NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 24.01.2017 wird zurückgewiesen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenübernahme für ein Rollstuhlfahrrad mit Elektroantrieb.
Der 2001 geborene Kläger ist über seinen Vater bei der Beklagten familienversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung. Er leidet u.a. unter einer bilateralen spastischen Cerebralparese, einem hirnorganischen Anfallsleiden unklarer Genese, einem posthämorrhagischen Hydrocephalus mit VP-Shunt und einer mittelgradigen Intelligenzminderung.
Der Kläger ist u.a. mit einem Aktivrollstuhl versorgt. In der Vergangenheit erfolgte auch eine Versorgung mit einem Fahrradanhänger. Dieser kann aufgrund des zwischenzeitlich vom Kläger erreichten Körpergewichts bei einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 50 kg nicht mehr genutzt werden.
Am 11.03.2014 beantragte er unter Vorlage von Kostenvoranschlägen der Orthopädie- und Rehatechnik T GmbH, E, vom 24.02.2014 sowie einer ärztlichen Verordnung der Universitätsklinik L, Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde, vom 05.02.2014 bei der Beklagten die Versorgung mit einem Rollstuhlfahrrad O-Pair 2 mit Elektroantrieb (Kosten von 7.635,40 EUR) sowie mit einem hierzu passenden Sitzorthesen-System (Kosten von 2.354,00 EUR).
Die Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 18.03.2014 darauf hin, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingeschaltet worden sei.
Mit Gutachten vom 25.03.2014 führte der MDK aus, der Kläger sei körperlich wie geistig nicht in der Lage, selbständig ein Fahrrad oder einen Elektrorollstuhl zu steuern, er bleibe als passiv Transportierter bei der Nutzung unselbständig. Bei passiven Transfers und Familienausflügen im entfernten Nahbereich seien keine Grundbedürfnisse des täglichen Lebens betroffen, so dass eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht bestehe. Zur Teilnahme an Aktivitäten mit anderen Jugendlichen und damit zur Integration in Gruppen Gleichaltriger sei die Rollstuhlfahrradkombination nicht geeignet, denn die Anwesenheit einer Begleitperson werde von diesen bei ihren Aktivitäten nicht akzeptiert.
Mit Bescheid vom 24.04.2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers unter Hinweis auf das Gutachten des MDK ab.
Zur Begründung seines dagegen eingelegten Widerspruchs vom 26.05.2014 bezog sich der Kläger auf einen Bericht der Uniklinik L, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, vom 05.02.2014 vor, wonach er zwar körperlich wie geistig nicht in der Lage sei, selbständig ein Fahrrad oder einen Elektrorollstuhl zu steuern, und daher ein selbständiges Mobilisieren ausscheide. Da er immer auf Hilfe beim Verlassen der häuslichen Umgebung angewiesen sei, würde die angebotene Versorgung aber einen deutlichen Ausgleich seiner Behinderung ermöglichen. Zur Integration in den Alltag sowie bei gemeinsamen Ausflügen mit der Familie im entfernten Nahbereich, der fußläufig nicht erreichbar sei, schaffe das angebotene Hilfsmittel einen therapeutischen Effekt. Da Rumpf- und Kopfkontrolle bei ihm nicht ausreichend vorhanden seien, sei die serienmäßig gebaute Sitzauflage nicht angemessen, um Unfälle zu vermeiden. Er benötige deshalb eine individuell angepasste Sitzschale. Nach Erprobung des Modells bei der Firma S in den Niederlanden habe die Familie das erprobte Rollstuhlfahrrad für den täglichen Gebrauch als hilfreich angesehen. Dieses sei gut handhabbar. Den elektrischen Antrieb benötige das Rollstuhlfahrrad aus Gewichtsgründen.
