Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 09. Juli 1999 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen. Das Sozialgericht wird auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anrechnung einer fiktiven Pflichtbeitragszeit nach § 247 Abs. 2a des Sechsten Buches des Sozialgesetzuches (SGB VI) vom 01.04.1950 bis 31.03.1952.
Die am …1934 geborene Klägerin ist die Tochter eines Landwirtes. Am …1955 hat sie geheiratet. Der Ehe entstammen drei Kinder; am …1958 hat die Klägerin außerdem ein totes Mädchen geboren. In der Zeit von 1956 bis 1988 ist sie zunächst als beitragsfreie Ehefrau geführt worden. Später hat sie für einen Teil dieser Zeit freiwillige Beiträge entrichtet. Von Januar bis April 1990 sind für sie vier Pflichtbeiträge für eine Beschäftigung als Hausgehilfin bei ihrem Sohn entrichtet worden. Aufgrund eines Unfalls 1987 bezieht sie Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 %.
Am …1991 beantragte sie erstmals die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 20.03.1992 mit der Begründung abgelehnt, daß noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.1994 mit der Begründung zurück, daß weder Erwerbs- noch Berufsunfähigkeit vorliege und außerdem die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, weil in dem maßgeblichen 60-Kalendermonatszeitraum lediglich vier Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt seien. Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben, S 11 J 166/94, die sie am 22.02.1996 nach dem Hinweis des Gerichts auf die fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zurückgenommen hat. Bereits in diesem Verfahren hat sie erklärt, daß sie von April 1950 bis März 1952 eine landwirtschaftliche Ausbildung im elterlichen landwirtschaftlichen Ausbildungsbetrieb absolviert habe, und dazu eine eidesstattliche Versicherung vom 10.04.1995 vorgelegt, die von F … B …, E … L … und I … K … unterschrieben worden ist.
Am 11.11.1994 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit / Erwerbsunfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20.01.1995 mit der Begründung ab, daß die Klägerin zwar seit dem 11.11.1994 erwerbsunfähig sei und auch die Wartezeit von fünf Jahren erfüllt sei, an der Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in dem maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 11.11.1989 bis 10.11.1994 jedoch 32 Monate an den erforderlichen 36 Kalendermonaten fehlten. Mit ihrem Widerspruch vom 03.02.1995 bat die Klägerin auch darum, die Ausbildungszeiten auf dem väterlichen landwirtschaftlichen Betrieb als Pflichtbeitragszeit nach § 247 Abs. 2a SGB VI zu berücksichtigen wie auch die Zeit des Besuches der Landwirtschaftschule und Wirtschaftsberatungsstelle während des Winterhalbjahres 1952/1953. Dazu legte sie u.a. eine Bestätigung ihres Onkels F … B … vom 22.01.1995 vor. In Ergänzung ihres Bescheides vom 20.01.1995 erteilte die Beklagte den Bescheid vom 10.03.1995 und blieb dabei, daß die Klägerin zwar erwerbsunfähig sei, jedoch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien; zusätzlich lehnte die Beklagte die Berücksichtigung der Zeit vom 01.04.1950 bis 31.03.1952 als Ausbildungszeit nach § 247 Abs. 2a SGB VI ab, weil kein echtes Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe, sondern familiäre Mithilfe. Mit Schreiben vom 05.05.1995 legte die Klägerin eine Kopie der vorgenannten eidesstattlichen Versicherung vom 10.04.1995 vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.1996 gab die Beklagte dem Widerspruch gegen die Bescheide vom 20.01.1995 und 10.03.1995 teilweise statt, indem sie die Zeit vom 01.11.1952 bis 24.03.1953 als Anrechnungszeit gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 b SGB VI anerkannte; im übrigen blieb sie bei ihrer Auffassung, daß keine Ausbildungszeit vom 01.04.1950 bis 31.03.1952 als Beitragszeit nach § 247 Abs. 2a SGB VI anzuerkennen und auch keine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren sei.
