NZB als unzulässig verworfen.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 4. April 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Kostenübernahme (KÜ) für ein Gerät zur Elektrostimulation von Muskeln bei Querschnittslähmung. Den sog. "orthopädische Apparat AH8-27" beabsichtigt der Kläger im Anschluss an stationäre Behandlungen im Staatlichen Rehabilitationszentrum von Prof. W in Moskau/Russland ambulant im häuslichen Bereich einzusetzen.
Der Kläger ist am 00.00.1948 geboren. Er leidet an einer schweren motorisch-spinalen Querschnittssymptomatik mit schwerer Kyphoskoliose bei Zustand nach Aufrichtungsoperation im Jahre 1983. Seit Oktober 1981 sind bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung), "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung), "H" (hilflos) und "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) festgestellt. Am 05.08.2002 beantragte er ergänzend zu insgesamt drei stationären Behandlungseinheiten in den Jahren 2001 und 2002 durch Prof. W (Gegenstand des Verfahrens S 8 (2) KR 5/01, Sozialgericht -SG- Münster, = L 16 (5,2) KR 74/02, Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen -LSG NRW-) die Versorgung mit einer tragbaren Version des o. g. Elektrostimulationsgerätes für Querschnittsgelähmte. Das Gerät sei über das Rehabilitationszentrum von Prof. W in Moskau zu einem voraussichtlichen Preis von 120.000 Rubel (entsprechend rd. 3.500 EUR, Stand: August 2006) zu erhalten. Es ermögliche eine Verbesserung des Gehens und Laufens.
Mit Bescheid vom 08.08.2002 lehnte die Beklagte die KÜ mit der Begründung ab, der Gesetzgeber sehe diese außervertragliche Leistung nicht in seinem Leistungskatalog vor. Zwecks Verordnung medizinisch notwendiger Heilmittel im Rahmen der Heilmittelrichtlinien möge sich der Kläger mit seinem behandelnden Arzt in Verbindung setzen.
Der Kläger machte mit dem dagegen gerichteten Widerspruch geltend, er habe über einen Zeitraum von 20 Jahren intensive, aber letztlich völlig erfolglos verlaufende Behandlungen in Deutschland, aber auch in den USA, in Großbritannien, den Niederlanden, in der Tschechoslowakei und in Bulgarien in Anspruch genommen. Weltweit gebe es keine erfolgversprechende Therapie von Querschnittslähmungen. Nach dem Ende des Kalten Krieges sei jedoch bekannt geworden, dass in Moskau / Russland seit 30 Jahren von Prof. W die sog. Elektrostimulationstherapie mit großem Erfolg entwickelt worden sei und angewandt werde. Von dieser Therapie wolle er profitieren. Dass das Hausgerät zur Elektrostimulation nicht im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgeführt sei, könne nicht zu seinen Lasten gehen. Es könne ihm nicht zugemutet werden, für den Rest seines Lebens ohne adäquate Behandlung auskommen und im Rollstuhl sitzen bzw. mühsam kürzeste Wegstrecken an Gehhilfen zurücklegen zu müssen.
Zur Begründung seiner bereits am 27.12.2002 zum Sozialgericht Münster erhobenen Klage hat sich der Kläger auf seinen bisherigen Vortrag bezogen.
Er hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit einem Gerät zur Elektrostimulation von Muskeln bei Querschnittslähmung (orthopädischer Apparat AH8-27) zu versorgen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig erachtet.
Die Beklagte hat eine ins Deutsche übersetzte Beschreibung der Funktionsweise des Apparates AH8-27 aus dem Jahre 1985 ausgewertet. Danach ist der Patient in dessen Betrieb und Benutzungsweise mittels ärztlicher Schulung einzuweisen. Die Nutzer des Apparates müssen sich zuvor bei der Fürsorgestelle der Medizinabteilung des Betriebes für Prothesen und Orthopädie und beim Arzt in der Poliklinik am Wohnort (in Russland) registrieren lassen. Außerdem muss der Patient zu Kontrolluntersuchungen und zur Kontrolle der Effektivität der Anwendung des Apparates nach einem Monat sowie nach drei und sechs Monaten ab dem Tage der Stimulationsdurchführung am Ort der Fürsorge erscheinen.
