rad behalten wolle).
Etwas anderes kann nur gelten, wenn, was hier gerade nicht der Fall war, die Klägerin mit ihrem Vertragspartner vereinbart hätte, dass der Kauf oder die Lieferung unter dem Vorbehalt der Leistungszusage der Krankenkasse stehen sollte (dazu BSG, Urteil vom 23.03.2003 – B 3 KR 7/02 R – SozR 4-2500 § 33 Nr 1). Für die Anwendung des § 13 Abs 3 SGB V kommt es dabei nicht darauf an, dass die Kosten erst nach der Ablehnung durch die Krankenkasse (Zahlung am 08.07.2005) entstanden sind (st Rspr, vgl bereits BSG, Urteil vom 15.04.1997 – 1 RK 4/96 – SozR 3-2500 § 13 Nr 14); maßgebend bleibt die hier fehlende Kausalität zwischen Ablehnung und der Selbstbeschaffung der Leistung. Das gilt selbst dann, wenn mit einer Ablehnung des Leistungsbegehrens – etwa auf Grund von Erfahrungen aus anderen Fällen – von vornherein zu rechnen war, denn Gesetzeswortlaut und – zweck lassen eine andere Auslegung nicht zu (BSG, Urteil vom 14.12.2006, aaO).
Bereits aus diesem Grunde scheitert der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin. Auf die vom SG seiner Entscheidung zugrunde gelegten Frage, ob ein solcher Anspruch – ein Abwarten der Entscheidung der Beklagten über den Leistungsantrag vom 29.06.2005 vorausgesetzt – tatsächlich bestanden hätte, kommt es nicht an.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183 und 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 SGG).
Erstellt am: 30.06.2008
Zuletzt verändert am: 30.06.2008