Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 01.08.2019 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II (Regelbedarfe und Kosten der Unterkunft) für die Zeit vom 19.06.2019 bis zum 31.12.2019, längstens bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache, in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Den Antragstellern wird für das erstinstanzliche Verfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt M aus P beigeordnet (§§ 114 Zivilprozessordnung, 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Verfahren L 6 AS 1304/19 B ER in beiden Rechtszügen. Im Verfahren L 6 AS 1305/19 B findet keine Kostenerstattung statt.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1991 geborene Antragstellerin zu 1) sowie ihr 1986 geborener Ehemann, der Antragsteller zu 2), und ihre zwischen 2007 und 2016 geborenen sechs gemeinsamen Kinder, die Antragsteller zu 3) bis 8) sind rümänische Staatsangehörige. Sie bezogen zuletzt Leistungen vom Jobcenter E bis Februar 2017. Sie reisten zum 01.10.2018 erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und schlossen zum 01.10.2018 einen Mietvertrag für eine Wohnung in P, (48 m² mit zwei Zimmern, Küche, Diele und Bad). Für diese Wohnung ist eine Grundmiete i.H.v. 280 EUR zuzüglich Betriebskosten i.H.v. 150 EUR und Heizkosten i.H.v. 120 EUR zu zahlen. Ausweislich eines Schreibens des Vermieters der Antragsteller vom 31.07.2019 sind jedenfalls die Mieten für die Monate April, Mai und Juni 2019 komplett nicht gezahlt worden.
Am 04.12.2018 schloss die Antragstellerin zu 1) mit der Firma I Services einen Arbeitsvertrag für die Zeit ab dem 05.12.2018 bis zum 31.08.2019 als Reinigungskraft ab, in dem eine geringfügige Beschäftigung (Arbeitseinsatz als Aushilfe nach Anruf nach jeweiligem Bedarf bei einer Mindestarbeitszeit von 1 Stunde wöchentlich und 0,30 Stunden pro Tag beim Berufsförderungswerk P) zu einem Stundenlohn von 10,30 EUR brutto je Stunde vereinbart wurde. In dem Arbeitsvertrag ist u.a. geregelt, dass auf die Beschäftigung der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung anwendbar ist. Er enthält zudem Regelungen zu Urlaubsansprüchen und verweist bezüglich Arbeitsverhinderung/Krankheit auf die gesetzlichen Vorschriften. Die Antragstellerin zu 1) reichte im Verwaltungs- und Antragsverfahren Stundenzettel, Einkommensbescheinigungen sowie Kontoauszüge ein, aus denen sich ein monatlicher Lohnzufluss zwischen ca. 362 EUR und 416 EUR ergibt. Mit Schreiben vom 30.08.2019 teilte der Arbeitgeber der Antragstellerin zu 1) mit, dass das Arbeitsverhältnis weiter bis zum 31.12.2019 befristet sei. Das Berufsförderungswerk P, bei dem die Antragstellerin zu 1) für ihren Arbeitgeber tätig ist, bestätigte mit Schreiben vom 02.09.2019, das die Firma I Services dort mit den Reinigungsarbeiten arbeitstäglich von 04.00 Uhr bis 11.00 Uhr betraut sei.
Die Antragstellerin zu 1) bezieht für die Antragsteller zu 3) bis 8) seit dem 01.10.2018 Kindergeld. Eine Nachzahlung in Höhe von 3789,00 EUR erfolgte im Frühjahr 2019.
Am 21.02.2019 beantragten die Antragsteller beim Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 19.06.2019 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Das Aufenthaltsrecht ergebe sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche. Die Beschäftigung könne nicht anspruchsbegründend berücksichtigt werden, da aufgrund des Umfangs der Beschäftigung im Verhältnis zum Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft davon auszugehen sei, dass diese ausschließlich zum Zwecke des ergänzenden Sozialleistungsbezugs aufgenommen worden sei. Selbst ohne Berücksichtigung der Kosten für Unterkunft und Heizung decke das zu berücksichtigende Einkommen weniger als ein Drittel des Gesamtbedarfes. Im vorliegenden Einzelfall seien die engen Zusammenhänge zwischen der Einreise, der Wohnungsanmietung und der Arbeitsaufnahme zugrunde gelegt worden. Gegen den Bescheid legten die Antragsteller fristgemäß Widerspruch ein.