Die Beklagte hat daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2003 den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Ergänzend hat sie darauf abgestellt, dass die modifizierte Elektrostimulationstherapie eine alternative Behandlungsmethode darstelle. Weder sei jedoch deren therapeutische Wirksamkeit nachgewiesen noch habe sie sich in der medizinischen Praxis durchgesetzt. Da die Kosten für diese Behandlung nicht übernommen werden könnten, gelte dies erst Recht für die Versorgung mit der Hausversion einer solchen Behandlung.
Mit Gerichtsbescheid vom 04.04.2003 hat das Sozialgericht nach Anhörung der Beteiligten die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Versorgung des Klägers mit dem orthopädischen Apparat AH8-27 bestehe aus den von der Beklagten in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid dargelegten Gründen nicht.
Gegen den ihm am 08.04.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 05.05.2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er ergänzend vor, die Elektrostimulationstherapie nach Prof. W stelle die einzig erfolgversprechende Behandlung seiner Querschnittslähmung dar. Die ihm in Deutschland angebotene Krankengymnastik und Verabreichung von Tabletten und Spritzen dienten lediglich der Linderung von Spastiken und Schmerzen, nicht aber der Heilung oder Besserung seiner Grunderkrankung. Mit dem orthopädischen Apparat AH8-27 könne er die in Moskau / Russland stationär begonnene Behandlung fortsetzen. Weitere stationäre Aufenthalte in dem staatlichen Rehabilitationszentrum von Prof. W erübrigten sich bei regelmäßigem häuslichem Einsatz der Apparatur. Dass die Gerätebeschreibung keine Zulassung nach EG-Recht aufweise, sei durch das Erscheinungsjahr (1985) der Broschüre bedingt. Die vorgesehenen Kontrollen bei Einsatz des Apparates könnten ohne Weiteres von deutschen Ärzten bzw. deutschen orthopädischen Zentren wahrgenommen werden. Dr. M, Internist aus N, habe in seiner ärztlichen Bescheinigung vom 21.01.2004 die Wirksamkeit und hohe Effektivität der Behandlung mit der Apparatur, die nach einer stationären Behandlung eingesetzt werde, aus eigener Kenntnis durch die jahrelange ärztliche Tätigkeit in Moskau bestätigt und angeboten, die ärztliche Betreuung zu übernehmen. Das Gerät komme leider – ebenso wie die Behandlungsmethode – in Deutschland nicht zum Einsatz. Wegen des mit der ambulanten Hauselektrostimulationsbehandlung verbundenen erhöhten Personal- und Zeitaufwands werde dies in Zukunft wahrscheinlich auch so bleiben.
Ergänzend bezieht sich der Kläger auf eine Auskunft des russischen Sozialministeriums vom 15.06.2004. Danach verfügt das Haus-Elektrostimulationsgerät über eine Zulassung der Abteilung für Medizintechnik der Medizinischen Akademie Moskau und wird seit 25 Jahren hergestellt. Seit zwei Jahren sei die Produktion wegen Umstrukturierungsmaßnahmen nach der Wirtschaftswende unterbrochen. Wegen der Produktion eines neuen Modells des Apparates sei die Betriebsaufnahme der Abteilung für Medizintechnik abzuwarten.
Nach dem vom Kläger zu den Akten gereichten Arztbericht von Prof. Dr. T, Chefarzt der Neurochirurgischen Klinik des D-hospitals in N, vom 16.08.2005 liegen folgende Erkrankungen vor: Inkomplettes Querschnittssyndrom mit spastischer Paraparese bei kongenitaler Kyphoskoliose; Zustand nach Rippenteilresektion links 1970; Zustand nach Scapulafixation 1975; Zustand nach Kyphosekorrekturoperation mit Harrington-Stäben 1979; Zustand nach Revisionsoperation bei Paraparese 1979; Zustand nach Stabilisierungsoperation. Unter Auswertung aktueller kernspintomographischer Diagnostik bestehe derzeit keine Indikation für eine neurochirurgische Therapie oder weiterführende Diagnostik. Es solle bei konservativer Therapie verbleiben.
