Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 15.08.2012 betreffend den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufgehoben. Dem Antragsteller wird für das Eilverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt I, E beigeordnet. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten für ein Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund.
In dem Eilverfahren ging es um die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich Kosten für Unterkunft und Heizung in einer Übernachtungsstelle für Obdachlose nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch Sozialhilfe (SGB XII).
Der am 00.00.1963 geborene Antragsteller ist bulgarischer Staatsangehöriger. Er hielt sich seit 2001 in der Bundesrepublik auf, wobei er über eine bis zum 20.08.2012 gültige Freizügigkeitsbescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU verfügte. Nach Verbüßung einer etwa elfmonatigen Haftstrafe bis Ende Januar 2011 war er obdachlos und hielt sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin mit regelmäßigem Kontakt zu der örtlichen Beratungsstelle der Diakonie auf. Wegen einer schweren Lungenerkrankung wurde er vom 17.01. bis 07.02.2012 stationär im Klinikum E behandelt.
Im Laufe des Klinikaufenthaltes beantragte der Antragsteller bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII. Nach Beurteilungen des Gesundheitsamtes der Antragsgegnerin vom 16.02., 06.06. und 14.06.2012 bestand für die Dauer von mindestens sechs Monaten wegen der Lungenerkrankung eine Arbeitsfähigkeit von unter drei Stunden täglich für Arbeiten zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes.
Eine Entscheidung über den Leistungsantrag traf die Antragsgegnerin bis Mai 2012 nicht.
Am 08.05.2012 wandte sich der Antragsteller anwaltlich vertreten mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an das SG Dortmund. Gleichzeitig hat er unter Beifügung einer Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beantragt, ihm unter Beiordnung seines Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren zu bewilligen.
Zur Begründung des Eilantrages hat er im Wesentlichen vorgetragen, er könne von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen und müsse auch Sozialleistungen beziehen können. Die gesetzlichen Leistungsausschlüsse in § 7 Abs. 1 S. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch Grundsicherung für Arbeitsuchende seien gemeinschaftsrechtswidrig. Bislang sei es ihm gelungen, sein Überleben zu sichern. Inzwischen verfüge er jedoch über keinerlei Mittel, um existenzielle Bedürfnisse wie Bekleidung, Körperpflege und Hausrat zu befriedigen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII bestehe nach § 23 Abs. 3 SGB XII nicht. Eine Leistungsgewährung würde dem gesetzgeberischen Willen widersprechen. Außerdem bestünden Bedenken gegen die Bedürftigkeit des Antragstellers.
Das SG hat die Beteiligten um Stellungnahme zu dem Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 18.11.2011 L 7 AS 614/11 B ER gebeten. Anschließend hat es mit gesonderten Beschlüssen vom 15.08.2012 den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Auf die Gründe II. des Beschlusses in der Hauptsache wird Bezug genommen. Prozesskostenhilfe könne dem Antragsteller nicht bewilligt werden, weil es der Rechtsverfolgung an hinreichenden Erfolgsaussichten mangele, was sich aus den Gründen des Beschlusses in der Hauptsache ergebe.
Gegen die Ablehnung des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Bevollmächtigten richtet sich die am 07.09.2012 eingelegte Beschwerde des Antragstellers. Für die Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten genüge es, dass zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife eine nicht ganz entfernt liegende Möglichkeit des Obsiegens bestehe. Die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst dürfe nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren verlagert und die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht überspannt werden (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.08.2012 L 1 KR 358/12 B). Die mit dem Leistungsausschluss zusammenhängenden Rechtsfragen seien aufgrund ihrer Schwierigkeit und Komplexität nicht in einem Eilverfahren zu beantworten. Es hätte auf eine Folgenabwägung abgestellt werden müssen, die zu Gunsten des Antragstellers ausgefallen wäre. Insoweit seien schon zwischen den Senaten des LSG Nordrhein-Westfalen unterschiedliche Tendenzen auszumachen (Beschluss vom 14.08.2012 L 6 AS 1503/12 B ER; Beschluss vom 28.06.2011 L 19 AS 317/11 B ER und Beschluss vom 18.11.2011 L 7 AS 614/11 B ER). In der letztgenannten Entscheidung sei die Auffassung vertreten worden, dass bei untragbaren Verhältnissen unter Beachtung verfassungsrechtlicher Wertungen eine Mindestsicherung nach dem SGB XII bzw. dem Asylbewerberleistungsgesetz im Wege einer Rechtsfolgenabwägung in Betracht komme. Derartige untragbare Verhältnisse hätten für den Antragsteller vorgelegen. Allerdings sei das SG "nach reiflicher Überlegung" der Entscheidung des 19. Senats des LSG Nordrhein-Westfalen gefolgt. Bereits aus dieser Formulierung werde deutlich, dass eine andere Auffassung auch vertretbar gewesen sei. Allein dies müsse zur Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten im Rahmen der Prozesskostenhilfe genügen.
Die Antragsgegnerin hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Prozessakten sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.
II.
1. Die Beschwerde ist gem. §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Beschwerdewert nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 SGG überschritten ist (vgl. zu dieser Frage ausführlich Beschluss des Senats vom 27.04.2012 L 20 SO 636/11 B m.w.N.)
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach § 7a SGG i.V.m. §§ 114 S. 1, 121 Abs. 2 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozesskostenführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter beizuordnen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
a) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Prozesskostenhilfe Begehrenden aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Leitherer in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 73a Rn. 7a m.w.N.).
Die durch den Fall aufgeworfene Frage der Anwendung des Leistungsausschlusses des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII auf (freizügigkeitsberechtigte) Unionsbürger ist rechtlich schwierig. Zudem wird in der Literatur nicht nur vereinzelt und fundiert die Auffassung vertreten, dass in derartigen Fallgestaltungen § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII überhaupt keine Anwendung findet (so Birk in LPK-SGB XII, 9. Auflage 2012, § 23 Rn. 24) bzw. jedenfalls verfassungskonform ausgelegt werden muss (so Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 23 Rn. 76). Auch die im Laufe des Verfahrens von dem SG an die Beteiligten übersandte Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.11.2011 L 7 AS 614/11 B ER (zuletzt bestätigt durch Beschluss vom 28.11.2012 L 7 AS 2109/11 B ER Rn. 14 f.) spricht für den Antragsteller. Insofern ist die von ihm zur Begründung seines Eilantrages dargelegte Rechtsauffassung unabhängig davon, wie der Senat über eine Beschwerde in der Sache selbst entschieden hätte jedenfalls gut vertretbar, so dass im Hinblick darauf die Erfolgsaussichten als hinreichend im Sinne der Vorschriften über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe angesehen werden können (vgl. zu einem Fall aus dem Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende mit ähnlicher Problematik trotz im Ergebnis unbegründeter Beschwerde in der Hauptsache LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.06.2011 L 19 AS 317/11 B ER Rn. 91).
Ob sich das Aufenthaltsrecht des Antragstellers nach den gegebenen Umständen überhaupt (noch) aus dem Recht zur Arbeitsuche ergab bzw. die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII im Übrigen vorlagen, war jedenfalls in dem vorliegenden Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Hinblick auf die zumindest bis August 2012 erteilte Freizügigkeitsbescheinigung nicht (mehr) zu prüfen.
Danach ist die Rechtsverfolgung auch nicht als mutwillig anzusehen.
b) Da der Antragsteller nach den Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen über keinerlei Einkommen oder Vermögen verfügte, liegen die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ebenfalls vor.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 43 a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 31.01.2013
Zuletzt verändert am: 31.01.2013