I. Die Klage gegen den Bescheid vom 22.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.03.2017 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung bzw. Auszahlung von Leistungen nach dem elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) in Form von Verhinderungspflege streitig. Bei den Klägern handelt es sich um die Rechtsnachfolger der zwischenzeitlich verstorbenen Klägerin Frau A …
Die ursprüngliche Klägerin war bei der Beklagten pflegeversichert. Seit dem 12.04.2010 bezog sie Leistungen der Pflegeversicherung in der Pflegestufe I. Aufgrund eines Höherstufungsantrags vom 23.09.2015 beauftragte die Beklagte den medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK), der in seinem Gutachten vom 08.10.2015 nach persönlicher Befunderhebung zu dem Ergebnis kam, dass aufgrund einer eingetretenen Verschlechterung ein Zeitbedarf in der Grundpflege von 134 Minuten pro Tag sowie ein Zeitaufwand für die Hauswirtschaft von 60 Minuten pro Tag gegeben sei. Mit Bescheid vom 16.10.2015 wurden daher Leistungen der Pflegestufe II ab dem 01.09.2015 bewilligt. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens fand eine erneute Begutachtung des MDK im Rahmen eines Hausbesuchs statt. Im Gutachten vom 16.12.2015 wurde ein Zeitbedarf für die Grundpflege mit 196 Minuten täglich errechnet. Auf Seite 4 des Gutachtens unter Punkt 1.4 wurde Pflege durch Angehörige ausgeführt sowie, dass die private Pflegeperson aus Polen die Hauptpflegeperson sei. Im sich anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren (Aktenzeichen S 9 P 33/16) zur Bewilligung von Pflegestufe III wurde ein Pflegegutachten eines Pflegesachverständigen eingeholt. Dieser kam in seinem Sachverständigengutachten vom 12.12. 2016 zu einem kalendertäglichen Pflegeaufwand in der Grundpflege von insgesamt 137 Minuten.
Ursprünglich wurde die Verstorbene ausschließlich von Verwandten und Bekannten gepflegt. Nach einem Krankenhausaufenthalt nahm der Pflegeaufwand zu und war von den Angehörigen allein nicht mehr zu leisten. Mit Vertrag vom 29.09.2015 wurde zwischen der zu Pflegenden (vertreten durch I. und A.) und der Firma D. (vertreten durch die R. Betreuungsagentur) ein Dienstleistungsvertrag mit dem Inhalt geschlossen, das vom 04.10.2015 bis 02.10.2017 eine Pflegekraft zu einem Honorar von 61,50 EUR pro Tag sich um die hauswirtschaftlichen und pflegerischen Bedürfnisse von Frau A. kümmere. In Anlage Nummer 1 zum Vertrag vom 29.09.2015 wurde der Leistungsumfang im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung, im Bereich der Ausübung alltäglicher Aktivitäten, der Körperpflege, der Ernährung sowie der Mobilität festgelegt.
Mit Bescheid vom 15.04.2016 bewilligte die Beklagte für das Jahr 2015 einem Betrag von 1.612,00 EUR für Verhinderungspflege, 806,00 EUR als Anteil aus der Kurzzeitpflege sowie zusätzliche Betreuungsentlastungsleistungen in Höhe von 1.248,00 EUR.
Mit Schreiben vom 19.12.2016 wurde bei der Beklagten erneut ein Antrag auf Verhinderungspflege gestellt und 18 Rechnungen der Firma D. für das Jahr 2016 vorgelegt. Eine Kopie des Vertrags sei bereits mit der Antragstellung vom 09.04.2016 für das Jahr 2015 vorgelegt worden. Aus diesem ergebe sich, dass dadurch die Verhinderungspflege für fünfeinhalb Stunden täglich und insbesondere der nächtliche Pflegebedarf sichergestellt werde.
Mit Bescheid vom 22.12.2016 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten der Ersatzpflege ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass aus den vorgelegten Rechnungen hervorgehe, dass die Pflegekraft durchgehend vom 01.01.2016 bis zum 31.12.2016 bei der Klägerin tätig gewesen sei. Eine Verhinderungspflege im Sinne des § 39 SGB XI liege nicht vor. Die Verhinderung einer Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen sei nicht erkennbar, vielmehr seien die Pflegekräfte aus Polen als Hauptpflegeperson anzusehen.