Der Kläger, der zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen worden, aber nicht erschienen ist, beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 04.04.2003 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 08.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2003 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihn mit einem Gerät zur Elektrostimulation von Muskeln bei Querschnittslähmung (orthopädischer Apparat AH8-27) zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 04.04.2003 zurückzuweisen.
Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Ergänzend bezieht sie sich auf ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Westfalen-Lippe vom 10.11.2003. Frau Dr. T1 teilt darin mit, dass der vom Kläger begehrte orthopädischer Apparat AH8-27 nicht in der Europäischen Union zugelassen sei, denn in der ausführlichen Gerätebeschreibung werde keine CE-Nummer genannt. Auch dürfte sich die engmaschige ärztliche Begleitung und Kontrolle des Geräteeinsatzes in Deutschland durch die in der Gerätebeschreibung genannten Stellen, die es in Deutschland nicht gebe, nicht realisieren lassen. Bei Internet-Recherchen sei nur ein Vortrag von Prof. Dr. W aus Mai 2001 auf einem WHO-Kongress zur Frage der Schädigung von Rückenmarkverletzungen auffindbar gewesen. Darin werde eine Studie erwähnt, die jedoch selbst nicht veröffentlicht sei. Bei 1.120 Patienten mit Verletzungen des Spinalmarks im Lumbalbereich sei in jeweils 20 Sitzungen funktionelle Elektrostimulation von Muskeln durchgeführt worden. Bei sämtlichen Patienten sei eine Verbesserung des Gehens, der Schrittgeschwindigkeit, der Schrittlänge, der Muskelkraft und der elektrischen Aktivitäten sowie eine Abnahme der Ermüdung festzustellen gewesen. Sehr gute Ergebnisse seien bei 6 %, gute Ergebnisse bei 83 %, zufriedenstellende Ergebnisse bei 11 % der Patienten erzielt worden. Die Validität der Studie, so Frau Dr. T1, könne nicht beurteilt werden; insbesondere lägen keine Angaben zum Evidenzgrad vor. In Deutschland werde die Behandlungsmethode von Prof. W nach ihrer Kenntnis nicht angewandt. Einem Anspruch des Klägers auf Versorgung mit dem Apparat stehe nicht nur entgegen, dass adäquate vertragsärztliche Behandlungsmethoden im Inland zur Verfügung stünden, sondern auch, dass mit dem Einsatz des Apparates verbundene gesundheitliche Risiken nicht auszuschließen seien. Im Hilfsmittelverzeichnis seien im Übrigen – andere – Muskelstimulationsgeräte zum Aufbau gelähmter Muskelgruppen bei Skoliose und Lähmungen aufgeführt.
Mit Beschluss vom 12.01.2005 hat der zunächst zuständige 2. Senat des LSG NRW den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines Rechtsanwalts mit Hinweis auf fehlende Erfolgsaussichten abgelehnt. Zwar sei die Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens geplant. Daraus lasse sich aber keine hinreichende Erfolgsaussicht der Berufung ableiten. Es lägen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Beweisaufnahme zum Nachteil des Klägers ausgehen werde. Der Senat müsse lediglich letzten Zweifeln an der bisher dokumentierten fehlenden medizinischen Erforderlichkeit des Heimstimulationsgerätes nachgehen. Die Erfolgsaussichten der Beweiserhebung seien denkbar gering. Gegen die angestrebte Versorgung sprächen die fehlende technische Zulassung der Apparatur in Deutschland und der fehlende Wirksamkeitsnachweis. Zudem begrenze Dr. M die Anwendung des Gerätes auf die ambulante Nachbehandlung einer zuvor erfolgten stationären Behandlung, die beim Kläger jedoch bereits mehr als drei Jahre zurückliege.
