Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 21.04.1999 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Altersrente für Frauen hat.
Die Klägerin wurde am …1936 in K/Ukraine geboren. Sie lebt seit dem 08.03.1994 in Deutschland und ist Jüdin. Die Klägerin hat ein Diplom als "Lehrerin für die russische Sprache, Literatur und für die englische Sprache" und arbeitete von 1960 bis zum 07.03.1994 als Mittelschul-Lehrerin in Russland. In Deutschland hat die Klägerin von April 1994 bis September 1994 an einem Sprachlehrgang "Deutsch für Aussiedler" teilgenommen.
Im Rahmen eines mittlerweile bestandskräftig abgelehnten Antrages auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gab die Klägerin an, ihre Muttersprachen seien Deutsch, Jiddisch und Russisch-Ukrainisch gewesen. Sie habe Deutsch und Jiddisch im persönlichen Bereich und ansonsten Russisch gesprochen. Die Muttersprachen ihres Vaters seien Jiddisch und Russisch-Ukrainisch gewesen, diese Sprachen habe er auch persönlich gebraucht. Muttersprache der Mutter sei neben Jiddisch und Russisch-Ukrainisch auch Deutsch gewesen. Die Großeltern mütterlicherseits hätten sehr gut Deutsch gesprochen, die Großmutter sei auch Gymnasiallehrerin gewesen und habe Deutsch gesprochen und gelesen. Der Ehemann habe ebenfalls Deutsch, Jiddisch und Russisch gesprochen. Die die Klägerin im Antragsverfahren betreuende Versichertenälteste H. G. bescheinigte der Klägerin gute Kenntnisse der deutschen Sprache, Literatur und Kultur. Sie übersandte einen deutschsprachigen Brief der Klägerin an sie.
Am 08.04.1996 beantragte die Klägerin Altersrente. Sie unterzog sich bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten einer Sprachprüfung. Hier machte sie im wesentlichen die bereits bekannten Angaben zum Sprachgebrauch der Eltern. In der Ehe habe man "Deutsch, Russisch, viel Jiddisch" gesprochen. Die Klägerin gab weitgehend fehlerfreie Schriftproben ab, zusammenfassend kam die Beklagte zu dem Ergebnis, die Klägerin spreche "gebrochen Deutsch".
Mit Bescheid vom 05.06.1996 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil Versicherungszeiten nach dem FRG nicht anrechenbar seien. Die Klägerin gehöre nicht zu den in §§ 1, 17a FRG, 20 WGSVG genannten Personen, weil ihre Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) zu verneinen sei. Muttersprachen und Umgangssprachen seien Jiddisch und Russisch gewesen, die deutsche Sprache habe die Klägerin im persönlichen Bereich nicht überwiegend gebraucht.
Im Widerspruchsverfahren führte die Klägerin aus, sie spreche seit ihrer Geburt Deutsch und habe durch die Großmutter, die Mutter und die Tante erste Worte in Deutsch vermittelt bekommen. Sie sei mit deutscher Literatur aufgewachsen und habe an der Universität in Moskau etwas Deutsch, vorrangig aber englische Sprache und Literaturgeschichte sowie Russisch studiert. Sie habe nach dem Studium deutschsprachige Aussiedler betreut. Die Klägerin legte eine schriftliche Erklärung des Zeugen R. D. vor, der bestätigte, dass er schon von frühester Kindheit an mit der Klägerin in der deutschen Sprache gesprochen habe. Außerdem legte die Klägerin eine Bestätigung des Bildungsinstitutes Münster e.V. vor, wonach sie schon vor Beginn des Sprachkurses über umfangreiche Deutschkenntnisse verfügt habe.
Die Beklagte wies den Widerspruch zurück. Sie ging davon aus, dass die Klägerin zwar über umfangreiche Deutschkenntnisse verfügt, sie die deutsche Sprache jedoch nicht überwiegend gebraucht habe.