Am 19.06.2019 haben die Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Duisburg (SG) gestellt.
Mit Beschluss vom 01.08.2019 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:
"Ein Anordnungsgrund ist nicht glaubhaft gemacht. Obwohl der Antragsgegner mehrfach auf das entsprechende Zahlungsproblem hingewiesen hat, wurden hierzu keine Angaben gemacht. Aus Sicht des Gerichts ist eine aktuelle Notlage nicht glaubhaft gemacht. Obwohl vermeintlich außer dem geringen Einkommen und dem Kindergeld keine bereiten Mittel vorhanden sein sollen, bestehen keine Mietrückstände. Hierauf wurde mehrfach hingewiesen, ohne dass die Antragsteller hierauf in irgendeiner Form reagierten. Die Antragsteller beschränken ihren Vortrag auf allgemeine und teilweise politische Ausführungen. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Antragsgegnerseite sogar schon den Vorwurf des "Rechtsmissbrauchs" erhob, muss Anlass sein, genauer Einzelfalltatsachen vorzutragen. Ebenfalls unzureichend sind die Angaben zur Arbeitsstelle der erwachsenen Antragstellerin. Hier bedarf es ebenfalls vor dem oben genannten Hintergrund genauerer Angaben. Hier wird nur vorgetragen, dass die erwachsenen Antragsteller den Arbeitnehmerstatus oder den Status als Arbeitsuchende begehren und das, obwohl sie der deutschen Sprache nach eigenen Angaben nicht mächtig sind."
Am 06.08.2019 haben die Antragsteller dagegen Beschwerde eingelegt. Entgegen der Darstellung in dem Beschluss hätten die Antragsteller detailliert zum Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch vorgetragen, ohne dass dies zur Kenntnis genommen worden sei. Der Beschluss enthalte keine Auseinandersetzung mit der entscheidungserheblichen Rechtsfrage, ob durch das dargelegte Beschäftigungsverhältnis ein Arbeitnehmerstatus begründet wurde und die Antragsteller freizügigkeitsberechtigt seien. Zudem sei der durch Vorlage der Schulbescheinigungen glaubhaft gemachte Schulbesuch der minderjährigen Antragsteller nicht beachtet. Rätselhaft bleibe, was das Gericht mit dem "entsprechenden Zahlungsproblem" meine.
Es sei nicht ansatzweise nachvollziehbar, worauf sich der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs stützen solle. Wenn bei der Firma I Services auch andere rumänische Arbeitnehmer beschäftigt sein sollten, die ebenfalls ergänzende Sozialleistungen beantragt hätten, so sage dies nichts über den vorliegenden Sachverhalt aus. Es sei allerdings in der Tat so, dass sich viele rumänische Familien, bei denen es sich ganz überwiegend um Angehörige der Volksgruppe der Roma handele, untereinander kennen und sich über Arbeitsmöglichkeiten austauschen würden. Da viele Betroffene auch nicht in der Lage seien, die umfangreichen Antragsformulare im Rahmen der SGB II Antragstellung selbst auszufüllen, bedienten sie sich auch dabei häufig der Hilfe Dritter. Dies könne aber nicht als Indiz für eine irgendwie geartete Rechtsmissbräuchlichkeit gewertet werden.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 01.08.2019 zu ändern und ihnen vorläufige Leistungen nach dem SGB II (Regelbedarf und Kosten der Unterkunft) in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. An der Ernsthaftigkeit der "Mahnung" des Vermieters vom 31.07.2019 bestünden erhebliche Zweifel. Diese sei erst erstellt worden, nachdem der Antragsgegner mehrfach seine Verwunderung zum Ausdruck gebracht habe, dass offensichtlich keinerlei Mietrückstände bestünden. Obwohl mehr als drei komplette Monatsmieten offen sein sollten, enthalte das Schreiben noch nicht einmal eine Fristsetzung bzw. Kündigungsandrohung. Die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller und insbesondere die Unzumutbarkeit, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, sei daher nach wie vor äußerst zweifelhaft.
