Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 27.08.2013 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird auf 1.794,13 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Streitig ist die Ablehnung des Verrechnungsersuchens des Sozialhilfeträgers (Antragsteller) durch den Rentenversicherungsträger (Antragsgegnerin) bzw. die Ablehnung, eine über die Tabellenwerte zu § 850 c Zivilprozessordnung (ZPO) hinausgehende Entscheidung nach § 850 d ZPO zu treffen.
Der Beigeladene kam in der Zeit vom 01.11.1998 bis zum 30.11.2002 seiner Unterhaltspflicht gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau H. sowie seinen Kindern T H., geboren 00.00.1985, H., geboren 00.00.1996 und L1 H., geboren 00.00.1990, nicht nach. Diese wurden zu Lasten des Antragstellers unterhalten. Die Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehefrau des Beigeladenen und seiner Kinder gingen im Zeitraum der vorgenannten Hilfegewährung gemäß § 91 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) auf den Antragsteller über. Durch notariell beglaubigtes Schuldanerkenntnis vom 01.09.2004 hat der Beigeladenen anerkannt, dem Antragsteller für die Zeit vom 01.11.1998 bis zum 30.11.2002 aus übergegangenem Recht Unterhalt in Höhe von insgesamt 3.328, 86 EUR nebst Zinsen zu schulden und sich wegen der Erfüllung dieser Verbindlichkeiten aus dieser Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen.
Der Antragsteller erwirkte gegen den Beigeladenen einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts C vom 10.09.2012. Darin wurde der pfandfreie Betrag in Anwendung von § 850d ZPO in Höhe von 695,00 EUR festgesetzt. Mit dem rechtskräftigen Beschluss vom 05.12.2012 hat das Amtsgericht C den vorgenannten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auf Grund der vom Beigeladenen eingelegten Erinnerung aufgehoben.
Über das Vermögen des Beigeladenen wurde am 19.09.2012 mit Beschluss des Amtsgerichts Münster – 87 IK 66/12 – das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Antragsteller meldete mit Schreiben vom 08.11.2012 seine Restforderung aus dem vorgenannten Schuldanerkenntnis in Höhe von 1.794,13 EUR an. Diese Forderung wurde vom Insolvenzverwalter für den Ausfall in voller Höhe festgestellt (Schreiben des Insolvenzverwalters an den Antragsteller vom 18.01.2013).
Mit Schreiben vom 23.04.2012 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Verrechnung der Rentenansprüche des Beigeladenen mit den bestehenden Unterhaltsrückständen gemäß § 52 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) in Verbindung mit § 850 d ZPO. Der Beigeladene bezog von der Antragsgegnerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 773,28 EUR monatlich im Jahr 2012 bzw. bezieht eine solche von 772,42 EUR.
Zunächst mit Schreiben vom 27.07.2012 und dann mit Bescheid vom 18.12.2012 lehnte die Antragsgegnerin das Verrechnungsersuchen vom 23.04.2012 ab. Für die Anwendung der §§ 52, 51, 54 Abs. 4 SGB I sei es einem Rentenversicherungsträger verwehrt, im Rahmen eines Verrechnungsersuchens die einzelnen Voraussetzungen des § 850 d ZPO zu prüfen. Denn die Obliegenheiten für den Drittschuldner könnten bei einer Verrechnung nicht größer sein als bei einer Pfändung. Hätte der Gesetzgeber dieses gewollt, hätte er den Sozialleistungsträger in § 52 SGB I ermächtigt, insoweit die Rolle eines Vollstreckungsgerichts einzunehmen. An einer derartigen konkreten Ermächtigung fehle es aber in § 52 SGB I.
Mit seinem hiergegen am 15.01.2013 erhobenen Widerspruch machte der Antragsteller geltend, es sei dem Rentenversicherungsträger im Rahmen seiner zu treffenden Ermessensentscheidung nicht verwehrt, den maßgebenden Unterhalt nach § 850 d ZPO selber zu bestimmen. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 23.05.1995 – 13 RJ 43/93 – festgestellt, bei Anwendung des § 53 Abs. 3 SGB I müsse der Leistungsträger eine Ermessensentscheidung nach § 850 f a ZPO treffen. Genauso obliege es dem ersuchten Leistungsträger im Rahmen einer Verrechnung nach §§ 52, 51, 54 Abs. 4 SGB I eine nach gleichen Grundlagen und Grundsätzen vorzunehmende Ermessensentscheidung nach § 850 d ZPO zu treffen.
Mit Schreiben vom 21.05.2013 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, in Vorbereitung der Widerspruchssitzung seien Bedenken gegen eine Zurückweisung des Widerspruchs durch Widerspruchsbescheid aufgekommen. Bereits nach der formlos erteilten Mitteilung vom 27.07.2013 sei eine ablehnende Entscheidung des Verrechnungsersuchens erfolgt. Eine Bescheiderteilung wäre danach nicht erforderlich gewesen. Der Anspruch auf Verrechnung könne somit allein im Wege der allgemeinen Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) weiter verfolgt werden.
