NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin von der Beklagten Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 12.578,92 Euro zurückverlangen kann.
Die Beklagte betreibt ein zur Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenes Krankenhaus in T. In diesem Krankenhaus ist der bei der Klägerin versicherte T (Versicherter) in der Zeit vom 24.05.2007 bis 27.07.2007 stationär behandelt worden. Die Behandlung erfolgte (auch) auf der Intensivstation. Die Beklagte rechnete im Jahre 2007 als Prozedur u.a. den OPS-Code 8-980 (intensivmedizinische Komplexbehandlung) ab.
Aufgrund einer Begutachtung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) am 14.01.2010, die im Zusammenhang mit einem anderen Behandlungsfall erfolgte, kam der MDK zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Abrechnung des OPS-Codes 8-980 formal nicht erfüllt seien; eine kontinuierliche ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation sei nicht gewährleistet. Bis zum Eintreffen des Hintergrunddienstes sei die Intensivstation etwa dann nicht mit einem diensthabenden Anästhesisten besetzt, wenn eine Reanimation auf einer anderen Station durchgeführt werden müsse, ein dringendes Prämedikationsgespräch im Kreißsaal oder in der Ambulanz erforderlich sei, eine Notsektio im OP anstehe oder ein Notfallpatient im Schockraum dringend versorgt werden müsse.
Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 03.05.2010 aufgrund dieser Feststellungen des MDK an die Beklagte und bat um Rechnungskorrektur zahlreicher bereits abgerechneter Fälle, auch dem des Versicherten. Eine Rechnungskorrektur lehnte die Beklagte generell ab.
Mit ihrer am 27.12.2011 erhobenen Klage hat die Klägerin die Rückzahlung des streitigen Betrages verlangt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, nach Feststellung des MDK seien die strukturellen Voraussetzungen für die Abrechnung des OPS-Codes 9-980 nicht gegeben. Die ständige Anwesenheit eines Arztes sei nicht gewährleistet, da der auf der Intensivstation tätige Anästhesist planmäßig an anderen Stellen des Krankenhauses weitere Aufgaben zu erfüllen habe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 12.578,92 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ausgeführt, die Klägerin ziehe unzulässige Schlussfolgerungen aus der Begehung des Krankenhauses im Jahre 2010, denn sie könne nicht belegen, dass die damals festgestellten tatsächlichen Umstände auch schon im Jahr 2007 vorgelegen hätten. Weiterhin verstoße die Klägerin gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, da die abgerechnete Leistung im Jahr 2007 erfolgt sei und die Erstattung des streitigen Betrages von der Klägerin erstmalig im Jahre 2010 geltend gemacht werde. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien die Korrekturmöglichkeiten der Krankenkassen bis zum Ende des ablaufenden Kalenderjahres, das auf die Abrechnung folge, begrenzt. Die Klägerin sei mit ihren Einwendungen auch deshalb ausgeschlossen, weil sie die Frist gemäß § 275 Abs. 1c Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht eingehalten habe. Im Übrigen ergebe sich aus den Auslegungsgrundsätzen des DIMDI zu dem streitigen OPS-Code, dass aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten die geforderte ständige Anwesenheit eines Arztes auf der Intensivstation gewährleistet sei. Der tätige Anästhesist sei nur in Notfällen in anderen Bereichen des Krankenhauses eingesetzt. Er sei nicht planmäßig für andere Aufgaben vorgesehen. Er sei bis zum Eintreffen des Hintergrunddienstes höchstens 15 bis 20 Minuten nicht auf der Intensivstation anwesend.
Mit Urteil vom 10.11.2014 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen.
