Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 31.10.2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten für einen selbstbeschafften Autoschwenksitz zu erstatten hat.
Die Kläger sind die Eltern und Rechtsnachfolger der am …2002 verstorbenen Versicherten der Beklagten. Die am …1981 geborene Versicherte war schwerbehindert und erhielt Leistungen nach Pflegestufe 3 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) unter Berücksichtigung der Härtefallregelung. Die Beklagte versorgte die Versicherte u. a. mit einem Rollstuhl mit elektrischer Schiebehilfe (Viamobil für drinnen und draußen) sowie einer Sitzschale.
Im März 2001 beantragte die Versicherte die Versorgung mit einem schwenkbaren Autositz. Sie fügte einen Kostenvoranschlag des Firma N … GmbH & Co. KG vom 19.09. 2000 über insgesamt 15.069,56 DM (7.704,94 Euro) bei. Zur Begründung brachte sie vor, dass erst durch einen solchen Sitz die Benutzung eines Pkw – auf die sie angewiesen sei – möglich werde. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 11.04.2001 die Gewährung dieses Autoschwenksitzes ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Benutzung eines Pkw nicht als Grundbedürfnis im Sinne der Rechtsprechung des BSG zu § 33 SGB V angesehen werde. Die Versicherte legte dagegen am 18.04.2001 Widerspruch ein. Erst durch die Benutzung eines PKW s werde es ihr ermöglicht Ausflüge zu unternehmen, einen Einkaufsbummel zu machen oder Krankenbehandlung in Anspruch nehmen zu können. Die Beklagte wies den Widerspruch durch den Widerspruchsbescheid vom 14.02.2002 unter Beibehaltung ihrer Rechtsauffassung zurück.
Die Rechtsnachfolger der Versicherten haben am 14.03.2002 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben, mit dem sie nunmehr den Anspruch auf Erstattung der Kosten für den zwischenzeitig selbstbeschafften Autoschwenksitz in Höhe von 9.028,61 Euro weiterverfolgt haben.
Zur Begründung haben sie geltend gemacht, die Versicherte habe den Autoschwenksitz zur Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses benötigt. Hierzu müsse man nämlich auch die Möglichkeit zählen, dass der Behinderte einen Arzt oder von diesem in die Behandlung eingeschaltete Therapeuten aufsuchen könne. Dies sei im Falle der Versicherten jedoch nur mittels des Autoschwenksitzes möglich gewesen.
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.04.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2002 zu verurteilen, ihnen die Kosten für einen schwenkbaren Autositz in Höhe von 9.028,61 Euro zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat entgegnet, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) das Autofahren nicht zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Gewährung von Hilfsmitteln zu befriedigenden Grundbedürfnissen zähle; deshalb könne auch die Ausstattung mit einem schwenkbaren Autositz nicht verlangt werden.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 31.10.2002 abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihnen am 14.11.2002 zugestellte Urteil haben die Kläger am 12.12.2002 Berufung eingelegt.
Zur Begründung bringen sie vor: Die Versicherte sei darauf angewiesen gewesen, mittels des PKW unter Benutzung des schwenkbaren Autositzes Ärzte aufsuchen zu können; die Inanspruchnahme von Fahrdiensten sei nicht zumutbar gewesen. Gerade Patienten im Wachkoma – wie die Versicherte – müssten während der Fahrten besonders vorsichtig und schonend transportiert werden. Der Transport mit einem Fahrdienst sei aber mit einer fremden Umgebung sowie dem Kontakt zu fremden Menschen verbunden gewesen; dies verstärke das Angst- und Unsicherheitsgefühl des Patienten. Nach dem Tode der Versicherten sei das Untergestell des schwenkbaren Autositzes für 1.789,52 Euro verkauft worden.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 31.10.2002 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.04.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2002 zu verurteilen, ihnen 7.239,09 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und verweist darüber hinaus auf das Urteil des BSG vom 26.03.2003 (Az.: B 3 KR 23/02 R).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Den Klägern steht ein Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 7.239,09 Euro nicht zu.
