Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13. Januar 1998 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Kostenübernahme für seine in Belgien erfolgte Behandlung nach der sog. Tomatis-Methode.
Der am …1994 geborene Kläger leidet an spastischer Diplegie mit psychomotorischem Entwicklungsrückstand und auftretenden respiratorischen Affektkrämpfen. Seinen Antrag auf Behandlung mit einer Therapie nach Prof. Tomatis im Atlantis-Institut in S.-T. (Belgien) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.10.1996 ab, weil es sich bei der Audio-Psycho-Phonologie nach Prof. Tomatis nicht um eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode handele. Es liege eine französische Studie vor, wonach die entsprechenden Theorien nicht einmal andeutungsweise einer üblichen medizinischen Argumentation folgten und Publikationen medizinischer Fachzeitschriften fehlten.
Der Kläger legte am 22.11.1996 Widerspruch ein unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Ärztin für Kinder-Jugendpsychiatrie, Dr. S., vom 18.11.1996, die attestierte, dass der Kläger die Therapie nach Tomatis sehr gut toleriere, und die Weiterführung der Therapie daher empfahl.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.1997 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, weil Kosten für Leistungen in einem anderen EU-Mitgliedsstaat nur zu übernehmen seien, wenn die Leistung dort unaufschiebbar benötigt werde oder der zuständige Leistungsträger der Behandlung zuvor zugestimmt habe. Beide Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Darüber hinaus komme eine Kostenübernahme für im Ausland entstandene Aufwendungen nur in Betracht, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung der Krankheit nur im Ausland möglich sei. Diese Voraussetzung erfülle die Tomatis-Therapie ebenfalls nicht.
Der Kläger hat am 28.08.1997 Klage vor dem Sozialgericht – SG – Köln erhoben und geltend gemacht, eine entsprechende Therapie sei in Deutschland nicht möglich gewesen. Er hat des Weiteren Bescheinigungen des Direktors und Diplom-Tomatis-Therapeuten V., der Dr. S. sowie der Feldenkraispädagogin und Krankengymnastin L. vom 16.12.1997 sowie ein Grundsatzgutachten zur Behandlungsmethode nach Prof. Tomatis von Dr. F. vorgelegt.
Das SG hat aus einem anderen Streitverfahren eine Stellungnahme des Ausschusses für Ärzte und Krankenkassen zur Tomatis-Therapie vom 04.03.1997 und eine Stellungnahme des Dr. S. vom 22.05.1997 zu dieser Methode beigezogen und sodann mit Urteil vom 13.01.1998 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kostenerstattungsanspruch scheitere bereits daran, dass, wie sich aus der Bescheinigung des Dr. S. ergebe, die Behandlung ebensogut in der Bundesrepublik Deutschland hätte durchgeführt werden können.
Gegen das ihm am 18.02.1998 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12.03.1998 Berufung eingelegt. Er macht geltend, eine vergleichbare Behandlung sei in Deutschland nicht möglich, weil eine Behandlung in Düsseldorf 14 Tage mit täglicher An- und Abreise gedauert hätte, hingegen die Behandlung in Belgien an 12 Tagen stationär durchgeführt worden sei. Schon dieser zeitliche Aspekt lasse keine Vergleichbarkeit zu, zumal durch die Belastungen des Hin- und Rücktransports der Behandlungserfolg gefährdet gewesen sei. Entgegen der Auffassung des SG entspreche die Therapie nach Tomatis auch allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse, wie sich aus den Darlegungen von Dr. F. ergebe. Auch Dr. S. habe dies nicht in Abrede gestellt. Schließlich hat der Kläger darauf verwiesen, dass das Atlantis-Institut einen medizinischen Leiter, den Neurologen Dr. Van den B., habe und ferner eine Bescheinigung des Direktors V. über die Behandlung vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Köln vom 13.01.1998 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.1997 zu verurteilen, die ihm durch die seit 1996 erfolgte Behandlung im Atlantis-Institut entstandenen Kosten zu erstatten, hilfsweise, Frau Dr. S., …, Köln, nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes zu der Frage zu hören, dass eine stationäre Behandlung nicht im Inland erfolgen kann und dass darüber hinaus eine ambulante Behandlung auch nicht annähernd den Erfolg zeigt, wie er bei einer umfassenden stationären Behandlung zu verzeichnen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, die Tomatis-Therapie sei keine Vertragsleistung, weil es sich um eine nicht anerkannte neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handele. Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers scheitere weiterhin daran, dass er sich gezielt zur Behandlung ins Ausland ohne vorherige Genehmigung begeben habe. Schließlich stehe die Behandlung auch nicht unter ärztlicher Leitung. Der Senat hat die Eltern des Klägers angehört, insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13.12.1999 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten seiner in Belgien durchgeführten Therapie nach Tomatis hat.