Gegen das ihr am 17.12.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.01.2015 Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend trägt sie vor, aus den Auslegungsgrundsätzen des DIMDI ergebe sich, dass es zwar nicht zulässig sei, wenn der diensttuende Arzt auf der Intensivstation gleichzeitig an anderer Stelle des Krankenhauses weitere Aufgaben erfüllen müsse. Jedoch sei einer klarstellenden Ergänzung aus Februar 2011 zu entnehmen, dass der Arzt der Intensivstation kurzfristig zu einem Notfalleinsatz innerhalb des Krankenhauses hinzugezogen werden dürfe. Dieser Ausnahmetatbestand liege vor. Denn die Einsätze des diensttuenden Arztes auf der Intensivstation erfolgten nur dann im Bereich der Notaufnahme, wenn dies bis zum Eintreffen des sog. Hintergrunddienstes notwendig sei. Der diensttuende Anästhesist müsse sich dann aber nur wenige Minuten mit dem Notfallpatienten beschäftigen. Dies sei nur im Nachtdienst oder am Wochenende der Fall, da ansonsten schon ein weiterer Anästhesist vor Ort sei. Nach Ansicht der Beklagten stehe es dem Krankenhausträger frei, wie er sich organisiert und sicherstellt, dass der Anästhesist nur in äußerst seltenen Notfällen die Intensivstation verlassen muss.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.11.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Die Verwaltungsakten der Klägerin sowie die Krankenakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten in streitiger Höhe.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil, die er sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Das Vorbringen der Beklagten im gesamten Verfahren – insbesondere im Berufungsverfahren – macht deutlich, sie hat das ihr zustehende Organisationsrecht dergestalt ausgeübt, dass sie in bestimmten Notfallsituationen – zumindest im Nachtdienst und am Wochenende – den diensthabenden Anästhesisten der Intensivstation mit der Aufgabe betraut hat, in der Notfallaufnahme bei entsprechenden Situationen bis zum Eintreffen des Hintergrunddienstes tätig zu werden. Sie hat damit – wie ihr Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat nochmals ausgeführt hat – zumindest im Nacht- und Wochenenddienst kraft ihres Organisationsrechts die Entscheidung getroffen, dass der auf der Intensivstation tätige Anästhesist planmäßig in der Notfallaufnahme tätig werden muss. Dies ist zwar nur für die Fälle organisatorisch zwingend von der Beklagten festgelegt worden, in denen der Hintergrunddienst nicht rechtzeitig eintrifft, was sicherlich nicht der Regelfall ist. Jedoch macht diese Anordnung deutlich, dass damit nicht nur außerplanmäßige Notfallsituationen erfasst werden, sondern eine personelle Minderbesetzung in den Nacht- und Wochenenddiensten ausgeglichen werden soll. Damit sind auch die Voraussetzungen der im Februar 2011 erfolgten Ergänzung der Auslegungskriterien durch das DIMDI nicht erfüllt. Denn wie sich aus den Auslegungskriterien insgesamt ergibt – und dies wird durch die Ergänzung nicht verändert – geht auch das DIMDI davon aus, dass es sich bei den Notfalleinsätzen in anderen Bereichen nur um nicht planbare Notfallsituationen handeln kann. Der geplante Einsatz des diensttuenden Arztes auf der Notfallstation ist hingegen nicht zulässig.
Hinsichtlich der Frage, ob die Klägerin durch die Klageerhebung im Dezember 2011 den Anspruch noch geltend machen konnte, kann auf die Rechtsprechung des BSG verwiesen werden. Es liegt kein Fall von § 275 Abs. 1c SGB V vor, denn es handelt sich nicht um eine Auffälligkeitsprüfung, sondern um eine sachlich rechnerische Richtigstellung. Damit ist die in dieser Norm genannte Frist nicht anwendbar (BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 29 RdNr 19).
Eine Verjährung liegt nicht vor. Die Klage ist noch innerhalb der Verjährungsfrist erhoben worden. Es sind auch nicht die engen Voraussetzungen einer Verwirkung erfüllt. Das Rechtsinstitut der Verwirkung passt als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht. Es findet nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen Anwendung (vgl BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 4 RdNr 15; BSGE 112,141= SozR 4-2500 § 275 Nr 8, RdNr 37 mwN). Die Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt. Sie setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (stRspr; vgl BSGE 112,141 = SozR 4-2500 § 275 Nr 8, RdNr 37). An solchen die Verwirkung auslösenden Umständen fehlt es vorliegend. Der bloße Zeitablauf stellt kein die Verwirkung begründendes Verhalten dar. Es fehlt bereits an einem Verwirkungsverhalten. Die Klägerin gab der Beklagten ab Kenntnis der Gesamtumstände im Frühjahr 2010 keinen Anlass dafür anzunehmen, dass sie ihre Erstattungsforderung nicht mehr weiterverfolgen werde.
Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 197 a Abs. 1 S. 1SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 22.05.2018
Zuletzt verändert am: 22.05.2018