Nachdem der Kläger eine körperliche Untersuchung verweigert hatte, hat der Senat ein neurologisches Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. U, Arzt für Neurologie und Nervenheilkunde, Leitender Oberarzt der Neurologischen Universitätsklinik BG-Kliniken C in C, eingeholt. In seinem Gutachten vom 23.01.2006 hat der Sachverständige unter Auswertung aller vorliegenden medizinischen Berichte folgende Diagnose gestellt: Sensomotorisches Querschnittssyndrom Sub-Th 7 – 9 mit inkompletter spastischer Paraparese und Blasen-Mastdarm-Störungen. Primär sei die Querschnittslähmung mit einer konsequenten regelmäßigen Krankengymnastik zu behandeln; gegebenenfalls könnten zusätzlich neuartige, zum Teil computergestützte Therapieverfahren auf experimenteller Basis zum Einsatz kommen, die auch in Deutschland, z. B. in den Zentren für Rückenmarkverletzte, zur Verfügung stünden. Die von Prof. W in Moskau angebotene Behandlungsmethode entspreche nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft. Die Therapie werde in Deutschland nicht in gleicher Weise angeboten, sondern nur von ihm selbst in Moskau. In Deutschland würden andere Geräte für die funktionelle Rehabilitation von Querschnittsgelähmten angeboten. Ein hirnorganisches Psychosyndrom, das beim Kläger möglicherweise vorliege, ohne Untersuchung aber nicht sicher feststellbar sei, schränke die Durchführung einer häuslichen Elektrostimulationstherapie ohnehin massiv ein. Welche Behandlung im Einzelnen für den Kläger in Betracht komme, könne nur nach einer körperlicher Untersuchung entschieden werden.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 16.05.2006 hat der Sachverständige Folgendes ergänzt: Der Umstand, dass Prof. W die Elektrostimulationstherapie seit ca. 30 Jahren anwende und darüber, wenn auch in eingeschränktem Maße, publiziere, sich diese aber dennoch noch nicht als Standardtherapie etabliert habe, zeige deutlich, dass es sich weiterhin um ein experimentelles Verfahren handele.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung waren.
Entscheidungsgründe:
Obgleich für den Kläger zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, hat der Senat verhandeln und entscheiden können; denn der Kläger ist – mit Hinweis auf diese Möglichkeit – ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung am 31.08.2006 geladen worden (§ 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-, § 126 SGG). Es hat kein Anlass bestanden, die mündliche Verhandlung zu vertagen. Der Kläger hat um Terminsverlegung nicht ersucht und er hatte hinreichend Gelegenheit, sich schriftsätzlich rechtliches Gehör zu verschaffen.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 04.04.2003 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 08.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2003 ist rechtmäßig. Dem Kläger steht ein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit einem Gerät zur Elektrostimulation von Muskeln bei Querschnittslähmung (orthopädischer Apparat AH8-27) nicht zu.
Der Senat kann dahinstehen lassen, ob eine Versorgung mit dem orthopädischen Apparat AH8-27 bereits daran scheitert, dass ein solches Gerät offensichtlich überhaupt nicht auf dem Markt zur Verfügung steht. Im Jahre 2004 jedenfalls war die Produktion in Moskau, offenbar der weltweit einzigen Produktionsstätte, bereits seit zwei Jahren unterbrochen. Ein konkretes Datum zur Wiederaufnahme der Produktion konnte nicht genannt werden. Dass diese inzwischen eingetreten sei, hat auch der Kläger nicht vorgetragen. Zudem dürften die vom Hersteller festgelegten und in der Produktbeschreibung genannten Voraussetzungen für die Anwendung des Gerätes – abgesehen von den vom Hersteller zwingend vorgeschriebenen Schulungen und engmaschigen Kontrollen – nicht vorliegen; denn bei dem Kläger soll keine ambulante Nachbehandlung nach einer zeitnah vorangegangenen stationären Behandlung mit der Elektrostimulationstherapie in Moskau erfolgen. Vielmehr liegt die letzte stationäre Behandlung des Klägers durch Prof. W inzwischen mehr als vier Jahre zurück. Des weiteren ist nicht entscheidungsrelevant, ob ein möglicherweise bei dem Kläger vorliegendes hirnorganisches Psychosyndrom die autonome Anwendung der Apparatur ohnehin stark einschränkte, wenn nicht gar unmöglich machte.
