Zurückverweisung vom BSG zum LSG: L 3 R 52/05
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. April 2003 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 20. Juni 2003 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
I.
Tatbestand:
Streitig ist die vom Sozialgericht zuerkannte Ersatzzeit für den vom Kläger unter russischer Kommandanturaufsicht verbrachten Zeitraum von Mai 1953 (Vollendung seines 14. Lebensjahres) bis Januar 1956 (Ende der Kommandantur). Der am 00.00.1939 als Kind einer nach seinen Angaben deutschen Familie im Dorf H, Gebiet S, geborene Kläger wurde nach Ausbruch des deutsch-russischen Krieges im Juni 1941 von dort zusammen mit seiner Familie Ende August 1941 in das Gebiet von Nowosibirsk verschleppt und bis Januar 1956 unter Kommandaturaufsicht gestellt. Hierzu liegt eine russische Archivbescheinigung vor. Nach dem Ende der Kommandantur blieb die Familie zunächst in der Gegend von Nowosibirsk und nahm dann 1958 ihren Wohnsitz im B. Dort arbeitete der Kläger nach den Eintragungen in seinem russischen Arbeitsbuch ab 1958 bis zur Entlassung angesichts der Auswanderung ins Ausland zum 01.04.1992 in der Landwirtschaft. 1962 heiratete er seine aus F, Gebiet T, stammende Ehefrau, mit der zusammen er im Mai 1992 in die Bundesrepublik übersiedelte. Nach ihren Angaben in der Vertriebenenakte sind beide Eheleute deutscher Volkszugehörigkeit und erhielten 1991 Einreisegenehmigungen durch die deutsche Botschaft in Moskau im Hinblick auf eine aufnehmende Familienangehörige M L, die sich seit dem 04.07.1990 im Bundesgebiet ständig aufhielt. Mit am 08.04.1992 noch im B ausgestellten Reisepässen reiste das Ehepaar am 27.05.1992 in die Bundesrepublik und hält sic seitdem im Bundesgebiet auf. Der Kläger ist Inhaber eines Vertriebenenausweises "B" und hat mit Bescheid vom 06.05.1996 für die Zeit von Januar 1947 bis Januar 1956 eine Entschädigung nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz erhalten. Bei der Beklagten beantragte er im April 1995 die Klärung seines Versicherungskontos und gab in einem Fragebogen zur Klärung von Ersatzzeiten auf die Frage: "Wann hatten Sie erstmals den Willen, aus der GUS auszureisen, um den ständigen Aufenthalt bzw. den Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen?" an: "02.01.1977." Die Frage war mit dem Hinweis versehen, es solle nicht das Datum des Ausreiseantrages angegeben werden, sondern der erstmalige Wunsch und feste Wille zur Aussiedlung solle auch dann angegeben werden, wenn zu diesem Zeitpunkt keine Ausreise möglich war oder Ausreiseanträge nicht gestellt worden sind oder werden konnten. Auf die weitere Frage: "Hat Ihr Wille, den ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen, seit dem (vorgenannten) Zeitpunkt ununterbrochen bis zum Zuzug vorgelegen?", gab der Kläger an: "War keine Möglichkeit." Auf die Frage, was im Einzelnen unternommen worden sei, um die Ausreise/den Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland zu erreichen, machte der Kläger keine Angaben. Die Ausreise- bzw. Einreiseerlaubnis sei im November 1991 erteilt worden, erklärte er ferner. Der Grund für die Verzögerung der Ausreise habe darin gelegen, dass die Sterbeurkunde seines Vaters einen Fehler enthalten habe, weshalb er die Ausreiseerlaubnis nicht bekommen bzw. erst durch Anrufung eines Gerichts bekommen habe. Auf seinen Antrag vom 13.09.2000 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 09.11.2001 vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab dem 01.01.2000 unter Berücksichtigung von nach dem FRG bewerteten russischen Pflichtbeitragszeiten ab Mai 1956 bis April 1992 und bundesdeutschen Versicherungszeiten ab Juni 1992 bis Dezember 1999, jedoch ohne die zugleich begehrte Ersatzzeit. Eine Anerkennung der Ersatzzeit vom 14. Lebensjahr bis Januar 1956 sei nicht möglich, weil der Kläger nach Aufhebung der Kommandanturaufsicht nach 1956 nach eigenen Angaben keinen durchgehenden Rückkehrwillen gehabt habe. Dem widersprach der Kläger und wies darauf hin, dass bei seiner Ehefrau eine Ersatzzeit für den Zeitraum der Kommandanturaufsicht bereits anerkannt worden war und im Übrigen bei Volksdeutschen seines Herkunftsgebietes ein zumindest latenter Wille zur Ausreise seit dem Ende der Kommandatur durchgehend bestanden habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, die Berücksichtigung einer Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) setze u.a. eine Rückkehr innerhalb von zwei Monaten nach der Entlassung im Januar 1956 bzw. für die Dauer weiterer Verzögerungen infolge der Unmöglichkeit der Ausreise einen durchgehenden Willen hierzu voraus. Ein Ausreisewille habe beim Kläger nach seiner eindeutigen Angabe erstmals am 02.01.1977 vorgelegen.
