Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 23.03.2007 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) pflichtversichert ist.
Der am 00.00.1941 geborene Kläger war nach der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit am 01.04.1955 überwiegend gesetzlich krankenversichert; vom 19.07.1980 bis 24.04.1986 gehörte er einer privaten Krankenversicherung (PKV) an. Am 08.11.2005 beantragte er bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland vorzeitige Altersrente. Die Beklagte stellte auf die Meldung zur Krankenversicherung zur KVdR durch den Bescheid vom 29.12.2005 fest, dass Versicherungspflicht in der KVdR und in der Pflegeversicherung der Rentner weder aufgrund des Rentenantrages noch im Falle einer Rentenbewilligung bestehe: Nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und § 20 Abs. 1 Nr. 11 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) bestehe Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner und in der Pflegeversicherung, wenn während 9/10 der zweiten Hälfte des Zeitraumes zwischen der ehemaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und dem Tag der Rentenantragstellung eine Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden habe. Da der Kläger am 01.04.1955 erstmalig eine Erwerbstätigkeit aufgenommen habe, sei eine Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung im Umfang von 22 Jahren, 9 Monaten und 12 Tagen in der Zeit vom 20.07.1980 bis 08.11.2005 erforderlich. Es habe aber eine Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung nur für 19 Jahre, 4 Monate und 24 Tage bestanden.
Dagegen legte der Kläger am 06.11.2006 Widerspruch ein, mit dem er vorbrachte: Die von der Beklagten zugrunde gelegten gesetzlichen Vorschriften des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V und des § 20 Abs. 1 Nr. 11 SGB XI seien erst im Dezember 1988 in Kraft getreten. Für die Zeit seit Inkrafttreten des Gesetzes bis November 2005 erfülle er die Voraussetzungen dieser Vorschriften.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch den Widerspruchsbescheid vom 13.04.2006 mit der Begründung zurück, dass nur Personen, die am 31.12.1988 bereits eine Rente bezogen hätten, sich auf eine Übergangsregelung berufen könnten.
Der Kläger hat am 12.05.2006 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben.
Er hat die Ansicht vertreten, dass § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V auf seinen Fall nicht angewandt werden dürfe, weil diese Vorschrift erst am 01.01.1989 in Kraft getreten sei, seine fehlende Vorversicherungszeit (Zugehörigkeit zur PKV) aber vor Inkrafttreten des Gesetzes liege.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.12.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2006 zu verurteilen, für den Kläger ab 08.11.2005 die Krankenversicherung der Rentner durchzuführen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat daran festgehalten, dass der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Pflichtversicherung in der KVdR nicht erfülle.
Durch Gerichtsbescheid vom 23.03.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen den ihm am 05.04.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 07.05.2007 (Montag) Berufung eingelegt.
Zur Begründung bekräftigt er seine Auffassung, die am 01.01.1989 in Kraft getretene Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V dürfe jedenfalls auf seinen Fall nicht angewandt werden, weil er nach Inkrafttreten des Gesetzes überhaupt keine Möglichkeit mehr gehabt habe, für die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen zur Aufnahme in die KVdR zu sorgen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 23.03.2007 zu ändern und unter Aufhebung des Bescheides vom 29.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2006 festzustellen, dass er ab 08.11.2005 in der Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist ab dem 08.11.2005 nicht in der KVdR pflichtversichert.
Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V sind versicherungspflichtig Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens 9/10 der zweiten Hälfte dieses Zeitraums Mitglied oder nach § 10 SGB V versichert waren. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger, was unter den Beteiligten auch nicht umstritten ist, nicht: Da der Kläger erstmalig eine Erwerbstätigkeit am 01.04.1955 aufgenommen hat, erstreckt sich die zweite Hälfte des Zeitraums zwischen der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags am 08.11.2005 vom 20.07.1980 bis 08.11.2005. Diese Zeitspanne umfasst 25 Jahre, 3 Monate und 19 Tage. 9/10 hiervon sind 22 Jahre, 9 Monate und 12 Tage. Der Kläger weist aber lediglich eine Versicherungszeit in der gesetzlichen Krankenversicherung in diesem Zeitraum von 19 Jahren, 4 Monaten und 24 Tagen auf. Dies beruht (im wesentlichen) darauf, dass er vom 19.07.1980 bis 24.04.1986 nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern vielmehr privat krankenversichert gewesen ist. Weil diese Zeitspanne wesentlich mehr als 1/10 des Zeitraums von 25 Jahren, 3 Monaten und 19 Tagen umfasst, erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen nicht.
Diese Vorschrift, die am 01.01.1989 in Kraft getreten ist (vgl. Artikel (Art.) 79 Gesundheitsreformgesetz vom 20.12.1988 (GRG), Bundesgesetzblatt [BGBl.] I 2477) ist auch auf den Fall des Klägers anzuwenden. Grundsätzlich – soweit nicht Ausnahmen normiert sind – regelt ein Gesetz alle Sachverhalte, die es ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens erfasst. Folge ist demnach, dass § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V auch für den Sachverhalt des Klägers – nämlich die Frage der Pflichtversicherung in der KVdR aufgrund des im Jahre 2005 gestellten Rentenantrages – gilt.