Der erneut beauftragte MDK vertrat in einem weiteren sozialmedizinischen Gutachten vom 11.08.2014 die Auffassung, das beanspruchte Rollstuhlfahrrad sei – entsprechend einem Rollfiets – nicht zum Behinderungsausgleich erforderlich. Ein Hilfsmittel sei von der gesetzlichen Krankenversicherung nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderungen im gesamten täglichen Leben beseitige oder mildere und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betreffe. Das hier in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" werde vom Bundessozialgericht (BSG) immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden verstanden. Hilfsmittel, die eine Mobilität über den Nahbereich hinaus ermöglichen sollten, könnten von behinderten Kindern und Jugendlichen nur beansprucht werden, wenn dadurch ihre Integration in den Kreis gleichaltriger Jugendlicher gefördert werde. Das Rollstuhlfahrrad sei unter Berücksichtigung der Ausführungen des BSG aber nicht in der Lage, zu einer besseren Integration des vorne sitzenden behinderten Kindes in den Kreis gleichaltriger Jugendlicher beizutragen, weil die zur Bedienung des Rollstuhlfahrrads ständig notwendige Anwesenheit einer älteren Begleitperson von Jugendlichen bei ihren Aktivitäten, mit denen sie gerade Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Erwachsenen beweisen wollten, üblicherweise nicht akzeptiert werde. Für den Kläger seien Aufenthalte im Nahbereich mit dem vorhandenen Adaptivrollstuhl sowie das gemeinsame Familienerleben bei Ausfahrten im behinderungsgerecht ausgestatteten Auto der Familie das ganze Jahr über möglich. Damit sei der erforderliche Basisausgleich durch die vorhandenen Hilfsmittel ausreichend gewährleistet. Es bestehe somit keine Leistungspflicht für die Krankenkasse zur Kostenübernahme für das beantragte motorbetriebene Rollstuhlfahrrad (Hinweis auf BSG, Urteil vom 12.08.2009 – B 3 KR 11/2008 R).
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.12.2015 zurück.
Zur Begründung seiner beim Sozialgericht Köln am 21.12.2015 anhängig gemachten Klage hat der Kläger ausgeführt: Es gehe zwar um ein ähnliches Hilfsmittel wie im zitierten Urteil des BSG, dennoch lasse sich der Sachverhalt nicht vergleichen, weil die dortige Klägerin zur Zeit der Entscheidung des Gerichts bereits 19 Jahre alt gewesen sei. Das BSG weise aber im zitierten Urteil darauf hin, dass die Rechtslage bei Jugendlichen anders aussehe. So stelle auch die Integration zum einen in die Gruppe Gleichaltriger, zum anderen aber auch überhaupt in die Gesellschaft ein Grundbedürfnis im Sinne des § 33 SGB V dar. Bestritten werde die Mutmaßung des MDK, dass er – der Kläger – immer von einem Erwachsenen begleitet werde und dieser Umstand per se eine Integration verhindere. Im Übrigen bestehe auch die Möglichkeit, dass das beantragte Hilfsmittel von Dritten, nicht lediglich seinen Eltern, gesteuert werde. Dies wiederum eröffne dann sehr wohl die genannte Integrationsmöglichkeit. Darüber hinaus könne die Integration auch in die Gesellschaft allgemein durch die u.a. mittels des beantragten Hilfsmittels angestrebten Fahrradausflüge innerhalb der Familie erreicht werden (Hinweis auf Urteile des SG Heilbronn vom 20.01.2015 und des LSG Rheinland-Pfalz vom 03.03.2006, L 1 KR 72/05). Der Anspruch könne mithin auf sein Grundbedürfnis gestützt werden, sich sowohl in die Gruppe Gleichaltriger als auch in die Allgemeinheit mittels des beantragten Hilfsmittels zu integrieren. Eine andere diesbezügliche Möglichkeit, sich über Freizeitaktivitäten der Allgemeinheit anzunähern, habe er kaum. Außerdem komme dass Hilfsmittel auch zur Sicherung einer Krankenbehandlung in Betracht, da die Versorgung sich positiv auf seine Psyche auswirke.