Im Klageverfahren hat die Klägerin gemeint, ihre Sprachkenntnisse belegten die dSK-Zugehörigkeit. Mit ihrem Ehemann habe sie deutsch gesprochen. Sie hat einen handschriftlichen Brief an ihre Bevollmächtigte übersandt, worin sie ihre deutschen Sprachkenntnisse schildert und darlegt, ihr Mann habe beruflich Kontakt zu deutschen Ingenieuren in der DDR gehabt.
Sie behauptet, sie habe die deutsche Sprache nicht an der Schule bzw. Hochschule gelernt, und hat zum Beleg hierfür ein Schulzeug nis sowie einen Auszug aus dem Studienbuch vorgelegt.
Das Sozialgericht hat die Leiterin des Deutschkurses der Klägerin, Frau S. B., sowie die Versichertenälteste G. vernommen. Die Zeugin B. hat bestätigt, dass die Klägerin keinerlei Schwierigkeiten gehabt habe, sich in den Kurs für Fortgeschrittene einzufinden. Die Zeugin G. hat wieder ausgeführt, dass die Klägerin gute Kenntnisse in deutscher Sprache, Literatur und Kultur habe.
Mit Urteil vom 21.04.1999 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäss verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Es hat die Voraussetzungen von § 17a FRG bejaht, weil die Klägerin gute Deutschkenntnisse habe.
Gegen diese am 14.05.1999 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 09.06.1999 erhobene Berufung der Beklagten.
Die Beklagte meint, zum Zeitpunkt der Erstreckung des national sozialistischen Einflussbereichs auf das Herkunftsgebiet der Klägerin könne diese noch nicht einem bestimmten Sprach- und Kulturkreis zugerechnet werden, weil sie damals gerade erst das 5. Lebensjahr vollendet hatte. Sie beruft sich auf die Entscheidung des BGH vom 25.06.1974 – IX ZR 147/73 – (RzW 1974, 307). Der BGH habe hier ausgeführt, dass Minderjährige erst dann einem Sprach- und Kulturkreis zugerechnet werden könnten, wenn sie zum maßgeblichen Zeitpunkt mindestens 8 oder 9 Jahre alt waren. Jedenfalls aus diesem Grund sei die Berechtigung nach § 17a FRG zu verneinen.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 21.4.1999 ab zuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und im Übrigen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 21.04.1999 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.06.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.1997 zu verurteilen, der Klägerin Altersrente für Frauen unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalls vom 20.06.1996 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Die Klägerin behauptet ergänzend, sie habe in ihrer Kindheit zu Hause mit ihrer Mutter, Großmutter und Tante fast ausschließlich deutsch gesprochen, auch der Vater habe mit ihr viel deutsch gesprochen. Die russische und ukrainische Sprache habe sie hauptsächlich mit Spielkameraden und Bekannten verwandt. Sie habe als Kind auch jiddisch gesprochen, dies wäre bei allen Juden der Fall gewesen. Auch in den letzten Jahren, in denen sie in Moskau gelebt habe, habe sie im privaten Bereich vorherrschend deutsch gesprochen, mit ihrem Mann habe sie ausschließlich deutsch gesprochen. Sie habe zwei Schwestern, mit einer Schwester spreche sie überwiegend in russisch, manchmal auch deutsch, mit der anderen Schwester spreche sie heute noch überwiegend deutsch.
Der Senat hat die von der Klägerin benannten Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer R. U., L. T., L. P., L. S., A. S. und den ehemaligen Schüler der Klägerin L. S. zum Sprachgebrauch der Klägerin in Moskau schriftlich befragt. Die Zeugen haben übereinstimmend bekundet, dass die Klägerin hauptsächlich die deutsche Sprache verwandt habe, A. S. hat zudem bestätigt, dass die Klägerin als Kind deutsch gesprochen habe.
Die Streitakte des Ehemanns der Klägerin N. V …/. Beklagte L 4 RA 57/98 wurde beigezogen. Auch der Ehemann hatte die Zugehörigkeit zum dSK behauptet, ein Rentenanspruch schied unabhängig von der Zugehörigkeit zum dSK aus Rechtsgründen aus.
Schließlich hat der Senat R. und B. D. als Zeugen gehört. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 29.10.2001 verwiesen.