Schließlich kann der Senat offen lassen, ob ein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit dem Gerät voraussetzt, dass der Betroffene der Krankenkasse eine vertragsärztliche Verordnung, in der u. a. die medizinische Indikation von einem Vertragsarzt bejaht wird, vorlegt, an der es hier fehlt (dieses Erfordernis wohl verneinend: Bundessozialgericht -BSG- Sozialrecht -SozR- 4-2500 § 18 Nr. 5; offen lassend BSG SozR 4-2500 § 18 Nr. 2). Jedenfalls scheitert der geltend gemachte Sachleistungsanspruch daran, dass die Versorgung mit dem Elektrostimulationsgerät nach W nicht zum Leistungskatalog der GKV gehört. Zwar haben Versicherte nach § 27 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung auch die Versorgung der Versicherten mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V). Die Voraussetzungen einer Leistungsgewährung liegen jedoch nicht vor.
Der Elektrostimulationsapparat ist kein Heilmittel i. S. von § 32 SGB V. Heilmittel sind alle – in der Regel ärztlich verordneten – Dienstleistungen, die einem Heilzweck dienen oder einen Heilerfolg sichern und nur von entsprechend ausgebildeten Personen erbracht werden dürfen. Hierzu gehören insbesondere Maßnahmen der physikalischen Therapie sowie der Sprach- und Beschäftigungstherapie (vgl. BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 41 m. w. N.; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 2; BSG, Urt. vom 05.07.2005, Az.: B 1 KR 12/03 R, www.jurisweb.de m. w. N.). Diese Voraussetzungen erfüllt das Gerät nicht. Dessen Einsatz stellt weder eine Dienstleistung zugunsten des Klägers dar noch wird die Leistung als solche von speziell ausgebildeten Personen erbracht. Das Gerät ist lediglich zur äußeren Einwirkung auf den Körper des Patienten bestimmt, wobei dieser das Gerät selbst handhabt (vgl. zu den Abgrenzungskriterien BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 9).
Das Gerät stellt vielmehr ein Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V dar. Hilfsmittel sind alle – in der Regel ärztlich verordneten – Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen sollen. Dazu gehören insbesondere Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel einschließlich der notwendigen Änderung, Instandhaltung und Ersatzbeschaffung sowie der Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 41; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 2, jeweils zur Abgrenzung von Heil- und Hilfsmitteln).
Ein Leistungsanspruch des gesetzlich Versicherten besteht jedoch u. a. nur, wenn – wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der GKV auch – die Leistungen nach § 33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind: Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkasse nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Im vorliegenden Fall kann es allenfalls um die Sicherung des Erfolges einer zuvor stationär durchgeführten Behandlung durch Prof. W im Sinne von § 33 Abs. 1 S. 1 – 1. Alt. SGB V gehen. In der konkreten Art der beabsichtigten Anwendung durch den Kläger vermag das Gerät jedoch bereits deshalb diesen Erfolg nicht herbeizuführen, da der zeitliche Abstand zwischen der letzten stationären Behandlung und dem Beginn der beabsichtigten ambulanten Behandlung mit dem Gerät im häuslichen Bereich, ausgehend von den dem Senat vorliegenden Vorgaben des Geräteherstellers, mit mehr als vier Jahren deutlich zu groß ist. Aber auch bei abstrakter Betrachtung kann der Einsatz eines Hilfsmittels zur Sicherung einer vorangegangenen Behandlung nur in Betracht kommen, wenn diese Behandlung ihrerseits in den Leistungskatalog der GKV fällt. Dies ist jedoch, wie der erkennende Senat mit Urteil vom selben Tag in dem Parallelverfahren L 16 KR 74/02 entschieden hat, gerade nicht der Fall.
