Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller bis zum 30.06.2005 Leistungen zur Krankenbehandlung zu gewähren. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Der 1962 geborene Antragsteller (Ast.) ist HIV-positiv und drogenabhängig und wird zur Zeit mit Methadon substituiert. Er wurde bis zum 31.12.2004 als Sozialhilfeempfänger nach § 264 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bei der Antragsgegnerin (Ag.) geführt.
Mit Bescheid vom 14.12.2004 bewilligte ihm die örtlich zuständige ARGE E Arbeitslosengeld (Alg) II für die Zeit vom 01.01. – 30.06.2005. Der Ast. hatte in seinem Antrag vom 22.09.2004 die Frage, ob er mindestens 3 Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen könne, bejaht. Die ARGE E meldete den Ast. zum 01.01.2005 als versicherungspflichtiges Mitglied bei der Ag. an. Der Ast. hatte unter dem 18.01.2005 einen Beitrittsantrag zur Ag. unterzeichnet, der offenbar zusammen mit der Anmeldung der Ag. übersandt wurde. Mit Schreiben vom 27.01.2005 sandte die Ag. die Anmeldung an die ARGE E zurück, weil der Ast. nach der einer vorliegenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zugrunde liegenden Diagnose offensichtlich nicht erwerbsfähig im Sinne des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) sei und keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe. Versicherungspflicht trete nicht ein, wenn eine Manipulation zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vorliege, mit der Versicherungspflicht lediglich vorgetäuscht werden solle. Mit Schreiben vom gleichen Tag teilte sie auch dem Ast. mit, dass aus den genannten Gründen eine Versicherungspflicht als Alg II-Empfänger nicht zustande komme. An dieser Auffassung hielt sie auch im weiteren Schriftwechsel mit der ARGE E und dem Ast. fest.
Der Ast. hat am 06.04.2005 den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel beantragt, die Ag. zur rückwirkenden Begründung einer Mitgliedschaft ab dem 01.01.2005 zu verpflichten. In der Sache hat er vorgetragen, durch die rechtmäßige Zahlung des Alg II sei Versicherungspflicht begründet worden. Die ARGE E sei auch für die Prognose hinsichtlich seiner Erwerbsfähigkeit zuständig. Im Übrigen ergebe sich aus dem Umstand, dass ab Juli 2005 eine Arbeitsintegrationsmaßnahme beabsichtigt sei, dass er in ausreichendem Maße erwerbsfähig sei. Die Klärung seines Krankenversicherungsschutzes sei eilbedürftig. Er befinde sich in ständiger ärztlicher Betreuung, da er derzeit mit Methadon substituiert werde. Sein behandelnder Arzt sei nur bereit, ihn über dem 31.03.2005 hinaus zu behandeln, wenn die Kostenfrage geklärt sei. Allein die Kosten für die Substitution beliefen sich auf täglich 7,20 Euro, darüber hinaus fielen Laborkosten für die regelmäßigen Urinkontrollen an; dazu kämen die Kosten der medizinischen Behandlung. Derzeit übernehme die Aids-Hilfe die Kosten für das Methadon, andere ärztliche Maßnahmen seien wegen des fehlenden Versicherungsschutzes zurückgestellt worden.
Mit Beschluss vom 12.04.2005 hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Ast. sei nicht versicherungspflichtig, weil er nicht erwerbsfähig sei und daher keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe. Die Ag. sei berechtigt, selbst zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Versicherungspflicht gegeben seien.
Der Ast. hat am 26.04.2005 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Er trägt vor, das Sozialgericht habe zu Unrecht verneint, dass er erwerbsfähig sei. Insoweit bezieht er sich auf eine Bescheinigung des Internisten Dr. N vom 18.04. (das angegebene Datum 05. ist offensichtlich falsch) 2005, wonach er in der Lage sei, 3 Stunden täglich leichte Arbeiten zu verrichten. Zur Eilbedürftigkeit trägt er vor, sein substituierender Arzt habe inzwischen die Behandlung eingestellt. Über die Aids-Hilfe sei übergangsweise die Substitution über eine andere Institution sichergestellt worden, es handele sich nicht um eine Dauerlösung.