Mit seiner am 26.08.2002 erhobenen Klage hat sich der Kläger zum Beleg seines durchgehend vorhandenen Rückkehrwillens auf das Zeugnis von Schicksalsgenossen aus der Zeit der Kommandanturaufsicht und danach berufen. Das Sozialgericht hat daraufhin die angegebenen Zeuginnen T und L1 schriftlich angehört. Die Zeugin T hat angegeben, sie habe mit dem Kläger von 1941 bis 1947 im gleichen Dorf im Gebiet Nowosibirsk gewohnt und 1954 sei die Kommandantur aufgehoben worden. Im April 1957 hätten sich ihre Wege getrennt. Frau L1 gab an, sie sei bereits in Sibirien geboren worden und habe mit dem Kläger zusammen die Grundschule sowie ein Jahr die Hauptschule besucht. Später habe der Kläger mit ihrem ältesten Bruder in einer Kolchose zusammengearbeitet. Die Eltern hätten bis 1956 unter Kommandanturaufsicht gestanden. 1957 sei die Familie des Klägers aus dem Ort abgereist. In der mündlichen Verhandlung vom 10.04.2003 hat das Sozialgericht den Zeugen S angehört. Der Zeuge hat angegeben, er kenne den Kläger von klein an und sei im gleichen Dorf wie er geboren. 1941 seien sie ins Gebiet Nowosibirsk ausgesiedelt worden. Dort hätten sie zusammen die Schule besucht und man habe nach dem Ende der Kommandanturaufsicht noch bis etwa 1958 zusammengearbeitet. Der Kläger sei dann ins B-Gebiet gegangen, er selbst über Estland 1974 in die Bundesrepublik ausgesiedelt. In der Zeit nach dem Ende der Kommandantur 1958 seien die Deutschen stark diskriminiert worden. Der Wille zur Ausreise sei bei den Deutschen vorhanden gewesen. Eine Ausreise sei jedoch überhaupt nicht möglich gewesen.
Mit Urteil vom 10.04.2003 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 20.06.2003 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 09.11.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, zu Gunsten des Klägers die Zeit vom 17.05.1953 bis 30.01.1957 als Ersatzzeit anzuerkennen, soweit dieser Zeitraum nicht mit Beitragszeiten belegt ist. Dem Kläger stehe für diesen Zeitraum eine Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI zu, dessen Vorraussetzungen er erfülle. Denn er habe nach der vorliegenden Archivbescheinigung von 1941 bis Anfang 1956 unter Kommandanturaufsicht gestanden und ohne schuldhafte Verzögerung innerhalb der 2-Monatsfrist aus § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI seinen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Kläger im Zeitraum unmittelbar nach Ende der Kommandanturaufsicht bis zur tatsächlichen Ausreise ohne eigenes Verschulden an der Ausreise gehindert gewesen. Dies stehe nach der Aussage des Zeugen S fest. Ein durchgehender Rückkehrwille sei entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht erforderlich. Das Gesetz stelle allein auf objektive Gesichtspunkte ab, weitergehende Anforderungen ergäben sich weder aus Gesetzessystematik, Sinn und Zweck der Vorschrift, noch aus der Gesetzesbegründung. Die Auslegung der Beklagten führe dazu, dass die Anerkennung einer Ersatzzeit von Zufälligkeiten abhinge, wie es sich gerade beim Kläger erweise, bei dessen Ehefrau die Ersatzzeit anerkannt worden sei. Ein Grund hierfür sei nicht ersichtlich, zumal beide zusammen ausgereist seien.
Gegen das ihr am 11.07.2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.07.2003 eingelegte Berufung der Beklagten, mit der siegeltend macht, das Ergebnis der Beweisaufnahme trage die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts nicht. § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI verlange in Fortschreibung der unter Geltung der RVO anwendbaren Regelung zum Heimkehrergesetz einen bis zur Ausreise durchgehend vorhandenen Rückkehrwillen. Dieser bedürfe zwar nicht eines Vollbeweises, da Glaubhaftmachung im Sinne von § 4 FRG ausreichend sei. In der Regel sei wegen der Gefahr von Repressalien vor 1986 kein Ausreiseantrag zum Beleg eines vorhandenen Rückkehrwillens zu fordern, für die Folgezeit sei nach Russlanddeutschen mit bereits in der Bundesrepublik wohnenden Verwandten und solchen ohne zu differenzieren. Denjenigen mit bereits in der Bundesrepublik ansässigen Verwandten sei das Wysow-Verfahren zugänglich gewesen sei, den Anderen nicht. Ab 1991 sei von einer Ausreisemöglichkeit auch ohne Verwandte im Westen auszugehen. Beim Kläger sei nach seiner eigenen Angabe ein Rückkehrwille erst ab Januar 1977 anzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. April 2003 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 20.06.2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, die Auslegung der Beklagten finde weder im Wortlaut noch in der Entstehungsgeschichte von § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI eine Stütze und führe zu Beweisproblemen, weil es bei fehlender Möglichkeit zur Betätigung eines Ausreisewillens in der UdSSR naturgemäß auch an objektivierbaren Vorgängen fehle. Das in den 50er-Jahren – angesichts der relativen zeitlichen Nähe der zu beweisenden Umstände – noch sinnvolle Merkmal des Rückkehrwillens sei nun, 50 Jahre später, nicht mehr aussagefähig, weil sich so weit zurückliegende Umstände schon wegen des Zeitablaufes nicht mehr beweisen ließen. Selbst für den Fall, dass dennoch ein ununterbrochen vorliegender Rückkehrwille, gefordert werde, sei die Angabe des Klägers unschädlich. Denn diese Angabe habe die Beklagte durch die missverständliche Fragestellung, insbesondere nach einem Ausreisewillen aus der "GUS", also nicht aus der "UdSSR", hervorgerufen. Die tatsächlichen Annahmen der Beklagten zu bestehenden Ausreisemöglichkeiten widersprächen zu dem den Beobachtungen in anderen Fällen.
Der Senat hat die Vertriebenenakte des Klägers und die seiner Ehefrau beigezogen und den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2004 angehört. Zu seinen weiteren Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift, zu Einzelheiten des Sachverhaltes im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakten und der beigezogenen Verwaltungsakten des Klägers bei der Beklagten sowie der Vertriebenenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist auch begründet. Dem Kläger steht die vom Sozialgericht zuerkannte Ersatzzeit für den nach Vollendung des 14. Lebensjahres unter russischer Kommandanturaufsicht verbrachten Zeitraum von Mai 1953 bis Januar 1956 weder nach § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI (A) noch aufgrund anderer Vorschriften (B) zu.
