Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 10.06.2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung der Kosten einer Mammareduktionsplastik (MRP).
Die im Jahre 1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Unter Vorlage medizinischer Unterlagen beantragte sie bei der Beklagten am 30.03.2007 die Kostenübernahme einer MRP. Sie leide seit 2003 an wiederkehrenden Rückenschmerzen mit zunehmend begleitenden, heftiger werdenden Kopfschmerzattacken. Ursache dieser Schmerzen seien ihre übergroßen Brüste, so dass nur durch eine MRP Abhilfe geschaffen werden könne. Radiologisch wurde – nach dem vorgelegten Bericht von Dr. S vom 23.03.2007 – eine leichte rechtskonvexe Rotationsskoliose der mittleren Brustwirbelsäule (BWS) sowie eine im mittleren und unteren BWS-Bereich betonte Spondylosis deformans diagnostiziert. Der Orthopäde Dr. H stellte unter dem 26.03.2007 ein Cervikalsyndrom mit C6-Symptomatik rechts und ein BWS-Syndrom ohne radikuläre Symptomatik fest und schlug dem die Klägerin behandelnden Chirurgen Dr. C eine Infiltrationsbehandlung vor. Mit Stellungnahme vom 28.03.2007 bescheinigte der Gynäkologe Dr. T, es sei davon auszugehen, dass die massiven Schmerzzustände und Beschwerden der Klägerin nach überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die Größe und Schwere der Brust zurückzuführen seien. Hinzu komme die starke seelische Belastung über die extremen Verhältnisse im Bereich der Brust. Ebenso wie er empfahl auch der Chirurg Dr. C unter dem 29.03.2007 eine Brustverkleinerungsoperation zur Verbesserung der Funktion und Wiederherstellung eines schmerzfreien Zustandes. Trotz einer Gewichtsreduktion von 46 kg seien die Brüste "gleich geblieben". Diese verursachten durch ihr Eigengewicht eine Rundrückenhaltung nach vorne, die die Rückenproblematik deutlich zusätzlich verschlechtere. Alle konservativen Maßnahmen zur Schmerzbehandlung seien fruchtlos gewesen. Es sei davon auszugehen, dass die massiven Schmerzzustände und Beschwerden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die Größe und Schwere der Brüste zurückzuführen seien.
Der von der Beklagten beauftragte Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) gelangte durch Dr. L unter dem 30.04.2007 zu dem Ergebnis, dass sich bei der Begutachtung hypertrophierte, den sonstigen Körpermaßen noch proportionierte, ptotische Brüste zeigten. Eine Hängebrustbildung bei Adipositas (seit etwa 5 Jahren 88 kg bei 168 cm) nach vier Schwangerschaften und Stillzeiten sowie einer Gewichtsreduktion – bis etwa 2002 mit anschließender Bauchdeckenplastik – von einem Höchstgewicht von 127 kg stelle keine Krankheit dar; die konservativen Möglichkeiten seien nicht ausgeschöpft. Durch eine weitere Gewichtsreduktion auf annähernd das Normalgewicht könne die gesamte Wirbelsäule entlastet werden. Gestützt auf diese Feststellungen lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 10.05.2007 ab.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und überreichte zur weiteren Begründung einen Bericht der Universitätsklinik L, Neurochirurgie, über eine ambulante Untersuchung vom 10.07.2007, bei der ebenfalls degenerative Veränderungen der mittleren und unteren BWS diagnostiziert wurden. Möglicherweise würden die persistenten Rückenschmerzen durch das Brustvolumen der Patientin begünstigt. Nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des MDK wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2007 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 10.12.2007 Klage erhoben. Die starken Schmerzen der BWS würden, wie durch ihre Ärzte bestätigt, durch die extremen Verhältnisse im Bereich der Brust hervorgerufen. Abhilfe könne nur eine operative Brustverkleinerung schaffen. Ergänzend hat sie eine Bescheinigung der Anästhesistin und Schmerztherapeutin Dr. H1 vom 03.03.2008 vorgelegt, die ebenfalls eine MRP zur dauerhaften Linderung der Beschwerden im Bereich der BWS befürwortete.