Nach den Bestimmungen der EG-VO 1408/71, besteht im Rahmen der Durchführung von Behandlungen im Ausland in einem Staat, der zur Europäischen Union gehört, lediglich ein Anspruch auf Gewährung von Sachleistungen gegen den aushelfenden Krankenversicherungs-Träger. Ob dagegen ein Kostenerstattungsanspruch schon daran scheitert, dass sich der Kläger ohne vorherige Genehmigung der Beklagten gezielt zur Behandlung ins Ausland begeben hat (vgl. Art. 22 Abs. 1 lit. c EG-VO 1408/71) oder ob nach den Grundsätzen über den freien Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union (vgl. EuGH NJW 1998, 1769; 1771) ein solcher Anspruch auch entstehen kann, wenn nach deutschem Recht ein Kostenerstattungsanspruch im Inland gegeben wäre, kann dahinstehen. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 2. Alt. SGB V, wonach hier allein ein entsprechender Kostenerstattungsanspruch in Betracht zu ziehen wäre, sind nicht erfüllt, weil die Beklagte die entsprechende Behandlung im Inland nicht geschuldet und die Kostenübernahme daher zu Recht abgelehnt hat.
Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.V.m. den Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-RL) erbracht werden, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat. Die NUB-RL stellen untergesetzliche Rechtsnormen dar, die in Verbindung mit § 135 Abs. 1 SGB V verbindlich festlegen, welche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Bestandteil des vertragsärztlichen Leistungsspektrums sind, so dass bei Nichtaufnahme einer Untersuchungs- und Behandlungsmethode in diese Richtlinien den Versicherten der Einwand abgeschnitten ist, die von ihm begehrte Methode sei gleichwohl zweckmäßig und verspreche in seinem konkreten Fall einen Heilungserfolg (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4). Die Behandlung nach Tomatis ist durch den entsprechenden Ausschuss bisher aber nicht als vertragsärztliche Behandlungsmethode befürwortet worden. Von einer solchen Anerkennung war auch nicht ausnahmsweise abzusehen. Eine Ausnahme gilt dann, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methoden auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystem beruht, was in der Regel der Fall ist, wenn das Anerkennungsverfahren trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wird (BSG a.a.O.). Nach der von der Beklagten herangezogenen Studie wie auch der vom SG beigezogenen Stellungnahme des Dr. S. liegen aber keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Wirksamkeit der Tomatis-Methode vor. Auch nach dem vom Kläger vorgelegten Gutachten der Dr. F. wird die entsprechende Methode von der Mehrhit der HNO-Ärzte abgelehnt und Dr. F. hat aus Sicht ihres Fachgebietes (Verhaltens-Neurologie) lediglich eigene Erfahrungen aus einzelnen Behandlungsfällen referieren können, ohne dass sich daraus hinreichende Anhaltspunkte für eine wissenschaftlich gesicherte und in Fachkreisen übereinstimmende Anwendungsbefürwortung dieser Methode ergäbe.