A
Der Ersatzzeittatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI ist nicht erfüllt. Ersatzzeiten sind hiernach Zeiten vor dem 01.01.1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr interniert … gewesen sind, wenn sie als Deutsche wegen ihrer Volks- und Staatsangehörigkeit oder in ursächlichem Zusammenhang mit den Kriegsereignissen außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland interniert oder in ein ausländisches Staatsgebiet verschleppt waren, nach dem 08.05.1945 entlassen wurden und innerhalb von 2 Monaten nach der Entlassung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ständigen Aufenthalt genommen haben, wobei in die Frist von zwei Monaten Zeiten einer unverschuldeten Verzögerung der Rückkehr nicht eingerechnet werden.
Der Kläger hatte während der vom Sozialgericht zuerkannten Ersatzzeit sein 14. Lebensjahr vollendet und war im Rahmen der durch die russische Archivbescheinigung nachgewiesenen Unterstellung unter Kommandanturaufsicht bis einschließlich Januar 1956 "interniert" im Sinne von § 250 Abs. 1 Satz 2 SGB VI. Auch waren wegen der deutschen Volkszugehörigkeit seiner Familie und ihrer Zwangsumsiedlung aus dem Herkunftsgebiet am Schwarzen Meer nach Sibirien in zeitlichem und historisch belegtem Zusammenhang mit dem deutschen Überraschungsangriff auf die Sowjetunion (22.06.1941, Der große Ploetz, 32. Auflage 1998, Seite 767) die Voraussetzungen einer Internierung als Deutscher in ursächlichem Zusammenhang mit den Kriegsereignissen erfüllt speziell zur sowjetischen Reaktion auf den Angriff in Gestalt von Zwangsumsiedlung der Deutschen und Kommandanturunterstellung am neuen Siedlungsort: Pinkus/Fleischhauer, Die Deutschen in der Sowjetunion, 1. Auflage 1997, Seiten 303 ff.; Eisfeld, Herdt, Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee, Deutsche in der Sowjetunion 1941-1956, 1. Auflage 1996 mit umfangreichem Nachweis der Materialien; Schulz-Vobach, Die Deutschen im Osten, 1. Auflage 1989, Seite 281 ff.). Der Kläger hat jedoch nicht rechtzeitig, d.h. innerhalb von zwei Monaten nach seiner Entlassung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ständigen Aufenthalt genommen. Denn er wurde im Januar 1956 zusammen mit seiner Familie aus der Kommandanturaufsicht entlassen und ist erst 1992 zusammen mit seiner Ehefrau in die Bundesrepublik eingereist. Zwar werden nach dem weiteren Wortlaut der Vorschrift in die Frist von zwei Monaten Zeiten einer unverschuldeten Verzögerung der Rückkehr nicht eingerechnet. Ein den gesamten Zwischenraum überbrückender Streckungstatbestand aufgrund unverschuldeter Verzögerung der Rückkehr kann jedoch nicht angenommen werden, weil Zeiten einer "unverschuldeten" Verhinderung an der Rückkehr nur solche Zeiten sein können, in denen ein durchgehender Wille zur tatsächlichen Rückkehr, d.h. Ausreise in die Bundesrepublik, auch bestanden hat (1.). Diesen Willen hat der Kläger vor 1977 nach seiner eigenen Angabe im Kontenklärungsverfahren nicht besessen; für den Folgezeitraum bis zur tatsächlichen Stellung des Ausreiseantrages im Jahr 1991 gibt es auch keine Hinweise auf einen solchen Willen (2.). Das Erfordernis eines durchgehend bestehenden Willens zur Rückkehr, d.h. Ausreise in die Bundesrepublik, ist weder aufgrund genereller Überlegungen noch aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalles entbehrlich (3.).
1.
Der Streckungstatbestand einer "unverschuldeten Verzögerung der Rückkehr" nach § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI setzt einen durchgehend, d.h. für den gesamten Zeitraum vom Ende der Internierung bis zur Aufenthaltsnahme in der Bundesrepublik, feststellbaren, nach dem Maßstab der Glaubhaftmachung zu belegenden Rückkehrwillen voraus. Bereits der Wortlaut der Formulierung legt dies nahe (a), dies ergibt sich im Übrigen gleichermaßen aus der Entstehungsgeschichte (b), aus dem systematischem Zusammenhang mit weiteren Tatbeständen in § 250 Abs. 1 SGB VI (c) und darüberhinaus aus Sinn und Zweck der Vorschrift (d).
a) Eine "unverschuldete", d.h. nicht mit der Konsequenz eines Verlustes der Ersatzzeit verbundene Rückkehrverzögerung im Gegensatz zur "verschuldeten" Rückkehrverzögerung, die den Verlust der im Übrigen in Betracht kommenden Ersatzzeit zur Folge hat, lässt sich nur durch Abgleich der tatsächlichen Geschehnisse und Verhaltensweisen des Versicherten mit dem zur Erfüllung des Ersatzzeittatbestandes "geschuldeten" Verhalten ermitteln. Diese Prüfung ist schon sprachlich-logisch nicht ohne Beachtung der Willensbildung des Versicherten möglich. "Geschuldet" zur Erfüllung des Ersatzzeittatbestandes in Nr. 2 ist die Aufenthaltsnahme binnen einer Frist von 2 Monaten nach Wegfall der nicht zu beeinflussenden freiheitseinschränkenden Umstände. Das geschuldete Verhalten setzt voraus, dass der Versicherte hierzu bereits willens ist, d.h. zur frühestmöglichen Rückkehr in dem Sinne bereit ist, dass er seine tatsächliche Ausreise nur mehr vom Wegfall der durch ihn nicht zu beeinflussenden Rückkehrhindernisse abhängig macht. Die Feststellung einer unverschuldeten Rückkehrverhinderung anhand alleine objektiver Kriterien liegt daher entgegen der Annahme des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil schon nach dem Wortlaut des Tatbestandes fern und ist auch angesichts objektiv bestehender Ausreisehindernisse nach dem Ende der Internierung nicht entbehrlich (hierzu unten, A 3).