Die Klägerin hat am 11.04.1996 Klage erhoben. Sie hat zunächst die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit begehrt. Im Erörterungstermin vom 16.06.1997 hat sie erklärt, daß es ihr zum einen um die Anerkennung ihrer Lehrzeit im elterlichen Betrieb und zum anderen um eine vorzeitige Rente gehe. Dann hat sie erklärt, daß das Klagebegehren auf die Anerkennung der fehlenden Ausbildungszeit (01.04.1950 bis 31.03.1952) beschränkt und ein vorzeitiger Rentenanspruch nicht weiterverfolgt werde. Schließlich haben sich die Beteiligten in diesem Termin übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt. Diese Erklärungen sind nicht vorgelesen und genehmigt worden.
Das Sozialgericht (SG) ist von dem Antrag ausgegangen,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 20.01.1995, des Ergänzungsbescheides vom 10.03.1995 und des Widerspruchsbescheides vom 14.03.1996 zu verpflichten, die Zeit vom 01.04.1950 bis 31.03.1952 als Versicherungszeit anzurechnen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist bei ihrer Auffassung verblieben, daß kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nachgewiesen sei, und hat erklärt, daß eine Rücksprache bei der Landwirtschaftskammer zur Bestätigung der von der Klägerin vorgelegten Kopien einer Lehranzeige erforderlich sei. Außerdem sei nicht belegt, daß die Klägerin für eine Gehilfenprüfung vorgesehen bzw. diese abgelegt habe. Schließlich falle auf, daß lediglich von einer Lehrzeit von zwei Jahren ausgegangen werde, obwohl die Lehrzeit bei Volksschulabschluß in der Regel drei Jahre betragen habe.
Auch die Klägerin hat die Rückfrage bei der Landwirtschaftskammer angeregt.
Mit Schriftsatz vom 23.06.1998 hat die Beklagte das an sie gerichtete Schreiben der Klägerin vom 09.06.1998 vorgelegt, mit dem diese eine Erwerbsunfähigkeit seit 1990 geltend macht. Die Beklagte hat dabei die Frage geäußert, ob "einer Klageerweiterung zugestimmt" wird. Dazu hat die Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 05.08.1998 "mitgeteilt, daß entsprechend dem Schreiben der Klägerin persönlich vom 09.08.98 die Klage erweitert wird". Daraufhin hat die Beklagte die Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Erweiterung der Klage in das Ermessen der dortigen Kammer gestellt.
Mit Gerichtsbescheid vom 09.07.1999 hat das SG die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 20.01.1995, des Ergänzungsbescheides vom 10.03.1995 und des Widerspruchsbescheides vom 14.03.1996 verpflichtet, die Zeit vom 01.04.1950 bis 31.03.1992 – so der Tenor – als Versicherungszeit anzurechnen und der Beklagten die Tragung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Es habe nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden können. Denn die Streitsache weise keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Der Sachverhalt sei – soweit entscheidungserheblich – geklärt. Die zulässige Klage sei auch begründet. Die Zeit vom 01.04.1950 bis 31.03.1952 sei als Versicherungszeit nach § 247 Abs. 2a SGB X anzurechnen. Entgegen der Auffassung der Beklagten komme es nicht darauf an, ob die Gesetzeslage im Gebiet der Nordrheinprovinz klar gewesen, sondern darauf, ob es allgemein bekannt gewesen sei, daß auch zur Ausbildung Beschäftigte der Versicherungspflicht unterlegen hätten. Dies sei erkennbar nicht der Fall. Noch 1971 sei von der Ruhr-Universität Bochum die Versicherungspflicht für angestellte Assistenten mit der Begründung geleugnet worden, sie befänden sich in der Berufsausbildung. Die Kammervorsitzende habe seinerzeit den Arbeitgeberzuschuß zur freiwilligen Krankenversicherung bis zum Bundesarbeitsgericht, das sich seinerzeit für zuständig gehalten habe, einklagen müssen. Rentenversicherungsbeiträge seien erst seit 1969 aufgrund einer Klage eines Assistenten einer Berliner Hochschule abgeführt worden. Wenn aber selbst Hochschulen als öffentliche Einrichtungen nach über 25 Jahren nach dem Zeitraum, ab dem die Beklagte von