Am 19.06.2013 erhob der Antragsteller Klage gegen die Antragsgegnerin mit dem Antrag, diese zu verurteilen, ab Juli 2013 die Rentenansprüche des Beigeladenen gemäß § 52 SGB I mit den Unterhaltsforderungen des Antragstellers gegen den Beigeladenen zu verrechnen, soweit die Rentenansprüche den notwendigen Unterhalt des Beigeladenen in Höhe von monatlich 410,00 EUR übersteigen.
Gleichzeitig hat der Antragsteller beantragt,
mit sofortiger Wirkung die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die gemäß des Klageantrages zu verrechnenden Beträge einzubehalten und bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Klageantrag zu verwahren.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag auf Einstweiligen Anordnung abzuweisen.
Mit Beschluss vom 27.08.2013 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgewiesen und dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auferlegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsgegnerin sei nicht ermächtigt, eine über die Tabellenwerte zu § 850 c ZPO hinausgehende Entscheidung entsprechend §§ 850ff ZPO zu treffen. Sie sei insoweit nicht Vollstreckungsgericht. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.
Gegen diesen ihm am 30.08.2013 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 13.09.2013 Beschwerde erhoben. Dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Verrechnung allein auf die nach § 850 c ZPO pfändbaren Beträge habe beschränken wollen, sei nicht ersichtlich. Eine solche Beschränkung der Ermächtigung sei weder dem Wortlaut des Gesetzes noch der hierzu ergangenen Rechtsprechung zu entnehmen. Vorliegend werde die Verrechnung durch die Antragsgegnerin nur bis zur Höhe der noch offenen Forderung gegen den Beigeladenen verlangt, d. h. bis zur Höhe von 1794,13 EUR.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 27.08.2013 abzuändern und nach dem erstinstanzlich gestellten Antrag zu erkennen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
II.
Die fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass der Sozialrechtsweg gegeben ist (BSG vom 27.11.1991 – 4 RA 80/90, Rn 19f.). Ebenso trifft zu, dass es sich bei dem vorliegenden Begehren des Antragstellers um einen Antrag nach § 86 b Abs. 2 SGG handelt. Die Regelungsanordnung entspricht der für die Hauptsache zulässigen allgemeinen Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG, mit der sich der ersuchende Leistungsträger gegen die Weigerung des ersuchten Leistungsträgers, die Verrechnung vorzunehmen, zur Wehr setzen kann (Pflüger in juris-PK-SGB I, 2. Auflage 2011, § 52 SGB I Rn 32 m.w.N.). Auch beruft sich der Antragsteller zu Recht darauf, dass auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beigeladenen mit Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 19.09.2012 – 87 IK 66/12 – die Möglichkeit zur Aufrechnung grundsätzlich erhalten bleibt. Aus den §§ 94 bis 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung (InsO) ergibt sich, dass eine zur Zeit der Öffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Aufrechnungslage erhalten bleibt. Dieses Grundprinzip modifiziert § 114 Abs. 2 InsO für bestimmte Dauerschuldverhältnisse, die Aufrechnungsbefugnis mit laufenden Bezügen wird zeitlich begrenzt (Pflüger in juris-PK- SGB I, aaO, § 51 SGB I Rn 100 m. w. N.; Kroth in Braun, InsO, 5.Auflage 2012, § 114 Rn 6 f.). Das Bundessozialgericht hat klargestellt, dass der in § 114 Abs. 2 InsO vorgesehene Schutz der Aufrechnungslage (§ 51 SGB I) auch den der Verrechnungslage nach § 52 SGB I einbezieht (BSG vom 10.12.2003 – B 5 RJ 18/03 R, Rn 9 ff. und vom 14.10.2013 – B 13 R 5/11 R, Rn 44).
Auch zur Überzeugung des Senats ist ein Anordnungsanspruch im Sinne des § 86 b Abs. 2 SGG nicht glaubhaft gemacht.
Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob § 850 d ZPO auch dann gilt, wenn Unterhaltsansprüche kraft Gesetzes auf einen Dritten übergegangen sind und geltend gemacht werden wie hier durch den Sozialhilfeträger (bejahend: Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 33. Auflage 2012, § 850 d Rn 2; Stöber in Zöller, ZPO, 29. Auflage 2012, § 850 d Rd.Nr.4; BAG vom 21,02.2013 – 6 AZR 553/11, Rn 42; verneinend: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. Auflage 2013, Rn. 1, wonach das Pfändungsvorrecht höchstpersönlicher Natur ist und durch einen Übergang auf den Sozialhilfeträger seinen Charakter wechselt).
Zur Überzeugung des Senats hat der Antragsteller schon nicht glaubhaft gemacht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 850 d ZPO erfüllt sind bzw. wegen bevorrechtigten Unterhalts die Rente des Beigeladenen ohne die Beschränkungen des § 850 c pfändbar ist.