Nach der Beweisaufnahme hat die Beklagte erklärt, dass sie nicht (mehr) daran zweifelt, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Verlassens von Russland im Jahre 1994 dem dSK zugehörig war.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Eine Aufhebung der Bescheide kommt daher nicht Betracht. Die zweitinstanzliche Klageänderung ist zwar gemäß § 99 Abs. 1 SGG zulässig, jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Altersrente.
Gemäß § 39 SGB VI in der bis zum 31.12.1999 und für den vorliegen den Fall geltenden Fassung haben versicherte Frauen Anspruch auf Altersrente, wenn sie
1. das 60. Lebensjahr vollendet,
2. nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als 10 Jahre Pflicht beiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und
3. die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben.
Zwar hat die Klägerin am 20.06.1996 das 60. Lebensjahr vollendet. Indes hatte sie weder die Wartezeit von 15 Jahren noch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 39 Nr. 2 SGB VI erfüllt.
Gemäß § 51 Abs. 1 SGB VI werden auf die Wartezeit von 15 Jahren Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet. Derartige Beitragszeiten können für die in der ehemaligen Sowjetunion ausgeübten Tätigkeiten nur gemäß § 15, 16 FRG anerkannt werden. Auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfordern, dass die im Ausland ausgeübten Beschäftigungen oder Tätigkeiten nach dem FRG anerkannt werden (Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, Anm. 5 zu § 237a).
Zwar ist bei Bejahung der Anwendbarkeit des FRG der Versicherungsverlauf der Klägerin unstreitig und erfüllt diese die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Altersrentenanspruch. Indes sind die Vorschriften des FRG auf die Klägerin nicht anwendbar.
Gemäß § 17a FRG finden die für die gesetzliche Rentenversicherung massgebenden Vorschriften des FRG Anwendung auch auf
a) Personen, die bis zum Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflussbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat,
1. dem dSK angehört haben,
2. das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten oder im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört haben und
3. sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten
und die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG verlassen haben.
Die Voraussetzungen dieser Vorschriften müssen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG nicht nachgewiesen, sondern lediglich glaubhaft gemacht sein. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 4 Abs. 1 Satz 2 FRG).
Allerdings ist glaubhaft, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes (März 1994) dem dSK im Sinne des § 17a a) Nr. 2 FRG angehört hat.
Ausgehend von der Rechtsprechung des BGH zum Wiedergutmachtungsrecht (grundlegend BGH RZW 1970, 503, 505) ist der Gebrauch des Deutschen im Bereich des persönlichen Lebens, das in erster Linie die Sphäre von Ehe und Familie, aber auch den Freundeskreis umfasst, Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum dSK (BSG, Urteil vom 22.11.1991 – 4 RA 79/90 -; jüngst BSG, Urteil vom 23.03.2000 – B 13 RJ 59/99 R – m.w.N.). Ein besonderes Problem stellt Mehrsprachigkeit von Anspruchsstellern dar. Dieser Personenkreis kann dem dSK zugerechnet werden, wenn er die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und sie in seinem persönlichen Bereich überwiegend verwendet hat (BSG, Urteil vom 10.03.1999 – B 13 RJ 83/98 R -).
Es ist der Klägerin gelungen, glaubhaft zu machen, dass sie zum Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes im Jahre 1994 mehrsprachig war und die deutsche Sprache überwiegend verwendet hat:
Die Klägerin hat selbst vorgetragen, Jiddisch, Ukrainisch, Russisch und Englisch zu beherrschen, die Befähigung im Gebrauch der deutschen Sprache hat sie mündlich und schriftlich nachgewiesen.