Rechtssicherheit aufgrund bestehender Gesetzeslage ausgehe, so unsicher in bezug auf die versicherungsrechtliche Behandlung – möglicher – Ausbildungszeiten gewesen seien – die Mehrzahl der Assistenten habe den Beruf des Hochschullehrers nicht erstrebt -, daß Prozesse durch alle Instanzen geführt worden seien, könne ersichtlich keine Rede von Rechtsklarheit für die Zeit um 1950 herum gewesen sein. Hinzu komme hier, daß die Tätigkeit in der Landwirtschaft erfolgt sei, wo sogenannte "mithelfende Familienangehörige" (MiFas) noch heute sehr verbreitet seien, und daß die Klägerin im elterlichen Betrieb gearbeitet habe. Bei dieser Sachlage deute die fehlende Beitragsabführung nicht darauf hin, daß die Klägerin nicht als Beschäftigte angesehen worden sei. Sie sei vielmehr nur ein Hinweis darauf, daß der Vater der Klägerin selbst sehr unsicher in bezug auf die versicherungsrechtliche Bewertung dieses Sachverhalts gewesen sei. Die Klägerin sei zwischen dem 01.04.1950 und dem 31.03.1952 bei ihrem Vater zur Berufsausbildung tätig gewesen. Dies zeige zum einen der Umstand, daß sie eine fachspezifisch landwirtschaftliche Berufsschulklasse besucht habe, nicht aber die für Hausgehilfinnen und sonstige ungelernte Kräfte einschlägige allgemeine Berufsschulklasse. Auch zeige die Tatsache, daß von November 1952 bis März 1953 ein Fachschulbesuch mit Abschluß erfolgt sei, daß die Klägerin nicht bloße Hausgehilfin bei ihren Eltern gewesen, sondern auf den Beruf der Landwirtin / Landwirtsfrau vorbereitet und geschult worden sei, was zudem seinerzeit die übliche Praxis in bäuerlichen Familien gewesen sei. Mädchen seien mindestens ein Jahr in einem fremden bäuerlichen Haushalt ausgebildet worden, nachdem sie vorher rund ein Jahr von der Mutter "angelernt" worden seien. Damit erfüllten sie dann die Vorbedingungen in bezug auf Kenntnisse und Fertigkeiten, um einen Landwirt heiraten zu können, also landwirtschafltiche Mitunternehmerin zu sein. Untypisch am Ausbildungsgang der Klägerin sei von daher nur der Umstand, daß sie nicht auch in einem fremden Bauernhaushalt habe arbeiten müssen. Dieser untypische Ausbildungsgang spreche aber nicht gegen, sondern gerade für ein Beschäftigungsverhältnis beim Vater. Denn eine Bauerntochter, die nicht über das notwendige Handwerkszeug an praktischen Kenntnissen und Fähigkeiten verfügt habe, sei als Landwirtsfrau nicht "unterzubringen" gewesen, also nicht zu verheiraten. Sie habe allenfalls ein Leben lang als MiFa auf dem elterlichen Hof Hilfstätigkeiten verrichten können, wenn es dort einen männlichen Hoferben gegeben habe. An diesem habe es gefehlt. Neben der Klägerin habe es nur noch eine 1940 geborene Schwester, deren Entwicklung 1950 schon vom Lebensalter her nicht absehbar gewesen sei, gegeben. Bei dieser Sachlage wäre es völlig untypisch gewesen, wenn sich die Eltern der Klägerin nicht um deren qualifizierte Ausbildung bemüht hätten, die der Fachschulbesuch zudem beweise. Das Hauptmerkmal bei der Abgrenzung familienhafter Mithilfe und Beschäftigung sei der Umstand, ob der Betrieb einen fremden Dritten habe einstellen müssen, wenn die Mithilfe entfallen wäre. Dies sei im Falle der Klägerin erkennbar der Fall. Denn auch nach ihrer Heirat sei sie weiterhin auf dem elterlichen Hof tätig gewesen, nicht aber auf dem des Ehemannes. Dies zeige sehr deutlich, daß ihre Arbeitskraft dort benötigt worden sei. Ferner sei das bei der Anmeldung zur Krankenkasse vom Vater der Klägerin benannte Entgelt von 70,00 DM monatlich kein bloßes Taschengeld, wie es MiFas gezahlt worden sei und werde. In Fremdhaushalte aufgenommene und dort verköstigte Haus- und Kindermädchen hätten typischerweise einen Barlohn von 80,00 bis 100,00 DM neben Kost und Logis erhalten. Von daher bewege sich das Entgelt der Klägerin durchaus im üblichen Rahmen einer Ausbildung. Bei dieser Sachlage spreche alles dafür, daß sich die Klägerin während des Berufsschulbesuches in einer Berufsausbildung befunden habe.