Die Ag. hält an ihrer Auffassung fest, dass Zweifel an der rechtmäßigen Gewährung des Alg II bestünden. Außerdem habe der Ast. nicht innerhalb von zwei Wochen die erforderliche Mitgliedsbescheinigung bei der meldepflichtigen Stelle vorgelegt, da er erst am 18.01.2005 seinen Beitritt erklärt habe. Somit habe die ARGE E zu prüfen, bei welcher Kasse der Ast. vor dem 01.01.2005 versichert gewesen sei; nur wenn keine Versicherung bestanden habe, könne eine Anmeldung bei ihr erfolgen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Ast. kann von der Ag. Krankenversicherungsleistungen für die Dauer der Bewilligung von Alg II beanspruchen.
Der Senat hat den Antrag des Ast., die Ag. rückwirkend zur Begründung einer Mitgliedschaft ab 01.01.2005 zu verpflichten, nach seinem Vortrag dahingehend ausgelegt, dass der Ast. seine Krankenbehandlung sichergestellt wissen will. Die Mitgliedschaft kommt ohnehin kraft Gesetzes zustande, aus einer bloßen Feststellung der Mitgliedschaft ab 01.01.2005 würden keine unmittelbar vollstreckbaren Leistungen folgen. Da der Ast. andererseits durchgängig auf die erforderliche ärztliche Betreuung, die derzeit aufgrund des ungeklärten Krankenversicherungsschutzes nicht gewährleistet ist, abgestellt hat, hat der Senat in interessegerechter Auslegung des Begehrens des Ast. seinen Antrag dahingehend verstanden, dass der Ast. die Verpflichtung der Ag. zur Gewährung von Leistungen der Krankenbehandlung fordert. Insoweit ist es zur Abwendung wesentlicher Nachteile ausreichend, wenn die Ag. ab sofort diese Leistungen erbringt. Für die Vergangenheit kommen naturgemäß Sachleistungsansprüche nicht in Betracht. Inwieweit insoweit Erstattungs- oder Freistellungsansprüche des Ast. in Betracht kommen, kann ggf. im Hauptsacheverfahren geklärt werden; jedenfalls ist für die Eilbedürftigkeit einer Entscheidung über solche Ansprüche nichts ersichtlich.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Anordnungsanspruch) ergehen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund).
Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus §§ 5 Abs. 1 Nr. 2a, 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Entgegen der Auffassung der Ag. und des Sozialgerichts ist der Ast. versicherungspflichtig in der GKV. Die Versicherungspflicht wird nach dem eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V durch den tatsächlichen Bezug von Alg II begründet, auf das Bestehen eines Rechtsanspruches kommt es nicht an (Kass.Komm. – Peters, § 5 SGB V Rdn. 44a i.V.m. Rdn. 38; Krauskopf/Baier, Soziale Krankenversicherung, § 5 SGB V Rdn. 16b). Die ARGE E hat dem Ast. für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2005 Alg II bewilligt und offenkundig laufend gezahlt, so dass Versicherungspflicht eingetreten ist. Die Ansicht des Sozialgerichts, die Krankenkasse dürfe überprüfen, ob der Empfänger tatsächlich rechtmäßig Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe, setzt sich über den klaren Wortlaut des Gesetzes hinweg und lässt vor allem den Halbsatz 2 der Vorschrift außer Acht. Danach wird die durch den Bezug begründete Versicherungspflicht durch eine rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung nicht berührt. Hieraus ergibt sich zweifelsfrei, dass auch eine objektiv rechtswidrige Leistungsbewilligung zur Versicherungspflicht führt. Auch wenn die Ag. der Auffassung sein sollte, dass in einer Vielzahl von Fällen zu Unrecht frühere Sozialhilfeempfänger als erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II eingestuft worden sind, ist sie nicht berechtigt, Leistungsbewilligungen inhaltlich zu überprüfen und kann daher nicht die durch den tatsächlichen Bezug begründete Versicherungspflicht verneinen. Ohnehin ist die angefochtene Entscheidung nicht haltbar, denn das Sozialgericht hat ohne tragfähige Grundlage die Erwerbsfähigkeit des Ast. verneint. Zum einen liegen keinerlei konkrete Unterlagen zum Gesundheitszustand des Ast. vor, zum anderen ist nicht ersichtlich, inwiefern das Sozialgericht über die Sachkunde verfügt, die körperliche Leistungsfähigkeit des Ast. beurteilen zu können.