Eine Auseinandersetzung mit der Frage ob das Arbeitsverhältnis der Antragstellerin zu 1) grundsätzlich einen Arbeitnehmerstatus begründen könne, sei nicht erforderlich, wenn sich die Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit in jedem Fall – wie vorliegend – als rechtsmissbräuchlich darstelle. Bei dem Antragsgegner seien innerhalb kurzer Zeit mehrere Leistungsanträge rumänischer Familien eingegangen, die ihren Leistungsanspruch aus einer geringfügigen Beschäftigung eines Familienmitglieds bei dem Arbeitgeber "I Facility Services" ableiten wollten. Sowohl die jeweiligen Leistungsanträge nebst Antragsbegründungen als auch die jeweiligen Arbeitsverträge seien – der Handschrift nach – durch dieselbe Person ausgefüllt worden. Es liege daher die Vermutung nahe, dass hier – eventuell sogar in größerem Stil – eine Vielzahl von Arbeitsverträgen einzig zu dem Zweck des ergänzenden Sozialleistungsbezugs abgeschlossen worden sei. Die Antragstellerin zu 1) möge zwar formell die unionsrechtlichen Voraussetzungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit erfüllen. Eine Absicht, durch diese Erwerbstätigkeit die Existenz der 8-köpfigen Familie zu sichern, sei jedoch nicht erkennbar, so dass das Berufen auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit vorliegend als rechtsmissbräuchlich einzustufen sei. Bis heute seien keine glaubhaften Tatsachen vorgetragen, die geeignet sein, die Offensichtlichkeit des Rechtsmissbrauchs zu entkräften.
Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Einreise, der Wohnungsanmietung, der Arbeitsaufnahme, der Antragstellung und dem Wegfall der vorgegebenen vorherigen Unterstützung durch Angehörige lege sehr wohl eine Beschäftigungsaufnahme allein zum Zwecke des ergänzenden Sozialleistungsbezugs nahe. Es sei zwar zuzugeben, dass die Inanspruchnahme externer Hilfe bei der Erledigung von Behördenangelegenheiten grundsätzlich nicht verwerflich sei. Wenn dies jedoch zeitgleich in erheblichem Umfang in identischer Form geschehe und im Verhältnis zum Gesamtbedarf der Großfamilie jeweils nur ein äußerst geringfügiges Arbeitsverhältnis abgeschlossen werde, stelle sich die berechtigte Frage, ob das Leitmotiv für die jeweilige Beschäftigungsaufnahme die Existenzsicherung der Großfamilie oder nicht doch vielmehr die Schaffung der Voraussetzungen für ergänzenden Sozialleistungsbezugs in erheblichem Umfang gewesen sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (BVerfG Beschluss vom 29.07.2003 – 2 BvR 311/03 – NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – NVwZ 2005, 927ff).
Der Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht.
Die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs zu Alter, Erwerbsfähigkeit, gewöhnlichem Aufenthalt und Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB II) sind für die Antragsteller zu 1) und 2) glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin zu 1) verfügt über ein der Anwendung des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II entgegenstehendes anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche und damit über einen Anspruch auf Leistungen gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Die Antragstellerin zu 1) ist als Arbeitnehmerin im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/ EU anzusehen. Die von ihr ausgeübte Beschäftigung erfüllt alle Voraussetzungen, um ihr den Arbeitnehmerstatus im Sinne dieser Vorschrift zu verleihen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist als Arbeitnehmer jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Als wesentliches Merkmal wird dabei angesehen, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (Urteile vom 11.09.2008 – C-228/07 – Petersen und vom 04.02.2010 – C-14/09 – Genc, beide juris). Auch eine geringfügige, nicht bedarfsdeckende Beschäftigung