In einem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht hat der Vater des Klägers erklärt: Der Kläger müsse immer mit dem Auto transportiert werden. Gemeinsam könne man kein Fahrrad mehr fahren. Gemeinsame Ausflüge gestalteten sich so, dass seine Mutter mit ihm im Auto vorfahre und der Rest der Familie dann mit dem Fahrrad nachkomme. Er habe Kontakt zu Gleichaltrigen, also zu Mitschülern in seiner Klasse. Er könne zwar nicht sprechen, aber durchaus zeigen, was er wolle. Es würden durchaus auch Ausflüge mit anderen Familien und deren behinderten Kindern gemacht. Dies sei vor allem im Sommer schon einmal der Fall. Aber im Wesentlichen seien es Ausflüge mit der Familie, die mit dem Fahrrad gemacht worden seien.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 zu verurteilen, ihn mit einem Rollstuhlfahrrad mit Elektroantrieb einschließlich Sitzorthese zu versorgen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 24.01.2017 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Das begehrte Hilfsmittel sei nicht erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen. Der Einsatz des Rollstuhlfahrrads diene nicht dem unmittelbaren Ausgleich einer ausgefallenen Körperfunktion, da dem Kläger mit Hilfe des begehrten Hilfsmittels die Grundfunktion des Gehens nicht selbst ermöglicht werde. Vielmehr solle hierdurch ein mittelbarer Ausgleich erzielt werden, indem mit dieser Transportmöglichkeit die Fortbewegung von einem Ort zum anderen ermöglicht werde und zum anderen eine Erweiterung des körperlichen Freiraums geschaffen werde, um mit der Umwelt in Kontakt zu treten. Bei solchen, dem mittelbaren Ausgleich von Behinderungen dienenden Hilfen habe das BSG diese nur dann als Hilfsmittel im Sinne der Gesetzlichen Krankenversicherung angesehen, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich, sondern im gesamten täglichen Leben beseitigten oder milderten. Sofern nur Teilbereiche des allgemeinen Lebens betroffen seien, sei die soziale Rehabilitation Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Das Rollstuhlfahrrad sei allerdings nicht notwendig, um das Grundbedürfnis des Klägers im Rahmen der Fortbewegung zu befriedigen. Dieses sei nämlich nur im Sinne eines Basisausgleichs zu verstehen und beinhalte nicht das vollständige Gleichziehen mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten eines Gesunden. Auf Grund der Versorgung des Klägers mit einem rollstuhl- und behindertengerecht umgebauten Auto sei die Befriedigung des Grundbedürfnisses der Fortbewegung damit ausreichend gewährleistet. Das Radfahren stelle kein Grundbedürfnis dar, für dessen Befriedigung die gesetzliche Krankenversicherung als Rehabilitationsträgerin aufzukommen habe. Ferner sei das Rollstuhlfahrrad auch nicht aus Gründen der sonstigen sozialen Integration erforderlich, um einen mittelbaren Ausgleich der vorhandenen Behinderung zu erreichen. In diesem Zusammenhang habe das BSG festgestellt, dass die Zuordnung bestimmter Betätigungen zu den Grundbedürfnissen auch vom Lebensalter des Betroffenen abhänge. So gehe es gerade für jugendliche Versicherte bei Hilfsmitteln, mit denen ein größerer Radius der Fortbewegung erreicht werden könne als mit normalen Greifreifenrollstühlen, darum, dass hierdurch insbesondere eine Teilnahme an den Aktivitäten der jeweiligen Altersgruppe ermöglicht werde (B 3 KR 9/97 R). Dieser Gesichtspunkt komme im Falle des Klägers deshalb nicht zum Tragen, weil das begehrte Hilfsmittel ohne einen Erwachsenen nicht benutzt werden könne. Die Integration des Klägers in den Kreis der gleichaltrigen Kinder und Jugendlichen sei mit einem Rollstuhlfahrrad nicht zu gewährleisten. Denn wenn das Rollstuhlfahrrad regelmäßig von einem Erwachsenen gefahren werde, seien die Integrationsmöglichkeiten des Klägers in den Kreis der Gleichaltrigen deutlich gemindert. Der sozialen Integration von Kindern und Jugendlichen komme schließlich nach der Rechtsprechung des BSG deshalb eine besondere Bedeutung zu, da auf diese Weise der Aktionsradius eines Jugendlichen erhöht werde und sich gerade auf den Rahmen erstrecke, der dem Zugriffsbereich eines Erwachsenen nur eingeschränkt zugänglich ist. Wesentlich sei dabei die Möglichkeit, gemeinsam mit Anderen Orte zu erkunden und sich dort aufzuhalten, wo die unmittelbare Beobachtung durch Erwachsene nicht gegeben sei.