b) Nach den vor Einführung von § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI durch Artikel 1 des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18.12.1989 (BGBl. I, 2261) geltenden und im Übrigen inhaltsgleichen Ersatzzeittatbeständen war ein durchgehend vorhandener Rückkehrwille grundsätzliche Voraussetzung der Anerkennung einer Ersatzzeit wegen Internierung. Aus der Entstehungsgeschichte von § 250 SGB VI folgt, dass der Gesetzgeber mit der Gesetzesnovellierung nichts Abweichendes regeln wollte. Im bis zum 31.12.1991 anwendbaren Recht enthielten § 251 Abs. 1 Nr. 2 RVO sowie die entsprechenden Regelungen in § 28a AVG – Angestellten-Versicherungsgesetz – und 51 RKG – Reichsknappschaftsgesetz – folgenden Passus: "Für die Erfüllung der Wartezeit werden als Ersatzzeiten angerechnet … 2. Zeiten der Internierung und der Verschleppung sowie Zeiten einer anschließenden Krankheit oder unverschuldeten Arbeitslosigkeit, wenn der Versicherte Heimkehrer im Sinne des § 1 des Heimkehrergesetzes ist". Als Heimkehrer galten nach § 1 Abs. 3 HkG Heimkehrergesetz u.a. Deutsche, die wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer Staatsangehörigkeit oder in ursächlichem Zusammenhang mit den Kriegsereignissen des Bundesgebietes und des Landes Berlin interniert oder in ein ausländisches Staatsgebiet verschleppt waren, nach dem 08. Mai 1945 entlassen wurden und innerhalb von zwei Monaten nach der Entlassung im Bundesgebiet oder im Lande Berlin ständigen Aufenthalt genommen haben oder nehmen. Nach § 1 Abs. 6 HkG waren in die Frist von zwei Monaten Zeiten einer unverschuldeten Verzögerung der Rückkehr nicht einzurechnen. Nach Nr. 25 Satz 1 der ehemaligen Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Heimkehrergesetzes i.d.F. vom 24.01.1956 (Bundesanzeiger Nr. 21, Seite 1 ff.) lag eine "unverschuldete Verzögerung der Rückkehr" dann vor, wenn der Entlassene innerhalb von zwei Monaten nach der Entlassung den Entschluss gefasst hat, im Geltungsbereich des Heimkehrergesetzes ständigen Aufenthalt zu nehmen und wenn er von der Ausführung dieses Entschlusses durch Umstände abgehalten wurde, die er abzuwenden nicht in der Lage war.
Ebenso forderte die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Betreffende seit dem Ende des Fremdgewahrsams bis zur Ausreise fortgesetzt den Willen gehabt haben muss, alsbald den Aufenthalt in der Bundesrepublik zu nehmen (Heimkehrwille) und zur Verwirklichung dieser Absicht alle nach seiner Beurteilung erforderlichen und unter den herrschenden Verhältnissen möglichen Schritte ohne schuldhafte Verzögerung unternommen hat (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 08.02.1967, – VC 91.66 – BVerwGE 26, 149, 159, Buchholz 412.2 § 1 HkG Nr. 8; Lueg-von Maydell-Ruland, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, Stand Juli 2003, § 57, Rdnr. 337).
Diesen vor 1992 bestehenden Rechtszustand hat der Gesetzgeber des SGB VI durch Einführung von § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nicht verändern wollen. Naheliegend ist diese Annahme bereits angesichts der weitgehenden Wortgleichheit von § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI mit der Vorläufervorschrift der RVO bzw. des AVG und RKG in Verbindung mit dem Heimkehrergesetz. Das HkG selbst, dessen Text nun in den zitierten Passagen in das SGB VI eingearbeitet worden war, wurde mit Wirkung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGB VI, nämlich zum 01.01.1992, außer Kraft gesetzt (Artikel 1, 4 des Gesetzes zur Aufhebung des Heimkehrergesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften vom 20.12.1993, BGBl. I, Seite 2317). Damit wurde die Bezugnahme auf das HkG für die Anrechnung von Zeiten der Internierung und der Verschleppung als Ersatzzeiten in der Rentenversicherung durch eine eigenständige Vorschrift abgelöst (Verwaltungsgerichtshof Baden- Württemberg, Urteil vom 30.09.1992 – 6 S 1181/91 unter Verweis auf Bundestagsdrucksache 12/1254, im Juris).
Abgesehen von wenigen, hier nicht einschlägigen Rechtsänderungen, wollte der Gesetzgeber des SGB VI die zuvor bestehende Rechtslage also lediglich fortschreiben, nicht ändern. Der dann auch in Kraft getretene Wortlaut von § 250 SGB VI entspricht weitgehend § 245 des "Gemeinsamen Fraktionsentwurfes" (BT-Drucks. 11/4124, 71) zu dessen ursprünglicher Fassung die Gesetzesbegründung den Hinweis enthält, Abs. 1 entspreche dem geltenden Recht (BT-Drucks. 11/4124, 200). Hätte der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang eine Änderung bewirken wollen, wäre ein Hinweis in den Gesetzesmaterialien umsomehr zu erwarten, als diese hinsichtlich der tatsächlich eingeführten Änderungen, namentlich der Einschränkungen in § 250 Abs. 2, erkennen lassen, dass nicht nur der bisherige Rechtszustand fortgeschrieben, sondern Erweiterungsversuchen der Rechtsprechung entgegengewirkt werden sollte: "Mit der vorgeschlagenen Änderung soll die Anrechnung von Ersatzzeiten nach Abs. 1 Nr. 2, 3 und 5 auf das ursprüngliche Regelungsziel zurückgeführt werden: Ersatzzeiten sollen Zeiten ersetzen, in denen der Versicherte aus nicht in seiner Person liegenden Gründen an der Beitragszahlung gehindert war, weil wegen die mit diesen Zeiten verbundenen außergewöhnlichen Umstände eine Beitragsleistung nicht zu erwarten war. Nicht zuletzt aufgrund der jüngeren Rechtsprechung zu den genannten Ersatzzeitenregelungen hat sich die Praxis von dieser ursprünglichen Zielsetzung entfernt." (Beschlussempfehlung und Bericht des Amtes für Arbeit- und Sozialordnung BT-Drucks. 12/5017 zu § 250 Abs. 2). Zweifel an der Absicht des Gesetzgebers, den nach RVO/AVG/RKG in Verbindung mit dem Heimkehrergesetz bis Ende 1991 bestehenden Rechtszustand auch unter Berücksichtigung der hierzu vorliegenden Rechtsprechung mit Einführung des SGB VI lediglich fortzuschreiben, sind vor diesem Hintergrund beseitigt.