Die Klägerin hat im Mai 2008 auf eigene Kosten die Operation im Rahmen eines privaten stationären Aufenthaltes im Krankenhaus der B in L durchführen lassen und mit der Klage nunmehr unter Vorlage einer unter dem Namen des Chefarztes des Krankenhauses Dr. N ausgestellten "Quittung vom 20.05.2008 (4.500,00 EUR), einer Rechnung des Sanitätshauses X GmbH für einen Kompressionsbüstenhalter (166,40 EUR), einer Rechnung des Krankenhauses vom 03.06.2008 (3.157,25 EUR) sowie von Lieferscheinen" der F-Apotheke vom 02.06.2008 (19,81 EUR) und 03.06.2008 (20,00 EUR) und Kassenbons der G-Apotheke vom 09.06.2008 (8,64 EUR) und 10.06.2008 (12,93 EUR) die Erstattung der ihr im Zusammenhang mit der MRP entstanden Kosten i.H.v. insgesamt 7.885,03 EUR begehrt. Seit der Operation seien die Rückenschmerzen "wie weggeblasen".
Das Sozialgericht (SG) hat zur Aufklärung des Sachverhalts ein ärztliches Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. N1, eingeholt. In dem Gutachten vom 22.09.2008 hat der Sachverständige bei der Klägerin ein wiederkehrend schmerzhaftes, unteres BWS-Syndrom bei mehrsegmentalem Verschleiß und Fehlhaltung diagnostiziert. Die von der Klägerin beschriebene massiv verstärkte Schmerzsymptomatik zum Jahreswechsel 2007/2008 sei in keinster Weise belegt. Nach allen ärztlichen Informationen seien keine ausreichenden Maßnahmen entsprechend orthopädischer Lehrmeinung durchgeführt worden, um über ein gezieltes Stufenkonzept dem vorgetragenen Beschwerdebild Rechnung zu tragen. Unabhängig davon gebe es weltweit keine einzige wissenschaftliche Arbeit, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Brustgröße der Frau und etwaigen Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule belege.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Sachverständige habe den Kern der Problematik überhaupt nicht erkannt und an der medizinischen Wirklichkeit vorbei diagnostiziert und begutachtet. Zur weiteren Begründung hat sie eine Stellungnahme von Professor Dr. P1 von 28.10.2008 vorgelegt, der sich kritisch unter Vorlage seines Aufsatzes "Indikation zur Reduktionsplastik aus plastisch-chirurgischer Sicht" (abgedruckt in Plastische Chirurgie, Sonderdruck 1/2005, S. 1 ff.) mit der Auffassung des Sachverständigen auseinander gesetzt hat. Dr. N1 vertrete eine alte und überholte orthopädische Lehrmeinung, wonach ein gezieltes Stufenkonzept das Beschwerdebild bei Makromastie beeinflussen könne. Hunderte von Literaturstellen zeigten, dass bei dieser Art der Behandlung lediglich Symptome beeinflusst würden, nicht jedoch die Ursache der Erkrankung, was bei deren Kenntnis mit falsch angesetzter konservativer Therapie zu einem Behandlungsfehler führe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2007 zu verurteilen, an sie 7885,03 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatzes der EZB hieraus seit dem 20.05.2008 zu zahlen sowie festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr auch die weiteren Folgekosten nach der Brustverkleinerungsoperation zu übernehmen,
hilfsweise ein Ergänzungs- bzw. Obergutachten einzuholen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen und ergänzend auf eine Stellungnahme des MDK vom 05.03.2009 Bezug genommen, mit der ärztlicherseits von Dr. T2 die Auffassung vertreten wurde, auch ex post könne eine MRP nicht befürwortet werden. Bislang sei nicht in ausreichend evidenzbasierter Untersuchung wissenschaftlich belegt, dass die Brustgröße und -form für die geklagten Beschwerden – bei oftmals multifaktorieller Genese geklagter Rückenbeschwerden – ursächlich seien. Keine der publizierten Untersuchungen sei von einem Orthopäden durchgeführt worden.