Hinzu kommt, dass die Versorgung mit Hilfsmitteln nur erfolgen kann, wenn deren Einsatz für den Versicherten nicht mit Gefahren und Risiken verbunden ist. Bei Hilfsmitteln wird die Gefahrenabwehr im Regelfall dadurch gewährleistet, dass für diese vor Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis ihre Funktionstauglichkeit und Qualität nachzuweisen ist (§ 139 Abs. 2 S. 1 SGB V). Dazu gehört auch die Erfüllung der Voraussetzung für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten nach dem Medizinproduktegesetz – sog CE-Kennzeichnung – (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 10). Zwar steht einer Leistungspflicht der Beklagten nicht entgegen, dass der orthopädische Apparat AH8-27 von den Spitzenverbänden der Krankenkassen nicht in das Hilfsmittelverzeichnis (§ 128 SGB V) aufgenommen worden ist. Es handelt sich dabei nicht um eine abschließende, die Leistungspflicht der Krankenkassen im Sinne einer "Positivliste" beschränkende Regelung (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 27; zuletzt Urt. vom 24.05.2006, Az.: B 3 KR 12/05 R, www.jurisweb.de). Es liegt jedoch kein anderweitiger Nachweis vor, dass von dem orthopädischen Apparat AH8-27 keine Gefahren für den Anwender ausgehen. Ebenso ist der Nachweis nicht geführt, ob eine CE-Kennzeichnung bei aktuell auf den Markt gebrachten Versionen des Gerätes, so es diese geben sollte, vorliegt.
Ein abweichendes Ergebnis zu Gunsten des Klägers ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Verfassungsrecht. Vielmehr erlaubt es das Grundgesetz (GG), die Leistungen der GKV auf einen abgeschlossenen Katalog zu begrenzen. Es besteht auch kein Grund, im Wege verfassungskonformer Auslegung einen Anspruch auf Versorgung mit dem Apparat zur Elektrostimulation zu begründen. Mit dem Bundesverfasssungsgericht -BVerfG- (Beschl. vom 06.12.2005, SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) geht der erkennende Senat davon aus, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass die GKV den Versicherten Leistungen nur nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB V). Nur das, was in diesen Leistungskatalog fällt, hat die GKV ihren Versicherten zu leisten. Versicherte können dagegen nicht alles von der GKV beanspruchen, was ihrer Ansicht nach oder objektiv der Behandlung einer Krankheit dient. Die gesetzlichen Krankenkassen sind auch nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (BVerfG, a. a. O.; Beschl. vom 05.03.1997, Neue Juristische Wochenschrift -NJW- 1997, 3085).
Etwas anderes kann der Kläger für sich auch nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung nach den Maßstäben des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005, a. a. O., beanspruchen. Danach ist mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, dem medizinischem Standard entsprechende medizinische Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Diese Grundsätze hat das BSG auf die Versorgung mit Arzneimitteln ausgedehnt (Urt. vom 04.04.2006, Az.: B 1 KR 7/05 R, www.jurisweb.de).
Unabhängig von der Frage, ob sich die oben genannten Entscheidungen auf Ansprüche auf Versorgung mit Hilfsmitteln erstrecken können, ist die Erkrankung, an der der Kläger leidet, zwar zweifellos als nachhaltig, die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigend zu bezeichnen. Es ist aber weder erkennbar noch vom Kläger vorgetragen, dass diese Erkrankung – anders als vom BVerfG vorausgesetzt – lebensbedrohlich oder gar regelmäßig tödlich verlaufend ist. Sie kann auch von ihrer Schwere und dem Ausmaß der aus ihr folgenden Beeinträchtigungen her solchen Krankheiten nicht gleichgestellt werden. Schmerzen sowie schmerzhaften Muskelversteifungen durch längeres Sitzen im Rollstuhl kann durch Einsatz anderer Heil- und Hilfsmittel entgegengewirkt werden. Dazu bedarf es nicht des Einsatzes des hier streitigen Hilfsmittels. Es besteht im Übrigen kein Anlass, die Rechtsgedanken der vorerwähnten Entscheidung des BVerfG auf weitläufigere Bereiche auszudehnen, in denen der Gesetzgeber aus wohl erwogenen Gründen in Abkehr von früherem Recht den Leistungsumfang der GKV bewusst eingeschränkt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG besteht nicht. Die Frage nach den Therapiemöglichkeiten für ein einzelnes Leiden und dem darauf bezogenen krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruch ist regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr. 9).
Erstellt am: 02.07.2007
Zuletzt verändert am: 02.07.2007