Gegen das ihr am 26.07.1999 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.08.1999 Berufung eingelegt. Sie meint, daß die Feststellungen des Vordergerichts zur Berufsausbildung bei dem Vater in der streitigen Zeit fehlgingen. Der Nachweis, daß die Klägerin im elterlichen Betrieb eine gezielte und geordnete Ausbildung im Sinne der damaligen Regelung durchlaufen habe, sei nicht erbracht. Gegen ein Lehrverhältnis spreche der Umstand, daß die Klägerin keine Abschlußprüfung abgelegt habe. Trotz ihrer, der Beklagten, Anregung sei auch nicht geprüft worden, ob die Lehranzeige der Landwirtschaftskammer zur Bestätigung vorgelegt worden sei. Außerdem habe das SG es unterlassen zu prüfen, inwieweit der landwirtschaftliche Betrieb der Eltern die an einen Ausbildungsbetrieb zu stellenden Anforderungen erfüllt habe. Damit sei der Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten. Keinesfalls könne die Zeit vom 01.04.1950 bis 31.03.1992 (gemeint gewesen sei offensichtlich der 31.03.1952) als Versicherungszeit anzurechnen sein.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Duisburg vom 09.07.1999 abzuändern und die Klage abzuweisen, hilfsweise, den Gerichtsbescheid aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sowie durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akte des SG Duisburg, S 11 J 166/94, haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte im Einverständnis der beiden Beteiligten durch Urteil durch den Berichterstatter (§ 155 Absätze 3 und 4 SGG) und ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) entschieden werden.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheides und der Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz begründet. Das erstinstanzliche Verfahren ist in so wesentlicher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden, daß es sinnvoll ist, den Beteiligten im Sinne der Erhaltung zweier ordnungsgemäßer Tatsacheninstanzen die Wiederholung der ersten Instanz mit ausführlicher Beweisaufnahme zu ermöglichen.
Zunächst leidet das erstinstanzliche Verfahren an dem wesentlichen Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 202 SGG in Verbindung mit § 551 Nr. 5 Zivilprozeßordnung – ZPO -), der für sich allein schon die Zurückverweisung rechtfertigt (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 6. Aufl. 1998, § 62 Rn. 11). Das SG hat nämlich, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein, durch Gerichtsbescheid entschieden und damit nicht aufgrund der grundsätzlich erforderlichen mündlichen Verhandlung. Durch Gerichtsbescheid kann gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nur entschieden werden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Diese Bestimmung ist dazu gedacht, tatsächlich und rechtlich einfach gelagerte Fälle zügig zu entscheiden und die erste Instanz zu entlasten. Bei der Beurteilung des Grades der Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art steht dem SG auch ein Ermessensspielraum zu (Meyer-Ladewig aaO, § 105 Rn. 9); überschritten ist dieses Ermessen aber jedenfalls dann, wenn der Fall überdurchschnittliche Schwierigkeiten aufweist (Meyer-Ladewig aaO Rn. 6, 25). Eine solche grobe Fehleinschätzung des Schwierigkeitsgrades der Sache durch das SG liegt hier vor. In rechtlicher Hinsicht ist streng zu unterscheiden zwischen dem Erfordernis des Vorliegens eines Lehrverhältnisses und der zusätzlichen Voraussetzung des abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. Senatsurteil dazu vom 23.09.1999, L 4 RJ 265/97, s.a. Urteil des Bundessozialgerichts vom 23.09.1999, B 12 RJ 1/99 R). Besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher Hinsicht sind schon deshalb gegeben, weil ein Sachverhalt aufzuklären ist, der mehr als 45 Jahre zurückliegt. Angesichts dieser Schwierigkeiten ist der vorliegende Fall ungeeignet, durch Gerichtsbescheid entschieden zu werden.