Hiergegen wurde Widerspruch mit Schreiben vom 27.12.2016 erhoben. Es wurde ausgeführt, dass § 39 SGB XI die Ablehnung nicht stütze. Die Beklagte habe am 15.04.2016 bereits hier Leistungen übernommen. Die umfangreiche Pflege der Klägerin seit dem 04.10.2014 könne ohne Fremdhilfe nicht geleistet werden, zumal Frau D. infolge einer Chemotherapie im zweiten Halbjahr 2016 ausgefallen sei. Die Pflegekasse profitiere von der gewählten Pflegeorganisation.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2017 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Wenn eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert sei, übernehme die Pflegekasse gemäß § 39 SGB XI die nachgewiesenen Kosten einer notwendigen Ersatzpflege für längstens sechs Wochen je Kalenderjahr. Voraussetzung sei, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens sechs Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt habe. Für die Prüfung sei zunächst maßgeblich, wer mit der Pflege betraut sei. Laut dem zuletzt erstellten Gutachten des MDK vom 08.10.2015 werde die Pflege von folgenden Pflegepersonen durchgeführt: 1. Frau D., 2. Herr A., 3. Herr A., 4. Frau A., 5. wechselnde osteuropäische Pflegekräfte der Firma D … Laut Angaben im Gutachten übernehme Frau D. sowie Herr A. zusammen mit der Ehefrau jeweils zweimal wöchentlich die Pflege der Klägerin. Der Bruder stelle die hauswirtschaftliche Versorgung des Gartens sicher. Zudem sei eine polnische Pflegekraft 24 Stunden vor Ort, um die Pflege durchzuführen. Eine Erstattung der Kosten für eine Ersatzpflege könne nur in den Fällen erfolgen, in denen Ersatzpflege auch notwendig sei. Ausweislich des Vertrags sei die Pflege bereits seit dem 14.10.2015 fortlaufend durch eine polnische Pflegekraft pro Tag für 61,50 EUR erbracht worden. Die Ersatzpflege sei daher nicht anlässlich der Erkrankung von Frau D. und des damit verbundenen Wegfalls der durch sie erbrachten Pflegeleistung beauftragt worden. Die Kosten wären unabhängig von der Verhinderung der Pflegeperson entstanden. Darüber hinaus sei trotz der beantragten stundenweisen Verhinderungspflege die polnische Pflegekraft ganztägig über einen Zeitraum von insgesamt 35 Wochen beschäftigt gewesen. Die Leistungen der Verhinderungspflege könnten jedoch längstens für sechs Wochen erbracht werden. Die Gewährung von Verhinderungspflege im Vorjahr mit Bescheid vom 15.04.2016 sei daher zu Unrecht erfolgt.
In der Klage vom 19.03.2017 wurde unter anderem ausgeführt, dass die im Bescheid zitierte Fassung des § 39 SGB XI nur bis zum 31.12.2014 gegolten habe. Die Entscheidung sei schon allein wegen der falschen Gesetzesgrundlage aufzuheben. Der Pflegebedarf von Frau A. habe sich im Laufe der Zeit stark erhöht und die bisherigen Pflegepersonen hätten aufgrund ihres eigenen Alters und der seit Jahren bestehenden Belastung durch die Pflege den gesteigerten Hilfebedarf nicht mehr allein leisten können. Es sei daher der Dienstleistungsvertrag geschlossen worden. Im Gutachten des MDK vom 15.12.2015 seien die vier pflegenden Angehörigen genannt. Die Klägerin sei bis Oktober 2015 nur von Angehörigen und Bekannten gepflegt worden. Die Hilfskraft aus Polen sei nicht die Hauptpflegekraft. Die Klägerin werde seit Jahren von vier Angehörigen betreut und von der polnischen Hilfskraft unterstützt bzw. entlastet. § 39 SGB XI setze für die Verhinderungspflege nur voraus, dass die Pflegepersonen mindestens sechs Monate vor Eintritt der Verhinderung in der häuslichen Umgebung gepflegt hätten. Da die vom MDK festgestellten Pflegepersonen nachweislich seit 2010/2015 im häuslichen Umfeld pflegten, sei dieser Zeitraum unstrittig erfüllt. Der Pflegehinderungsgrund sei völlig unerheblich. Der abgeschlossene Vertrag laute über wöchentlich 38,5 Stunden. Es gebe keinen Vertrag über die 24-Stunden-Pflege. Es sei völlig unerheblich, wann der Vertrag für die polnische Hilfskraft geschlossen worden sei. Tatsache sei, dass die Angehörigen bereits vor der Erkrankung von Frau D. eine Entlastung benötigt hätten. Außerdem sei die jeweilige polnische Pflegekraft nicht ganztägig über einen Zeitraum von 35 Wochen beschäftigt. Der Dienstvertrag gehe über eine 38,5 Stundenwoche und für das ganze Jahr 2016 über.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 27.09.2017 wurde bei den Beteiligten angefragt, ob mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung Einverständnis besteht. Mit Schriftsatz vom 19.10.2017 bzw. 30.04.2018 erklärten die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis.