Das SG hat die Klage im Anschluss an die Feststellungen des Sachverständigen Dr. N1 und die Ausführungen des MDK mit Urteil vom 10.06.2009 abgewiesen. Die Kammer habe keine Veranlassung gesehen, ein weiteres Ergänzungs- bzw. Obergutachten einzuholen, zumal die Klägerin durch die im laufenden Verfahren auf eigene Kosten durchgeführte Brustoperation insoweit Tatsachen geschaffen habe und somit ein entsprechender präoperativer Befund nicht mehr erhoben werden könne.
Gegen die ihr am 06.07.2009 zugestellte Entscheidung des SG hat die Klägerin am 05.08.2009 Berufung eingelegt, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags weiterhin eine Erstattung der durch die MRP entstandenen Kosten geltend macht und sich zur Begründung kritisch mit dem Sachverständigengutachten auseinander setzt sowie auf die von ihr vorgelegten ärztlichen Berichte/Stellungnahmen verweist. Der Sachverständige Dr. N1 habe die Ursachen und Grundlagen ihrer Erkrankung weder festgestellt noch vollständig ermittelt. Auch seine Ausführungen zu ihren Schmerzangaben und -behandlungen seien nicht zutreffend bzw. unvollständig. Die Operation habe zum Erfolg geführt; die Schmerzen seien nach und nach abgeklungen. Hierdurch habe sie den Beweis erbracht, dass die Brustreduktion zu einer Schmerzreduzierung geführt habe.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 10.06.2009 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2007 zu verurteilen, an die Klägerin 7885,03 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatzes der EZB hieraus seit dem 20.05.2008 zu zahlen sowie festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auch die weiteren Folgekosten nach der Brustverkleinerungsoperation zu übernehmen,
hilfsweise
ein Ergänzungs- bzw. Obergutachten einzuholen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie verweist auf die ihrer Auffassung nach zutreffenden Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil.
Der Senat hat Befundberichte des Orthopäden Dr. K vom 25.01.2010, des Chirurgen und Schmerztherapeuten Dr. C vom 18.02.2010, des Allgemeinmediziners Dr. T3 vom 12.02.2010 sowie der Nachfolgerin des Hausarztes der Klägerin Dr. B1, der Allgemeinmedizinerin C2, vom 25.05.2010 eingeholt. Dr. K hat die Klägerin wegen diffuser Wirbelsäulenschmerzen sowie einer somatoformen Schmerzstörung von Mai bis Juli 2007 behandelt. Dr. C hat berichtet, er habe bei der Klägerin Mammahyperplasie, Halswirbelsäulensyndrom, rezidivierende BWS-Blockade und Spondylose BWS diagnostiziert. Über eine Infiltrationsbehandlung und Quaddelung hinaus sei eine wesentliche Behandlung der Klägerin, die in der Zeit vom 08.03.2007 bis 11.01.2008 seine Patientin gewesen sei, nicht erfolgt; er habe sie lediglich beraten und an einen plastischen Chirurgen überwiesen. Dr. T3 hat die Klägerin zwischen dem 31.08.2005 bis 21.06.2007 wegen von dieser geklagter Schmerzen im BWS-Bereich, Cephalgie, Schwierigkeiten beim Gehen und Kraftverlust behandelt. Die Allgemeinmedizinerin C2 hat dargestellt, dass die Klägerin seit 1995 in der Praxis behandelt werde. Sie habe immer wieder über Schmerzen im Bereich der BWS und Ekzemen unter der Brust bei Gigantomastie geklagt. Ab Juli 2007 sei ein chronisches Wirbelsäulensyndrom diagnostiziert worden. Die Beschwerden der Klägerin seien nach der MRP deutlich gebessert. In einem von der Ärztin vorgelegten Bericht des Internisten und Rheumatologen Hanisch wurden nach Untersuchung der Klägerin am 19.02.2008 ein generalisiertes Fibromyalgiesyndrom und ein stat.-deg. Wirbelsäulensyndrom bei Adipositas (90 kg bei 167 cm) diagnostiziert.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid vom 10.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2007 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten, womit – ungeachtet der Zulässigkeit der Feststellungklage (§ 55 SGG) – auch der auf Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten, auch die weiteren (von der Klägerin unbenannten) Folgekosten nach der Brustverkleinerungsoperation zu übernehmen, ohne Erfolg bleibt. Veranlassung auf den Hilfsantrag der Klägerin ein weiteres Gutachten einzuholen besteht nicht.
