NZB durch Beschluss als unzulässig verworfen
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 17.09.2015 wird als unzulässig verworfen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Aufwendungen für Ersatzpflege in den Jahren 2012 und 2013.
Die am 00.00.1938 geborene Klägerin war in der streitigen Zeit bei der Beklagten (kranken- und) pflegeversichert (Kündigung der Mitgliedschaft mit Wirkung zum 01.01.2015). Bis zum 14.07.2013 bezog sie Leistungen der Pflegestufe I, seit dem 15.07.2013 der Pflegestufe II nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI). Gepflegt wurde die Klägerin durch ihren (mittlerweile am 00.00.2013 verstorbenen) Ehemann und ihren Sohn.
Am 13.08.2014 beantragte sie Leistungen für stundenweise Verhinderungspflege durch Frau L (im Folgenden: L) zum einen in der Zeit vom "01.01.2012 bis 31.12.2012" und zum anderen in der Zeit vom "01.01.2013 bis 31.12.2013". Für das Jahr 2012 quittierte L. den Erhalt von EUR 1.910,00 (EUR 1.550,00 allgemeine Aufwendungen; EUR 360,00 Fahrkosten). Für das geltend gemachte Pflegejahr 2013 (unter gleichzeitiger Angabe des Pflegebeginns mit "27.05.2013") bestätigte L. den Erhalt von EUR 1.874,40 (EUR 1.500,00 allgemeine Aufwendungen; EUR 374,40 Fahrkosten).
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 01.09.2014 ab. Eine Kostenerstattung sei nicht möglich, da kein Nachweis über die Anzahl der erbrachten Stunden eingereicht worden sei.
Hiergegen legte die Klägerin (mit Schreiben vom 18.11.2014) Widerspruch ein. Der geltend gemachte Anspruch bestehe in vollem Umfang. Die Anforderungen an einen Nachweis seien erfüllt.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2015 als unbegründet zurück. Eine Kostenerstattung für stundenweise Verhinderungspflege komme nur in Betracht, wenn sich nachweisen lasse, dass die üblicherweise pflegende Person vorübergehend an der Durchführung der Pflege gehindert gewesen sei. Grundvoraussetzung hierfür sei daher, dass genau angegeben werde, an welchen Tagen bzw. Stunden die Verhinderungspflege zu welcher Vergütung erfolgt sei. Diesen Nachweis sei die Klägerin trotz zahlreicher Aufforderungen schuldig geblieben.
Den zwischenzeitlich am 15.12.2014 beim Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) eingereichten Antrag der Klägerin, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu der begehrten Kostenerstattung zu verpflichten, hat das SG mit (rechtskräftigem) Beschluss vom 16.03.2015 (Aktenzeichen: S 9 P 268/14 ER) abgelehnt.
Mit ihrer ebenfalls am 15.12.2014 vor dem SG erhobenen Klage (vgl. Abtrennungsbeschluss vom 25.02.2015) hat die Klägerin, vertreten durch ihren Sohn – der eine notarielle Generalvollmacht (vom 13.09.2013) u.a. zur gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten vorgelegt hat -, ihr Anliegen zugleich in der Hauptsache weiter verfolgt. Der geltend gemachte Anspruch stehe ihr zu. In den Jahren 2012 und 2013 sei sie "wegen Entlastung bzw. sonstigen privaten Gründen (u.a. Saunabesuche) in einer Vielzahl von Stunden an verschiedenen Tagen von der Ersatzpflegeperson betreut worden". Einen Stundenlohn und eine feste Vergütung pro Tag sehe das Gesetz nicht vor.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2015 zu verurteilen, ihr die Aufwendungen für stundenweise Verhinderungspflege in den Jahren 2012 und 2013 sowie Fahrtkosten in Höhe von insgesamt EUR 3.784,40 zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf die Begründung in den angefochtenen Bescheiden bezogen.
Mit Urteil vom 17.09.2015 hat das SG die Klage abgewiesen: Die Beklagte habe rechtmäßig entschieden; auch im gerichtlichen Verfahren habe die Klägerin keine Nachweise für die behauptete Verhinderungspflege vorgelegt.
Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin kraft Postzustellungsurkunde am 29.09.2015 zugestellt worden.
Die Klägerin hat gegen das ihr nach eigener Darstellung "am 02.10.2015 zugestellte Urteil" mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 29.10.2015 – eingegangen bei Gericht am 02.11.2015 – Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihren erstinstanzlichen Sachvortrag. Die Beklagte verkenne ebenso wie das SG, dass sie die eigenen Formulare der Beklagten bei Antragstellung lückenlos ausgefüllt habe, es könnten also keine Angaben fehlen. Bezeichnenderweise habe ihre jetzige Krankenkasse (die Techniker Krankenkasse) ihren Antrag auf Leistungen der Ersatzpflege für 2015 auch anstandslos und auf Basis vergleichbarer Angaben sowie einer ergänzender Bestätigung der L. bewilligt.