Die Kläger beantragen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2017 zu verurteilen, Leistungen der Verhinderungspflege für das Jahr 2016 in gesetzlicher Höhe zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie erweist sich aber als nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 22.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2017 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Voraussetzungen für einen Anspruch der Kläger als Rechtsnachfolger ihrer verstorbenen Mutter auf Übernahme der Kosten einer Verhinderungspflege sind zur Überzeugung des Gerichts nicht gegeben.
Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB XI in der Fassung bis zum 31.12.2016 übernimmt die Pflegekasse die Kosten einer notwendigen Ersatzpflege für längstens sechs Wochen je Kalenderjahr, wenn eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert ist. Voraussetzung hierfür ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens sechs Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat. Die Aufwendungen der Pflegekasse können entsprechend Abs. 1 Satz 3 sich im Kalenderjahr auf bis zu 1.612,00 EUR belaufen, wenn die Ersatzpflege durch andere Pflegepersonen sichergestellt wird als solche, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grad verwandt oder verschwägert sind oder die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben. Der Begriff der Pflegeperson nimmt dabei Bezug auf § 19 SGB XI, wonach Pflegepersonen im Sinne dieses Buches nur Personen sind, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 SGB XI in seiner häuslichen Umgebung pflegen. Der Leistungsanspruch besteht grundsätzlich auch dann, wenn sich mehrere Personen die Pflege geteilt haben.
Vorliegend scheitert der Anspruch auf Verhinderungspflege bereits an der Notwendigkeit einer Ersatzpflege. Laut den eingeholten Gutachten des MDK, wie auch des Gutachtens im vorangegangenen sozialgerichtlichen Klageverfahren, bestand bei der Verstorbenen ein Hilfebedarf von 196 Minuten für die Grundpflege und 60 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung täglich (MDK-Gutachten vom 15.12.2015) bzw. von 137 Minuten für die Grundpflege und 60 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung (Pflegesachverständigengutachten Herr M.). Dieser festgestellte notwendige Hilfebedarf kann unproblematisch mit dem zeitlichen Rahmen der angestellten polnischen Pflegekraft von 51/2 Stunden täglich abgedeckt werden. Eine darüberhinausgehende Pflege ist nicht mehr notwendig und damit gesetzlich berücksichtigungsfähig im Sinne des § 39 SGB XI. Die angestellte Pflegekraft wurde auch nicht angestellt, um im zweiten Halbjahr 2016 die Angehörige Frau D. zu entlasten, sondern wurde – laut Formulierung in der Klageschrift vom 19.03.2017 – bereits vor deren Erkrankung eingestellt, da die Angehörigen eine Entlastung benötigten. Insofern besteht auch kein zeitlicher Zusammenhang der Einstellung der polnischen Pflegekraft mit dem Ausfall einer anderen nicht professionellen Pflegekraft.
Auch aus den zu Unrecht übernommenen Kosten durch die Beklagte im Jahr 2015 lässt sich kein Anspruch auf Übernahme derselben Kosten im Jahr 2016 ableiten, da kein Rechtsanspruch auf Fortführung einer rechtswidrigen Leistung besteht.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193,183 SGG.
Erstellt am: 15.02.2021
Zuletzt verändert am: 15.02.2021