Es ist auch eine Mitgliedschaft des Ast. bei der Ag. zustande gekommen. Der Ast. war vor dem 01.01.2005 offensichtlich nicht versichert, er ist (erst) durch den Bezug von Alg II (wieder) versicherungspflichtig geworden. Somit musste er nach § 175 Abs. 1 Satz 1 SGB V sein aus § 173 Abs. 2 SGB V folgendes Wahlrecht ausüben. Eine Fristgebundenheit dieser Wahlrechtsentscheidung ist nicht ausdrücklich geregelt, sie lässt sich allenfalls mittelbar aus § 175 Abs. 3 Satz 2 SGB V entnehmen. Wird danach die von der Kasse nach der Ausübung des Wahlrechts unverzüglich auszustellende Mitgliedsbescheinigung (§ 175 Abs. 2 Satz 1 SGB V) von dem Versicherungspflichtigen nicht innerhalb von zwei Wochen der meldepflichtigen Stelle vorgelegt, hat diese den Betreffenden bei der Krankenkasse anzumelden, bei der zuletzt eine Versicherung bestand. Nach dieser Regelung tritt an die Stelle des Wahlrechts des Versicherungspflichtigen die Anmeldepflicht der meldepflichtigen Stelle; deren Meldung ersetzt das Wahlrecht des Versicherungspflichtigen (Kass.Komm. – Peters, § 175 SGB V Rdn. 25). Das Gesetz enthält keine Regelung dazu, ob das Wahlrecht des Versicherungspflichtigen erlischt, wenn er nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist die Mitgliedsbescheinigung vorlegt oder ob sein Wahlrecht solange bestehen bleibt, bis die meldepflichtige Stelle dieses durch ihre Anmeldung ersetzt hat. Da die gesetzliche Regelung offensichtlich nur der zügigen Klärung der Kassenzuständigkeit dienen soll, spricht mehr dafür, dass der Versicherungspflichtige von seinem Wahlrecht solange Gebrauch machen kann, bis die meldepflichtige Stelle eine wirksame Anmeldung getroffen hat (so Baier, a.a.O., § 175 SGB V Rdn. 19). Es wäre kaum verständlich, warum im vorliegenden Fall die Wahlentscheidung des Ast. unwirksam sein und erst aufwändig eine mögliche frühere Versicherung geprüft werden sollte, obwohl die ARGE E den Ast. entsprechend seiner Wahl bei der Ag. angemeldet hat.
Da der Ast. somit Mitglied der Ag. geworden ist, hat er nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung, die ihm von der Ag. zur Verfügung zu stellen sind.
Auch ein Anordnungsgrund ist gegeben, denn der Ast. hat glaubhaft gemacht, dass er insbesondere wegen der Metadonsubstitution ständiger ärztlicher Behandlung bedarf, die gegenwärtig nicht sichergestellt ist. Der früher behandelnde Arzt hat inzwischen die Behandlung eingestellt. Soweit gegenwärtig die weitere Metadonsubstitution durch eine andere Institution sichergestellt ist, handelt es sich bei dem Vortrag des Ast. nur um eine Übergangslösung, auf die er nicht verwiesen werden kann. Ohnehin verringern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, wenn in der Hauptsache die Klage offensichtlich zulässig und begründet ist (vgl. LSG Mainz, Beschl. vom 15.2.2005 – L 5 ER 5/05 KR).
Der Senat hat die Leistungspflicht der Ag. bis zum 30.06.2005 befristet, da nur bis zu diesem Datum Alg II bewilligt ist, so dass (derzeit) nur Versicherungspflicht bis zu diesem Zeitpunkt besteht. Im Übrigen dürfte davon auszugehen sein, dass die Ag. bei einer weiteren Bewilligung von Alg II nicht an ihrer unzutreffenden Auffassung festhält, sie dürfe die Rechtmäßigkeit dieses Bezuges überprüfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 03.06.2005
Zuletzt verändert am: 03.06.2005