c) Auch die systematische Stellung von § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI im Rahmen der übrigen Ersatzzeittatbestände des Abs. 1 spricht für die konkret-individuelle Prüfung eines durchgehenden vorhandenen Rückkehrwillens. Ein solcher Rückkehrwille wird für den qualitativ vergleichbaren Ersatzzeittatbestand der Rückkehrverhinderung in § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI, soweit ersichtlich, einhellig gefordert (Kasseler Kommentar zum Sozialgesetzbuch, 2. Band, Stand Juli 2003, § 250 Rdnr. 77, 79; Hauck/ Haines, SGB VI, Kommentar, 3. Band, Stand Juli 2003, Klattenhoff, § 250 Rdnr. 191; Bley, Gitter u.a., Gesamtkommentar Sozialversicherung SGB VI, Band 3 c, Stand Juni 2003, § 250 Nr. 11; Gemeinschaftskommentar, a.a.O:, Rdnrn 404 ff.; Eicher, Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Bd. 1, Stand Juli 2003, § 250) Auch nach der Rechtsprechung kommt die Ersatzzeit aber nach Nr. 3 erst für die Zeit nach Entstehung des Willens zur Rückkehr in Betracht (BSG, Urteil vom 24.11.1971, SozR Nr. 57 zu § 1251 RVO). Ersatzzeittatbestände nach §§ 250 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 sind hinsichtlich der Intensität der sie auslösenden Freiheitseingriffe und des Kreises der potentiell Begünstigten soweit ähnlich, dass es für die Annahme, eine Willensanforderung solle bei Nr. 2 nicht gelten, auch im Hinblick auf die generelle Zielsetzung von Ersatzzeittatbeständen erkennbar gewichtiger Gründe bedürfte.
d) Ersatzzeiten sollen einen Ausgleich für Zeiten bieten, für die mit Rücksicht auf die besonderen, im Gesetz festgelegten Tatbestände dem Versicherten die Entrichtung von Beiträgen regelmäßig nicht möglich oder dies von ihm wegen der mit diesen Zeiten verbundenen außergewöhnlichen Umstände nicht zu erwarten gewesen ist (BSG SozR 2200 § 1251 Nr. 113 m.w.N.). Wurden während dieser Zeiten keine Pflichtbeiträge gezahlt, obgleich diese oder wenigstens freiwillige Beiträge zulässigerweise hätten gezahlt werden können, dann unterstellt das Gesetz – abgesehen von § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI – dass alleine die mit den Zeiten verbundenen besonderen Umstände die Beitragsleistung verhindert haben (Hauck/Haines/Klattenhoff, a.a.O., Rdnr. 2 für viele). Dieser Ausgleich von Nachteilen in der Rentenbiographie wird dann unsinnig, wenn der Begünstigte überhaupt nicht den Willen hatte, eine (nach RVO/AVG/RKG bzw. nun dem SGB VI) wirksame Rentenbiographie durch Begründung eines Inlandswohnsitzes im Geltungsbereich des Gesetzes zu beginnen (Nr. 2) bzw. fortzusetzen (Nr. 3). Auch dieser Gesichtspunkt spricht für die Beibehaltung des zu den Vorgängerregeln unbestrittenen Erfordernisses eines durchgehend vorhandenen Rückkehrwillens im Rahmen der Prüfung von § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI. Eine andere Handhabung führte, worauf die Beklagte in der Stellungnahme des Grundsatzreferates vom 26.02.2003 hinweist, im Ergebnis zur Annahme einer Pauschalersatzzeit, die nach der Konzeption des Gesetzgebers allein für Zeiten der Vertreibung, Umsiedlung und Flucht vom 01.01.1945 bis 31.12.1946 – § 250 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI – vorgesehen ist. Sie liefe Sinn und Zweck der Differenzierung zwischen individuell zu prüfenden und pauschalen Ersatzzeiten erkennbar zuwider.
2.
Der danach im Rahmen von § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI erforderliche durchgehende Rückkehrwille ist zur Überzeugung des Senats in der Zeit zwischen der Beendigung der Internierung (Aufhebung der Kommandantur im Januar 1956) bis zur Ausreise nicht glaubhaft gemacht. Der Kläger hat bis Anfang 1977 nach seiner eigenen Erklärung keinen entsprechenden Willen gehabt; für den Folgezeitraum bestehen immerhin Zweifel am grundsätzlichen Entschluss, zum frühestmöglichen Zeitpunkt die UdSSR zu verlassen und den Wohnsitz in der Bundesrepublik zu nehmen. Auf die (vgl. wörtliche Wiedergabe im Tatbestand) eindeutige Fragestellung der Beklagten, der zudem Erläuterungen beigegeben waren, hat der Kläger klar und unmissverständlich geantwortet, er habe erst ab 02.01.1977 den Willen gehabt, aus der GUS auszureisen, um den ständigen Aufenthalt bzw. den Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen. Diese Erklärung kann weder nach ihrem eindeutigen Wortlaut noch im Zusammenhang mit den späteren Ausführungen des Klägers anders interpretiert werden. Seine weitere Angabe zu fehlenden Möglichkeiten einer Realisierung dieses Willens bezieht sich ebenso eindeutig auf die zwischen dem genannten Zeitpunkt und dem des Zuzugs liegende Zeitspanne. Zweifel an den schon seinerzeit bei Ausfüllung des Fragebogens im Jahre 1995 vorhandenen sprachlichen Fähigkeiten des Klägers, die Fragestellung zu verstehen, ergeben sich nicht. Der Kläger hat den Fragebogen erkennbar in eigener Handschrift, zwar mit kleinen granmmatikalischen bzw. orthographischen Fehlern, aber im Übrigen sprachlich korrekten Formulierungen Wesentlichen einwandfrei ausformuliert ausgefüllt und am 30.08.1995 selbst unterschrieben. Zweifel an den (aktuellen) sprachlichen und intellektuellen Verständnismöglichkeiten haben sich auch bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht herausgestellt. Der Kläger hat die Fragestellung auch nicht, wie in der Berufungserwiderung übertragen, deswegen missverstanden, weil die Beklagte ausschließlich nach dem Willen zur Ausreise aus der GUS, nicht (auch) aus der UdSSR gefragt hat. Dies ergibt sich bereits daraus, dass er ein weit vor der Gründung der GUS (Vertragsschluss von Minsk zwischen Russland, Ukraine und Weissrussland am 08.12.1991, Der Große Ploetz, a.a.O., Seite 1524) liegendes Datum eingetragen hat, welches er auf Befragung des Senats in der mündlichen Verhandlung zunächst mit der Ausreise von Bekannten in jener Zeit in Verbindung gebracht, letztlich jedoch nicht konkret erklärt hat. Für den Zeitraum von Januar 1956 bis Anfang 1977 fehlte es dem Kläger nach seiner eigenen Erklärung überhaupt am Willen zu einer Ausreise in die Bundesrepublik; hieran ist er festzuhalten.