Gegen den dem Kläger am 30.01.2017 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich dessen Berufung vom 13.02.2017. Die Argumentation des Sozialgerichts sei bereits im Ausgangspunkt falsch, wenn dieses davon ausgehe, dass die Integration in den Kreis Gleichaltriger nur möglich sei, wenn Erwachsene nicht zugegen seien. Das Gegenteil sei der Fall. Im Übrigen sei es in tatsächlicher Hinsicht jedoch auch nicht so, dass das Hilfsmittel lediglich unter Inanspruchnahme von erwachsenen Helfern genutzt werden könne. Dies sei bereits abstrakt unzutreffend. Das Hilfsmittel könne auch durch die Unterstützung von Jugendlichen genutzt werden. Er habe einen Einzelfallhelfer, der lediglich ein paar Jahre älter sei als er. Mit diesem könne er das streitgegenständliche Hilfsmittel nutzen, um mit Gleichaltrigen Ausflüge zu machen und/oder zu spielen. Desweiteren könne er mit dem streitgegenständlichen Hilfsmittel an Schulausflügen teilnehmen, deren Teilnahme ihm ansonsten verwehrt wäre. Er habe zudem mehrere jugendliche Cousins, die sich gerne mit ihm beschäftigten und mit dessen Hilfe das begehrte Hilfsmittel genutzt werden könne. Gleiches gelte für Jugendliche aus der Nachbarschaft, denen das Spielen mit ihm nur wegen des nicht vorhandenen Hilfsmittels nahezu unmöglich sei. Auch nach der Rechtsprechung des BSG komme es nicht darauf an, dass die Integration in die Gruppe Gleichaltriger zwangsläufig ohne Erwachsene zu erfolgen habe. Zu dem fraglichen Kreis gehörten nach der Rechtsprechung des SG ausdrücklich auch nichtbehinderte Geschwister des behinderten Jugendlichen. Es gehe ausdrücklich nicht darum, seinen Bewegungsradius durch das Hilfsmittel zu vergrößern, sondern darum, eine drohende Isolation durch Teilnahme am üblichen Leben seiner Altersgruppe zu vermeiden. Auch das Spielen gehöre bei Kindern und Jugendlichen als Bestandteil des sozialen Lernprozesses zu den Grundbedürfnissen. Aus der erstinstanzlich vorgelegten Rechtsprechung ergebe sich zudem, dass auch die Eröffnung der Möglichkeit, innerhalb der Familie sich nach außen hin zu öffnen und etwa durch Familienausflüge am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, ein Grundbedürfnis darstelle. Ohnehin ergebe sich der Anspruch aus einer Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a SGB V, weil sein Antrag nicht fristgerecht beschieden worden sei. Ein Anspruch solle nicht auf das SGB XII gestützt werden. Ein Antrag bei anderen Rehabilitationsträgern sei nicht gestellt worden.
Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 24.01.2017 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 zu verurteilen, ihm mit einem Rollstuhlfahrrad mit Elektroantrieb einschließlich Sitzorthese zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene sozialgerichtliche Entscheidung für zutreffend. Der Kläger sei weder körperlich noch geistig in der Lage selbständig ein Fahrrad oder einen Elektrorollstuhl zu steuern. Er sei immer darauf angewiesen, transportiert zu werden. Dass dem Kläger ein Einzelfallhelfer zur Verfügung stehe, ändere nichts daran, dass sich der Kläger nicht alleine aktiv bewegen könne. Die Integration von 16-jährigen Jugendlichen finde in einem anderen Rahmen statt wie der von Kindern. Interaktionen seien vornehmlich verbal. Das Fahrradfahren finde, wenn dann, in einem Radius und Rahmen statt, für den ein Rollstuhlfahrrad nicht ausgelegt sein dürfte. Es seien nur solche Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die dem Grundbedürfnis dienten, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und diese zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang an die frische Luft zu kommen oder um die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen. Soweit in Einzelfällen über das Grundbedürfnis von Versicherten auf Mobilität auch für einen darüber hinausgehenden Radius anerkannt worden sei, handele es sich um Einzelfälle, bei denen ein zusätzliches qualitatives Moment, z.B. der Schulbesuch eines Schulpflichtigen vorliege. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Die Integration in den Kreis Gleichaltriger könne in unterschiedlichen Formen stattfinden. Der Kläger selbst könne an keiner der üblichen Betätigungen gleichaltriger 16-jähriger mit dem klagegegenständlichen Hilfsmittel selbständig teilnehmen. Die in seinem Rahmen mögliche Teilnahme an Interaktion könne auch mit dem beim Kläger bereits vorhandenen Hilfsmitteln ermöglicht werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten sowie der Prozessakte Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§§ 144, 145 SGG) und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 24.01.2017 ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die als (kombinierte) Anfechtungs- und Leistungsklage statthafte Klage zu Recht abgewiesen; der Kläger ist durch den (Ablehnungs-)Bescheid der Beklagten vom 24.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit einem Rollstuhlfahrrad mit Elektroantrieb einschließlich Sitzorthese entsprechend den vorgelegten Kostenvoranschlägen der Orthopädie- und Rehatechnik T GmbH, E, vom 24.02.2014.