kann diese Voraussetzungen grundsätzlich erfüllen. Erforderlich ist eine Gesamtbewertung des Arbeitsverhältnisses, bei der der Umstand, dass nur sehr wenige Arbeitsstunden geleistet werden, nur einen der zu berücksichtigenden Anhaltspunkte darstellt. Als völlig unwesentlich oder untergeordnet stellt sich das Arbeitsverhältnis der Antragstellerin zu 1) nicht dar. Es umfasst ausweislich der vorgelegten Abrechnungen monatlich ca. 35-40 Stunden bei einem Stundenlohn von 10,56 EUR. Das hieraus bezogene Entgelt von monatlich zwischen ca. 362 EUR und 416 EUR trägt – wenn auch im geringen Umfang – zur Deckung des Lebensunterhaltes der Antragsteller bei und überschreitet die Grenze dessen, was das SGB II pauschal als durch die Ausübung einer Beschäftigung veranlasste Kosten vorsieht, deutlich (§ 11b Abs. 2 S. 1 SGB II:100 EUR). Der Arbeitsvertrag ist nach Befristung zunächst nur bis zum 31.08.2019 bis zum 31.12.2019 verlängert worden. Die Abrechnungen weisen auch Beträge für Urlaubsstunden bzw. Urlaubstage aus. Auch im Übrigen weist der Arbeitsvertrag der Antragstellerin zu 1) keine Besonderheiten auf, die an der Echtheit des Arbeitsverhältnisses wesentliche Zweifel begründen könnten. Zur schriftlichen Abfassung des Arbeitsvertrages wurde ein gängiger Vordruck für kurzfristige und geringfügige Beschäftigungen verwendet, auf dem alle wesentlichen Angaben gemacht worden sind. Soweit nichts anderes vereinbart worden ist, sieht der Vertrag die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften bzw. des geltenden Tarifvertrages vor, was auch die Gewährung von bezahltem Erholungsurlaub und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall einschließt. Die Antragstellerin zu 1) hat durch Vorlage entsprechender Bescheinigungen die Anmeldung zur Sozialversicherung für geringfügig Beschäftigte bei der Bundesknappschaft nachgewiesen und Lohnabrechnungen sowie Stundenzettel und Kontoauszüge über den Zufluss des Einkommens zu den Akten gereicht. Der Arbeitgeber ist ein bundesweit tätiges Reinigungsunternehmen.
Die Antragstellerin zu 1) kann sich auch – entgegen der Auffassung des Antragsgegners -auf das Freizügigkeitsrecht berufen, da der Senat eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung dieses Rechts hier nicht zu erkennen vermag. Zwar hat der Antragsgegner zutreffend darauf hingewiesen, dass das Unionsrecht bei missbräuchlichen Praktiken keine Anwendung findet (vgl. in EuGH Urteil vom 12.03.2014 – C-456/12 – juris Rdrn 58 mwN). Der Nachweis eines Missbrauchs setzt danach zum einen voraus, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, und zum anderen ein subjektives Element, nämlich die Absicht, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. Nach der Rechtsprechung des BSG ist zudem anerkannt, dass ein Recht auf eine Sozialleistung nicht geltend gemacht werden kann, wenn dies sozial unangemessen geschieht und wenn es der rechtsethischen Funktion des Rechts widerspricht. Der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs orientiert sich am Schutzbereich der Norm, wobei grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Berechtigte den ihm zustehenden Anspruch im gesetzlichen Rahmen mit legalen Mitteln ausschöpfen kann (BSG Urteil vom 25.06.2009 – B 10 EG 3/08 R – juris Rdnr 25 ff mwN).
Abgesehen davon, dass es sich bei der vom Antragsgegner zitierten Entscheidung des EuGH um eine völlig andere Fallgestaltung handelte (Aufenthaltsrecht eines Drittstaatenangehörigen, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt; Rückkehr des Unionsbürgers in diesen Mitgliedsstaat nach Kurzaufenthalten in einem anderen Mitgliedsstaat), sieht der Senat hier die Voraussetzungen für eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung des Rechts auf Freizügigkeit durch die Antragstellerin zu 1) nicht als erfüllt an.