Auch für die Folgezeit – bis zur tatsächlichen Ausreise im Mai 1992 – bestehen Zweifel, ob die Eigenangaben des Klägers und objektivierbare Umstände einer genauen Überprüfung der für diesen Zeitraum vorliegenden Behauptung eines durchgehenden Rückkehrwillens standhalten würden. Immerhin hat der Kläger für den gesamten Zeitraum ab Januar 1977 bis zum Ausreiseantrag in 1991 nach seinen Angaben nichts unternommen, um seinen behaupteten Willen zur Ausreise ins Werk zu setzen. Auch zwischen der Erteilung der Einreiseerlaubnis im November 1991 und der tatsächlichen Ausreise in 1995 liegt eine so lange Zeitspanne, dass die Erklärung hierfür, es habe zunächst der gerichtlichen Korrektur einer Sterbeurkunde seines Vaters bedurft, zunächst nicht befriedigt. Eine weitere Prüfung ist allerdings wegen des auch zuvor schon fehlenden Willens zur Rückkehr entbehrlich.
3.
Von dem Erfordernis eines durchgehend vorhandenen Rückkehrwillens im Rahmen der Prüfung von § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI kann weder aus den mit Klage und Berufungserwiderung vorgebrachten generellen Erwägungen heraus noch mit Rücksicht auf Besonderheiten des Einzelfalles abgesehen werden.
Von dem Erfordernis eines durchgehend vorhandenen Rückkehrwillens kann zunächst nicht etwa deswegen abgesehen werden, weil die tatsächlichen Umstände ohnehin keine Möglichkeit boten, einen latent vorhandenen Willen zur Ausreise auch zu realisieren bzw. überhaupt nur zu äußern. Dass diese Behauptung im Tatsächlichen jedenfalls in ihrer Absolutheit nicht zutrifft, belegt bereits der Umstand, dass schon weit vor dem von der Beklagten angenommenen Beginn erleichterter Ausreisemöglichkeiten ab 1987 Deutsche aus der UdSSR in nennenswerten Anzahlen ausgewandert sind: Von den 1959 laut damaliger amtlicher statistischer Erhebung etwas über 1.600.000 Deutschen in der UdSSR (Pinkus/Fleischhauer a.a.O., Seite 390 m.w.N.) wanderten bis 1960 16.730, bis 1970 weitere 5.838, bis 1979 weitere 56.213, insgesamt 78.781 Personen in die Bundesrepublik aus (Pinkus/Fleischhauer, a.a.O., Tabelle 8, Seite 558). Nimmt man die allerdings nicht statistisch belegte Überlegung hinzu, dass die Anzahl der gestellten Ausreiseanträge das Maß der Ausreisen noch übersteigen dürfte, lässt sich die Behauptung der Berufungserwiderung, bis Anfang der 90er Jahre sei es ohnehin nicht ohne Inkaufnahme von Nachteilen möglich gewesen, Ausreiseanträge zu stellen, jedenfalls mangels konkreter Belege für abweichende örtliche Verhältnisse bzw. konkrete Besonderheiten in der Person oder Familie des Antragstellers nicht halten. Zu hinterfragen wäre daher in diesem Zusammenhang beispielsweise auch, warum der Kläger erst 1991 einen Ausreiseantrag gestellt hat und ob er in der davorliegenden Zeit (entgegen seiner dies verneinenden Angabe im Ersatzzeitfragebogen der Beklagten (zu 9.4) Erkundigungen eingezogen oder Antragsvorbereitungen getroffen hat. Hierauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht an, weil ein Rückreisewille schon bis Anfang 1977 nicht festgestellt werden kann.