Der Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Versicherte haben danach Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.
Zu Recht hat das Sozialgericht insoweit allein eine Versorgung zum Zwecke des Behinderungsausgleichs thematisiert. Eine Versorgung zur Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung bzw. zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung scheidet unter Berücksichtigung insbesondere auch der Ausführungen der Uniklinik Köln vom 05.02.2014 aus. Auch die Ausführungen des Klägers im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren betonen den beabsichtigten Behinderungsausgleich unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Integration des Klägers und damit der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Dass die begehrte Versorgung sich – ohnehin außerhalb eines ärztlichen Therapiekonzepts – positiv auf die Psyche des Klägers auswirken könnte, nimmt der begehrten Versorgung diesen, auf den Behinderungsausgleich zielenden Charakter nicht.
Auch zum Zwecke des Behinderungsausgleichs ist das begehrte Hilfsmittel weder geeignet noch erforderlich. Der Senat nimmt insoweit zunächst Bezug auf die Ausführungen des Sozialgerichts, die er sich nach eigener Prüfung zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Begründung des Sozialgerichts berücksichtigt zum einen die Ausführungen des Klägers und steht im Einklang mit der in Bezug genommenen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG. Die Berufungsbegründung rechtfertigt eine abweichende Beurteilung zur Überzeugung des Senats nicht, zumal sie inhaltlich mit den erstinstanzlichen Ausführungen und insbesondere den Angaben des Vaters des Klägers gegenüber dem Sozialgericht zum beabsichtigten Einsatz des Hilfsmittels nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen sind. Zudem erscheinen sie angesichts der Behinderung des Klägers und den Interessen Gleichaltriger nicht nur eher theoretischer Natur. Sie vermögen insbesondere nicht zu belegen, dass die begehrte Versorgung geeignet und erforderlich ist, einen nachhaltigen Einfluss auf die soziale Integration und Kommunikation des Klägers zu nehmen.
Vielmehr steht zum einen fest, dass der Kläger durch den Schulbesuch – zudem in dem erforderlichen betreuten Rahmen – Kontakt zu Gleichaltrigen hat. Sollte, wie die Berufungsbegründung nahezulegen scheint, vereinzelt eine Teilnahme an Ausflügen nicht möglich sein, ist dies zur Überzeugung des Senats im Fall des im Übrigen gesicherten Schulbesuchs in der Situation des Klägers hinnehmbar. Denn es im Übrigen sichergestellt, dass der Kläger im Rahmen der behinderungsbedingt von vornherein erschwerten Integration in den Kreis Gleichaltriger unter Inanspruchnahme der vorhandenen Hilfsmittel und der gewährleisteten Unterstützung durch Integrationshelfer und Familie an ihm grundsätzlich möglichen Unternehmungen (z.B. Zoobesuch, Kinobesuch, Besuch von Fußballspielen und sonstigen Veranstaltungen) im Kreise Gleichaltriger teilhaben kann. Dabei ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Kläger selbstständig nicht tätig werden kann.