Die sehr überzeugende und nahezu fehlerfreie Beherrschung der deutschen Schriftsprache, die die Klägerin in zahlreichen Dokumenten nachgewiesen hat, sowie sämtliche in gutem Deutsch abgefaßten schriftlichen Zeugenaussagen bestätigen glaubhaft den überwiegen den Gebrauch der deutschen Sprache im privaten Bereich. Die Frage, ob die Klägerin auch Deutsch studiert hat, ist unerheblich. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre dieser Umstand für die Beweiswürdigung irrelevant, weil die Aufnahme eines Studiums der deutschen Sprache auch die Zugehörigkeit zum dSK besonders belegen kann. Es kann zudem sein, dass eine bis dahin nicht dem dSK zugehörige Person durch die Berufsausbildung in Verbindung mit der beruflichen Tätigkeit so tief in den deutschen Sprach- und Kulturkreis hineingewachsen ist, dass sie aus diesen Gründen die deutsche Sprache auch in ihrem persönlichen Bereich verwendet und dadurch den Zugang zur deutschen Kultur gewonnen hat (BGH RZW 1970, 503 ff). Es entspricht daher der Rechts- und Beweislage, dass die Beklagte unstreitig gestellt hat, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört hat.
Für Verfolgte i.S. des WGSVG ist es gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2, 19 Abs. 2 a 2. Halbsatz WGSVG ausreichend, dass diese im Zeitraum des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört haben. Indes ist diese Rechtslage auf § 17 a FRG nicht übertragbar. Für die Berechtigung nach dieser Vorschrift ist darüber hinaus zu fordern, dass der Betroffene nicht nur zum Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes, sondern auch zu dem Zeitpunkt, als sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf sein Herkunftsgebiet erstreckte (in der Ukraine, dem Herkunftsgebiet der Klägerin, am 01. September 1941, vgl. hierzu Verbandskommentar, Anmerkung 3.3 zu § 17a FRG) dem dSK angehört hat.
Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut. Gemäß § 17a a) Ziff. 1 FRG ist Grundvoraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift, dass der Betroffene bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf sein jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat, dem dSK angehört hat. Gemäß § 17a a) Nr. 2 erste Alternative FRG ist die Erfüllung dieser Voraussetzung unabhängig von der weiteren Entwicklung der Zugehörigkeit zu einem Sprach- und Kulturkreis ausreichend, wenn der Betroffene zu diesem Zeitpunkt das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatte. Hatte der Betroffene zum maßgeblichen Zeitpunkt das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet, kommt es gemäß § 17a a) Nr. 2 2. Alternative FRG darauf an, dass der Betroffene im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes immer noch dem dSK angehört hat. Nicht ausreichend ist es, dass jemand zum Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflussbereich sich auf sein Heimatgebiet erstreckt hat, dem dSK noch nicht angehört hat und sich im Laufe seines Lebens diesem Sprach- und Kulturkreis zugewendet hat, so dass er im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört hat.
Diese Auslegung wird durch Sinn und Zweck von § 17a FRG bestätigt. Im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (BT-Drucksache 11/5530, S. 82, 127) ist ausgeführt, dass über § 17a FRG die rentenrechtliche Gleichstellung der aus den osteuropäischen Vertreibungsgebieten stammenden deutschen Juden mit den deutschstämmigen Aussiedlern erreicht werden sollte. Weiter heißt es: "Personen, die bis zum Beginn der allgemeinen Verfolgungsmassnahmen durch den Nationalsozialismus zum dSK gehört haben, gehören bisher nur deshalb nicht zu dem vom FRG erfaßten Personenkreis, weil sie sich nicht zum deutschen Volkstum sondern zum Judentum bekannt haben. Diesen Personen wurde durch die Auswirkung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft das familiäre Umfeld und die soziale Großgruppe entzogen, und sie können im Verlauf der Zeit bis zur Ausreise aus ihren Heimatgebieten auch die Zugehörigkeit zum dSK verloren haben. Durch die vorgesehene Neuregelung soll dieser Personenkreis in das FRG einbezogen werden". Hieraus ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber nur solche Personen begünstigen wollte, die bereits zu Beginn der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen als "deutsche Juden" anzusehen waren.