Die Argumentation, bei fehlender Möglichkeit zur Ausreise komme es auf einen Rückkehrwillen nicht an, hält auch der (sozialrechtlichen) Kausalitätsbetrachtung nicht stand. Denn bei zugleich fehlendem Willen zur Ausreise und fehlender Möglichkeit zur Ausreise wäre der fehlende Wille zur Ausreise als wesentlich kausal anzusehen. Dies gilt bereits nach zivilrechtlichem Ansatz in der Kausalitätsbetrachtung. Seit der Entscheidung des BGH (Urteil vom 07.06.1988 – IX 2 R 144/87, BGH 104/355 ff.) besteht im Schadensersatzrecht Einigkeit darüber, dass es sich bei der hypothetischen Kausalität eigentlich um ein Problem der Schadenszurechnung handelt, das sich als Wertungsfrage stellt (Grunsky im Münchener Kommentar zum BGB, 3 Aufl. 1994, vor § 249 Rndr. 78 ff. Oetker, im Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl. Rdrn. 201 ff. zu § 249); zur Übertragbarkeit auf das Sozialrecht: LSG NRW Urteil vom 09.05.2000, – L 4 RJ 180/99 – m.w.N.). Speziell im Sozialrecht gilt in dieser Konstellation der konkurrierenden überholenden Kausalität (Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 5. Auflage 2002, Seite 104f) nach der Lehre von der "wesentlichen Bedingung" als Ursache der Faktor, der wegen seiner besonders engen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt bzw. beigetragen hat (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, u.a. BSGE 1,72; 52; 38, 127; 42, 42; Erlenkämper/Fichte, a.a.O., Seite 62 m.w.N.). Nicht die objektive Unmöglichkeit auszureisen (so sie denn vorgelegen hat), sondern der fehlende Wille zur Ausreise ist hiernach wesentliche Ursache für den durch den Ersatzzeittatbestand auszugleichenden Schaden des Versicherten in seiner Rentenbiographie. Denn will der Versicherte nicht ausreisen, ist ein ausgleichsbedürftiger Schaden überhaupt nicht denkbar. Gibt es dagegen kein Ausreisehindernis, bleiben Existenz und Umfang des auszugleichenden Schadens in der Rentenbiographie stets vom Willen zur Ausreise abhängig. Die Willenskomponente steht daher zum Schutzzweck der Ersatzzeitenregelungen in engerem Zusammenhang als die objektive Komponente und ist dort "wesentliche Bedingung".
Das Erfordernis eines durchgehenden Rückkehrwillens wird auch nicht deswegen entbehrlich, weil es sich hierbei um einen inneren Tatbestand handelt, "der ohnehin im strengeren Sinne nicht beweisbar ist" (Zwang/ Scheer/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Band 3, Stand Januar 2002, § 250 SGB VI, Rdnr. 98). Diese – a.a.O. isoliert vertretene – Annahme führt, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, dazu, dass § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI zur Annahme einer Pauschalersatzzeit führt, was erkennbar nicht Sinn der Regelung ist (vgl. oben A 1.d). Auch ignoriert diese Ansicht, dass das Rentenrecht an vielen Stellen Beweisprobleme infolge der subjektiven Prägung von Tatbestandsmerkmalen und des großen zeitlichen Abstandes zwischen den beweisbedürftigen Tatsachen und dem Zeitpunkt ihrer Überprüfung kennt und der Gesetzgeber hierauf mit einem gestuften System von Beweisanforderungen, angefangen vom (regelmäßig erforderlichen) Vollbeweis über Beweiserleichterungen in Gestalt von Regelvermutungen, Zulassung der Glaubhaftmachung bis hin zur Fiktion nur erschwert beweisbarer, vernünftigerweise jedoch anzunehmender Umstände reagiert (z.B. §§ 199, 203, 286 a – c SGB VI, 4, 14 Abs. 2 WGSVG). Die angenommene "Unfairness" in den Beweisanforderungen besteht hier gerade nicht, denn zum Beleg des ununterbrochen vorhandenen Rückkehrwillens im Rahmen von § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB V genügt, da der Kläger Vertriebener im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes und Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist, die Glaubhaftmachung (§§ 1,4 FRG – Fremdrentengesetz -). Nach § 4 Abs. 1 FRG genügt es für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen, wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Nach Abs. 2 gilt dies auch für die außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes eingetretenen Tatsachen, die nach den allgemeinen Vorschriften erheblich sind. Als Mittel der Glaubhaftmachung können auch eidesstattliche Versicherungen zugelassen werden (§ 4 Abs. 3 a.a.O.). Den Beweisschwierigkeiten trägt daher das Gesetz selbst Rechnung, während es bei gleicher Problematik jedoch günstigeren Beweismöglichkeiten von einer solchen Erleichterung absieht (z.B. Rückkehrwille im Rahmen von § 13, 115 RVO, mittlerweile abgelöst durch §§ 317 ff. SGB VI, SG Urteil vom 29.09.1980, – 4 RJ 99/78 -: "Der Rückkehrwille bedarf des Nachweises durch objektive äußere Umstände und muss sich auf die Zeit erstrecken, für die die Rentenzahlung begehrt wird. Dies gilt insbesondere, wenn eine Willensänderung in Betracht kommt …). Ein durchgehender Rückkehrwillen ist auch nicht aufgrund von Besonderheiten des konkreten Falles belegt oder gar entbehrlich. Das Ergebnis seiner Beweisaufnahme trägt die Annahme des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil nicht, der Kläger sei unmittelbar nach Ende der Kommandaturaufsicht an einer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland ohne eigenes Verschulden gehindert gewesen. Das Sozialgericht hat hierbei nicht auf historische Erkenntnisse, sondern alleine auf die Aussage des Zeugen S Bezug genommen und angenommen, dieser habe glaubhaft und nachvollziehbar bekundet, dass eine Ausreise auch nach Beendigung der Kommandanturaufsicht für den Kläger bis in die 90er Jahre unmöglich gewesen sei. Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil der Zeuge S über Estland 1974 in die Bundesrepublik ausgesiedelt ist und sich zu späteren Zeiten nicht geäußert hat. Die schriftlichen gehörten Zeugen T und L1 haben überhaupt nur Erklärungen für die Zeit bis 1957 abgegeben.