Eine solche Ausnahme – i.S. einer Übergangsregelung – enthält Art. 56 GRG. Diese Vorschrift gewährt in ihren Abs. 1 und 2 einen von § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V abweichenden – erweiterten – Zugang zur KVdR. Sie knüpft in Abs. 1 daran an, dass bis zum 31.12.1993 eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beantragt war. Abs. 2 verlangt den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung am 31.12.1988. Beide Voraussetzungen erfüllt der Kläger ersichtlich nicht, so dass er in den Genuss dieser Übergangsregelungen nicht gelangen kann.
Die Veränderung der Zugangsvoraussetzungen zur KVdR durch § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V durch das GRG verstößt auch nicht gegen Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes. § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V hat mit Wirkung für die Zukunft in öffentlich-rechtliche Versicherungsverhältnisse, die nicht von der Übergangsregelung des Art. 56 GRG erfasst wurden, eingegriffen und diese zum Nachteil für diejenigen Arbeitnehmer, die bereits eine mehr als 10 %-ige Fehlzeit in der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens hatten, umgestaltet. Damit kommt der Regelung unechte Rückwirkung zu (vgl. Bundesverfassungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung [BVerfGE]103, 392). Eine solche Rückwirkung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und genügt dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutz-würdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt (vgl. BVerfG a.a.O.; ständige Rechtsprechung).
Zwar ist das Vertrauen insbesondere der älteren und gesundheitlich beeinträchtigten Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Fortbestand einer günstigen beitragsrechtlichen Rechtslage (die mit dem Zugang zur KvdR verbunden ist) in der Regel hoch einzuschätzen (vgl. BVerfGE 103, 392 [404]). Allerdings ist es hier nur eingeschränkt schutzwürdig, weil die Rechtslage, auf die es sich bezog, nicht für die Zukunft gesichert erscheinen konnte. Da der Gesetzgeber die Zugangsvoraussetzung zur KVdR in der Vergangenheit bereits mehrfach zum Nachteil der Betroffenen verändert hatte (vergl. dazu BSG, Beschluss vom 03.09.1998, Az. B 12 KR 5/98 R), musste der Personenkreis, dem der Kläger angehört, damit rechnen, dass auch weitere Modifizierungen würden eintreten können. Außerdem überwiegen im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung die mit der Regelung verfolgten öffentlichen Belange. Der Gesetzgeber muss im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung aus Gründen des Allgemeinwohls Neuregelungen treffen können, die sich geänderten Erfordernissen anpassen (vgl. auch BVerfGE 69, 272 [311 ff.]). Solche Erfordernisse von einigem Gewicht lagen bei Erlass des GRG vor. Die finanzielle Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere der Krankenversicherung der Rentner, stellte sich besorgniserregend dar; die Aufwendungen für die KVdR waren gegenüber den Ausgaben für die übrigen Versicherten erheblich angestiegen (vergl. insoweit die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 29.04.1988, Bundestagsdrucksache 200/88, Seite 141). Dem Anliegen des Gesetzgebers, die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Veränderung der Zugangsvoraussetzungen zu gewährleisten, gebührt insofern der Vorrang. Der Gesetzgeber muss die Möglichkeit haben, auf gestiegene Kosten im Gesundheitswesen mit einer Änderung der zugangsrechtlichen Vorschriften zur Verminderung der Ausgaben der Krankenkassen zu reagieren, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leistungen und Beitragsaufkommen zu erreichen. Die Auffassung des Klägers würde dazu führen, dass eine zeitnahe Reaktion des Gesetzgebers ausgeschlossen wäre. Wäre die Auffassung des Klägers richtig, so könnten die Zugangsvoraussetzungen zur KVdR durch den Gesetzgeber wirksam erst dann geändert werden, wenn Versicherte die Möglichkeit hätten, ihr Erwerbsleben auf die zum 01.01.1989 erfolgte Änderung einzurichten. Dies würde bedeuten, dass die Neuregelung nur auf diejenigen angewandt werden könnte, die am 01.01.1989 noch mindestens 9/10 der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens zurückzulegen hatten. Hieraus folgt, dass die gesetzliche Neuregelung erst Jahrzehnte später ihre stabilisierende Wirkung auf die finanzielle Lage der gesetzlichen Krankenversicherung hätte entfalten können. Es liegt auf der Hand, das dies den Gesetzgeber aller Möglichkeiten berauben würde, durch geeignete gesetzliche Maßnahmen den Bestand und die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährleisten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.
Erstellt am: 18.09.2007
Zuletzt verändert am: 18.09.2007