Als Rechtsgrundlage für das Begehren der Kläger kommt nur § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Betracht. Nach dieser Vorschrift hat die Krankenkasse, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, den Versicherten die für die Beschaffung der Leistung aufgewendeten Kosten zu erstatten. Da der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle eines an sich gegebenen Sachleistungsanspruchs tritt, kann er nur bestehen, soweit die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, welche die gesetzlichen Krankenkassen als Dienst- oder Sachleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.1997, Az.: 1 RK 23/95, SozR 3-2500 § 27 Nr. 9; BSG Urteil vom 28.03.2000, B 1 KR 11/98 R, SozR 2500 § 135 Nr. 14). Ein Anspruch der Versicherten gegen die Beklagte auf Versorgung mit einem Autoschwenksitz als Sachleistung hat jedoch nicht bestanden.
Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Zunächst ist der begehrte Autoschwenksitz nicht erforderlich gewesen, um eine Behinderung der Versicherten auszugleichen. Ein Hilfsmittel ist nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 3-2500 Nrn. 3, 5) bei der hier zunächst in Betracht kommenden 2. Alternative des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann "erforderlich", wenn sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird. Zu diesen Grundbedürfnissen gehören zum einen die körperlichen Grundfunktionen (Gehen, Stehen und Treppensteigen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung) und zum anderen die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die dazu erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Schulgrundwissens (Schulwissens) umfasst. Maßstab ist stets der gesunde Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der kranke oder behinderte Mensch durch die medizinische Rehabilitation mit Hilfe des von der Krankenkasse gewährten Hilfsmittels wieder aufschließen soll (BSG Urteil vom 16.09.1999, Az.: B 3 KR 8/98 R m.w.N.). § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V verpflichtet die Krankenkassen also nicht, auf sämtliche direkte und indirekte Folgen der Behinderung auszugleichen. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung nur in dem Falle zu gewähren, wenn es die Auswirkung der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft (BSG Urteil vom 26.03.2003 (B 3 KR 23/02 R)). Das hier in Betracht kommende Grundbedürfnis des Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums ist nur i.S. eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht i.S. eines vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden zu verstehen. Der von der gesetzlichen Krankenversicherung zu leistende Behinderungsausgleich beschränkt sich hier somit grundsätzlich auf die Strecken, die üblicherweise zu Fuß zurückgelegt werden (BSG a.a.O.). Dieses Grundbedürfnis der verstorbenen Versicherten wurde aber durch den von der Beklagten zur Verfügung gestellten Rollstuhl mit elektrischer Schiebehilfe gewährleistet.
Entgegen der Auffassung der Kläger zählt die Möglichkeit, Ärzte und Therapeuten aufzusuchen, nicht zu den Grundbedürfnissen; sie stellt lediglich eine konkrete Anwendung des Grundbedürfnisses nach Mobilität – das aber lediglich in dem dargelegten Umfange gewährleistet wird – dar. Das Autofahren zählt entgegen der Auffassung der Kläger ebenfalls nicht zu den Grundbedürfnissen i.S.v. § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB V (BSG a.a.O. m.w.N.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von den Klägern angeführten Entscheidung des 8. Senats des Bundessozialgerichts vom 26.02.1991 (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 3). Hier ist lediglich die Ausrüstung mit einem schwenkbaren Beifahrersitz unter dem Gesichtspunkt des Hilfsmittels für möglich gehalten worden, sofern die vorhandene Ausstattung mit einem Rollstuhl und die Übernahme der Krankenfahrten zur Gewährleistung eines hinreichenden Bewegungsspielraums noch nicht ausreichend gewesen sein sollten (BSG a.a.O.).