0bwohl eine Begründung zur Änderung des § 17a a) Nr. 2 FRG durch das RÜG vom 25.07.1991 (BGBl. 1, 1606) nicht vorliegt, ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber durch die Erweiterung dieser Vorschrift auch Personen begünstigen wollte, die sich nach Beendigung der nationalsozialistischen Herrschaft dem dSK zugewandt haben. Vielmehr dürfte Sinn und Zweck der Vorschrift sein, auch Personen, die zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Einflussnahme noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet hatten und damit typischerweise noch nicht in das Erwerbsleben eingetreten waren, jedoch auch dem dSK zurechenbar sind, von den Vergünstigungen des Fremdrentenrechtes profitieren zu lassen.
Die Klägerin konnte nicht glaubhaft machen, dass sie bereits im September 1941 dem dSK zugehörig war. Entgegen der Meinung der Beklagten steht dem allerdings nicht entgegen, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt erst das 5., noch nicht jedoch das 8. oder 9. Lebensjahr vollendet hatte. Der BGH hat in der genannten Entscheidung die Vollendung des 8. oder 9. Lebensjahres nicht als absolute Untergrenze für eine Zugehörigkeit zu einem Sprach- und Kulturkreis bezeichnet, sondern ausgeführt, dass auch für minderjährige Verfolgte die Kriterien für eine derartige Zugehörigkeit (überwiegender Gebrauch der deutschen Sprache im persönlichen Lebensbereich) jedenfalls dann gelten, wenn sie im maßgebenden Zeitpunkt bereits 8 oder 9 Jahre alt waren. Dies schließt es nicht aus, bereits in jüngeren Jahren insbesondere aus einem überwiegend deutschen Sprachgebrauch innerhalb der Familie zu schließen, dass der Betroffene dem dSK zugehörig war.
Es ist der Klägerin jedoch nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass sie bis 1941 im persönlichen Bereich – d.h. mit ihren Eltern und nahen Verwandten – überwiegend deutsch gesprochen hat. Die Klägerin selbst hatte zunächst gegenüber der Beklagten unbefangen, ohne weitere Rechtskenntnisse und daher glaubhaft, erklärt, sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter hätten im persönlichen Bereich überwiegend Jiddisch gesprochen und insbesondere diese Sprache "stets in der Familie" benutzt. Damit ist – entgegen ggf. zweckgerichteten späteren Erklärungen der Kläger – davon auszugehen, dass diese Sprache die wichtigste Rolle in der Sprachentwicklung der Klägerin als Kind gespielt hat.
Unerheblich ist, dass die Klägerin daneben mit ihrer Großmutter mütterlicherseits wohl auch deutsch gesprochen hat. Denn insbesondere bei einem kleinen Kind, das bei den Eltern lebt, ist die Sprache, die das Kind mit seinen Eltern spricht, für die Zugehörigkeit zu einem Sprach- und Kulturkreis von besonderer Bedeutung. Zudem belegen die Aussagen der Zeugen D., dass die von der Großmutter vermittelte deutsche Sprache als Kultursprache, nicht aber als überwiegend benutzte Muttersprache vermittelt wurde. Der Zeuge R. D. hat darauf hingewiesen, dass die Großmutter der Klägerin die Kinder der Nachbarschaft regelmäßig im Garten versammelt und ihnen deutsche Märchen vorgelesen hat. Der Zeuge, der selbst nicht dem dSK zugehörig war, hat damit bestätigt, dass die deutsche Sprache zwar wohl bei besonderen Gelegenheiten, keineswegs jedoch als Umgangssprache im Familienkreis der Klägerin verwendet wurde. Hier für spricht auch, dass nach Angaben der Zeugin B. D. die Beherrschung der deutschen Sprache im Herkunftsgebiet der Klägerin eine Seltenheit ("so etwas wie ein Wunder") war.
Auch die Tatsache, dass die Klägerin mit einer ihrer Schwestern nach eigenem Bekunden hauptsächlich russisch spricht, spricht gegen den überwiegenden Gebrauch der deutschen Sprache in der Herkunftsfamilie der Klägerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wurde gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, denn zu der Frage, ob die für Verfolgte geltende Begünstigung dahingehend, dass diese in den dSK hineinwachsen können, auch für § 17 a FRG gilt, liegt bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor.
Erstellt am: 13.08.2003
Zuletzt verändert am: 13.08.2003