Nach dem Vorbringen des Antragstellers handelt es sich bei der geltend gemachten Restforderung von 1.794,13 EUR um einen übergegangenen Anspruch wegen rückständiger Unterhaltsansprüche für die Zeit vom 01.11.1998 bis zum 30.11.2002.
§ 850 d Abs. 1 ZPO setzt die Pfändungsfreigrenzen für gesetzliche Unterhaltsansprüche herab. Dahinter steht das sozialpolitische Anliegen des Gesetzgebers, den Gläubiger, der seinen Unterhalt nicht selbst bestreiten kann, nicht auf die staatliche Sozialfürsorge zu verweisen. Stattdessen soll er privilegiert Zugriff auf das Arbeitseinkommen bzw. die genannten Bezüge des Schuldners nehmen dürfen. Die Ausnahmeregelung in § 850 d Abs. 1 Satz 4 ZPO schließt diese Privilegierung aber für Rückstände aus, die länger als ein Jahr vor dem Antrag auf Erlass des Pfändungsbeschlusses fällig geworden sind, soweit nicht anzunehmen ist, dass der Schuldner sich seiner Zahlungspflicht absichtlich entzogen hat.
"Absichtlich entzogen" hat sich der Schuldner seiner Zahlungsverpflichtung, wenn er durch ein zweckgerichtetes Verhalten (auch Unterlassen) die Realisierung der Unterhaltsschuld verhindert oder zumindest wesentlich erschwert hat (Stöber in Zöller, ZPO, aaO, § 850 d Rn 5; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, aaO § 850 d Rn 11, jeweils m. w. N.).
Aus dem Vorbringen des Antragstellers und den aktenkundigen Tatsachen rechtfertigt sich nicht der Schluss, dass sich der Beigeladene im Zeitraum von November 1998 bis November 2002 zweckgerichtet seiner Zahlungspflicht entzogen hat. Der Beigeladene hat wiederholt erklärt, er sei grundsätzlich gewillt, seinen Unterhaltsverpflichtungen freiwillig nachzukommen, so etwa ausweislich des Vermerks über seine persönliche Vorsprache im Sozialamt des Beigeladenen am 25.06.1999 oder ausweislich der vom Bevollmächtigten des Beigeladenen in das Verfahren eingeführten Lohnabtretung vom 21.12.2002 im Zusammenhang mit ausstehenden Lohnansprüchen des Beigeladenen gegen seinen damaligen Arbeitgeber. Ferner ist etwa einem Bericht des Sozialamtes der Stadt C an den Antragsteller vom 01.06.1999 zu entnehmen, der Beigeladene habe eine Zahlung von 1.100,00 DM geleistet. In diesem Schreiben werden die persönlichen Verhältnisse des Beigeladenen umrissen. Es wird berichtet, der Bewährungshelfer des Beigeladenen habe in einem Telefonat mitgeteilt, der Beigeladene habe erhebliche Alkoholprobleme und gebe vermutlich einen Großteil seines Geldes für Alkohol aus. In einem Vermerk des Fachbereiches Soziales C vom 28.09.1999 wird wiederum nach einer telefonischen Mitteilung der Bewährungshilfe Bocholt die Alkoholabhängigkeit des Beigeladenen festgehalten. In diesem Vermerk ist die Rede von einer Entgiftungs- und anschließenden Entwöhnungmaßnahme.
Der Bevollmächtigten des Beigeladenen trägt vor, der Beigeladene sei in der damaligen Zeit "nasser" Alkoholiker und psychisch erkrankt gewesen. Er macht geltend, der Beigeladene habe, etwa während der Beschäftigung bei seinem Bruder, teilweise nicht die Löhne erhalten, die tatsächlich gegenüber der Sozialversicherung ausgewiesen worden seien.
Nach vorstehender Auffassung erübrigt sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Prüfung der vom Antragsteller behaupteten Bevorrechtigung der unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehefrau des Beigeladenen und der Kinder T, und L1 gegenüber dem am 23.09.2008 geborenen Kind L H., der aus der Ehe des Beigeladenen mit der am 09.03.1970 geborenen H. – S. stammt, im Hinblick auf die Rangfolge des § 850 d Abs. 2 ZPO i.V.m. § 1609 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Nach § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG werden Gerichtskosten erhoben und sind die §§ 154 bis 162 VwGO anzuwenden, wenn weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört. Diese Norm gilt entsprechend für das Beschwerdeverfahren. Gemäß § 183 Satz 1 SGG ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit kostenfrei für Versicherte, Leistungsempfänger, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft beteiligt sind. Dies gilt hier für den Beigeladenen, nicht aber für den Antragsteller und die Antragsgegnerin. Mit der begehrten Verrechnung ist auch keine Leistung mit ähnlicher oder vergleichbarer Funktion wie bei den echten Sozialleistungen nach § 11 SGB I im Streit. Nach § 154 VwGO trägt der unterliegende Teil die Kosten.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 05.11.2013
Zuletzt verändert am: 05.11.2013