Schließlich kann vom Erfordernis des Rückkehrwillens beim Kläger nicht deshalb abgesehen werden, wird bei seiner Ehefrau mit im Wesentlichen gleichem Vertreibungsschicksal (angeblich) die auch hier begehrte Ersatzzeit anerkannt worden ist. Denn wenn dies zutrifft – was wegen fehlender Relevanz nicht zu prüfen war – kann dies eine rechtswidrige Entscheidung sein, aus der unter keinem Gesichtspunkt Rechte des Klägers herzuleiten sind. Auch bei Rechtmäßigkeit wäre die Ableitung des bei seiner Ehefrau ggff. vorliegenden Tatbestandsmerkmales über § 150 Abs. 3 BEG (Bundesentschädigungsgesetz) zu Gunsten des Klägers ausgeschlossen, da es sich beim Rückkehrwillen um ein nur in eigener Person erfüllbares Tatbestandsmerksmal handelt (Urteil des Senats vom 29.04.2002 – L 3 RJ 76/01 – zur Nichtanwendung von § 150 Abs. 3 BEG beim Merkmal "Zugehörigkeit zum Deutschen Sprach- und Kulturkreis" bei § 17 a FRG; NZB erfolglos – B 5 RJ 144/02 B -, Beschluss des BSG vom 11.02.2002). Zudem bestand die Ehe des Klägers erst ab 1962, sodass vor der Eheschließung immer noch ein Zeitraum ohne Erfüllung des Merkmales "Rückkehrwille" verbleibt.
B.
Ansprüche auf Anerkennung von Ersatzzeiten folgen auch weder aus § 250 Abs. 1 Nr. 1 (1.) noch aus § 250 Abs. 1 Nr. 3 (2.) SGB VI; andere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
1. Der Kläger hat nach dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bescheid des Oberkreisdirektors Q vom 18.01.1996 für den Zeitraum von Januar 1947 bis Januar 1956 eine Entschädigung nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz erhalten, was zunächst an die mögliche Erfüllung eines Ersatztatbestandes nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 SGB denken lässt. Hiernach werden Ersatzzeiten u.a. gewährt für Zeiten der Kriegsgefangenschaft aufgrund militärischen oder militärähnlichen Dienstes im Sinne der §§ 2 und 3 des Versorgungsgesetzes … Die Unterstellung des Klägers unter russische Kommandanturaufsicht ist jedoch keine Kriegsgefangenschaft in diesem Sinn. Kriegsgefangenschaft ist hier nach der ständigen Rechtsprechung des BSG im völkerrechtlichen Sinne, d.h. insbesondere unter Berücksichtigung der aus multilateralen Abkommen folgenden Definitionen und Merkmale, zu verstehen. Sie setzt daher die tatsächliche Zugehörigkeit zu einem militärischen oder militärähnlichen Verband vor der Gefangennahme voraus (Hauck/Haines, a.a.O., Rdnr. 40 m.w.N. statt Vieler). Beim Kläger sind keine Umstände ersichtlich, die seine tatsächliche Zugehörigkeit zu einer militärischen oder militärähnlichen Organisation nahelegen; er gibt insoweit die Zugehörigkeit seines Vaters zur Trud-Armee an. Die Begründung des Bescheides vom 18.01.1996 enthält allerdings einen Hinweis auf § 2 Abs. 2 Nr. 2 a in Verbindung mit § 3 Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz (KgfEG). Nach § 2 Abs. 2 Ziffer 2a des bis zum 31.12.1992 geltenden KgfEG, aufgehoben durch das Kriegsfolgebereinigungsgesetz, waren als Kriegsgefangene auch Deutsche anzuerkennen, die als Zivilisten in ursächlichem Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg im Ausland wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer Staatsangehörigkeit auf eng begrenztem Raum unter dauernder Bewachung festgehalten worden sind ("unechte Kriegsgefangene").
Dies erklärt die Entschädigung als solche, verhilft aber nicht zu einer Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, da es weiterhin an einer Kriegsgefangenschaft im Sinne der Vorschrift fehlt (Zum Verhältnis in § 2 Abs. 2 KgfEG zu " 251 RVO: BSG, Urteil vom 20.09.1973, SozRNr. 70 zu § 1251 RVO; Berliner Kommentar zum Rentenreformgesetz 1992, Band 2, Stand Juli 2003 – Maier/Tabert-RdNr. 79 zu § 250 SGB VI).
2. Der Ersatzzeittatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 3 (Rückkehrverhinderung) ist gleichfalls nicht erfüllt. Dieser Ersatzzeittatbestand ist nach langjährig konstanter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts schon zu den Vorläufertatbeständen in RVO, AVG und RKG wegen Fehlens einer "feindlichen Maßnahme" jeweils nicht erfüllt, wenn nicht nur der rückkehrwillige Teil der Bevölkerung, sondern die Gesamtbevölkerung der Freiheitsbeschränkung durch Ausreiseverbote unterworfen ist (BSG SozR 2200 § 1251 Nrn. 52, 58; Kasseler Kommentar, a.a.O., Rdnrn. 74 ff.). Eine alle Bevölkerungsanteile treffende restriktive Auswanderungspolitik im Nachkriegsrussland unter Stalin sowie danach kann insoweit angenommen werden (zur Ausreisebehinderung bis 1958 z.B. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995, 8 RKn 4/94 m.w.N.). Das Bundessozialgericht hat allerdings bei Deutschen aus geschlossenen Siedlungsgebieten dann ein Festgehaltenwerden durch feindliche Maßnahmen auch nach Beendigung der Internierung 1956 angenommen, wenn diese 1941 aus dem deutschen Siedlungsgebiet nach Sibirien verbracht worden sind und nicht mehr in ein deutschsprachiges Siedlungsgebiet zurückkehren konnten. Diese Deutschen seien insoweit doppelt betroffen, als wegen der kriegsbedingten Verbringung nach Sibirien einerseits und der Entwurzelung aus dem volksdeutschen Umfeld andererseits eine spezifische Betroffenheit der Volksdeutschen über das Kriegsende hinaus festzustellen sei (BSG, Urteil vom 29.09.1994, SozR 3 2200 § 1251 Nr. 6). Die Anerkennung der insoweit in Betracht kommenden Ersatzzeit beim Kläger scheitert jedoch am bei der Prüfung von § 250 Abs. 1 Nr. 3 grundsätzlich erforderlichen durchgehenden Rückkehrwillen, der dem Kläger bis 1977 nach vorstehendem Ergebnis gefehlt hat (vgl. oben, A.2).
Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Satz 1 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Erstellt am: 09.06.2006
Zuletzt verändert am: 09.06.2006