Unabhängig davon, ob gemeinsame Fahrradausflüge mit der Familie überhaupt ein relevanter Faktor für die soziale Integration und Kommunikation eines Behinderten sein können, der die Gewährung eines Rollstuhlfahrrades (durch die Krankenkassen) erforderlich machen könnte (offengelassen für ein Therapie-Tandem durch das BSG, Urteil vom 21.11.2002 – B 3 KR 8/02 R Rn. 20, juris) und ebenso unabhängig davon, ob angesichts der Entwicklungen des Rechts der Eingliederungshilfe ein Bedürfnis für die Berücksichtigung von Aspekten sozialer Teilhabe im Rahmen des krankenversicherungsrechtlichen Behinderungsausgleichs fortbesteht, steht zur Überzeugung des Senats zunächst fest, dass schon der Schulbesuch, die vorhandenen Hilfsmittel sowie die Unterstützung durch einen Einzelfallhelfer relativ gute Möglichkeiten der sozialen Integration und Kommunikation eröffnen (vgl. hierzu auch BSG a.a.O.). Darüber hinaus belegen die Angaben des Vaters des Klägers gegenüber dem Sozialgericht, dass gemeinsame familiäre Aktivitäten durchaus möglich sind und eine besonders hervorgehobene Bedeutung den gemeinsamen Fahrradausflügen (unter dem Gesichtspunkt der Integration des Klägers) nicht zukommt.
Die Leistungsklage kann schließlich, was erstinstanzlich weder von den Beteiligten noch vom Sozialgericht thematisiert worden ist, auch nicht mit Erfolg auf eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V gestützt werden. Nach § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V gelten für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation die §§ 14, 15 SGB IX zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen. Vorliegend geht es, wie bereits dargelegt, um Leistungen der medizinischen Rehabilitation und nicht um Krankenbehandlung. Dies macht die primär und ernsthaft auf Teilhabe- und Integrationsaspekte gestützte Argumentation des Klägers überdeutlich. Das BSG betont zu Recht, dass neben dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung auch der Regelungszweck im Gesamtsystem verdeutlicht, dass das Gesetz Kostenerstattung wegen Genehmigungsfiktion für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht vorsieht. Der Gesetzgeber habe bewusst Leistungen zur medizinischen Rehabilitation aus dem Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V ausgeklammert (BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R = BSGE 121, 40-49 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 33, Rn. 12). Schlicht nicht nachvollziehbar ist es, wenn nunmehr in der Rechtsprechung gleichwohl die Auffassung vertreten wird, medizinische Hilfsmittel (konkret: Elektrorollstuhl!) stellten grundsätzlich keine Leistungen der medizinischen Rehabilitation im Sinne des § 13 Abs. 3a S. 9 SGB V dar (Bayerisches LSG, Urteil vom 31.01.2017 – L 5 KR 471/15, juris Rn. 53).
Das BSG (Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 30/15 R, Rn. 37 juris) berücksichtigt bei der Versorgung mit Hilfsmitteln insbesondere die gesetzlich unterschiedlich definierte Zweckdienlichkeit nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGB V (= "um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern") und nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX (= "um den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern"). Bei einem Hilfsmittel, das nicht im Rahmen einer stationären oder ambulanten Rehabilitationsmaßnahme eingesetzt wird, handelt es danach jedenfalls dann nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation, wenn es nach der Zielrichtung seines Einsatzes primär einer (akuten) Krankenbehandlung dienen soll. Es ist danach zu differenzieren, ob das Hilfsmittel hauptsächlich auf die Heilung der Krankheit (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V) abzielt oder darauf, eine Behinderung oder deren Folgen günstig zu beeinflussen oder abzuwenden (vgl. § 11 Abs. 2 SGB V; §§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 26 SGB IX). Dieser schlüssigen und allein der gesetzlichen Regelung sowie dem Regelungszweck Rechnung tragenden Betrachtungsweise schließt sich der Senat an. Raum für eine Differenzierung danach, ob es um eine Sachleistung oder Kostenerstattung geht, bleibt nicht (a.A. Bayerisches LSG a.a.O. Rn. 58 m.w.N.). Die Gegenauffassung verkennt bereits, dass die Ausweitung der Genehmigungsfiktion der gesetzgeberischen Intention zuwiderläuft und allein Ergebnis einer wertenden Betrachtung der Rechtsprechung ist (grundlegend BSG, Urteil vom 08.03.2016 a.a.O.) ist. Beschränkt man die Genehmigungsfiktion nicht auf Fälle der Kostenerstattung, bedarf es konsequenterweise auch einer die Sachleistung erfassenden Lesart des § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V. Nicht anders zu verstehen ist auch die bereits wiedergegebene Aussage des BSG, der Gesetzgeber habe bewusst Leistungen zur medizinischen Reha aus dem Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V ausgeklammert (BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R = BSGE 121, 40-49 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 33, Rn. 12).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Erstellt am: 07.11.2018
Zuletzt verändert am: 07.11.2018