Eine weitere Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt darin, daß das SG vor seiner Entscheidung keine ordnungsgemäße Anhörung im Sinne von § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG durchgeführt hat. Erforderlich ist insoweit (vgl. Senatsurteil vom 26.10.1998, L 4 RJ 167/98, unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des BSG), daß das SG den Beteiligten mitteilt, daß es eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung erwägt, und ihnen Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern. Dabei ist das rechtliche Gehör den Beteiligten ausreichend gewährt, wenn ihnen Gelegenheit zur ausführlichen Stellungnahme in der Sache selbst wie auch zur Äußerung von etwaigen Bedenken eingeräumt wird, die sie gegen die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch Gerichtsbescheid haben. Deshalb muß die Anhörung in einer Weise erfolgen, die diesem Ziel gerecht wird, also ummißverständlich, konkret und fallbezogen. Das bedeutet zugleich, daß die mit entsprechenden inhaltlichen Hinweisen versehene Anhörung am Ende der Ermittlungen und unmittelbar vor Erlaß des Gerichtsbescheides zu erfolgen hat. Das ist hier nicht geschehen. Dabei läßt der Senat offen, ob eine solche Anhörung auch in einem Erörterungstermin geschehen kann (bejahend Meyer-Ladewig aaO Rn. 13). Dann wird es aber jedenfalls erforderlich sein, die Durchführung der Anhörung und ihre inhaltliche Zielrichtung in der Sitzungsniederschrift zu vermerken, was hier nicht geschehen ist. Wenn dann die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid erklären, mag das u.U. ausreichen, wenn diese Einverständniserklärung auch im Gegensatz zu einer solchen nach § 124 Abs. 2 SGG ohne prozessuale Relevanz ist, denn bei Erfüllung aller Voraussetzungen kann das SG gerade auch ohne Einverständnis der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden. Im vorliegenden Falle ist diese Erklärung aber nicht einmal vorgelesen und genehmigt worden, was jedoch nach § 122 SGG in Verbindung mit § 162 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ZPO erforderlich wäre. Insbesondere aber stellt es keine ausreichende Anhörung der Beteiligten dar, wenn die – unterstellte – Anhörung in einem frühen Stadium des Verfahrens erfolgt und dann noch wesentliche Ermittlungen durchgeführt werden. Im vorliegenden Fall kann die unterstellte Anhörung in dem Erörterungstermin schon deshalb in keiner Weise ausreichen, weil die Klägerin mit der er neuten Geltendmachung der Erwerbsunfähigkeit in Verbindung mit ihrem Schriftsatz vom 05.08.1998 die Klage erweitert und damit eine Klageänderung erklärt hat. Schon aus logischen Gründen kann eine vohergehende Anhörung nicht mehr ausreichend sein.
Das erstinstanzliche Verfahren krankt weiterhin daran, daß der Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt ist, was zugleich einen weiteren Verstoß gegen § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG beinhaltet. Das SG hat entschieden, ohne die von der Beklagten sachgerechterweise angeregte Rückfrage bei der Landwirtschaftskammer zu halten und ohne die von der Klägerin bereits im Verfahren S 11 J 166/94 und erneut im hiesigen Verwaltungsverfahren benannten Zeugen zu hören. Die Ausschöpfung aller Beweismittel ist um so mehr erforderlich, als es sich um einen lange zurückliegenden Sachverhalt handelt.
Schließlich enthält der ergangene Gerichtsbescheid selbst mehrere Fehler. Zunächst hat das SG die Beklagte antrags- und sachwidrig verurteilt, eine Versicherungszeit bis 1992 (statt 1952) anzurechnen; durch die Aufhebung des Gerichtsbescheides und die Zurückverweisung an die erste Instanz erübrigt sich eine Berichtigung nach § 138 Satz 1 SGG. Weiter ist das SG in dem angefochtenen Gerichtsbescheid lediglich von dem Antrag ausgegangen, die Zeit von April 1950 bis März 1952 als Versicherungszeit anzurechnen, während es versäumt hat, sich mit der Klageänderung auseinanderzusetzen. In seiner erneuten Entscheidung wird es zu prüfen haben, ob die Klageänderung sachdienlich ist, wobei zu beachten sein wird, ob unter Umständen insoweit bereits eine bindende Verwaltungsentscheidung vorliegt. Schließlich gehören sachfremde, die Kammervorsitzende persönlich betreffende Ausführungen nicht in ein Urteil bzw. einen Gerichtsbescheid.
Über die Kosten wird das SG bei seiner erneuten Entscheidung zu befinden haben. Anlaß, die Revision zuzulassen, bestand nicht.
Erstellt am: 13.08.2003
Zuletzt verändert am: 13.08.2003