Lediglich durch den vom Antragsgegner vorgetragenen zeitlichen Zusammenhang zwischen Einreise, Abschluss des Mietvertrages und Arbeitsaufnahme vermag der Senat nicht zu schließen, dass die Arbeitsaufnahme allein zur Erlangung von Sozialleistungen für die Bedarfsgemeinschaft erfolgte. Insbesondere ist nicht erkennbar, ob die Antragsteller zu 1) und 2) – wie der Antragsgegner behaupte – kein Interesse an der Aufnahme einer zeitlich umfangreicheren Tätigkeit haben. Jedenfalls aus den vorgelegten Akten ergibt sich nicht, dass den Antragstellern zu 1) und 2) Arbeitsangebote unterbreitet wurden, die diese abgelehnt haben.
Der Vortrag des Antragsgegners, es wären zeitgleich mehrere geringfügige Beschäftigungsverhältnisse einzelner Mitglieder größerer Bedarfsgemeinschaften bei demselben Arbeitgeber geschlossen worden, ist – unterstellt er trifft zu – kein Indiz für eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung des Rechts auf Freizügigkeit. Es ist genauso gut möglich, dass sich die Option einer Arbeitsaufnahme bei einem Arbeitgeber in einem bestimmten Umfeld herumgesprochen hat.
Dass das Arbeitsverhältnis nur geringfügig ist und nur einen geringen Teil des Bedarf der Bedarfsgemeinschaft deckt, ist im Bereich der Gebäudereinigung, in dem über 50 % der Arbeitnehmer*innen geringfügig beschäftigt sind und ein Großteil dieser Beschäftigten ergänzende Sozialleistungen bezieht (vgl. Branchenreport Gebäudereinigung – Berlin und Deutschland – 2. Aufl. 2017, Seite 13 ff), kein Indiz für den Vortrag des Antragsgegners.
Auch die Tatsache, dass die Betreuung der minderjährigen Kinder eine Arbeitsaufnahme erschwert, führt nicht zu einer anderen Einschätzung. Die Antragsteller haben nachgewiesen, dass für die drei noch nicht schulpflichtigen Kinder der Bedarfsgemeinschaft Betreuungsanfragen bei der städtischen Kita gestellt wurden.
Der Antragsteller zu 2) hat als Ehemann der der Antragstellerin zu 1) einen Anspruch als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft.
Für den Anordnungsanspruch der Antragsteller zu 3)-8) gilt: Sie sind nicht erwerbsfähig, haben aber gem. § 7 Abs. 2 S. 1 iVm § 7 Abs. 3 Nr. 4 und § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller zu 1) und 2) einen Anspruch auf Sozialgeld, auf welchen Kindergeld gem. § 11 Abs. 1 S. 4 SGB II anzurechnen ist. Der Ausschlussgrund (für Familienangehörige) des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift nicht.
Der Anordnungsanspruch umfasst den Regelbedarf und die Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II.
Der Anordnungsgrund ergibt sich hinsichtlich des Regelbedarfs im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG bereits aus dem existenzsichernden Charakter der Leistung und dem Umstand, dass die Antragsteller über keine finanziellen Reserven verfügen, mit Hilfe derer sie ihren Lebensunterhalt sichern könnten.
In der Gesamtwürdigung hält der Senat hier den Anordnungsgrund auch bezüglich der Kosten der Unterkunft und Heizung für gegeben (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 30.04.2015 – L 6 AS 296/15 B ER – juris). Angesichts der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller sowie der gegenüber dem Vermieter aufgelaufenen Schulden und unter Berücksichtigung des vorgelegten Schreibens des Vermieters der Antragsteller ist es glaubhaft, dass die Wohnung als Lebensmittelpunkt der Familie konkret gefährdet ist. Ein solcher Verlust der Wohnung stellt für die Antragssteller, insbesondere für die sechs minderjährigen Kinder eine erhebliche Beeinträchtigung dar. Weitere Umstände, die neben der Ablehnung jeglicher Leistung durch den Antragsgegner zum Zahlungsverzug der Antragsteller geführt haben könnten, sind nicht ersichtlich.
Aus den genannten Gründen ist auch die zulässige Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe begründet. Der Antrag hatte bereits erstinstanzlich hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 Abs. 1 S. 1 Zivilprozessordnung.
Die Kostenentscheidung im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren findet keine Erstattung außergerichtlicher Kosten statt (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 20.11.2019
Zuletzt verändert am: 20.11.2019