Nachdem die Klägerin die von ihr begehrte Operation hat durchführen lassen, kommt als Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin nur § 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Betracht. Gemäß § 13 Abs. 1 SGB V darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit dies im SGB V oder im SGB IX vorgesehen ist. Der in § 13 Abs. 2 SGB V geregelte Kostenerstattungsanspruch, der seit der Neufassung zum 01.01.2004 nicht mehr auf freiwillige Mitglieder beschränkt ist, setzt die Ausübung eines auf Kostenerstattung anstelle von Sach- oder Dienstleistungen gerichtetes Wahlrecht des Versicherten voraus. Eine derartige Wahl, die die Gewährung von Sach- oder Dienstleistungen im Übrigen ausschließt, ist von der Klägerin nicht getroffen worden, so dass § 13 Abs. 2 SGB V auch nicht bezüglich der 2008 entstandenen Kosten Rechtsgrundlage für ihr Begehren sein kann.
Die Voraussetzungen des in § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V geregelten Kostenerstattungsanspruchs liegen ebenfalls nicht vor. Danach gilt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Alternative 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (Alternative 2) und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Bei der durchgeführten operativen Behandlung hat es sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung i.S.d. § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB V gehandelt. Unaufschiebbar ist eine Leistung, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubes mehr bestand (vgl. Bundesssozialgericht (BSG), Urteil vom 25.09.2000 – B 1 KR 5/99 R -; Hauck in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 13 SGB V Rdn. 250; Helbig in jurisPK-SGB V, § 13 Rdn. 46; Höfler in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 13 SGB V, Rdn. 34). Anhaltspunkte für eine derartige Notfallsituation bestehen nicht.
Auch die Voraussetzungen der 2. Alternative des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V ist nicht erfüllt. Die Beklagte hat die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt.
Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V eine Krankheit voraus. Damit wird ein regelwidriger, vom Leitbild eines gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, welcher der ärztlichen Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung des BSG hat diese Grundvoraussetzungen für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die nahe liegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit erzeugt und damit zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (BSG a.a.O.). Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein (ständige Rechtsprechung, u.a. BSG, Urteile vom 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R – und vom 09.12.2003 – B 1 KR 9/04 R – jeweils m.w.N.).
Im Bereich der Brüste der Klägerin lag – jedenfalls vor Durchführung der Operation – ein regelwidriger Körperzustand i.S.d. vorbezeichneten Grundsätze nicht vor. Zwar sind die behandelnden Ärzte der Klägerin in ihren Befundberichten bzw. Attesten davon ausgegangen, dass die Brüste der Klägerin vergrößert waren und eine Ptosis vorlag. Übermäßig vergrößerte herabhängende Brüste stellen aber für sich genommen keinen krankhaften Befund dar. Funktionsmängel sind nicht beschrieben und auch nicht von der Klägerin dargelegt. Ebenso lag aufgrund der vergrößerten herabhängenden Brüste der Klägerin keine Entstellung vor, wie die zur Verwaltungsakte der Beklagten gereichten Fotos belegen. Insbesondere eine Dysproportion zwischen der adipösen Figur, des eher wohl endomorphen Körperbaus und Brustgröße in dem dafür erforderlichen Maße lässt sich weder den Bilddokumenten noch den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen entnehmen. Das macht auch die Klägerin selbst nicht geltend.
Es kann dahin gestellt bleiben, ob wegen der übergroßen Brüste ein psychischer Leidensdruck bestand (so Befundbericht des Gynäkologen Dr. T vom 28.03.2007; nach dem Bericht des Krankenhauses der Augustinerinnen vom 12.12.2007 "depressive Verstimmung"), dieser wäre – soweit mit Krankheitswert – jedenfalls vorrangig durch Psychiater/Psychologen zu behandeln und rechtfertigt keinen operativen Eingriff (vgl. BSG, Urteil vom 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R -).