Die Klägerin beantragt,
die Einholung eines graphologischen Gutachtens zu der Frage, ob der handschriftliche Vermerk auf der Postzustellungsurkunde Bl. 37 Gerichtsakte vor oder nach dem Eingangsstempel angebracht worden ist. Weiterhin soll durch das Gutachten geklärt werden, wann dieser Vermerk auf der Postzustellungsurkunde angebracht worden ist,
die mündliche Verhandlung zu vertagen, bis das graphologische Sachverständigengutachten eingegangen ist,
dass die Beklagte die vollständige Verwaltungsakte vorlegen soll, aus der auch hervorgeht, dass Gelder von 2011 an abgezweigt worden sind ohne Kenntnis der Klägerin,
das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 17.09.2015 zu ändern und gemäß dem Klageantrag zu entscheiden,
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sieht sich durch das erstinstanzliche Urteil in ihrer Rechtsauffassung bestätigt und verweist auf ihren bisherigen Sachvortrag.
Die Klägerin hat die Berichterstatterin des Senats sowie die weiteren Berufsrichter und ehrenamtlichen Richter (mit Schriftsatz vom 13.07.2016) wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Gesuch ist mit Beschluss vom 17.08.2016 (Aktenzeichen: L 5 SF 334/16 AB) zurückgewiesen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, sowie die Akten des beigezogenen Verfahrens vor dem SG mit dem Aktenzeichen S 9 P 268/14 ER Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung war als unzulässig zu verwerfen.
Sie ist nicht in der gesetzlichen Frist erfolgt und daher unzulässig.
Nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Diese Monatsfrist wurde mit der am 02.11.2015 beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen eingegangen Berufung nicht gewahrt. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin (vgl. § 73 Abs. 6 S. 6 SGG) ist das Urteil vom 17.09.2015 ausweislich Postzustellungsurkunde (PZU) bereits am 29.09.2015 – und nicht wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerin behauptet erst am 02.10.2015 – zugestellt worden. Diese aufgrund des Urkundsbeweis der PZU als erwiesen anzusehende Tatsache (vgl. § 202 S. 1 SGG i.V.m. §§ 418 Abs. 1, 182 Abs. 1 S. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)) bedurfte keiner weiteren Ermittlungen. Es ist entgegen der Einschätzung der Klägerin auch rechtlich irrelevant und damit als Gegenbeweis ungeeignet (vgl. BSG, Beschluss vom 13.11.2008, B 13 R 138/07 B, juris), wann der handschriftliche Vermerk "Ausf. d. U. v. 17.9.2015" auf der Vorderseite der PZU in Relation zum Eingangsstempel des SG (vom 01.10.2015) angebracht wurde, da maßgeblicher Gegenstand des Urkundsbeweises der PZU ist, wann der Einwurf durch die Zustellungsperson erfolgte, was hier auf der Rückseite der PZU mit dem 29.09.2015 eindeutig dokumentiert ist. Damit begann die Monatsfrist jedoch am 30.09.2015 zu laufen und endete am 29.10.2015. Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist soweit – wie hier – nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung; nach § 64 Abs. 2 SGG endet diese nach Tagen bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach der Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Eine Fristverlängerung nach § 64 Abs. 3 SGG schied aus, da das Fristende auf einen gewöhnlichen Werktag (Donnerstag) fiel und damit weder auf einen Sonnabend, einen Sonntag oder einen gesetzlichen Feiertag.
Der Klägerin ist hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 67 Abs. 1 SGG kommt dies nur auf Antrag in Betracht, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Klägerin macht keine unverschuldete Fristversäumnis (sondern eine spätere Zustellung) geltend, so dass bereits kein Antrag vorliegt. Im Übrigen sind auch keine Gründe erkennbar.
Auf die Begründetheit der Berufung und die Vollständigkeit der Akten der Beklagten kam es mithin nicht an.
Der Senat war auch nicht gehindert in dem anberaumten Termin zu entscheiden. Dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten Vertagungsantrag war (durch den Senat, vgl. § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 4 S. 1 Halbsatz 2 ZPO) nicht stattzugeben. Die Entscheidung über eine Vertagung der mündlichen Verhandlung liegt im Ermessen des erkennenden Gerichtes (§ 202 S. 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 S. 1 ZPO). Die Klägerin hat bereits keine erheblichen Gründe im Sinne des § 227 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 SGG glaubhaft gemacht, die eine Vertagung rechtfertigen würden. Erhebliche Gründe im Sinne des Gesetzes sind nur solche Umstände, die eine weitere Vorbereitung der Entscheidung oder die Gewährung rechtlichen Gehörs sachlich gebieten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.1.1995, 9 B 1/95, juris Rn. 3). Solche Umstände sind vorliegend nicht erkennbar. Auf die Unzulässigkeit der Berufung war die Klägerin im Vorfeld zum Termin schriftlich hingewiesen worden. In der Verhandlung hatte sie auch Gelegenheit, die zur Fristberechnung maßgeblichen Schriftstücke (erneut) einzusehen. Weder die von der Klägerin zur Begründung ihres Vertagungsantrages angeführte Einholung eines graphologischen Gutachtens noch die Beiziehung "vervollständigter" Verwaltungsakten der Beklagten waren für die Entscheidung relevant. Bei Entscheidungsreife ist das Gericht jedoch gem. § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 300 Abs. 1 ZPO zur Wahrung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes zum Erlass eines Endurteiles verpflichtet (vgl. Stöber in: Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016, § 227 Rn. 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Erstellt am: 15.03.2017
Zuletzt verändert am: 15.03.2017