Ferner sind hier auch die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative SGB V nicht erfüllt. Danach kommt die Gewährung eines Hilfsmittels in Betracht, wenn dieses im Einzelfall erforderlich ist, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Die Kläger haben in diesem Zusammenhang vorgetragen, die Versicherte sei aufgrund des bei ihr vorliegenden Wachkomas darauf angewiesen gewesen, von ihren Eltern mittels des PKW und unter Benutzung des Autoschwenksitzes transportiert zu werden, um Ärzte und Therapeuten aufsuchen zu können. Die Voraussetzung "Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" wird aber nicht durch den Umstand erfüllt, dass es die Gewährung des Hilfsmittels überhaupt erst möglich macht, Leistungen der Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) in Anspruch zu nehmen. Die 1. Alternative. des § 33 Absatz 1 SGB V betrifft vielmehr Gegenstände, die aufgrund ihrer Hilfsmitteleigenschaft spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt werden, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift, der eindeutig auf den Erfolg der Krankenbehandlung abstellt und nicht allein auf die Ermöglichung der Krankenbehandlung. Ferner ergäben sich bei einer anderen Auslegung auch Abgrenzungsprobleme gegenüber der 2. Alternative dieser Vorschrift: Die Fähigkeit bzw. Möglichkeit, Leistungserbringer der Beklagten aufsuchen zu können, betrifft das (dort geregelte) Grundbedürfnis der Mobilität; dieses wird aber gerade nicht schrankenlos, sondern nur in Form eines Basisausgleichs gewährleistet (vergl. oben). Die von den Klägern erstrebte Auslegung des § 33 Absatz 1 1. Alternative SGB V würde somit zu einer letztlich unbegrenzten Pflicht der Krankenkassen führen, das Aufsuchen von Leistungserbringern durch das Gewähren von Hilfsmitteln – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – zu gewährleisten. Gegen ein derartiges Ergebnis spricht aber nach Auffassung des Senats entscheidend, dass gemäß § 60 Abs. 1 SGB V unter den dort genannten Voraussetzungen die Krankenkasse die Fahrten zu den im Zusammenhang mit den von ihr erbrachten Leistungen durch Übernahme der notwendigen Fahrtkosten sicherzustellen hat. Diese Vorschrift will gerade erreichen, dass es dem Versicherten möglich ist, Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen, wenn es für die Inanspruchnahme erforderlich ist, Wegstrecken zum Leistungserbringer zurückzulegen. Diese Regelung stellt deshalb im Vergleich zu § 33 SGB V die speziellere Vorschrift dar und schliesst die Gewährung von Hilfsmitteln aus, die nur dazu dienen, die Wege zu den Leistungserbringern zurücklegen zu können.
Es kann hier auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Transport der Versicherten ausschließlich mittels des PKW der Eltern und des hier umstrittenen Autoschwenksitzes möglich gewesen ist. Ein Transport auch von Wachkoma-Patienten durch professionelle Krankentransporteure ist – davon geht der Senat aus, da es sich um keinen ganz seltenen Krankheitszustand handelt – möglich und zumutbar. Notfalls hätte die Beklagte von den Klägern um Bezeichnung eines geeigneten Unternehmens gebeten werden müssen und etwaige Unzulänglichkeiten gerügt und – mit Hilfe der Beklagten – abgestellt werden müssen. Soweit die Kläger auf mit der Inanspruchnahme von Krankentransporteuren verbundenen fremden Umgebung und fremden (Transport-)Personen verweisen, ist ihnen entgegenzuhalten, dass es bei der Inanspruchnahme von Fahrdiensten – ebenso wie bei den durchgeführten Privatfahrten – möglich gewesen wäre, dass ein Elternteil die Versicherte begleitet. Hierdurch wäre ohne Weiteres eine vertraute Umgebung einer vertrauten Bezugsperson herzustellen gewesen. Zugleich hätte dieser Elternteil auch dafür sorgen können, dass die Versicherte möglichst schonend – also fachgerecht – transportiert wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat dem Rechtsstreit im Hinblick auf die Auslegung des Merkmals der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung grundsätzliche Bedeutung beigemessen und deshalb die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 03.09.2006
Zuletzt verändert am: 03.09.2006