Unabhängig davon hat die Beklagte die Behandlung auch deshalb nicht geschuldet, weil es sich nicht um eine ärztliche Behandlung gehandelt hat. Nur auf diese erstrecken sich die Ansprüche aus der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und Hilfeleistungen anderer Personen gehören nur zur ärztlichen Behandlung, wenn sie vom Arzt angeordnet und vom ihm verantwortet sind (§ 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Dieser Arzt vorbehalt in der gesetzlichen Krankenversicherung ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfGE 78, 155, 163; BVerfGE NJW 1998, 1775, 1776). Die Behandlung im Atlantis-Institut in S.-T. ist jedoch nicht durch einen ärztlichen Therapeuten eigenverantwortlich durchgeführt worden. Die Kinderärztin Dr. S. hat die Therapie lediglich befürwortet, sie aber weder verordnet noch eigenverantwortlich durchgeführt noch sonst hierfür die Verantwortung übernommen. Auch der ärztliche Leiter des Instituts, Dr. V. B, hat die Behandlung nicht verantwortlich geleitet. Wie die Eltern des Klägers vor dem Senat selbst angegeben haben, hat Dr. v. B. lediglich bei der Erstuntersuchung mitgewirkt, im weiteren Verlauf hat er aber die Therapie weder durchgeführt noch war er insoweit Ansprechpartner der Eltern des Klägers noch hat er die Abschlussuntersuchung begleitet. Vielmehr hat allein der Nichtmediziner V. allein verantwortlich die gesamte Behandlung geleitet und durchgeführt.
Der Kläger kann schließlich seinen Kostenerstattungsanspruch auch nicht – nach rein innerstaatlichem Recht – aus § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V herleiten, wonach die Krankenkasse, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist, die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen kann. Inwieweit hierdurch Ansprüche in Folge selbst beschaffter Leistungen ohne vorherige Genehmigung des Krankenversicherungsträgers begründet werden können, kann auf sich beruhen. Von den beiden Voraussetzungen, die nach § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V kumulativ erfüllt sein müssen, dass zum einen die im Ausland angebotene Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse genügen muss, und zum anderen im Inland keine diesem Standard entsprechende Behandlung der beim Versicherten bestehende Erkrankung möglich ist, fehlt es jedenfalls an der ersten Voraussetzung. Eine Behandlungsmethode entspricht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, wenn sie von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) befürwortet wird und über die Zweckmäßigkeit – abgesehen von einzelnen unbedeutenden Gegenstimmen – Konsens in der Ärzteschaft besteht (BSG, Urteile vom 16.06.1999 – B 1 K 3/98 R und B 1 KR 4/98 R – zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Dies setzt in der Regel voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können (BSG wie vor). Es muss eine hinreichende, durch wissenschaftlich einwandfrei geführte Statistiken belegte Zahl erfolgreicher Behandlungsfälle nachgewiesen sein (BSG SozR 3 – 2500 § 27 Nr. 5). Daran fehlt es entsprechend den obigen Darlegungen aber gerade, denn weder läßt sich feststellen, dass die Mehrheit der Fachärzte die Tomatis-Methode anwendet noch liegen wissenschaftlich geführte Statistiken über die Wirksamkeit dieser Methode bisher vor. Dies ergibt sich schon aus den einleitenden Ausführungen von Dr. F. (vgl. Bl. 22 der Gerichtsakten – GA -).Bestätigt wird dies durch die Auskunft des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 04.03.1977 (Bl. 30 GA).
Davon unabhängig scheitert auch der Anspruch nach § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V daran, dass die Behandlung des Klägers im Atlantis-Institut nicht unter ärztlicher Leitung stand. Diese Voraussetzung muß im Rahmen des § 18 SGB V entsprechend Geltung haben, auch wenn § 18 Abs. 1 SGB V eine unzureichende medizinische Versorgungslage im Inland ausgleichen will. Dieser Ausgleich bezieht sich aber nur auf Krankenbehandlungen im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, so dass der Arztvorbehalt für die Auslandsbehandlung in gleicher Weise Geltung haben muss (vgl. auch LSG NRW, Beschl. v. 22.06.1998 – L 5 KR 41/97 -).
Bei dieser Sach- und Rechtslage brauchte der Senat dem hilfsweise gestellten Beweisantrag auf Anhörung der Dr. S. über die Frage, ob eine stationäre Behandlung nach Tomatis allein im Ausland erfolgen könne und eine solche Behandlung erheblich erfolgreicher sei, nicht nachzugehen, da der Anspruch des Klägers bereits aus anderen Gründen scheiterte.
Die Berufung mußte vielmehr mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Erstellt am: 20.08.2003
Zuletzt verändert am: 20.08.2003