Eine Krankheit lag bei der Klägerin im Hinblick auf die bei ihr vorhandenen Beschwerden auf orthopädischem Gebiet vor, die sie auch stets in den Vordergrund ihrer Begründung gestellt hat. Es bestand bei ihr ein wiederkehrend schmerzhaftes, unteres BWS-Syndrom bei mehrsegmentalem Verschleiß und Fehlhaltung. Fraglich ist bereits, ob und inwieweit es wissenschaftlich-statistisch belegte Erkenntnisse zum ursächlichen Zusammenhang zwischen orthopädischen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße gibt (verneinend LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.09.2010 – L 16 (5) KR 142/08 -, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.12.2008 – L 5 KR 2638/07 – m.w.N. ; offen gelassen von LSG Hessen, Urteil vom 21.08.2008 – L 1 KR 7/07 -, LSG Berlin-Brandenburg vom 11.06.2008 – L 9 KR 62/06 – und LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.05.2007 – L 5 KR 118/04 -). Während der Sachverständige Dr. N1 in seinem Gutachten vom 22.09.2008 und Dr. T2 (MDK) in seiner Stellungnahme vom 13.08.2010 davon ausgegangen sind, dass nach der zur Verfügung stehenden medizinisch-wissenschaftlichen Datenlage ein eindeutiger Zusammenhang bislang nicht nachgewiesen ist, hat Dr. P1 unter Hinweis auf seinen Aufsatz "Indikation zur Reduktionsplastik aus plastisch-chirurgischer Sicht" (abgedruckt in Plastische Chirurgie, Sonderdruck 1/2005, S. 1 ff.) dargelegt, dass es eine Fülle medizinischer Berichterstattungen gebe, in der ein Zusammenhang bejaht werde. Dass es sich hierbei um eine evidenzbasierte Datenlage handelt, lässt sich weder seinen Ausführungen in seinem Schreiben vom 28.10.2008 noch seinem Aufsatz entnehmen. Unabhängig davon mag angezweifelt werden, ob er als plastischer Chirurg über ausreichende Fachkenntnisse verfügt, um die orthopädischen Folgen einer Mammahyperplasie beurteilen zu können. Er hat jedenfalls nicht ansatzweise verdeutlicht, aus welchen Gründen die Brustgröße auch im Falle der Klägerin zu den konkret vorhandenen orthopädischen Beschwerden geführt haben soll. Allein aus dem Umstand, dass bei der Klägerin nach den vom Senat zugrunde gelegten Feststellungen des Sachverständigen Dr. N1 Verschleißveränderungen der mittleren und unteren BWS mit begleitend leichter Fehlhaltung bestehen, lässt sich jedenfalls nicht die gesicherte Schlussfolgerung ziehen, dass diese Erkrankung zumindest hinreichend wahrscheinlich auf die vergrößerte Brust zurückzuführen war. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass es anlagebedingt auch ohne vergrößerte Brust bei anderen Personen zu vergleichbaren Schädigungen kommt.
Letztlich kann die Problematik eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Brustgröße und orthopädischen Gesundheitsstörungen jedoch dahinstehen. Entscheidungserheblich ist nämlich letztlich, dass die beabsichtigte Operation nur mittelbar der Bekämpfung der auf orthopädischem Gebiet vorliegenden Erkrankung dienen sollte. Wie bereits dargestellt können zwar auch solche Maßnahmen notwendig im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V sein, die gezielt der Krankheitsbekämpfung dienen. Da es sich jedoch um einen Eingriff an einem funktionell intakten Organ handelt, bedarf es hierfür einer besonderen Rechtfertigung im Sinne einer ultima ratio. Art und Schwere der Erkrankung, das Risiko und der eventuelle Nutzen der Therapie sind gegeneinander abzuwägen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2003 – B 1 KR 1/02 R -). Zu fordern ist auf jeden Fall eine schwerwiegende Erkrankung der Wirbelsäule und die erfolglose Ausschöpfung aller konservativen orthopädischen Behandlungsmaßnahmen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.05.2007 – L 5 KR 118/04 -, LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25.03.2010 – L 5 KR 118/08 -).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Soweit bei der Klägerin im März 2007 – unverändert seit der Untersuchung im Februar und Juli 2003 – einer mäßige Chondrose mit minimaler Bandscheibenprotrusio C 4/5 bis C 6/7 ohne wesentlicher dorsaler Protrusion und mäßiger Spondylosis deformans (Befundbericht der Gemeinschaftspraxis Dr. P u.a. vom 30.01.2006 und 28.03.2007) diagnostiziert wurde, vermögen diese nur mäßigen Verschleißerkrankungen das Ausmaß der von ihr – u.a. in einem Verlaufsprotokoll vom 01.02. bis 16.05.2007 – beschriebenen Rückenschmerzen und umfangreiche Medikamentation kaum zu erklären. Der vom Senat eingeholte Befundbericht von Dr. K vom 25.01.2010, der die Klägerin in der Zeit vom 25.05.2007 bis 12.07.2007 behandelt hat, bestätigt diesen Eindruck, indem er maßgeblich bei der Klägerin eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert hat. Daher lassen sich die umfangreichen zumeist diffusen körperlichen Beschwerden nicht bzw. nicht hinreichend auf eine organische Erkrankung, insbesondere das Wirbelsäulensyndrom, zurückführen. Dies betrifft nicht nur die Rückenbeschwerden, sondern auch die von der Klägerin Mitte 2006 beklagten Herzbeschwerden ("thorakale Stiche und Brustengegefühl") und den Verdacht einer Hirnschädigung durch Tumor oder Blutung. Nach einer Herzkathederuntersuchung vom 18.07.2006 (Befundbericht der Abteilung für Kardiologie des Helios Krankenhauses Siegburg vom 19.07.2006) konnte der Verdacht auf eine koronare Herzerkrankung sowie nach einem Multislice-Spiral-CT der Verdacht auf einen Hirntumor bzw. -blutung (Befundbericht des Radiologen Dr. S vom 22.03.2007) ausgeschlossen werden. Auch der Verdacht der Klägerin auf eine endzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems hat sich nicht bestätigt; das Vorliegen einer multiplen Sklerose konnte ebenfalls ausgeschlossen werden (Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Jaksch vom 19.06.2007). Auch eine organische Ursache für die von der Klägerin geäußerten "diffusen Gelenkbeschwerden unter Einbeziehung der Schulter, Hüft- und Kniegelenke sowie im Steißbein" konnten nicht objektiviert werden; Hinweise auf eine endzündliche Aktivität ließen sich nicht finden (Befundbericht des Radiologen Dr. T1 vom 05.06.2007; eingeholt im o.a. Parallelverfahren der Klägerin L 11 KR 32/09). Die Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren nach ICD-10: F 45.4. (Überwiegend chronische Schmerzen ohne hinreichende organische Begründbarkeit) hat auch die Anästhesistin Dr. H1, bei der die Klägerin seit 05.02.2008 in Behandlung ist, gestellt. Vor diesem Hintergrund war die Mammareduktion keinesfalls ultima ratio, denn maßgeblich wäre vorab jedenfalls eine adäquate Behandlung der somatoformen Schmerzstörung gewesen, die nicht erfolgt ist.
An der fehlenden Verhältnismäßigkeit ändert sich nichts durch den Vortrag der Klägerin, nach der Operation im Mai 2007 seien ihre Beschwerde "wie weggeblasen" gewesen, zumal der Senat die Angaben vor dem Hintergrund, dass die Klägerin in einem ebenfalls beim Senat anhängigen Parallelverfahren (L 11 KR 32/09) die Gewährung von Krankengeld begehrt und insoweit vorträgt u.a. wegen starker Rückenschmerzen noch bis 28.08.2008 arbeitsunfähig gewesen zu sein, für nicht nachvollziehbar hält.
Die begehrte Kostenerstattung kommt daher ebenso wie die begehrte Feststellung bereits aus diesem Grunde nicht in Betracht, so dass die unzureichende Rechnungslegung und das Fehlen von Verordnungen erstattungsfähiger Arzneimittel keiner weiteren Erörterung bedarf. Der Senat folgt im Übrigen der Auffassung des SG, dass die Einholung eines weiteren Gutachtens nicht erforderlich ist, da die Klägerin durch die im laufenden Verfahren auf eigene Kosten durchgeführte Brustoperation insoweit Tatsachen geschaffen habe und somit ein entsprechender präoperativer Befund nicht mehr erhoben werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 12.12.2011
Zuletzt verändert am: 12.12.2011